Scholz beim Neujahrsempfang: Der Kanzlerabend im Minuten-Protokoll
Wenn Sie einmal die Chance hätten, dem Bundeskanzler ausführlich darzulegen, wie Sie auf die Wirtschaftslage der Nation blicken – was würden Sie sagen? Genau diese Möglichkeit hatten wir bei unserem Neujahresempfang: Olaf Scholz war am 9. Januar zu Gast in der Kölner Flora. Und es war, in aller Bescheidenheit, ein phantastischer Abend. Mit einer fulminanten Rede von IHK-Präsidentin Nicole Grünewald. Einem gleichermaßen ernst wie selbstironischen Kanzler, der mit seiner ersten Bütten-Rede eine echte Weltpremiere lieferte. Und einer Festgesellschaft, die noch bis tief in die Nacht über das Gehörte und Erlebte diskutierte. Hier kommt das Kanzler-Protokoll.
Text: IHK-Chefredakteur Willi Haentjes
Vorfahrt achten
18.13 Uhr. Die Kanzler-Kolonne fährt vor! Scholz rauscht durchs Foyer und zieht sich noch einmal zurück: Die bundesdeutschen Amtsgeschäfte werden für eine halbe Stunde aus einem kleinem Rückzugsraum in der Kölner Flora geführt.
© IHK Köln / Meike Schrömbgens
Trockene Tinte
18.44 Uhr. IHK-Hauptgeschäftsführer Uwe Vetterlein und Präsidentin Nicole Grünewald begrüßen den Regierungschef und geleiten ihn in den Dachsalon für den Eintrag ins Gästebuch der Kammer. Er greift zum Füller und setzt in drei feinen Linien seinen Namen unter den Text: „Besuch des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland.“
© IHK Köln / Christian Knieps
Volle Hütte
18.48 Uhr. Vorhang auf und Bühne frei! Die 400 geladenen Gäste begrüßen den Kanzler im Festsaal. Oder anders herum. Unter anderem mit dabei: Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath, Rewe-Chef Lionel Souque, WDR-Intendantin Katrin Vernau, Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge. Und auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der sich noch spontan die Begrüßungsrede anhören wollte und somit einen Stuhl am Tisch benötigte. Alles live!
© IHK Köln
Klartext
19.04 Uhr. Die Gläser sind gefüllt, IHK-Präsidentin Grünewald eröffnet den Abend. Und nimmt den Ehrengast in die Pflicht. Ihre Kritik an der Politik des Kanzlers: „Deindustrialisierung und Überbürokratisierung sind keine zufälligen Naturereignisse. Sondern das Ergebnis von politischen Entscheidungen. Die dringend korrigiert werden müssen.“ Vor allem die Energie-Politik bräuchte dringend eine Korrektur: „Der Kohleausstieg 2030 wird nicht zu halten sein.“
Grünewald weiter: „Wir sind alle Unternehmer. Das heißt: Wir müssen alle Verantwortung tragen und Entscheidungen treffen. Jeden einzelnen Tag. Und wir müssen mit den Konsequenzen dieser Entscheidungen leben. Dieses Mindset und diese Entscheidungskraft wünschen wir uns auch von der Politik. Und das haben wir in den vergangenen Jahren zu oft vermisst.“
Ihr Appell an den Kanzler: Die Politik müsse der Wirtschaft endlich wieder mehr zutrauen. Das Zauberwort der Stunde sei Mut. Die Schlussworte: „Ich wünsche uns allen für das Jahr 2025, den Mut, die richtigen Dinge zu tun. Und die falschen abzuschaffen.“ Es folgten Standing Ovations. Hier gibt's die ganze Rede im Wortlaut zum Nachlesen!
© IHK Köln
Bühnen-Redner
20.03 Uhr. Der Kanzler betritt die Bühne! Und weiß genau: Das ist kein Heimspiel, die Stimmung in der Wirtschaft war schon mal besser. Aber er trifft einen Nerv und sagt über das Deutschland im Januar 2025: „Wir sehen an allen möglichen Ecken und Enden, dass zu lange zu viel liegengeblieben ist. Manches über Jahrzehnte hinweg. Die WDR-Staunachrichten klingen zum Teil wie eine Aufzählung aller Kölner Stadtteile samt Vororten.“ Dann erläuterte Scholz seinen Vorschlag vom „Made in Germany“-Bonus: „Ähnlich wie in den USA möchte ich, dass der Staat sich an jeder Zukunftsinvestition mit 10 Prozent beteiligt – schnell und unkompliziert, per Steuererstattung.“
Mit Blick auf die vielfach kritisierte Entwicklung des Strompreises sagte er: „Der Entwurf für die weitere Entlastung bei der Stromsteuer liegt im Bundestag. Er kann noch vor der Wahl beschlossen werden. Und dazu fordere ich alle ausdrücklich auf. Das können wir jetzt noch umsetzen!“ Ein kurioser Moment: Da steht der Kanzler auf der Bühne und klingt wie der Oppositionsführer …
© IHK Köln / Meike Schrömbgens
Bütten-Redner
20.17 Uhr. Scholz grinst spitzbübisch. Und sagt dann, dass seine Kollegen aus dem Rheinland ihm geraten hätten, unbedingt noch etwas Gereimtes zum Besten zu geben. „Also habe ich mir ein Herz gefasst – und das ist jetzt wirklich eine Premiere. Meine allererste Mini-Büttenrede. Bitte sehr!“
19 Zeilen hat die Bütt, ich dokumentiere dieses Dokument der Zeitgeschichte im Wortlaut:
„Die Söhne Hamburgs haben ein Lied geschrieben,
und Hamburger darin wie folgt beschrieben:
Manche sagen, wir sind dröge.
Doch das ist 'ne glatte Löge!
und Hamburger darin wie folgt beschrieben:
Manche sagen, wir sind dröge.
Doch das ist 'ne glatte Löge!
Wir denken vor dem Sprechen nach:
Wenn's sein muss, auch 'nen ganzen Tach.
‚Scholzomat‘, ‚Olaf der Schweiger‘ – ein Hamburger Jung.
Das trifft nicht überall auf Begeisterung.
Wenn's sein muss, auch 'nen ganzen Tach.
‚Scholzomat‘, ‚Olaf der Schweiger‘ – ein Hamburger Jung.
Das trifft nicht überall auf Begeisterung.
Wenn Sie jetzt sagen: der Scholz taugt nicht für die Bütt.
Ich will ja auch, dass es anders kütt.
Und ich nicht Büttenreden schreibe,
sondern bei meinen Leisten bleibe.
Ich will ja auch, dass es anders kütt.
Und ich nicht Büttenreden schreibe,
sondern bei meinen Leisten bleibe.
Am 23. Februar ist klar, wer mit wem und wie
ein dreifach Hoch auf die Demokratie!
Die erträgt viel Streit und manch groben Verriss.
Viel wichtiger bleibt aber der Mut zum Kompromiss.
ein dreifach Hoch auf die Demokratie!
Die erträgt viel Streit und manch groben Verriss.
Viel wichtiger bleibt aber der Mut zum Kompromiss.
Respektvoll miteinander, ehrlich und klar –
Kein schlechter Vorsatz fürs neue Jahr.
Deshalb: Frohes Neues und: Viva Colonia!“
Kein schlechter Vorsatz fürs neue Jahr.
Deshalb: Frohes Neues und: Viva Colonia!“
Ja, das hat er echt gemacht. Und auch dafür gab es ebenfalls Standing Ovations.
© IHK Köln / Meike Schrömbgens
Sprechstunde
20.22 Uhr. Der Kanzler will nicht nur reden, sondern auch zuhören. 46 Minuten lang beantwortet er die Fragen von Unternehmerinnen und Unternehmern aus dem Kammerbezirk. Reisebüro-Gründerin Nadja Albrecht stellte die erste Frage, sie beschäftigt nur Frauen und berichtete vom Problem der 100-Prozent-Frauenquote: Regelmäßig ruft eine Mitarbeiterin an und sagt, die Kita sei dicht – sie müsse zu Hause bleiben. „Was soll ich als Unternehmerin tun. Weiter Frauen einstellen oder es bleiben lassen, weil es einfach kein funktionierendes soziales System gibt, was junge Mütter unterstützt?“
Scholz nahm einen langen Anlauf, um die Frage zu beantworten, und sprach erst einmal grundsätzlich über die Arbeitsmarkt-Situation. Dann sagte er, es brauche ein verlässliches Angebot von Ganztags-Krippen und -Kitas, und -Grundschulen. Daran werde aber gearbeitet. Albrechts Antwort: „Das klingt sehr positiv. Davon merke ich aber noch nicht so viel.“ Scholz: „Das dauert auch.“ Insgesamt hat der Kanzler auf acht Fragen geantwortet. Ja: Geantwortet. Nicht: unbedingt beantwortet ...
© IHK Köln
Glas but not least
21.11 Uhr. Als Erinnerung an den Abend überreicht Nicole Grünewald dem Kanzler ein echtes Stück Köln: Eine originale Fensterscheibe aus dem Dom. Scholz greift noch einmal zum Mikrofon und meint: Das Geschenk würde sich ja eigentlich auch noch nach der Wahl gut im Kanzleramt machen … Nach der XXL-Fragerunde wird der Hauptgang serviert – Gesprächsstoff an den Tischen gab’s genug …
Machtgeflüster
21.43 Uhr. Näher dran am Ohr der Macht war kein anderer Gast: Petra Mayer, als COO im Vorstand der Deutz AG für die Produktion verantwortlich, saß am Ehrentisch links von Scholz. Ich habe sie ganz diskret gefragt, wie denn das Abendessen mit dem Kanzler war, abseits der politischen Themen. Ihre Antwort im O-Ton: „Wir haben wirklich gelacht, er ist ein humorvoller Mensch. Es war sehr leicht, mit ihm das Gespräch zu führen, er ist ein sehr unkomplizierter Tischnachbar. Und neugierig. Es war wirklich ein wunderbarer Abend. Er hat jedes Foto gerne mitgemacht, ist auf jede Frage am Tisch eingegangen. Ich hatte das Gefühl, er wäre gerne noch länger geblieben.“
© IHK Köln
Abmarsch
21.43 Uhr. Der Kanzler ist bester Laune, beantwortet weiter Fragen am Tisch, wirkt gelöst. Auf den Nachtisch muss er leider verzichten, weil das Nachtflug-Verbot in Berlin keine Ausnahmen für den Kanzler-Jet kennt. Also: Ein paar letzte Fotos, Händeschütteln und dann vom Rhein in Richtung Spree! Beim Gang durchs Foyer winkte der Kanzler unserem IHK-Team, das den Check-In organisiert hat. Unsere Auszubildende Aziza Ucar hat den Moment festgehalten: Der Kanzler winkt und ruft in die Runde: „Tschüss, schönen Dank!“ In Hamburg sagt man Tschüss, in Köln Mach et jot, Herr Kanzler!
Ausklang
21.44 Uhr. Kanzler weg, Stimmung gut – der Abend fand seinen Ausklang im Dachsalon der Flora. Bei Kölsch, Cocktails, guter Musik und noch besseren Gesprächen. Aber aus Kölner Regierungskreisen ist zu hören, dass nach 3.00 Uhr in der Flora noch Licht gebrannt hat …
Kontakt
Willi Haentjes
Chefredakteur | Kommunikation