
Das große Infrastruktur-Versprechen
Für die Lösung der Infrastruktur-Krise hat der Bundestag ein gigantisches Schuldenpaket ermöglicht. Aber: Warum sind unsere Brücken so marode? Und hilft das Geld wirklich, die Probleme zu lösen?
Text: Willi Haentjes, Christopher Köhne, Long Nguyen
Zwölf Jahre, 500 Milliarden Euro, ein Ziel: die Sanierung der Infrastruktur in Deutschland. Das größte Schuldenpaket in der Geschichte der Bundesrepublik („Sondervermögen“) soll das Land vor einem Verkehrsinfarkt retten, dessen Vorboten schon heute zu spüren sind. Vor allem der Zustand vieler Brücken ist heute schon kritisch und wird in den kommenden Jahren zum echten Risikofaktor.
Deutschlands größte Baustelle – das sind die Baustellen
Wir haben für diese Geschichte Expertinnen und Experten gefragt, wie diese Mammutaufgabe überhaupt gelingen kann und was die Gründe für den Infrastruktur-Stau sind. Einig sind sich alle: Deutschlands größte Baustelle – das sind die Baustellen.
Im Bezirk der IHK Köln gibt es 498 Brücken, für die die Autobahn GmbH verantwortlich ist. Jede vierte Brücke (insgesamt: 129) weist dabei so heftige Mängel auf, dass sie im sogenannten „Traglastindex“ in den schlechtesten Stufen IV und V („gravierende Defizite“) einsortiert wird.
Hauptgrund für diesen Befund ist die Tatsache, dass die meisten Bauwerke älter als 50 Jahre sind und ihre bauliche Lebenszeit längst überschritten ist. Dazu kommt noch die Überbelastung: Als die Autobahnbrücken in den 1960er- und 1970er-Jahren gebaut wurden, ist man von einer anderen – also viel geringeren – Frequenz durch Auto- und Güterverkehr ausgegangen. Brücken, die vor 1985 gebaut wurden, wurden noch unter der Prämisse des sogenannten „Bundesbahn-Privilegs“ gebaut. Heißt: Der Straßengüterverkehr wurde durch Regulierungen künstlich kleingehalten, die Schiene gefördert. Autobahnbrücken, die bis dahin gebaut wurden, waren nicht für den regelmäßigen Verkehr von Vierzigtonnern ausgelegt.
Straßen.NRW setzt auf innovative Ansätze.
„Wesentliches Ziel beim Einsatz des Sondervermögens ist ein signifikanter Abbau von Erhaltungsbedarfen. Um unsere Infrastruktur in Nordrhein- Westfalen zukunftssicher zu gestalten, setzt Straßen.NRW verstärkt auf innovative Ansätze, die in den vergangenen Jahren erfolgreich erprobt wurden. Mit digitalen Methoden, Schnellbauweisen und dem Einsatz von funktionalen sowie Sammelausschreibungen beschleunigen wir unsere Prozesse, machen sie effizienter und verbessern damit auch den Einsatz der Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen.“
Dr. Petra Beckefeld, Technische Direktorin von Straßen.NRW
Wiehltalbrücke: dauerhaftes Nadelöhr
Ein Problem, das heute besonders am Beispiel der Wiehltalbrücke deutlich wird. Baujahr 1971, 705 Meter lang, führt sie vierspurig in 60 Metern Höhe (Rekord im Kammerbezirk!) über die Gemeinde Wiehl und ist eines der wichtigsten Verbindungsstücke auf der A4 zwischen Köln und Olpe. In diesen Tagen droht sie zum dauerhaften Nadelöhr zu werden. Denn: Die Brücke weist starke Abnutzungsschäden auf, weil das Verkehrsaufkommen heute mit 56.500 Fahrzeugen pro Tag viel höher ist, als es bei der Planung prognostiziert wurde – und Lkw-Kolonnen nicht Teil der Überlegungen waren.
Die Wiehltalbrücke ragt 60 Meter in den Himmel (zum Vergleich: Die Kölner Kranhäuser sind minimal höher). Aktuell ist der Verkehr auf der A4 stark eingeschränkt, Lkw werden umgeleitet, ein Neubau muss her.
Die Konsequenz für die Bröckelbrücke: Langfristig braucht es einen Neubau, „kurzfristig und zeitnah“ wird die Brücke zur Baustelle. Die Autobahn GmbH will eine Vollsperrung vermeiden und hat den Verkehr erst einmal auf eine Spur reduziert, Schwertransporte (jenseits der 44 Tonnen) werden über Landstraßen umgeleitet. Wer schon mal eine gesperrte Brücke umfahren musste, weiß: Das ist nicht nur zeitraubend, sondern oft auch mit Staus auf den Nebenrouten verbunden, die für die Umleitungsfrequenz ja nicht ausgelegt sind.
Aktuell wird geprüft, welche Maßnahmen das Leben der Brücke vielleicht noch um ein paar Jahre verlängern könnten. Dass sie in den nächsten Jahren vollständig ersetzt werden muss, ist allen Beteiligten klar. Die Frage ist nur: Wann? Und wie viel noch improvisiert wird, bevor es eine nachhaltige Lösung gibt? So droht ein Schwebezustand ohne Ziel am Zeithorizont. „Die Wirtschaft im Oberbergischen Kreis braucht so schnell wie möglich die volle Brückenkapazität, ohne Einschränkung der Spuren oder des Gewichts. Planung, Genehmigung und Bau der neuen Brücke müssen sofort starten“, fordert Sven Gebhard, Vorsitzender der Beratenden Versammlung Oberberg.
Abseits der Wiehltalbrücke: Welche Auswirkungen Umleitungen oder Sperrungen von Autobahnbrücken ganz allgemein für den Güterverkehr haben, liegt auf der Hand. Der Transport von Waren dauert länger, Abläufe in der Produktion müssen umgestellt werden, es kommt in jeder Kette zu Verzögerungen. Und nicht vergessen: Auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit dem Auto zur Arbeitsstätte fahren, hängen im Baustellen-Stau. Das alles kostet nicht nur Zeit, sondern den Unternehmen auch Geld.
Effizienz, Tempo und konstruktive Zusammenarbeit sind entscheidend.
„Ein solches Vorhaben kann nur gelingen durch klare Priorisierung (kritische Infrastruktur zuerst), intensive Zusammenarbeit der beteiligten Behörden, beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren, Entschärfung des Fachkräftemangels, öffentlich-private Partnerschaften, Integration von Klima- und Nachhaltigkeitszielen, transparente Bürgerkommunikation sowie konsequentes Monitoring und Controlling während der Bauphase. Effizienz, Tempo und konstruktive Zusammenarbeit sind entscheidend.“
Jochen Hagt, CDU, Landrat des Oberbergischen Kreises
Für die letzte Meile braucht es den Lkw
Mit der A1, A3 und A4 laufen drei Verkehrsschlagadern zum Kölner Autobahnring zusammen. 170.000 Fahrzeuge passieren den Ring, jede Verstopfung durch Unfall oder Baustelle strahlt erst auf die gesamte Region, dann auch auf die angrenzenden Verkehrsachsen aus. Und auch wenn das vielerorts erklärte Ziel, mehr Güter von der Straße aufs Wasser und auf die Schiene zu verlagern, gefördert wird: Auch Waren, die mit dem Zug oder Schiff angeliefert werden, brauchen für die letzte Meile den Lkw. 2023 hatten Waren mit einem Gewicht von 134 Millionen Tonnen ihren Start- oder Zielpunkt im Kölner Kammerbezirk, 78,6 Prozent davon wurden auf der Straße transportiert. Auf die Schiene entfielen 11 Prozent, die Binnenschifffahrt machte 9,7 Prozent aus, 0,7 Prozent kamen mit dem Flugzeug. Grund dafür: Für alles, was im Umkreis von 150 Kilometern transportiert wird, ist die Straße ökonomisch gesehen unschlagbar in der Pole-Position.

Warum aber sind unsere Straßen und Brücken dann in einem so maroden Zustand, wenn sie doch für den Wirtschaftsstandort Deutschland so wichtig sind?
Zwei Gründe werden häufig genannt: zu wenig Geld für die Infrastruktur bei gleichzeitig zu komplexen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Der Unterhalt von Straßen und Brücken wurde über Jahrzehnte finanziell vernachlässigt. Theoretisch wurden im Verkehrssektor im Jahr 2023 mehr als 50 Milliarden Euro durch Lkw-Maut, Energiesteuer auf Diesel und Benzin sowie die Kfz-Steuer eingenommen.
Praktisch wurden im selben Jahr nur 12,7 Mrd. Euro für Fernstraßen des Bundes ausgegeben. Die Lkw-Maut beispielsweise fließt nur zur Hälfte zurück ins Straßensystem, die Einnahmen aus Energie- und Kfz-Steuern verschwinden im allgemeinen Haushalt.
Die Zukunftsfähigkeit des Standorts entscheidet sich auch auf der Straße.
„Als Handelsunternehmen mit flächendeckender Präsenz sind wir auf eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur angewiesen – sie ist die Lebensader unserer Logistik. Jeder Umweg, jede Verzögerung bedeutet höhere Kosten, weniger Effizienz und letztlich eine Gefahr für die Versorgungssicherheit. Damit wir unsere Märkte verlässlich beliefern und nachhaltige Lieferketten sichern können, braucht es gezielte Investitionen in die Brückeninfrastruktur Nordrhein-Westfalens – und Planungsverfahren, die schneller zum Ziel führen. Die Zukunftsfähigkeit des Standorts entscheidet sich auch auf der Straße.“
Birgit Heitzer, Leiterin Beschaffungslogistik & Logistik Services REWE, Vorsitzende des IHK-Ausschusses für Mobilität
Die Angst vor der Bürokratie
Mit dem Sondervermögen sollen nun große Geldtöpfe für die Infrastruktur aufgemacht werden, wobei noch unklar ist, was eigentlich genau alles zur Infrastruktur gezählt wird. Dass Geld keine Rolle spielt, wenn der Staat Milliarden-Kredite aufnimmt, heißt aber noch nicht, dass diese Milliarden auch wirklich abgerufen und verbaut werden können. Die Angst vieler Expertinnen und Experten: Die Infrastruktur-Offensive könnte an der deutschen Bürokratie und komplexen Abstimmungen scheitern.
Die marode Brücke zwischen Klettenberg und Eifeltor (A4) weist große Schäden auf, muss komplett neu gebaut werden. Aktuell gilt Tempo 40, um die Lebensdauer zu verlängern.
Ein Praxisbeispiel: Wenn eine marode Autobahnbrücke über Bahngleise führt und abgerissen werden muss, bedeutet das auch eine mehrwöchige Pause für den Bahnbetrieb. Die Autobahn GmbH muss dann bei der DB InfraGO eine sogenannte „Sperrpause“ beantragen – und zwar zwei Jahre im Voraus. Dieser Vorlauf wird benötigt, um die Maßnahme mit anderen geplanten Baustellen im Bahnnetz abzustimmen und Umleitungen einzurichten. Das ist gerade eines der Probleme auf der A4 zwischen Köln-Klettenberg und Eifeltor. Dort gilt aktuell: Tempo 40 und Lkw dürfen nur ganz rechts fahren. Ein Neubau für die Brücke über die viel genutzte Ost-West-Achse muss her – aber noch weiß keiner, wann und wie.
Dazu kommen Auflagen bei der Auftragsvergabe: Den Zuschlag für die ausgeschriebenen Großprojekte haben lange Zeit die Unternehmen bekommen, die das billigste Angebot abgeliefert haben. Qualität war kein Faktor. Wohin das führen kann, wurde der Öffentlichkeit 2020 vorgeführt: Damals wurde der Neubau der Leverkusener Rheinbrücke komplett gestoppt, weil der Generalunternehmer mangelhaften Stahl aus China geliefert hatte …
Zur Hälfte fertig: Aktuell teilen sich die Fahrzeuge auf der Leverkusener Brücke (A1) noch die Fahrbahn, im Februar 2027 soll das zweite Brückenbauwerk freigegeben werden.
Bevor bei einer Brückensanierung auch nur ein Baustellenfahrzeug anrollen kann, braucht es fünf bis sechs Jahre Planung in Deutschland. Sechs Jahre bis zum ersten Spatenstich! So steht es in einem aktuellen Bericht des Bundesrechnungshofs mit dem Titel „Schleppende Modernisierung maroder Brücken an Bundesfernstraßen“. Wörtlich heißt es weiter: „Die Autobahn GmbH ist bei der Brückenmodernisierung schon jetzt deutlich im Rückstand. Die Gefahr von weiteren Brückensperrungen erhöht sich dadurch. Damit sich der Zustand der schlechten Autobahnbrücken spürbar verbessert und die Autobahn GmbH ihren Rückstand aufholt, müsste sie schon jetzt deutlich mehr als 400 Teilbauwerke pro Jahr modernisieren.“
Der Wirtschaftsverkehr muss unbedingt berücksichtigt werden!
„Es ist entscheidend, wirkliche Engpässe und ,Pain-Points‘ durch ein ganzheitliches Konzept systematisch anzugehen. Dabei muss unbedingt der Wirtschafts-, insbesondere Schwerlastverkehr, über alle Verkehrsträger berücksichtigt werden! Und: Es gilt die zwangsläufig mit der Bautätigkeit einhergehenden Verkehrseinschränkungen zu minimieren, z. B. durch 24-Stunden-Baustellen, aber auch durch die Koordination der unterschiedlichen Baumaßnahmen.“
Prof. Thomas Krupp, Forscher für Controlling, Logistik- und Baustellenmanagement an der TH Köln
Schluss mit Schneckentempo
Im Koalitionsvertrag ist das Problem der zu langen Planungsverfahren erkannt, dort heißt es: „Wir führen eine verbindliche Stichtagsregelung zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Planungsprozess ein. (…) Beteiligungen der Träger öffentlicher Belange und der Öffentlichkeit sowie Prüfungen finden nur einmal statt.“ Wie genau sich der neue Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) die Lösung der Infrastruktur-Probleme vorstellt, beschreibt der Politiker in dieser Ausgabe: IHKplus: Wie schaffen wir das, Herr Verkehrsminister Schnieder?
Sein Vorgänger im Amt, Volker Wissing (damals FDP), hatte im März 2022 eine „Brückenmodernisierungsoffensive“ ausgerufen. Fazit Ende 2024: Nur 40 Prozent der angepeilten Bauwerke konnten saniert werden.
Dieses Schneckentempo kann sich die neue Regierung nicht mehr erlauben. Schon heute warnen Unternehmerinnen und Unternehmer vor einem drohenden Verkehrsinfarkt durch die Bröckelbrücken und verschleppte Sanierungen. Jetzt gilt es anzupacken! +
Streitpunkt Rodenkirchener Brücke: Der Bundesverkehrswegeplan sieht im Kölner Süden dringenden Handlungsbedarf. Langfristig werden auf der A4 acht statt heute sechs Fahrstreifen benötigt. In der Folge muss auch die in die Jahre gekommene Brücke abgerissen und neu gebaut werden. Die Denkmalschutzabteilung der Kölner Bezirksregierung will sie erhalten.
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Verkehrspolitik, Logistik, Mobilität

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