Wir nennen es Schulden
Die Erwartungen waren hoch. Denn die Wirtschaft ist seit 2020 im Dauerkrisenmodus. Corona. Flut. Klima. Putin. Krieg in der Ukraine. Energiemangellage. Trump. Zölle. Das alles setzt eine sehr hohe Resilienz in unseren Unternehmen voraus. Doch wir merken: Die Unternehmen sind mehr und mehr gestresst. Auch, weil die Rahmenbedingungen hier am Standort für viele nicht mehr stimmen.
Text: Dr. Nicole Grünewald
Das frühere Land der Denker und Erfinder und Wirtschaftswunder ist mittlerweile das Land der maroden Infrastruktur mit kaputten Brücken und verspäteten Bahnen geworden, mit fehlenden Fachkräften, zu hohen Energiepreisen und einer völlig überbordenden Bürokratie. Das Vertrauen der Wirtschaft in die Politik: im Sinkflug.
Ampel-Aus und Neuwahlen
Daher kam vielen Unternehmerinnen und Unternehmern die vorgezogene Bundestagswahl nur recht. Die vorherrschende Meinung war: Es kann nur besser werden! Im Wahlkampf entdeckten einige Parteien das Thema „Wirtschaft“ neu. Hoffnung keimte auf. Würde eine neue Regierung endlich die drängenden Themen für den Wirtschaftsstandort Deutschland angehen? Wieder wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen schaffen? Für günstige und sichere Energie sorgen? Effizient Bürokratie abbauen? Und damit die bereits laufende Deindustrialisierung stoppen und wieder für eine unternehmerfreundliche Stimmung und Wachstum sorgen? Vor der Wahl klang das quer durch alle Parteien so.
Nach der Wahl kam die Realität.
Doch nach der Wahl kam die Realität. Und damit die Enttäuschung. Bereits im Laufe der ersten Sondierungsgespräche wurde deutlich: Der Fokus liegt nicht auf Wirtschaftswachstum, sondern auf Staatsverschuldung. Dabei hatte Deutschland im Jahr 2024 mit rund 950 Mrd. Euro die höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte. Doch die reichten der Politik nicht.
Deshalb wurde in atemberaubendem Tempo nicht nur der Verteidigungsetat erhöht (richtig), sondern zusätzlich dazu ein sogenanntes „Sondervermögen“ von 500 Mrd. Euro eingerichtet.
„Sondervermögen“: Ein Vermögen, das keins ist
„Sondervermögen“. Das klingt beim ersten Hören sehr angenehm nach einem Plus auf dem Konto. Doch das Gegenteil ist der Fall. Denn es handelt sich hier um sage und schreibe 500 Mrd. Euro zusätzliche Schulden. Möglich gemacht durch eine Grundgesetzänderung, die von einem bereits abgewählten Parlament auf seinen letzten Metern beschlossen wurde.
Geld alleine löst keine Probleme.
Wofür dieses Geld ausgegeben werden soll, ist zumindest fraglich. Es heißt, für „Infrastruktur“. Wie schwammig dieser Begriff ist, konnte man in der politischen Diskussion der letzten Wochen live erleben. Vom Fahrradweg bis zur Mütterrente ist anscheinend alles in Deutschland „Infrastruktur“, was immer schon mal finanziert werden wollte. Außerdem sollen 100 Mrd. aus dem Infrastruktur-Paket in den Klimaschutz fließen und 100 Mrd. an die Länder und Kommunen gehen.
Dabei sollte eins klar sein: Geld allein löst keine Probleme. Denn wohin Geld ohne Plan führt, erleben wir zurzeit im Rheinischen Revier live. Hier wurden rund 15 Mrd. Euro Fördermittel als „Strukturstärkungsmittel“ bereitgestellt. Mittlerweile werden hilflos u. a. Schlösser und Klöster renoviert und Immobilien in Meerbusch finanziert, um die Gelder nicht verfallen zu lassen. Denn die Förderkulisse ist so skurril gestaltet, dass das Geld nicht sinnvollerweise für die Bereitstellung und Erschließung von neuen Gewerbeflächen oder die Ansiedlung von Unternehmen zum Einsatz kommen kann. Wie viele Arbeitsplätze durch die bisherigen Maßnahmen geschaffen wurden – kein Kommentar.
Schulden statt Reformen
Nun ist die Schuldenbremse Geschichte – und die Parteien sind in Spenderlaune. Doch: „Ohne Reformen ist das ein Weg in den Abgrund“, ließ sich die Wirtschaftsweise Veronika Grimm zu Recht zitieren.
Dass Deutschland dringend Reformen braucht, ist unbestritten. Dass von der Koalition aus CDU, CSU und SPD ein Neustart für unseren Wirtschaftsstandort erwartet wurde, auch. Für viele Unternehmen ist es bereits Viertel nach Zwölf, und damit allerhöchste Zeit für die Politik, unser Land aus der Starre zu befreien und die Wirtschaft mit mutigen Reformen hier am Standort wieder handlungsfähig zu machen. Doch bereits die erste geleakte Version des Koalitionsvertrags ließ starke Zweifel aufkommen, ob die Koalitionäre den Ernst der Lage verstanden haben.
„Wünsch Dir was“ auf Kosten der Unternehmen
Nun liegt der fertige Vertrag vor. Und sein Inhalt ist ein ernüchterndes „Wünsch Dir was“ auf Kosten der Unternehmen: Der Mindestlohn wird an den Sozialpartnern vorbei auf 15 Euro erhöht. Beim für die Industrie so wichtigen Standort-Thema Energie bleiben mehr Fragen als Antworten. Beim Top-Thema Bürokratieabbau ist kein konkretes Konzept erkennbar. Es ist viel von „Wollen“, aber wenig von „Machen“ die Rede. Ein kleines, aber trauriges Detail – sogar das Wort „Neustart“ wurde in der letzten Version des Manuskripts gestrichen …
Frust hoch – Vertrauen runter
Unsere Blitzumfrage unter unseren Mitgliedsunternehmen zeigt deutlich: Fast zwei Drittel der Befragten erkennen im Koalitionsvertrag nicht den ersehnten Neustart. Mehr als die Hälfte der Unternehmerinnen und Unternehmer hat noch weniger Vertrauen in die Politik als vor der Wahl und glaubt nicht, dass Friedrich Merz als Kanzler die Wirtschaft voranbringen wird.
Fehlstart statt Neustart
Dabei wäre es für den Wirtschaftsstandort Deutschland existenziell wichtig, dass die Wirtschaft wieder Vertrauen in die Politik fassen kann. Denn ohne Vertrauen wird es keine privatwirtschaftlichen Investitionen hierzulande geben. Doch Vertrauen muss man sich erarbeiten. Das wird die wichtigste Aufgabe der neuen Koalition in den kommenden Monaten sein. Denn auch einzelne positive Signale, wie die Streichung des Lieferkettengesetzes, können nicht über den Gesamteindruck hinwegtäuschen: Das ist kein Neustart, sondern ein Fehlstart.
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Dr. Nicole Grünewald
Präsidentin