IHKplus 2.2025 | Titelthema

Unsere Wirtschaft: Zeit für klare Forderungen!

Deutschland hat gewählt. Und jetzt? Statt einer Aufbruchsstimmung nach dem Ampel-Aus vermittelt die Spitzenpolitik das ungute Gefühl eines Weiter-So unter anderen Vorzeichen. Dabei braucht es jetzt Klartext gegen den Stillstand. Wir wollten wissen: Was denken Unternehmerinnen und Unternehmer über die Lage der Nation? Hier sind die Antworten.
Text: Willi Haentjes
Wer Verantwortung in einem Unternehmen trägt, spürt den Krisen-Mix aus Überbürokratisierung, Energieproblemen und Fachkräftemangel jeden Tag. Der Blick nach Berlin lässt leider wenig Hoff nung zu, dass diese Probleme wirklich gelöst werden. Das Gefühl, das die Spitzenpolitiker nach der Bundestagswahl vermitteln: zu viel Weiter-So, zu wenig Mut zu Reformen. Und vor allem: zu viel Klein-Klein bei den Gesprächen zwischen CDU, CSU und SPD auf dem Weg, eine neue Regierung zu bilden. Wo bleibt der große Wurf, der das Land aus der Rezession führt?

Die Verlässlichkeit der Wirtschaftspolitik hat sich verschlechtert

In unserem aktuellen Unternehmensbarometer sagen 90 Prozent der befragten Firmen im Kammerbezirk, dass sich die Verlässlichkeit der Wirtschaftspolitik verschlechtert hat. Ein Grund für diesen Wert: Es gibt ein echtes Unternehmer-Defizit im Bundestag. Von den 630 Abgeordneten sind nur 37 Unternehmerin oder Unternehmer.
Dabei gibt es so viele Berührungspunkte – und nur noch so wenig Verständnis füreinander. Umso wichtiger ist es, jetzt klare und unmissverständliche Forderungen aus der Wirtschaft an die Politik zu adressieren.
Wir haben unsere Mitglieder in der Vollversammlung gefragt, wie sie auf das Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft gerade blicken und welche Erwartungen sie an die nächste Bundesregierung haben. Es war eine sehr intensive und teilweise emotionale Aussprache, aus der sich ein 10-Punkte-Plan für den wirtschaftspolitischen Neustart entwickelt hat.
Die Botschaft: Es ist Zeit zu handeln. Und zwar JETZT!

Das sind die Gedanken der Unternehmerinnen und Unternehmer aus dem Kammerbezirk

Es ist eine Art Stillstand!

Markus Wißkirchen, Hotel-Chef aus Odenthal

„Mich besorgt am meisten: Es scheint nirgendwo in der Politik – weder im Kreis, noch im Land, noch in der Gemeinde, noch im Bund – ein Veränderungswille zu bestehen“, sagt Markus Wißkirchen, Hotel-Chef aus Odenthal. Überall heiße es in der Verwaltung immer nur, man brauche mehr Personal.
„Natürlich kann man über ein Sondervermögen sprechen, aber wo ist das Gegenangebot? Wo sparen wir mal was ein, wo verändern wir mal was? FÜR die Wirtschaft. FÜR die Digitalisierung. FÜR die Reformen. Es ist eine Art Stillstand!“

Das Thema „Sondervermögen“ treibt ganz offensichtlich viele um. „Jeder Kaufmann guckt, bevor er ein Darlehen aufnimmt, ob er nicht irgendwo in seinen Aufwendungen Kosten einsparen kann“, so Heribert Warken, Wirtschaftsprüfer aus Köln. Und fragt: „Wieso sollte das beim Bundeshaushalt nicht auch möglich sein? Wieso hat man nicht darüber gesprochen, wo eigentlich Steuergeld eingespart werden kann, bevor ein riesiges Schuldenpaket beschlossen wird? Das verstehe ich nicht.“
Extra-Geld aufzunehmen, um offensichtliche Probleme zu lösen, ist in Ordnung.

Fred-Arnulf Busen, Polytron Kunststofftechnik

„Ich glaube, Extra-Geld aufzunehmen, um offensichtliche Probleme zu lösen, die wir z. B. in der Infrastruktur haben, ist in Ordnung“, meint dagegen Fred Arnulf Busen, Geschäftsführender Gesellschafter von Polytron Kunststofftechnik. Schließlich würden die Generationen, die mit den Kosten belastet werden, auch davon profitieren. Aber: „Jedes Unternehmen würde auch erst einmal die eigenen Prozesse prüfen müssen, bevor so ein Kredit gewährt wird. Ich zweifle die Effizienz des Staates massiv an und dränge darauf, dass diese Strukturen überprüft und korrigiert werden, bevor man so viel Geld ausgibt.“
Die Frage muss sein: Was hilft den Unternehmen wirklich, sich auf erfolgreiches Wirtschaften zu konzentrieren?

Wolfgang Schwade, GVV-Versicherung

Alle sind sich einig, dass die Wirtschaft an zu viel Bürokratie erstickt – aber der Weg, den Abbau voranzutreiben, müsse sich grundlegend ändern, sagt Wolfgang Schwade, Vorstandsvorsitzender der GVV-Versicherung. „Die Frage muss sein: Was hilft den Unternehmen wirklich, sich auf erfolgreiches Wirtschaften zu konzentrieren? Stattdessen wird in bürokratischer Feinarbeit nach Einzelvorschriften gesucht, die dann einzeln abgeschafft werden, und dann heißt es: Das ist Entbürokratisierung. Das bringt uns aber nicht weiter.“
Großes Thema auch in der Vollversammlung: die Frage, welche energiepolitischen Entscheidungen die nächste Regierung einschlägt. „Im Energiebereich gibt es eine allgemeine Verunsicherung, was die konkreten politischen Rahmenbedingungen betrifft“, berichtet Claudia Eßer-Scherbeck, Energieberaterin und Vorsitzende des IHK-Ausschusses für Umwelt und Energie.
Effekt dieser Unsicherheit: „Es werden Investitionen zurückgehalten, zum Beispiel in Speichertechnologien. Die Frage ist auch, was aus dem Infrastrukturfonds in die Energiewirtschaft fließt, in den Ausbau der Netze zum Beispiel. Das ist in den Details unklar. Diese Verunsicherung muss enden, die Branche und damit auch alle Energieverbraucher brauchen Klarheit über 2030 hinaus.“
Susanne Fabry, Vorständin für Netze und Personal bei RheinEnergie, betont: „Der Netzausbau wird über viele Jahre hinweg eine unserer wichtigsten Aufgaben bleiben und ist eine wesentliche Grundlage für das Gelingen der Energiewende. Voraussetzung dafür ist eine auskömmliche Finanzierung für die Investitionen der Netzbetreiber.“

Wir müssen über eine Reform von Arbeitszeiten reden.

Peter Zens, Gertrudenhof

Riesigen Erneuerungsbedarf sehen die Unternehmerinnen und Unternehmer im Kammerbezirk auch im Bereich desArbeitsrechts. „Für die Gastronomie kann ich sagen: Wir müssen über eine Reform von Arbeitszeiten reden“, sagt Peter Zens vom Erlebnisbauernhof Gertrudenhof.
„Wir müssen von Wochen-, nicht mehr von Tagesarbeitszeit sprechen, damit wir Mitarbeitende besser einsetzen können – bei Veranstaltungen zum Beispiel. Dabei geht es nicht um Ausbeutung, sondern darum, die Menschen flexibel und sinnvoll einzusetzen. Wirtschaftlichkeit und Erholung müssen miteinander funktionieren, nicht gegeneinander ausgespielt werden.“
IT-Unternehmerin Kim Bauer fordert eine Abschaffung der rechtlichen Differenzierung von Homeoffice und „mobilem Arbeiten“. Die geltenden Regelungen seien nicht mehr zeitgemäß: „Wir wären alle viel mutiger, wenn das Arbeitsrecht gründlich reformiert und sich an die Realität anpassen würde. Viele wünschen sich flexiblere Modelle, etwa bei Arbeitszeit, Homeoffice oder Vertragsgestaltung – das aktuelle Arbeitsrecht ist zu starr und überreguliert für moderne Anforderungen.“
Was wird in die Zukunft investiert: in die Familien, die Forschung, die Universitäten und die Schulen?

Harald-Goost, Bierbaum-Proenen

Bürokratie, Energie, Arbeitsrecht, KI – die Themenliste mit Erwartungen an die nächste Bundesregierung aus der Wirtschaft ist lang. Und die Furcht vor einem Weiter-So groß. „Meine Sorge ist, dass der Druck in der Politik nicht groß genug ist, die notwendigen Strukturreformen wirklich anzugehen“, so Harald Goost, Chef des Arbeitstextil-Herstellers Bierbaum-Proenen und Vorsitzender des IHK-Wirtschaftsausschusses.
Seine Beobachtung: „Die Leistungskräfte in unserer Gesellschaft müssen dringend gestärkt werden, das wird aber aktuell gar nicht thematisiert. Und wir müssen auch über Generationengerechtigkeit reden: Die Themen, die aktuell angegangen werden, sind für die ältere Generation, die Rentner beispielsweise. Aber es sind die jungen Leute, die dieses Land nach vorne bringen. Wir müssen genau hinschauen: Was wird in die Zukunft investiert: in die Familien, die Forschung, die Universitäten und die Schulen? Hier muss die Politik ansetzen!“
Und was ist eigentlich mit KI? Während links und rechts andere Staaten vorbeiziehen, fehlt es uns an echtem Mut, das Thema als Chance zu begreifen. „Selbstbewusst, verantwortungsvoll und geleitet von unseren Werten“, sagt Digitalisierungsberaterin Sue Appleton. Dafür brauche es eine starke Start-up-Szene und gezielte Innovationsförderung „Gleichzeitig sollten wir exzellente Wissenschaftlerinnen und Professorinnen, die in den USA nicht mehr erwünscht sind, bei uns willkommen heißen. So haben wir in Deutschland und Europa eine echte Chance, die Zukunft im positiven Sinne mitzugestalten.“
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