Das Tariftreuegesetz: Der nächste Misstrauensbeweis gegenüber der Wirtschaft

Warum die Regierung mit diesem Plan gleich mehrere Krisen ganz ohne Not verschärft.
Text: Willi Haentjes, Achim Hoffmann
Was man nicht alles in den Schubladen von Ministerien findet … Vor ziemlich genau einem Jahr, am 27. November 2024, hat das damalige Ampel-Kabinett beschlossen, ein „Tariftreuegesetz“ auf den Weg zu bringen. Damit sollen Aufträge, die der Bund vergibt, an die Einhaltung von Tarifverträgen gekoppelt werden. Den Weg ins Parlament hat das Gesetz wegen des vorzeitigen Koalitionsendes nicht mehr gefunden – jetzt hat die neue Bundesregierung das Papier wieder aus der Schublade gekramt und möchte die Idee ins Ziel tragen …
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) sagt, mit dem Gesetz möchte man „Lohn-Dumping mit Steuergeld“ verhindern, es würde zudem für „fairen Wettbewerb“ sorgen. Beide Aussagen sind wohlfeil. Tatsächlich sendet der Gesetzentwurf mehrere fatale Signale: Er schafft neue Bürokratie, verschärft bestehende Standortprobleme und ist in Summe ein Misstrauensbeweis gegenüber der Wirtschaft.

Die Tariffreiheit wird ad absurdum geführt

Wer künftig einen Bundesauftrag ab 50.000 Euro erhalten will, muss sich zu bestimmten Tarifbedingungen verpflichten – auch ohne Tarifbindung. Verstöße können mit bis zu zehn Prozent Vertragsstrafe geahndet werden. Dabei herrscht in Deutschland Tariffreiheit – ein Grundsatz, der mit dem Gesetz ad absurdum geführt wird. Gerade viele kleine und mittlere Unternehmen können sich Tarifverträge nicht leisten oder arbeiten in einer Branche, in der es gar keine Tarifverträge gibt. Sie müssten im Fall des Zuschlags für jeden einzelnen Beschäftigten nachweisen, dass der Lohn im Zeitraum des Auftrags nach den differenzierten Lohngruppen und Arbeitszeitregelungen des maßgeblichen Tarifvertrags berechnet wurde.
Porträt von Claudia Zimmer
Claudia Zimmer, Vorstand der Delphin Technology AG und Mitglied der IHK-Vollversammlung © privat
Dieser Eingriff in die im Grundgesetz (Art. 9) verankerte Tarifautonomie ist äußerst problematisch: Erstens bedeutet Tariffreiheit auch die Freiheit, sich einem Tarif NICHT anzuschließen. Und zweitens kann eine Behörde künftig per Rechtsverordnung festlegen, welcher Tarifvertrag „maßgeblich“ ist. Damit entscheidet der Staat über Inhalte, die eigentlich allein den Tarifparteien zustehen. Das schafft keinen „fairen Wettbewerb“, wie Ministerin Bas meint, sondern verzerrt den Wettbewerb.
„Das neue Tariftreuegesetz stellt uns als Unternehmen vor weitere bürokratische Hürden und schließt zukünftig kleinere mittelständische Unternehmen, die oft keinen Tarifvertrag haben, von öffentlichen Aufträgen aus“, sagt Claudia Zimmer, Vorstand der Delphin Technology AG und Mitglied der IHK-Vollversammlung. Der mittelständische Betrieb aus Bergisch Gladbach ist spezialisiert auf Messgeräte und Softwarelösungen für die industrielle Mess- und Prüftechnik. Aus ihrer Sicht werden durch das Gesetz die Rahmenbedingungen für mittelständische Unternehmen in Deutschland weiter verschlechtert: „Anstatt die erhofften Erleichterungen für die Wirtschaft auf den Weg zu bringen, setzt die Politik den desaströsen Weg der Ampel-Regierung fort.“
„Eigentümergeführte Unternehmen im Mittelstand verfügen über einen funktionierenden Wertekompass. Sie brauchen kein Gesetz, das ihnen vorschreibt, wie sie ihre Löhne gestalten müssen.“
– Dr. Uwe Vetterlein, Hauptgeschäftsführer der IHK Köln

Am Ende zahlt der Steuerzahler drauf

Schon heute sind öffentliche Aufträge oft komplex und teuer. Das neue Gesetz wird diese Situation verschärfen. Die Regierung selbst räumt ein, dass zusätzliche Kosten entstehen, die in den Auftragswert „einzupreisen“ sind. Das heißt: Projekte werden teurer, die Steuerzahler zahlen die Differenz. Zugleich wird der Wettbewerb sinken. Viele Betriebe werden sich aus öffentlichen Vergaben zurückziehen, weil Aufwand und Risiko zu groß sind. Weniger Anbieter bedeuten höhere Preise und mehr Zeit, bis Aufträge erledigt sind – ein Bumerang für Bund, Länder und Kommunen.
Besonders bemerkenswert: Die Regierung, die sich dem Bürokratieabbau verschrieben hat, baut erst einmal munter Bürokratie auf – und zwar auf mehreren Ebenen. Sollte das Tariftreuegesetz in Kraft treten, müssen die Unternehmen nachweisen, dass sie auch ohne Tarifvertrag die Tarifbedingungen einhalten, eine Behörde muss „auf Antrag“ von Sozialpartnern durch Rechtsverordnung festlegen, welcher Tarifvertrag und welche Bestandteile des Vertrags gelten, eine andere Behörde prüft und kontrolliert („Prüfstelle“). Die dritte Behörde kümmert sich um die digitale Infrastruktur. Bürokratie pur.
„Anstatt die erhofften Erleichterungen für die Wirtschaft auf den Weg zu bringen, setzt die Politik den desaströsen Weg der Ampel-Regierung fort.“
– Claudia Zimmer, Vorstand der Delphin Technology AG und Mitglied der IHK-Vollversammlung
In einem Brief an die Bundestagsabgeordneten im Kammerbezirk fordert IHK-Hauptgeschäftsführer Uwe Vetterlein deshalb, das Gesetzgebungsverfahren zu stoppen: „Eigentümergeführte Unternehmen im Mittelstand verfügen über einen funktionierenden Wertekompass. Sie brauchen kein Gesetz, das ihnen vorschreibt, wie sie ihre Löhne gestalten müssen.“
Das Bundestariftreuegesetz steht für ein Politikmuster, das Vertrauen durch Kontrolle ersetzt. Die geplante Prüfstelle und Sanktionen schaffen ein Klima des Misstrauens gegenüber Unternehmen. Dabei empfinden schon heute 60 Prozent der Unternehmen im Land die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen als Risikofaktor für den eigenen Erfolg, wie eine aktuelle DIHK-Umfrage zeigt.
Statt die Wirtschaft durch immer neue Pflichten zu bevormunden, braucht Deutschland endlich eine Vertrauenskultur: weniger Kontrolle, mehr Verantwortung. +

Chefredakteur | Kommunikation
Rechts- und Steuerpolitik