Ausschuss für Internationales

IHK-Position zum EU-Lieferkettengesetz

Zur EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen (EU) 2019/1937 („EU-Lieferkettengesetz“): Das Ziel der Gesetzesinitiative teilt die deutsche Wirtschaft. Denn für deutsche Unternehmen ist die Achtung der Menschenrechte ein wichtiges Anliegen.
Bereits heute tragen sie im Ausland zu höheren Sozial- und Umweltstandards, besserer Bildung und damit zu Wachstum und Wohlstand bei.‎ Nachhaltigkeit ist bereits fester Bestandteil betrieblicher Abläufe, wie eine DIHK-Umfrage (Herbst 2021) zeigt. Unter den 3200 befragten, im Ausland vertretenen Betrieben arbeiten mehr als zwei Drittel an der Umsetzung von eigenen Nachhaltigkeitszielen, die über die Anforderung der Politik hinausgehen.
Regelungen zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten auf EU-Ebene sollten daher so ausgestaltet werden, dass sie das vielfältige freiwillige Engagement der Unternehmen ausdrücklich würdigen und nicht behindern. Dies gilt insbesondere in einer Zeit, in der die Corona-Pandemie weltweit zu Störungen in den internationalen Lieferketten führt und damit einhergehend zu Engpässen bei Rohstoffen, Materialen und Vorleistungen sowie steigenden Preisen. Mit einer schnellen Entspannung der Lage ist nicht zu rechnen, da die russische Invasion in die Ukraine weitere massive Auswirkungen auf die europäische und internationale Wirtschaft hat.
Auch ist das Ziel des Richtlinien-Entwurfs (RL-E.), gleiche Rahmenbedingungen für alle Unternehmen zu schaffen, die im EU-Binnenmarkt agieren, positiv zu bewerten.
Die entsprechenden Sorgfaltspflichten gelten somit per se– im Gegensatz zum deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) - auch für drittländische Unternehmen, die nicht zwingend den hohen menschen-, arbeits- und sozialrechtlichen Standards des europäischen Rechts sowie den diesbezüglichen Aufsichts- und Kontrollregimen unterliegen. Insbesondere der vom RL-E. vorgesehene, weite Gestaltungsspielraum der nationalen Kontrollbehörden lässt jedoch Zweifel an der Umsetzung des Level-Playing Fields aufkommen.
Gerade weil die Umsetzung von zusätzlichen Pflichten im Zusammenhang mit Menschenrechten mit erheblichem administrativem Aufwand und hohen Kosten verbunden ist, erfordert ein wirksames Lieferkettengesetz Praxistauglichkeit, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit.
Werden diese Prinzipien nicht gewahrt, können bürokratische Mehrbelastung und zu hohe Haftungsrisiken zu weniger Geschäften, sinkenden Umsätzen und letztlich zum Abbau von Arbeitsplätzen führen.  Laut einer DIHK-Sonderumfrage (Februar 2022) unter 2500 auslandsaktiven Unternehmen in Deutschland nimmt jedes zweite Unternehmen Herausforderungen in der Umsetzung des LkSG wahr. Neben bürokratischer Mehrbelastung (93 Prozent), die sich bei vier von fünf Unternehmen voraussichtlich auch in erhöhten Kosten niederschlagen wird, bereiten zwei Drittel der Unternehmen Haftungsrisiken und die noch bestehende Rechtsunsicherheit Sorgen.
Ein Drittel aller und 42 Prozent der direkt betroffenen Unternehmen sorgt sich zudem um die Überprüfung des Engagements in bestimmten Ländern/Regionen. Es besteht die Gefahr, dass in einem folgenden Schritt das Engagement per se in Frage gestellt wird und ein Abzug aus Ländern mit schwieriger Menschenrechtslage erwogen wird.
Je nach Größe der betroffenen Unternehmen kann dies wiederum Auswirkungen auf ganze Regionen haben. Vormals Beschäftigte werden entweder komplett arbeitslos, oder aber sie werden in informelle und damit ungeschützte Arbeitsmärkte abgedrängt.
So gilt es mittlerweile als erwiesen, dass exportierende Unternehmen durchschnittlich höhere Löhne zahlen als diejenigen, die nur den heimischen Markt bedienen. Dies gilt besonders für Unternehmen in Entwicklungsländern, die in Industrieländer exportieren. Ein Lieferkettengesetz trifft somit genau jene Unternehmen, die bereits verhältnismäßig hohe Löhne zahlen und für die unternehmerische Verantwortung eine größere Rolle spielt.
Zudem ist damit zu rechnen, dass Unternehmen nach Möglichkeit die Anzahl ihrer Zulieferer reduzieren, was zu einer Konzentration auf die verbliebenden Zulieferer und zu einem erhöhtem Risiko von Lieferengpässen führen würde, da mögliche Produktionsprobleme nicht mehr durch andere Zulieferer aufgefangen werden können. Auch kann sich durch diese Monopolisierung von Zulieferern deren Marktmacht erhöhen, was Vorprodukte für deutsche Unternehmen verteuert.
Darüber hinaus kann die Monopolisierung einzelner Branchen die Verhandlungsmacht der überlebenden Unternehmen gegenüber den Arbeitnehmern erhöhten, was wiederum Abwärtsdruck auf Löhne ausüben könnte. Sofern die betroffenen Unternehmen, weiterhin auf ihrem Heimatmarkt tätig sind, besteht außerdem die Möglichkeit, dass sie sich nicht mehr an bereits bestehende Arbeitsstandards gebunden fühlen, die sie für ihre Kunden in Industrienationen eingeführt hatten.
Ein Grund für höhere Löhne in exportierenden Unternehmen ist zudem, dass Produkte, welche für Länder wie Deutschland hergestellt werden, oftmals höheren Qualitätsstandards gerecht werden müssen, was wiederum qualifiziertere Arbeitskräfte erfordert. Fällt der entsprechende Absatzmarkt weg, so könnte sich dies entsprechend negativ auf die Qualifikation und Entlohnung der Beschäftigten auswirken. In der Folge des Wegfalls dieser Lieferanten aus den westlichen Lieferketten droht der wirtschaftliche Aufholprozess der Entwicklungsländer gegenüber den Industrienationen verlangsamt oder gar gestoppt zu werden.
Eine Verlagerung der Lieferkette nach Deutschland zur Vermeidung von Monitoringkosten ist zusätzlich mit hohen Kosten für die betroffenen Unternehmen verbunden. Die erhöhten Kosten werden an Konsumenten bzw. Kunden weitergegeben, wodurch sich die Wettbewerbssituation von deutschen Unternehmen am internationalen Markt verschlechtert.
Zudem wird es konkurrierende Anbieter geben, die weder eigene Lieferkettengesetze auf den Weg bringen, noch anderweitig Druck auf Lieferländer ausüben, Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dazu kann China gehören, aber auch andere Schwellenländer, die zwischen Industrie– und Entwicklungsländern stehen, dürften passiv bleiben. Sie werden weiterhin als Käufer von Waren auftreten, die unter schlechten Arbeitsbedingungen produziert werden und somit das Gewicht der Länder schwächen, die um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in armen Ländern bemüht sind. So kann kein Level-Playing-Field erreicht werden.
Auch haben Lieferkettengesetze allgemein den großen Nachteil, dass sie lediglich die Arbeitsbedingungen von Zulieferern erfassen, die Mitglieder der Lieferketten sind. Die weitaus überwiegende Zahl der Arbeitsplätze wird aber von Unternehmen in vorwiegend armen Ländern geschaffen, die lediglich für den Binnenmarkt in informellen Arbeitsmärkten produzieren.
Lieferkettengesetze vertiefen damit den bereits bestehenden Graben zwischen den formalen und den informellen Arbeitsmärkten, bewirken eine Abdrängung von Arbeitskräften in die informellen und damit ungeschützten Arbeitsmärkte und erschweren es Regierungen in Lieferländern, diesen Graben zu schließen. Lieferkettengesetze belasten somit die „falschen“ Akteure, nämlich die Arbeitgeber in Industrieländern mit höheren Fixkosten, aber nicht diejenigen, die für schlechte Arbeitsbedingungen in Lieferländern verantwortlich sind, die dortigen Regierungen und die Unternehmen vor Ort, die unter dem Schutz untätiger Regierungen Arbeitnehmer ausbeuten.
Die Belastungen durch das LkSG, das bis dato als das ambitionierteste Lieferkettengesetz weltweit gilt, und die Möglichkeit zahlreicher Nebeneffekte entgegen des angestrebten Gesetzeszweckes machen deutlich, dass die EU-Regelung nicht über das deutsche Gesetz hinaus gehen sollte.
Im Rahmen dieser Position werden weitere Leitlinien vorgeschlagen, welche insbesondere den Mittelstand entlasten würden:
  • Die EU-Richtlinie muss europaweit einheitlich umgesetzt werden, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Sie sollte nicht über das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hinausgehen. Außerdem ist zu prüfen, sie in eine dann einheitlich umzusetzende Verordnung zu wandeln
  • Sorgfaltspflichten sollten sich auf die Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen beschränken. Unternehmerische Verpflichtungen im Zusammenhang mit Umweltstandards sollten nicht unilateral, sondern im Rahmen der WTO global oder zumindest plurilateral mit wichtigen Handelspartnern etwa der OECD, G20 und G7 entwickelt werden. Denn werden über ein Gesetz zu viele verschiedene Ziele angestrebt (Arbeitsbedingungen, Umweltschutz, gute Unternehmensführung), kann es bei nur einem Instrument (Lieferbeziehung) zu Zielkonflikten kommen. Insbesondere kann es passieren, dass Unternehmen, die gezwungen werden Sicherheitsstandards anzuheben, gezahlte Löhne absenken müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
  • Der Anwendungsbereich sollte mittelstandsfreundlicher ausgestaltet werden und analog zum deutschen LkSG nur Unternehmen ab 1000 bzw. 3000 Beschäftigten erfassen. Die Belastungen für mittelbar betroffene Unternehmen sind auf ein Minimum zu reduzieren und durch finanzielle Unterstützung der EU-Kommission bzw. Mitgliedsstaaten auszugleichen. Es ist davon abzusehen, den direkt betroffenen Großunternehmen die Unterstützung von KMU aufzubürden. Brancheninitiativen und -lösungen sollten stärkere Anerkennung finden. Informationsportale und digitale Lösungen für Due Diligence-Prüfung sind spätestens mit Inkrafttreten der EU-Richtlinie zur Verfügung zu stellen
  • Die Richtlinie schreibt vor, dass die Lieferkette up-stream und down-stream kontrolliert werden muss. Dies führt dazu, dass jeder Akteur jeden anderen Akteur innerhalb der EU doppelt und dreifach kontrolliert. Ein enormer Verwaltungsaufwand mit insgesamt wenig Mehrwert für Menschen in Risikoländern außerhalb der EU, weil sich ein Großteil der Kontrolle in der EU selbst abspielt. Die Richtlinie sollte - analog zum deutschen LkSG – nur verlangen, die Up-Stream Seite zu kontrollieren. So hätten Unternehmen mehr Kapazität, Menschen in Risikostaaten zielgerichtete Hilfe zukommen zu lassen.
  • Zahlreiche unklare Formulierungen und unbestimmte Rechtsbegriffe verursachen bei den Unternehmen erhebliche Rechtsunsicherheit und erschweren eine einheitliche Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Dies gilt auch für die Regelung der verwaltungsrechtlichen Sanktionen, die den Mitgliedsstaaten bis dato einen weiten Gestaltungsspielraum lässt. 
  • Die bisherige Analyse bezieht sich lediglich auf die Notwendigkeit der Prüfung der direkten (unmittelbaren) Zulieferer durch deutsche Unternehmen. Eine zusätzliche Kontrolle auch der mittelbaren Zulieferer, wie aktuell auf europäischer Ebene diskutiert wird, ist abzulehnen. So nennt der Zentralverband Elektronik– und Elektroindustrie e.V. in seinem Positionspapier zum Sorgfaltspflichtengengesetz als Rechenbeispiel eine Mikrowelle, welche für die Herstellung auf circa 1.500 direkte und indirekte Zulieferungen angewiesen sei (ZVEI, 2020). Es ist mehr als fraglich, ob einer Überwachung all dieser Lieferanten durch ein Unternehmen möglich ist. Die Richtlinie sollte - analog zum deutschen LkSG – vorschreiben, dass Unternehmen bei mittelbaren Zuliefern nur bei „substantiierter Kenntnis über eine mögliche Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht bei mittelbaren Zulieferern tätig werden“ müssen.
  • Unternehmen können nur für ihre eigenen Aktivitäten in der Lieferkette haften, nicht aber für die ihrer Geschäftspartner oder ihrer Lieferanten. Eine Verletzung der Pflichten aus der RL sollte – analog zum deutschen LkSG - keine zivilrechtliche Haftung begründen.  
  • Im Hinblick auf die neuen Belastungen, die durch die geplante Richtlinie entstehen, ist ein wirtschaftlicher Ausgleichsmechanismus über den “One in, one out“-Grundsatz einzuführen. 
  • Es sollten Negativlisten als unterstützendes Instrument für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette eingeführt werden. Diese können die Unternehmen in ihrer Überwachungs- und Berichtspflichten entlasten und dafür sorgen, dass keine weiteren diffusen rechtlichen Risiken aufgebürdet werden. Die zentral behördlich geführte Listen führen Unternehmen auf, die in Lieferketten mit europäischer Beteiligung nicht auftauchen dürfen. Diese Listen würde Rechtsunsicherheiten minimieren, weil für die Unternehmen stets klar ersichtlich wäre, wenn „Compliance“ gegeben ist. (Das Instrument der Negativlisten kann sich am Vorbild des europäischen Verfahrens der handelspolitischen Schutzinstrumente (Antidumping- und Antisubventionszölle) orientieren.)