Position der Vollversammlung, 28. März 2022

Energieversorgungssicherheit zum Strukturwandel im Rheinischen Revier

Jetzt Energieversorgung sichern und Industriestandort der Zukunft gestalten | Unternehmen als Teil der Lösung der Klimafrage begreifen
Der Strukturwandel im Rheinischen Revier bietet die Chance, das gesamte Rheinland zu einer attraktiven und wettbewerbsfähigen Industrieregion der Zukunft mit stabiler und regenerativer Energieversorgung weiterzuentwickeln. Das Rheinische Revier kann in Deutschland und in Europa Vorreiter für die erfolgreiche Gestaltung der Energiewende durch die Wirtschaft sein.
Die breite Mehrheit der Unternehmen bekennt sich zum Ziel der Klimaneutralität und der Bekämpfung des Klimawandels. Auf dem Weg zu diesem Ziel stehen der Bezirk der IHK Köln und die gesamte Metropolregion Rheinland als Energie- und Industrieregion vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen kostet der beschleunigte Kohleausstieg Beschäftigung und Wertschöpfung in der Braunkohlewirtschaft und bei verknüpften Unternehmen. Diesem Effekt muss durch die Ansiedlung neuer, möglichst klimaneutraler Industrieunternehmen begegnet werden. Zum anderen ist unsere Wirtschaftsregion geprägt von energieintensiven Industriezweigen. Sie benötigen auch in Zukunft wettbewerbsfähige Energiepreise sowie einen in Qualität und Quantität verlässlichen Zugang zu Strom und anderen Energieträgern.
Das Ziel, das Rheinische Revier zur erfolgreichsten wirtschaftlichen Transformationsregion in Europa zu machen, kann aus Sicht der IHK Köln nur mit der Lösung der energiewirtschaftlichen Fragen und mit Rahmenbedingungen gelingen, die weiteres unternehmerisches Engagement befördern und nicht ausbremsen. Politik und Verwaltung müssen den Transformationsprozess deshalb stärker und konsequenter an den Anforderungen der Unternehmen ausrichten.
Mit den derzeitigen komplexen Entscheidungsprozessen und innerhalb des aktuell geltenden Rechtsrahmens wird die Transformation hin zu einer vollständigen Versorgung aus erneuerbaren Energien nicht bis 2038 und schon gar nicht bis 2030 zu schaffen sein. Auch der Aufbau neuer Arbeitsplätze wird nicht in ausreichendem Maße gelingen. Gleichzeitig gehen der Ausstieg aus dem Grundlastträger Braunkohle, die Abschaltung von Kraftwerksblöcken, die Schließung von Betrieben in der Wertschöpfungskette und somit der Verlust von Wohlstand und Arbeitsplätzen planmäßig voran. Nach wie vor fehlt aber ein konkreter, zeitgleicher Einstiegsplan in eine sichere regenerative Energieversorgung. Die Diskussion konzentriert sich viel zu sehr auf die Verteilung von Fördermitteln statt auf die konkrete Gestaltung des Rheinischen Reviers: Es müssen Flächen für die Energieerzeugung und für Industrieansiedlungen festgelegt und ein verlässlicher Rahmen für unternehmerische Investitionen geschaffen werden. Zudem fehlt eine Förderrichtlinie, die Unternehmen eine direkte Förderung zur Gestaltung der Energiewende ermöglichen würde.
Die bisherigen Überlegungen basieren auf Erdgas als Übergangstechnologie. Die geopolitischen Umwälzungen und energiewirtschaftlichen Folgen durch den Krieg in der Ukraine stellen sicher geglaubte Annahmen infrage. Deshalb muss aus Sicht der Wirtschaft der bisherige Ausstiegsplan jetzt neu bewertet und nachjustiert werden, um die Ziele Klimaneutralität, Energieversorgungsicherheit und wirtschaftliche Prosperität in einem möglichst kurzen Zeitraum erreichen zu können. Hierzu gehört auch eine Neubewertung des verfügbaren und künftigen Zugangs zu Erdgas (konventionell und Flüssiggas) und der Laufzeiten der Braunkohlekraftwerke.

Einstiegsplan in eine sichere und regenerative Energieversorgung erstellen

Die Unternehmen in der Region, gerade auch die energieintensiven Unternehmen, sind bereits auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft. Der verlässliche, planbare Zugang zu grünem Strom und klimaneutraler Primärenergie (Wasserstoff) ist für sie Grundlage für anstehende Investitionsentscheidungen. Das gilt ebenso für ansiedlungswillige neue Unternehmen im Rheinischen Revier.
Während auf der Erzeugungsseite ein dezidierter Plan zum Ausstieg aus der Kohleverstromung existiert, fehlen beim Einstieg in die sichere und regenerative Energieversorgung konkrete nachvollziehbare (Zeit-)Pläne und belastbare und wirtschaftliche Übergangsszenarien. Durch den schleppenden Netzausbau und den viel zu langsamen Ausbau der erneuerbaren Energien ist die Energieversorgungssicherheit in Gefahr. Energieversorgungssicherheit mit zunehmend grüner Energie verlässlich zu garantieren, ist die wichtigste politische Aufgabe. Der Einstieg in eine klimaneutrale Wirtschaft und Energieversorgung muss mit aller Anstrengung so schnell wie möglich erfolgen. Die Planungs-, Genehmigungs-, und Umsetzungsgeschwindigkeit muss dafür deutlich erhöht werden.

Ausstiegspfad dynamisch gestalten und Energieversorgungssicherheit garantieren

Der bisher gewünschte Umbaupfad für die Energieversorgung wird durch die veränderte geopolitische Lage und die damit verbundene notwendige Neubewertung der Risiken für die Versorgung mit Primärrohstoffen infrage gestellt. Denn ein auf 2030 vorgezogener Ausstieg aus der Kohleverstromung hätte nur mithilfe von sehr zügigen Investitionen in neue grundlastfähige Gaskraftwerke funktioniert – mit der Folge, dass die Nachfrage nach Erdgas und damit die politische Abhängigkeit unserer Region dramatisch steigen würde.
Die Braunkohle ist neben Wind und Sonne unser einzig verbleibender eigener Energieträger. Die erforderlichen Mengen an grünem Wasserstoff werden im globalen Maßstab erst langfristig zur Verfügung stehen können.
Deutschland hat das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein. Gesetzlich festgelegt ist der Kohleausstieg bis zum Jahr 2038. Diese Ziele sind klimapolitisch sinnvoll und breiter gesellschaftlicher Konsens. In Anbetracht der derzeitigen Geschwindigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der geopolitischen Gefahren bei der Versorgung mit grundlastfähigen Primärrohstoffen ist der aktuelle Ausstiegspfad aus der Kohleverstromung, insbesondere aus dem heimischen Rohstoff Braunkohle, nicht haltbar, ohne die Energieversorgungssicherheit und ein wettbewerbsfähiges Preisniveau und damit einen erfolgreichen Strukturwandel zu gefährden. Weil der Ausstieg aus der Braunkohle komplexe Planungen für die Tagebaue erfordert, benötigen wir jetzt ein Moratorium beim Kohleausstieg.
Vor dem Hintergrund des massiven energiewirtschaftlichen Umbruchs in der Region muss zudem ein gesondertes Risikomanagement für die Energieversorgung im Rheinischen Revier etabliert werden. Dafür muss das Monitoring der Bundesnetzagentur um das Kriterium der Versorgungsqualität (insb. bezogen auf Spannungsschwankungen und Leistungsspitzen) ergänzt werden, um frühzeitig reagieren zu können.

Einschneidende und akute Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf Energieversorgung mildern und steuern

Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine haben starke Auswirkungen auf die Energiepreise und die kurzfristige Versorgungssicherheit. Die angekündigte Übernahme der Finanzierung der EEG-Umlage in den Bundeshaushalt ist richtig. Dies allein wird jedoch nicht reichen, um die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen zu erhalten. Zusätzlich sollte die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß abgesenkt werden, weitere Umlagen wie Netzentgelt-, Offshore-Netz und KWK-Umlage sowie die Umlage für abschaltbare Lasten sollten aus dem Staatshaushalt finanziert werden. Des Weiteren sollte – wie im Kohlekompromiss bereits vorgesehen – auch ein dauerhafter Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zu den Übertragungsnetzentgelten eingeführt werden.
In einer Gasversorgungsmangellage gelten für die Energieversorgungswirtschaft drei Krisenstufen. Während in den ersten beiden Stufen marktbasierte Maßnahmen der Gasversorgungsunternehmen greifen sollen, sieht die dritte Stufe im Notfall hoheitliche Eingriffsmöglichkeiten vor, die zu einer Abschaltung von Industriekunden führen können. Dies führt aktuell zu einer hohen Verunsicherung in der Wirtschaft. Daher müssen für ein solches Krisenszenario in der Region transparente Regelungen in Abstimmung mit den Unternehmen getroffen werden, um durch Abschaltungen die Beeinträchtigungen in den Wertschöpfungsketten so gering wie möglich zu halten und die Planbarkeit in den Unternehmen zu erhöhen.