„Plan B“ beim Klimaschutz: IHK-Vollversammlung verabschiedet Positionspapier
Um sowohl die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als auch das Erreichen der Klimaziele sicherzustellen, spricht sich die Vollversammlung der IHK Kassel-Marburg für einen Kurswechsel in der Energiepolitik aus. Sie verabschiedete ein Positionspapier, das aus der aktuellen DIHK-Studie „'Plan B'. Neue Wege für die Energiewende“ abgeleitet wurde.
- Klimaschutz effizienter erreichen, international abstimmen
- Klimaziele international koordinieren
- Auflösung jahresscharfer Ziele zugunsten eines Budgetansatzes
- Alle Emissionen in Handelssysteme einbeziehen
- Internationale Projekte bei der CO2‐Einsparung anerkennen
- Effizienter Klimaschutz: Staat als Rahmensetzer, nicht als Technologielenker
Klimaschutz effizienter erreichen, international abstimmen
Der aktuelle Weg der Energiewende mit zahlreichen Zielen und Subzielen, staatlicher Detailsteuerung, unzureichender europäischer und internationaler Einbeziehung sowie fehlender internationaler Abstimmung hat zu hohen Kosten für die Wirtschaft geführt und Wettbewerbsnachteile geschaffen. Laut Studie „Neue Wege für die Energiewende“ summieren sich die Gesamtsystemkosten in den Jahren 2025 bis 2049 bei einem „Weiter so“ auf bis zu 5,4 Billionen Euro. Die DIHK sieht bereits jetzt eine beginnende Stilllegung und Abwanderung vor allem energieintensiver Produktion in Deutschland. Bleibt die Politik auf dem eingeschlagenen Weg, führt dies zu weiter steigenden Energiekosten für die Unternehmen mit negativen Konsequenzen weit über die heute schon besonders betroffenen Unternehmen hinaus.
Deutschland hat einen strukturellen Nachteil bei natürlichen Ressourcen: Andere Länder haben mehr Sonne, mehr Wind, mehr Wasser, billigere Biomasse. Unsere erneuerbaren Energien sind also im Standortvergleich häufig teurer. Das verlangt umso mehr Effizienz bei ihrer Nutzung. Der Ausbau erneuerbarer Energien muss weitergehen, oberstes Ziel sollte aber kostengünstige Energie sein. Klar ist aber auch: Die deutsche Wirtschaft braucht auch langfristig Alternativen in Form von Importen neben heimischen fossilfreien Energiequellen.
Der Erfolg der deutschen Wirtschaft gründet auf Exportstärke und Hidden Champions, auf innovativer Technik, fortschrittlichem Wissen und gut ausgebildeten Fachkräften. Diese Stärken sind eine Voraussetzung dafür, dass die Energiewende langfristig ein Erfolgsmodell für die deutsche ebenso wie die europäische Wirtschaft wird und den Standort stärkt. Denn: Technologie ist der Schlüssel zur Energiewende und zur Erschließung neuer Exportmärkte.
Die DIHK schlägt folgende neue Wege vor:
Klimaziele international koordinieren
Klimawandel ist ein globales Problem, das immer drängender wird und nur global gelöst werden kann. Klimaneutralität braucht eine globale Einbettung. Nationale Maßnahmen zur Emissionsminderung sind dann wirksam, wenn sie einen Beitrag zur weltweiten Emissionsverringerung leisten oder Anreize zur Nachahmung setzen. Deutschland hat mit seinem Ziel zur Klimaneutralität 2045 gegenüber der Mehrzahl der globalen Industrie‐ und Schwellenländer eine ambitioniertere Zielsetzung. Dies führt zu einer höheren Kostenbelastung der deutschen Unternehmen.
Um Wettbewerbsnachteile für die deutschen Betriebe zu begrenzen, schlägt die DIHK vor, die deutschen und europäischen Reduktionsziele an den Klimaschutzanstrengungen der wichtigsten wirtschaftlichen Wettbewerber auszurichten. Das heißt nicht, dass Deutschland und Europa nicht mehr machen sollen als der Durchschnitt der Vergleichsgruppe. Es heißt aber, dass das deutsche bzw. europäische Engagement auf die Aktivitäten anderer Länder Bezug nehmen sollte.
Der Klimaclub sollte eine Abstimmung der Klimaziele unter Wettbewerbern stützen. Wenn Klimaziele international koordiniert sind, kommt es zu weniger Carbon Leakage und mehr globalem Klimaschutz. Dabei ist es Stand heute nicht entscheidend, ob Deutschland an dem Ziel der Klimaneutralität 2045 festhalten sollte. Entscheidend sind verstärkte Bemühungen um verstärkte internationale Klimaschutzbemühungen. Sollten diese nicht bzw. nicht ausreichend fruchten, sollte Klimaneutralität in Deutschland angelehnt an den Benchmark der Vergleichsgruppe erst zu einem späteren Zeitpunkt angestrebt werden. Mit der Botschaft einer solchen Politik verbindet sich die Hoffnung, andere Länder zu eigenem Klimaschutz zu bewegen.
Die Klimaschutzziele von Bundesländern und Kommunen bringen dem Klima keinen Mehrwert. Sie führen volkswirtschaftlich zu Ineffizienzen (z.B. durch räumlich begrenzte Technologievorschriften), Regulierungswidersprüchen (z.B. räumlich begrenzte Transformationspflichten) und am Ende höheren Kosten. Mehr Klimaschutz erreichen sie national und europäisch nicht, da die Emissionen national einheitlich über die Budgets der Emissionshandelssysteme begrenzt sind. Einsparungen in einem Bundesland wegen eines früheren Klimaziels als in einem anderem Bundesland oder bundesweit führen zu Mehremissionen dort. Aus Sicht der IHK‐Organisation wäre es besser, wenn Länder und Kommunen statt einer engagierten Klimapolitik eine engagierte Klimaanpassungspolitik betreiben würden. Hier kann ein sinnvoller Wettbewerb entstehen.
Auflösung jahresscharfer Ziele zugunsten eines Budgetansatzes
Deutschland kann nach dem aktuellen Pfad bis zur Klimaneutralität 2045 noch 6 Mrd. Tonnen CO2 ausstoßen. Das ist ungefähr das Zehnfache des Ausstoßes des Jahres 2024. Grafisch entspricht dies der Fläche unter einem fiktiven Reduktionspfad. Grafisch entspricht dies der Fläche unter einem fiktiven Reduktionspfad. In Deutschland sind jahresscharfe Klimaziele für 2030 und 2040 festgelegt, der Pfad ab den 2030er Jahren soll noch in dieser Legislatur folgen.
Jahresscharfe Ziele führen zu unnötigen Kostenanstiegen, weil Unternehmen Vermeidungstechnologien verwenden müssen, die nicht ausgereift und damit teuer sind. Auch der Umbau bzw. Neubau von Infrastrukturen ist umso teurer, je enger das Zeitbudget ist und kann nicht beliebig beschleunigt werden. Zudem erfolgen Innovationen und Effizienzgewinne selten kontinuierlich, sondern in Sprüngen. So zeigt die Studie „Neue Wege für die Energiewende“, dass die Vermeidungskosten bei einem derzeit diskutierten EU‐Klimaziel von 90 Prozent im Jahr 2040 auf das vier‐ bis Fünffache ansteigen im Vergleich zu einem Budgetansatz. Daher spricht sich die DIHK gegen jahresscharfe Ziele und für den Budgetansatz aus. Damit ergibt sich die Möglichkeit zu einem Tempo bei der Transformation unter zeitlichem Druck aber entsprechend einer technologischem Entwicklung. Am Ende werden die gleichen Emissionen im gleichen Zeitraum eingespart. Aber für die Wirtschaft können Kosteneinsparungen realisiert
werden.
werden.
Alle Emissionen in Handelssysteme einbeziehen
Die DIHK setzt sich schon seit vielen Jahren für einen Emissionshandel (ETS) als zentrales Lenkungsinstrument ein, da er marktliche Signale für effektiven Klimaschutz setzt und Emissionen dort vermeidet, wo dies zu den geringsten Kosten für die Unternehmen möglich ist. Alle anderen Instrumente, die auf die Einsparung von Emissionen ausgerichtet sind, sind mit einem effektiven Emissionshandel grundsätzlich unnötig und sollten auf den Prüfstand gestellt werden.
Der bestehende Emissionshandel für Industrie und Kraftwerke (ETS 1) ist höchst ambitioniert. Nach derzeitiger Planung gibt es ab 2039 keine neuen Zertifikate mehr zu kaufen. Dies wird auf der einen Seite viele Unternehmen überfordern und droht die Stilllegung energieintensiver Produktion zu beschleunigen. Der eingeschlagene Pfad führt damit zum Verlust von Wohlstand gegenüber anderen Weltregionen und der Verlagerung statt dem Einsparen von Emissionen. Wir plädieren dafür, den Emissionshandel anders als bisher an den Ambitionen anderer Wirtschaftsräume auszurichten.
Auf der anderen Seite fehlt es dem Emissionshandel aufgrund der zu erwartenden wirtschaftlichen Probleme an Glaubwürdigkeit. Viele Unternehmen sehen die Emissionsziele als unrealistisch an. Unglaubwürdige Ziele führen zur Erwartung politischer Eingriffe und sinkendem Vertrauen in Marktsignale. Die Diskussion über und die Zweifel an der Einführung des zweiten Emissionshandels (ETS 2) für Wärme und Verkehr zeigt genau dies: Emissionshandelssysteme brauchen politisch glaubwürdige Pfade. Politische Eingriffe in den Mechanismus der Preisbildung sollten unterbleiben.
ETS 1 und ETS 2 sollten gut ineinandergreifen. Die DIHK befürwortet, dass die Emissionen aller Sektoren anders als bisher in beiden Handelssystemen vollständig erfasst werden. Ob dies in einem gemeinsamen System sinnvoll ist, ist derzeit offen.
Selbst bei einer internationalen Anbindung der Handelssysteme wird das Problem des Carbon Leakage bestehen bleiben. Der CO2‐Grenzausgleich (CBAM) ist grundsätzlich sinnvoll, muss aber weiter vereinfacht werden und seine Wirksamkeit beweisen. Tut er dies nicht, sollten etablierte Instrumente die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie vorerst weiter sichern.
Internationale Projekte bei der CO2‐Einsparung anerkennen
National müssen Emissionen und Emissionsminderungen exakt nachgewiesen werden. Dies wäre auch international möglich. CO2‐Minderungen bei internationalen Projekten sind für den globalen Klimaschutz ebenso wertvoll wie die nationale Minderung und könnten entsprechend anerkannt werden – z. B. im Rahmen der bestehenden Emissionshandelssysteme. Nachweise und Kontrollen inklusive klarer Haftungsregeln sind international komplexer und führen auch zu mehr Bürokratie. Sie wären notwendig, um die Glaubwürdigkeit solcher Gutschriften zu erhalten, indem z.B. Doppelanrechnungen vermieden werden. Am sinnvollsten wäre es daher, bestehende internationale Emissionshandelssysteme mit einheitlichen Standards zu verknüpfen und dadurch auch internationale Einsparpotenziale zu erschließen.
Effizienter Klimaschutz: Staat als Rahmensetzer, nicht als Technologielenker
Welche Technologien sich am Markt durchsetzen, kann keine staatliche Planung vorhersagen. Denn: Die Energiewende ist ein langfristiger Prozess mit hoher Unsicherheit. Eine technologieoffene Politik ist deshalb notwendig. Sie kann und darf Risiken für Unternehmen dabei nicht wegdefinieren. Schließlich sind Markt und Wettbewerb die wirksamsten Treiber von Innovation und technologischem Fortschritt.
Der Staat sollte sich auf seine Kernkompetenz konzentrieren: Die Schaffung eines Rahmens, in dem der Wettbewerb zum besten Technologiemix führt. Ein glaubwürdiger Emissionshandel mit langfristiger Perspektive und klarer Rahmensetzung sorgt für entsprechende Anreize bei den Unternehmen. Unkalkulierbare betriebswirtschaftliche Risiken, die Investitionen in potenziell wichtige neue Technologien verhindern, kann der Staat mit Förderungen für eine Übergangszeit absichern.
Komplexität ist einer der größten Feinde einer erfolgreichen Transformation. Politische Zielkonflikte, aufwendige Regulierung, kleinteilige Ausnahmetatbestände und bürokratische Prozesse führen zu unnötiger Verlangsamung und Mehrkosten. Die DIHK bekennt sich deshalb zu weniger staatlichen Förderungen, beschränkt auf die Risikoabsicherung. Dabei ist eine Investitionsförderung einer Betriebskostenförderung vorzuziehen.
Kurzfristig kann das Rückführen von Förderungen unternehmerische Risiken im Vergleich zum Status Quo erhöhen. Bestehende Förderung sollte daher nur mit einer angemessenen Übergangszeit beendet werden. Mittel‐ und langfristig verspricht weniger Förderung volkswirtschaftlich und damit am Ende auch betriebswirtschaftlich die geringsten Kosten für die Wirtschaft.
Weniger Komplexität ergibt sich durch die Konzentration auf ein Ziel: Die Senkung der Treibhausgasemissionen. Zusätzliche Ziele für erneuerbare Energien und Energieeinsparung sind national wie europäisch entbehrlich. Den Unternehmen sollte überlassen werden, welchen Weg sie für ihre betriebliche Klimaneutralität einschlagen. Daraus entstehen Innovationen. Zudem ist es dafür wichtig, dass die Unternehmen gleichzeitig unterschiedliche Wege gehen können. Daher ist neben dem Einsatz erneuerbarer Energien und Steigerung der Energieeffizienz auch entscheidend, dass funktionierende Märkte für Wasserstoff und CO2‐Abscheidung und ‐speicherung entstehen. Dem Staat kommt dabei die Aufgabe zu, den Anschluss von Unternehmen an neue Infrastrukturen zu ermöglichen. Dazu gehört vor allem auch, die Kosten für die Nutzung der Infrastruktur am Anfang zu begrenzen. Die Kosten für die Errichtung des Wasserstoff‐ und CO2‐Kernnetz sollten daher vom Staat getragen werden. Im Strombereich sollten dynamische Netzentgelte für eine bessere Nutzung der Infrastruktur sorgen und damit Kosten begrenzen.
