Zwischen Gasmangellage und Energiepreisexplosion

Wie kalt wird unser Winter?  

Durch den russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die Energiewelt radikal verändert. Bereits das Ausrufen der Frühwarnstufe des Notfallplans Gas am 30. März war ein Novum in der deutschen Geschichte. Mit der Aktivierung der Alarmstufe am 23. Juni setzte die Bundesregierung ein weiteres Zeichen zum Ernst der Lage.
Anfang August veröffentlichte die Bundesnetzagentur (BNetzA) ihre Prognosen zur Versorgungssituation bis Mitte nächsten Jahres. In drei Basisszenarien mit verschiedenen Varianten zu russischen Importen über Nord Stream 1 wurden jeweils weitere Szenarien modelliert, in denen Import, Verbrauch und Export variiert wurden. Im Ergebnis, so die BNetzA, kann es ab November oder Dezember zu einer Gasmangellage für den Rest des Winters kommen, d.h. dann übersteigt die Nachfrage nach Gas das Angebot. Eine Gasmangellage kann nur verhindert werden durch deutliche Gaseinsparungen von 20 % im Inland und eine Reduzierung der Exporte. Sollten die Gaslieferungen über die Nord Stream1 vollständig ausfallen, sind zwingend zusätzliche Importe notwendig.
Begrenzte zusätzliche Lieferkapazitäten aus Norwegen und den Niederlanden, ein weltweiter Wettbewerb um Flüssiggas (LNG) und entsprechend knappe Tanker-Kapazitäten verschärfen allerdings die Lage. Zudem verfügt Deutschland bisher über keine eigenen LNG-Terminals. Ob die ersten beiden schwimmenden Terminals in Wilhelmshafen und Brunsbüttel wie geplant zum Ende des Jahres vor Anker gehen, muss sich noch zeigen.

Maßnahmen der Bundesregierung

Bundesregierung und Bundeswirtschaftsministerium flankieren die Alarmstufe des Notfallplans Gas mit verschiedenen Maßnahmen, mit denen die Vorsorgesituation weiter gestärkt werden soll. Dazu gehören u. a. gesetzliche Grundlagen für den verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken in der Stromproduktion und zwei Einsparverordnungen, siehe hierzu auch weitere Informationen im Kasten.
Mit den Einsparmaßnahmen soll eine Gasmangellage im Winter vermieden werden. Dennoch sollten sich Unternehmen auf diese vorbereiten. In einer Gasmangellage wären gewerbliche Gaskunden ohne Standardlastprofil als sogenannte "ungeschützte Kunden" als erstes von Kürzungen oder Abschaltungen betroffen. Umso wichtiger ist es, sich intensiv mit den betrieblichen Energieverbräuchen auseinanderzusetzen. Kurzfristige Einspar- und Substitutionsmöglichkeiten beim Gasverbrauch sollten geprüft und interne Abschaltszenarien entwickelt werden.
Für den Energieträgerwechsel weg vom Gas sollte mit den für den Immissionsschutz zuständigen Behörden gesprochen werden. Sowohl der Bundeswirtschaftsminister persönlich als auch die baden-württembergische Umweltministerin haben zugesagt, sich für pragmatische und verlässliche Regelungen einzusetzen. 
„Der Rückgang des Gasverbrauchs in der Industrie ist teuer erkauft. Er beruht zu einem beachtlichen Teil auf inzwischen besorgniserregenden Entwicklungen in energieintensiven Branchen. Eine erschreckend hohe Zahl von Betrieben insbesondere in der Industrie sieht sich gezwungen, auf die hohen Energiepreise mit Drosselungen der Produktion oder sogar Stilllegungen zu reagieren. Das zeigen unsere aktuellen Abfragen und Hinweise aus IHK und Unternehmen sehr drastisch.“

Stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND)

Gasgipfel Baden-Württemberg

Bei einem Krisengipfel des Landes Baden-Württemberg am 25. Juli zur Gasversorgung haben sich Landesregierung und Verbände gemeinsam zum Energiesparen bekannt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann appelliert an alle Bürgerinnen und Bürger, selbstverantwortlich einen persönlichen Beitrag zu leisten. Deshalb hat sich die Landesregierung im Rahmen des Gipfels mit einem eigenen 5-Punkte-Programm verpflichtet, in den Behörden und Einrichtungen des Landes den Wärme- und Stromverbrauch nach Kräften zu senken. 

Neue Umlagen und Preissteigerungen

Um die Wärme- und Energieversorgung in der kommenden Kälteperiode zu sichern, wird von Oktober an eine befristete Gasbeschaffungsumlage erhoben. Diese liegt zu Beginn des Umlagezeitraums (ab dem 1. Oktober) bei 2,4 Cent, wie der Marktgebietsverantwortliche Trading Hub Europe (THE) am 15. August bekannt gab. 
Hintergrund für die Umlage ist die von Russland künstlich geschaffene Energieknappheit. Gasimportunternehmen müssen nun zu deutlich höheren Preisen als vereinbart am so genannten Spotmarkt Ersatz beschaffen. Dadurch würden zum Teil hohe und nicht zu deckende Verluste entstehen, wodurch Insolvenzen und großflächige Lieferausfälle in der Gasversorgung wahrscheinlich würden. Die Umlage soll dies verhindern. Gemeinsam mit der Gasspeicherumlage und weiteren Bilanzierungsumlagen steigt die Zusatzbelastung ab 1. Oktober um rund 3,5 Cent pro Kilowattstunde zzgl. Mehrwertsteuer.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Ende August angekündigt, den Mehrwertsteuersatz auf Erdgas von 19 auf sieben Prozent zu verringern, solange auch die Gasumlage erhoben wird – also bis Ende März 2024. Die Verringerung der Mehrwertsteuer ist für Betriebe jedoch wirkungslos. Der DIHK fordert deshalb die dauerhafte Senkung der Energiesteuer auf den Gasverbrauch auf das europäische Mindestniveau als eine einfache und schnell wirkende Entlastung. 

Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe bedroht

Die hohen Energiepreise bedrohen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen im internationalen Umfeld, immer häufiger drohen Produktionseinschränkungen. Umso dringender brauchen die Betriebe jetzt schnelle Entlastungen. Angesichts der stark gestiegenen Gaspreise haben insbesondere energieintensive Unternehmen ihre Einsparmöglichkeiten ohnehin bereits ausgeschöpft.
Auch bei den Notfallzahlungen wegen der hohen Strom- und Gaspreise hat der DIHK darauf hingewiesen, dass eine Beschränkung auf stromintensive Betriebe in Zeiten einer Gaspreiskrise viel zu kurz gesprungen ist. Er setzt sich für eine Ausdehnung auf zusätzliche Branchen ein und für eine Verlängerung des erweiterten Beihilferahmens bis mindestens Ende 2023 werben. Schließlich wird die Energiepreiskrise nicht zum 31. Dezember 2022 verschwunden sein. 
Dem aktuellen Gaslagebericht der Bundesnetzagentur von Ende August zufolge ist der Gasverbrauch der deutschen Industriebetriebe im Juli 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat um ein Fünftel gesunken. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), wertet das nicht als Erfolgsmeldung. Der DIHK geht davon aus, dass die hohen Gaspreise bereits jetzt zu rund 20 Milliarden Euro Wertschöpfungsverlust allein in der Industrie geführt haben. Dazu kommen dann noch Umsatzverluste bei Dienstleistern und Abnehmern sowie der Kaufkraftverlust bei den privaten Haushalten.

Sie kommen mit Ihrer Genehmigung des Energieträgerwechsels nicht voran? 

Nennen Sie uns bitte konkrete Fälle, in denen der “Fuel Switch” aus formalen Gründen nicht geklappt hat. Gemeinsam mit unseren Kollegen vom DIHK nehmen wir das Angebot der Politik an auch im Einzelfall zu helfen. Sprechen Sie uns an.

Wie gehen Unternehmen mit steigenden Energiepreisen um?

Aus aktuellem Anlass bitten wir auch um Ihre Rückmeldung, wie Sie in Ihrem Unternehmen mit den steigenden Energiepreisen umgehen. Mit Ihren Antworten und Beispielen möchten wir die derzeitige Lage der Wirtschaft angesichts der Energiepreiskrise eindringlich illustrieren. Herzlichen Dank für Ihre Teilnahme! Zugang zum Fragebogen unter energiescouts.ihk.de/krisenvorsorge-energie.
„Unsere Mitgliedsunternehmen drehen derzeit buchstäblich jeden Stein um, damit noch mehr Energie eingespart werden kann. Die Industrie- und Handelskammern (IHK) im Land unterstützen sie dabei nach Kräften mit Informationen, Beratungen und Veranstaltungen. Allerdings muss uns allen klar sein, dass Einsparpotenziale auch ihre Grenzen haben. Industrieproduktion ohne Gas, das funktioniert nicht. Schalten wir betroffene Branchen ganz ab, riskieren wir tausende Arbeitsplätze und verlieren schnell große Teile unserer Wertschöpfung. Ich erwarte, dass die Politik dies bei all ihren Entscheidungen zum Maßstab macht.“
Christian O. Erbe, Vizepräsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK)

Neue Energieeinsparverordnungen 

Die zwei Verordnungen beinhalten konkret Maßnahmen zur Energieeinsparung für die kommende und die übernächste Heizperiode. Besonders öffentliche Unternehmen, die Energie-, Immobilien-, Tourismuswirtschaft und der Handel müssen nun kurzfristig eine Reihe von Maßnahmen umsetzen. Lt. BMWK lässt sich mit den Maßnahmen der Gasverbrauch nach ersten Schätzungen um ungefähr zwei Prozent senken.
Die "Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen" (EnSikuMaV) gilt ab dem 1. September 2022 für sechs Monate. 
Die wichtigsten Vorschriften im Überblick:
  • Der Einzelhandel muss Ladentüren und Eingangssysteme, bei deren Öffnung ein Verlust von Heizwärme auftritt, geschlossen halten. Ausnahmen gelten u. a. für Fluchtwege.
  • Werbeanlagen dürfen in der Zeit zwischen 22 und 16 Uhr nicht beleuchtet werden. Ausnahmen gelten aus Gründen der Verkehrssicherheit oder zur Abwehr anderer Gefahren.
  • In öffentlichen Nichtwohngebäuden gelten eine Reihe von Vorschriften: Gemeinschaftsflächen, die nicht dem Aufenthalt von Personen dienen, dürfen nicht beheizt werden.
  • In Arbeitsräumen darf die Lufttemperatur zudem – je nach Art und Schwere der Arbeit – Temperaturen von 12 bis 19 Grad nicht übersteigen. 
  • Dezentrale Trinkwassererwärmungsanlagen (Durchlauferhitzer oder Boiler) müssen ausgeschaltet werden, wenn deren Betrieb überwiegend zum Händewaschen vorgesehen ist.
  • In Arbeitsräumen in Arbeitsstätten (außerhalb der öffentlichen Nichtwohngebäude) gelten die oben genannten Maximaltemperaturen als Mindesttemperaturen. 
  • Für Gas- und Wärmelieferanten gelten eine Reihe von Informationspflichten, wenn sie Eigentümer von Wohngebäuden oder Nutzer von Wohneinheiten leitungsgebunden mit Gas oder Wärme beliefern.
Die "Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung durch mittelfristig wirksame Maßnahmen“ (EnSimiMaV) bedarf der Zustimmung des Bundesrates und soll am 1. Oktober in Kraft treten. Die Verordnung enthält die Verpflichtung zur Umsetzung wirtschaftlicher Effizienzmaßnahmen in Unternehmen. Unternehmen mit einem Energieverbrauch ab 10 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr werden ab dem 1. Oktober verpflichtet, wirtschaftliche Energieeffizienzmaßnahmen durchzuführen. Diese Verpflichtung gilt für Unternehmen, die bereits ein Energieaudit – also eine Analyse ihrer Verbräuche und ihrer Einsparpotentiale – nach den Vorgaben des Energiedienstleistungsgesetzes durchgeführt haben. 
Weitere Informationen unter: www.bmwk.de

Initiativen und Kampagnen zu Energieeffizienzmaßnahmen

Sie suchen weitere Anregungen und Ideen zum Energiesparen? Folgende Kampagnen vom Bund, Land und von regionalen Initiativen helfen weiter:
  • 3 Grad Jetzt (www.3gradjetzt.de): regionale Kampagne von focus.energie mit Unterstützung der IHK Karlsruhe mit Stromspartipps am Arbeitsplatz
  • Bundeskampagne ENERGIEWECHSEL (www.energiewechsel.de): In den Rubriken Unternehmen bzw. Arbeitsplatz finden sich zahlreiche Energiespartipps. Auch ein Förderwegweiser ist integriert.
  • VEA-Initiative Klimafreundlicher Mittelstand (www.klimafreundlicher-mittelstand.de): Enthält einen Maßnahmenkatalog, eine Fördermitteldatenbank und Best-Practice-Beispiele die zeigen, wie man konkret beim Klimaschutz vorankommt.
  • Klimaschutzoffensive des Handels (www.hde-klimaschutzoffensive.de): Der Handelsverband Deutschland hat viele hilfreiche Tools, Leitfäden und Checklisten zusammengetragen, die auch für andere Branchen nützlich sind.
  • Cleverländ: Die BW-Landeskampagne zum Energiesparen startet am 16.09.2022 

Veranstaltung

11.Oktober 2022: Energieeffizienzmaßnahmen

Auch wenn viele Unternehmen seit Jahren bereits Energieeffizienzmaßnahmen erfolgreich umgesetzt haben, lohnt sich eine erneute systematische Betrachtung im Betrieb. In dieser digitalen Veranstaltung erhalten Sie Hinweise zu kurzfristig umsetzbaren Energieeffizienzmaßnahmen.

Angebote der IHK Karlsruhe

Erstberatung zur betrieblichen Energieeffizienz, ggf. einschließlich Betriebsbesuch: Z. B. zu den Themen Druckluft, Beleuchtung, Gebäudeoptimierung, Heizen/Lüftung/Klima, Green IT, Energiemanagement, Fuel Switch u. a. sowie zu entsprechenden Förderprogrammen.

Klimacoaching

Erstberatung z.B. zu CO2-Bilanzierung, Verbesserung der CO2-Bilanz, Vorgehensweise, Kommunikation der Klimaschutzmaßnahmen.

Veranstaltungen

Informationsveranstaltungen zur Energieeffizienz in Unternehmen, darunter auch Vertiefungsthemen wie Druckluft, Beleuchtung, Gebäudeoptimierung, Heizen/Lüftung/Klima, Green IT, Energiemanagement u. a. sowie zu Förderprogrammen.

Energieeffizienztische, Netzwerke

Betreuung von Energieeffizienztischen, Netzwerken und andern Erfahrungsaustauschkreisen sowie Arbeitskreise und andere Gremien.

Publikationen, Newsletter

Über Broschüren, Flyer, Newsletter, Internet-Meldungen und Artikel in den IHK-Zeitschriften werden wichtige Informationen zur Verfügung gestellt.

Ecocockpit - kostenfreies CO2-Bilanzierungstool

Mit dem niederschwelligen und kostenfreien Tool der IHKs in Baden-Württemberg können Sie eine CO2-Bilanz für Ihr Unternehmen erstellen. Gerne unterstützen wir Sie dabei: ecocockpit-bw.de.

ecoFinder - Ansprechpartnerdatenbank aus der Umwelt- und Energiebranche

Suchen oder bieten Sie Produkte und Dienstleistungen im Umfeld von Umwelt-, Energie- und Klimaschutz-Fragestellungen? Über das bundesweite Portal können entsprechende Unternehmen und Dienstleister gefunden werden: www.ihk-ecofinder.de.

Energiescouts - Auszubildende setzen Energieprojekte um

Interessieren sich Auszubildende für Klimaschutz und Energieeffizienz? Wollen sie mit eigenen Projekten selbst einen Beitrag leisten? Wir zeigen Ihnen, wie aus Auszubildenden Energiescouts werden. Mit den passenden IHK- und BIZ-Angeboten unterstützen wir Sie dabei: www.ihk.de/karlsruhe/energiescouts.

Runder Tisch Nachhaltigkeit- Austausch der Unternehmen in der Region

Werden Sie Teil des offenen Netzwerks und erhalten Sie regelmäßig Einladungen zum virtuellen Erfahrungsaustausch. Teilnehmer der Runden Tische treffen sich etwa alle sechs Wochen und tauschen sich jeweils zu einem Schwerpunktthema aus (z.B. Förderprogramme, Netzwerke, Kommunikation). Anmeldung zum Runden Tisch Nachhaltigkeit über ariane.vogel@karlsruhe.ihk.de, Tel. +49 721 174-235. 

Nutzen Sie unsere Erstberatungen

Die IHK Karlsruhe bietet telefonische und persönliche Erstberatungen in den folgenden Bereichen an.
  • Klimaschutz allgemein: Dr. Claudia Rainfurth 0721 174-454
  • Klimacoaching: Dr. Claudia Rainfurth 0721 174-454; Ilja Lifschiz 0721 174-489
  • Energiemanagement und -effizienz: Ilja Lifschiz 0721 174-489
  • Umweltmanagementsysteme (ISO 14001, EMAS): Dr. Claudia Rainfurth 0721 174-454
  • Energiepolitik: Linda Jeromin 0721 174-26
Quellen: Wirtschaft leidet unter hohen Gaspreisen: 20 Milliarden Euro Wertschöpfungsverlust seit Jahresbeginn (rnd.de), Krisengipfel Gas – Baden-Württemberg rückt zusammen: Baden-Württemberg.de (baden-wuerttemberg.de).