VV-Resolution, 9. Juli 2019

Resolution zum Strukturwandel im Rheinischen Revier

Der breite Konsens unterschiedlicher Interessensgruppen in der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" (WSB-Kommission) bietet die Chance, die nationalen Klimaschutzziele zu erreichen und die Energiewende entsprechend den energiewirtschaftlichen Zielen „Umweltverträglichkeit", „Wirtschaftlichkeit" und „Versorgungssicherheit" erfolgreich zu bewältigen.
Die Einschätzung der Mitgliedsunternehmen der IHK Köln in Hinblick auf die Konsequenzen für die Region differieren stark. Viele Betriebe bezweifeln, ob die Energieversorgungssicherheit zu wettbewerbsfähigen Preisen weiterhin gewährleistet werden kann. Gleichzeitig werden aber auch große Chancen für die Region erkannt.
Grundsätzlich sind sich die Mitgliedsunternehmen der IHK Köln ihrer besonderen Verantwortung in diesem Prozess bewusst und bekennen sich klar zum Umweltschutz als wichtiges Ziel in der unternehmerischen Fortentwicklung Deutschlands als Industriestandort. Nun ist es wichtig, die Empfehlungen der WSB-Kommission als Ganzes zu sehen und schnellstmöglich umzusetzen.

Ausgangslage

Kern der Empfehlung der WSB-Kommission ist ein Ausstiegspfad aus der Kohleverstromung, um die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung für die Energiewirtschaft zu erfüllen. Aus dem Klimaschutzplan der Bundesregierung ergibt sich die Vorgabe zur Verringerung der Emissionen aus der Energiewirtschaft um 61 bis 62 Prozent im Jahr 2030 gegenüber dem Jahr 1990. Demnach sollen die Braunkohlekapazitäten von heute insgesamt 19,9 GW schrittweise bis 2022 auf 15 GW, bis 2030 auf 9 GW und schließlich bis 2038 auf 0 GW reduziert werden.
Als Energie- und Industrieregion stehen wir dabei bereits kurzfristig vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen müssen die Auswirkungen eines beschleunigten Kohleausstiegs auf die Beschäftigung und die Wertschöpfung der Braunkohlewirtschaft und der damit eng verknüpften Unternehmen kompensiert und moderiert werden. Zum anderen gilt es zeitgleich, potenzielle negative Auswirkungen durch Strompreissteigerungen oder einer Verschlechterung der Energieversorgungsqualität und -quantität für die in der Region überproportional vertretene (energieintensive) Industrie und weitere energiesensitive Unternehmen und Einrichtungen in Grenzen zu halten. Es wird davon ausgegangen, dass eine Reduktion von annähernd 5 GW Braunkohlekapazitäten bis zum Jahr 2022 weit überwiegend im Rheinischen Revier erfolgen wird.
Um mögliche negative Auswirkungen in den Braunkohlerevieren auch für die (energieintensiven) Industrien abzufedern, hat die WSB-Kommission verschiedene Maßnahmen empfohlen, die finanziell flankiert werden. So empfiehlt die WSB-Kommission, den betroffenen Ländern für Einzelprojekte aus dem Bundeshaushalt ein Budget von jährlich insgesamt zwei Milliarden Euro über 20 Jahre hinweg bereitzustellen, um den Strukturwandel in den Revieren zu gestalten.
Zusätzlich schlägt die Kommission unter anderem vor, den erwarteten Strompreisanstieg für alle Verbraucher, etwa über einen Zuschuss auf die Übertragungsnetzentgelte, zu dämpfen. Dazu sollen zusätzlich mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr ab dem Jahr 2023 notwendig sein. Für energieintensive Unternehmen, die nicht von einer Senkung der Netzentgelte profitieren können, soll ein beihilferechtlich konformes Instrument entwickelt werden, um diese Unternehmen ebenfalls von erwarteten Strompreisanstiegen zu entlasten. Des Weiteren soll die ETS-Strompreiskompensation verstetigt und fortentwickelt werden.
Falls keine ausreichenden neuen Erzeugungskapazitäten entstehen, um die Versorgungssicherheit auf dem bestehenden hohen Niveau zu sichern, sollen diese über Investitionsanreize gefördert werden. In den Jahren 2023, 2026 und 2029 werden die Maßnahmen und deren Umsetzungsstand umfassend überprüft und gegebenenfalls nachgesteuert.

Ausblick

Je besser es gelingt, die guten energiewirtschaftlichen Standortfaktoren in der Region zu erhalten, desto geringer ist der negative Anpassungsdruck der Unternehmen und desto größer ist die Chance auf dem vorhandenen unternehmerischen Fundament eine nachhaltige, innovative Wirtschaftsregion zu formen.
Denn der Strukturwandel bietet der Region die Chance, innovative Zukunftstechnologien der Energiewende zu entwickeln, zu betreiben und davon zu profitieren. Für die Transformation der Energiewirtschaft bedarf es großen energiewirtschaftlichen Know-hows, qualifizierter Arbeitskräfte, innovativer Unternehmen und exzellenter Forschungseinrichtungen. All dieses ist aufgrund der Historie in der Region vorhanden. Auf der Basis der vorhandenen Energieinfrastruktur bietet es sich an, diese zukunftsfähig auszubauen und Sektorenkopplungstechnologien in der Region anzusiedeln und in das Energiesystem einzubinden.
Dazu gehören Anlagen zur Stromkonvertierung, beispielsweise Power to Gas oder Power to Liquids Anlagen, die von der hohen Dichte verschiedener Netze in der Region profitieren können. Des Weiteren kann der Einsatz von verschiedenen Speicheranlagen und die Kopplung mit erneuerbaren Energien industriell getestet werden, sowie eine
innovative Flexibilitätsbereitstellung in Verbindung mit industriellen Verbrauchern in der Region.
So bilden sich in der Region neue Wertschöpfungspotenziale, neue zukunftsfähige Geschäftsfelder und neue Arbeitsplätze. Gleichzeitig hilft eine Fokussierung auf innovative energiewirtschaftliche Technologien dabei, die guten energiewirtschaftlichen Standortfaktoren in der Region langfristig zu sichern. Hierin liegt ein hoher Investitionsbedarf sowohl in die notwendige Infrastruktur als auch für die notwendige Etablierung von neuen Technologien und damit verbundenen Wertschöpfungsstufen.
Darüber hinaus wird der Strukturwandel in der Region erst tragfähig und ein Katalysator für die Energiewende, wenn auch Unternehmen auf marktwirtschaftlicher Basis in der Region investieren. Bessere Rahmenbedingungen und eine stärker industriepolitisch gestaltete Energiewende können dazu beitragen.
Die nun zu entwickelnden und umzusetzenden Maßnahmen sollten auf die Herausforderungen abgestimmt sein, die sich aus dem beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverstromung für die Region ergeben. Das Ergebnis des Strukturwandels darf nicht die Deindustrialisierung der Region sein. Der Wandel ist nur erfolgreich, wenn es gelingt, eine aktive Energie- und Industrieregion zu bleiben und weiter hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen. Nur so entwickelt die Energiewende im Rheinischen Revier einen Vorbildcharakter für andere Regionen der Welt. Hierzu muss der Strukturwandel in der Energiewirtschaft auch als ein industriepolitisches Projekt begriffen werden und einem
energiewirtschaftlichen Kompass folgen.

Forderungen

Sicherstellung der energiewirtschaftlichen Grundlagen für wettbewerbsfähiges Wirtschaften in der Region.

  • Es sind schnellstmöglich belastbare Indikatoren zu entwickeln, die die jeweiligen Entwicklungen bei der Versorgungssicherheit objektiv beschreiben können. Ebenso müssen schon jetzt die notwendigen Maßnahmen festgelegt werden, um entsprechend einer möglichen Zielverfehlung geeignet nachzusteuern.
  • Die Entwicklung der Strompreise muss ab sofort auch in Relation zu internationalen Strompreisentwicklungen sorgfältig überwacht werden.
  • Es ist sicherzustellen, dass die von der WSB-Kommission empfohlenen Maßnahmen zur Gewährleistung der energiewirtschaftlichen Grundlagen und zur Kompensation von Strompreissteigerungen nachhaltig und beihilferechtlich gesichert werden.

Region gezielt von Zukunftstechnologien der Energiewende profitieren lassen.

  • Die Politik ist gefordert, die Ansiedlung von Technologieclustern und -infrastrukturen zu fördern.
  • Durch Reallabore sollte der Einsatz dieser Technologien in der Region getestet werden. Dazu ist sowohl eine finanzielle Unterstützung notwendig als auch die Möglichkeit angepasste Regulierungsrahmen für Unternehmen zu erproben.
  • Aufgrund des hohen Investitionsbedarfs ist darauf zu achten, dass bei der Vergabe der von der WSB-Kommission in Aussicht gestellten Strukturhilfemittel, der Fokus auf energiewirtschaftlichen Projekten liegt.

Rahmenbedingungen für einen marktwirtschaftlichen Strukturwandel verbessern und verbleibende Wertschöpfungslücken durch struktur- und regionalpolitische Unterstützungen kompensieren.

  • Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen deutlich beschleunigt werden, damit die Wirtschaft schnell reagieren und in der Region investieren kann. Die Genehmigungsbehörden müssen ihre unterstützende Aufgabe stärker wahrnehmen. Dafür sollten die Genehmigungsbehörden personell besser ausgestattet werden.
  • Durch die Veränderungen in der Tagebaulandschaft ist eine vorausschauende Flächenentwicklung notwendig, die wirtschaftliche Weiterentwicklungen in der Region ermöglicht.
  • Neue (interkommunale) Gewerbeflächen müssen jetzt bereitgestellt werden, um unternehmerisches Potenzial zu entfalten. Dies betrifft insbesondere industriell nutzbare Flächen, um neue Unternehmen anzusiedeln, die hochwertige Ausbildungs- und Arbeitsplätze anbieten. Der besondere Bedarf der Kommunen im Rheinischen Revier muss in die Neuaufstellung des Regionalplans für den Regierungsbezirk Köln einfließen. Da sich dieses Verfahren angesichts des hohen Zeitdrucks zu lange hinzieht, müssen vorher so schnell wie möglich prioritäre Flächen durch Änderungsverfahren des aktuellen Regionalplans bereitgestellt werden.
  • Um die Fläche optimal zu entwickeln, muss der Ausbau der Infrastruktur in der Region beschleunigt werden. Das gilt sowohl für Verkehrsinfrastrukturen, um die Anbindung nach Köln, Düsseldorf, Mönchengladbach und Aachen zu verbessern, als auch für den Aufbau wirtschaftsnaher Infrastruktur, beispielsweise einer notwendigen Breitbandanbindung.
  • Um diese wichtigen Forderungen schnell umsetzen zu können, ist die Einführung einer Sonderwirtschaftszone zu prüfen.
  • Dafür von der WSB-Kommission empfohlene finanzielle Mittel müssen zusätzlich für die Region zur Verfügung stehen und dürfen nicht in Projekte investiert werden, deren Finanzierung bereits durch andere Mittel gesichert ist und die auch ohne den forcierten Strukturwandel geplant waren (z. B. im Bundesverkehrswegeplan).
  • Innovationen im Mittelstand sind besonders zu unterstützen: Der Mittelstand, das Rückgrat der Wirtschaft, trägt in besonderer Weise die Energiewende, denn viele praktische Innovationen werden gerade im Mittelstand entwickelt. Damit die mittelständische Wirtschaft weiterhin ein Innovationsmotor für die Region bleibt, sollte das Vergabeverfahren der Strukturfördermittel mittelstandsfreundlich ausgestaltet werden.