Aus- und Neubau: Sowohl Planung als auch Umsetzung zu langsam

Wie an den vorangegangenen Ausführungen ersichtlich, sind die Herausforderungen enorm, vor denen wir bei der Sanierung, Ertüchtigung und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur stehen. Es ist nicht zu erwarten, dass sie mit den bisher eingeleiteten Maßnahmen möglich sind und schwerer Schaden vom Wirtschaftsstandort abgewandt werden kann. Dabei zeigt sich ein ganzer Strauß an Gründen, warum die Planung und ihre bauliche Umsetzung nicht vorankommen. Die Material- und Baupreise steigen immens und Planende, andere Fachkräfte und Baukapazitäten fehlen. Auch die eingeplanten Finanzmittel werden nicht reichen, wobei der Hochlauf der Mittel sowieso nur für das Schienennetz und die Bundesfernstraßen erfolgt ist. Das riesige Netz der Landes-, Kreis- und kommunalen Straßen und ihre Brücken ist nach wie vor chronisch unterfinanziert.
Ein zentrales Problem stellen zudem die langen Planverfahren dar. Einen großen Anteil daran hat die Erarbeitung der sehr komplexen und immer umfangreicheren Antragsunterlagen und die langwierigen Verfahrensschritte einschließlich der juristischen Nachbearbeitung. Auch die zunehmend kritische Einstellung der Öffentlichkeit gegen vor allem größere Infrastrukturprojekte und die damit verbundenen Widerstände bremsen die Planung und Umsetzung immer öfter aus. Dabei ist es richtig und auch erforderlich, wenn Prämissen und Entscheidungen umfangreich ausdiskutiert werden. Schwierig und mit massiven Verzögerungen verbunden wird es aber, wenn die dann getroffenen und auch politisch beschlossenen Planungsprämissen sowie die darauf beruhenden Entscheidungen im Nachgang in Frage gestellt und erneut diskutiert werden. Ein Umstand, der auch das Bahnprojekt Hamburg/Bremen – Hannover begleitet. Unter Beteiligung von Politik, Bürgern und Verbänden hat das Dialogforum Schiene Nord (DSN) 2015 einen Kompromissvorschlag, das sogenannte „Alpha-E“ erarbeitet. Dieser Vorschlag wurde nachfolgend noch zum sogenannten „optimierten Alpha-E + Bremen“ weiterentwickelt und im Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSWAG) verankert. Damit bildet das BSWAG den rechtlichen Rahmen für Bahnprojekte dieser Art. Immer wiederkehrende Debatten über die bereits im Gesetzesrahmen festgehaltenen Planungsprämissen führen seither zwangsläufig zu zusätzlichen Verzögerungen. Diese Problematik soll mit zwei aktuellen Beispielen weiter verdeutlicht werden.

Südschnellweg in Hannover

Der Südschnellweg gehört als Teil des Schnellwegsystem zum Rückgrat des Straßenverkehrs in Hannover und ist zentraler Bestandteil der westlichen und südlichen Umfahrung. Er wurde Mitte der 50er Jahre gebaut und entspricht in seinem Ausbau- und Sicherheitsstandard nicht mehr den aktuellen Anforderungen. Die Fahrspuren sind zu schmal, ein Mittelstreifen entsprechend der heutigen Sicherheitsvorgaben fehlt und Seitenstreifen sind überhaupt nicht vorhanden. Der dringende Handlungsbedarf ergibt sich daraus, dass die vorhandenen Brückenbauwerke marode sind. So kann die Brücke über die Hildesheimer Straße trotz massiver Verkehrsbeschränkungen und Ertüchtigungsmaßnahmen nur noch bis Ende dieses Jahres befahren werden. Die Restnutzungsdauer für weitere Brücken im Westteil, in der Leinemasch, ist auf Ende 2024 beschränkt.
Die Planungen zur Erneuerung des Südschnellweges in Hannover laufen seit 2014. Seitdem wurde die Öffentlichkeit in einem „Planungsdialog“ umfangreich beteiligt. Seit September 2021 ist das Projekt durch die Region Hannover planfestgestellt. Vier Eilanträge vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg wurden abgewiesen. Auch wenn die Hauptsacheverfahren noch nicht entschieden sind, konnten Anfang 2023 die Bauarbeiten für Tunnel und Behelfsbrücke im Ostteil über die Hildesheimer Straße beginnen.
Seit Mitte 2022 hat sich, verstärkt durch den Wahlkampf in Niedersachsen, die Diskussion um das Projekt Südschnellweg deutlich intensiviert. Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung wurde vereinbart, sich erneut damit zu befassen. Hauptkritikpunkt ist der von 14 Meter auf 25,60 Meter zunehmende Querschnitt, der sich aus den heutigen Richtlinien zur Fahrspurbreite und insbesondere aus den Sicherheitselementen Mittelstreifen und Seitenstreifen ergibt. Folge dieser Breite ist insbesondere der Wegfall der Böschungsvegetation mit ihren zum Teil hohen Bäumen im Westteil des Projektes.
Nachdem die Kritiker massiven Widerstand gegen Baumfällungen und Baumaßnahmen ankündigten, wurde bei einem Runden Tisch mit Kritikern, Befürwortern, dem Land sowie dem Bundesverkehrsministerium die Einrichtung einer Expertengruppe vereinbart, die Möglichkeiten suchen sollte, den Eingriff zu reduzieren und Auswirkungen
auf Umwelt und Klima sowie das Naherholungsgebiet zu verringern. Dabei wurde vereinbart, dass die Änderungen kein neues Planfeststellungsverfahren erforderlich machen dürfen, um nicht jahrelange Verzögerungen zu riskieren.
In der Expertenrunde konnte kein Konsens erzielt werden und bei einem erneuten Runden Tisch wurde vom Bundesverkehrsministerium beschlossen, den Bau entsprechend der planfestgestellten Breite zu realisieren. Während nun mit Zeitverzögerung die Umsetzung des Westabschnittes erfolgen soll, intensiviert sich der Widerstand. Zu dieser erneuten Befassung mit dem Projekt ist anzumerken, dass das Planfeststellungsverfahren zum Ausbau des Südschnellweges 2021 im Zusammenspiel von Politik, Verwaltung und Rechtsprechung mit weitestgehender Beteiligung der Öffentlichkeit und unter Abwägung aller Belange abgeschlossen worden ist. Es ist deshalb kritisch zu sehen, im Nachgang das Verfahren selbst und damit sowohl die fachliche Kompetenz der Straßenbauverwaltung als auch die demokratisch legitimierten Prinzipien der Infrastrukturplanung in Frage zu stellen. Höhere Akzeptanz ist auf diese Weise nicht zu erreichen.

Ausbau der Schienenstrecke Hannover-Bielefeld und der Deutschlandtakt

Auch wenn es sich bei diesem Projekt um ein Aus- und Neubauprojekt handelt und es sich aktuell noch in einem frühem Planungsstand befindet, zeigt sich auch hier sehr deutlich, vor welchen Hemmnissen eine erfolgreiche Durchführung von Planverfahren in Deutschland steht. Die Bedeutung des Projektes ist zudem vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Kapazitätsausweitung und Qualitätsverbesserung bei der Bahn die zentrale Voraussetzung für die Umsetzung aller politischen Überlegungen und Forderungen nach Veränderungen im „Modal split“ und steigenden Anteilen des Bahnverkehrs sind.
Ziel der Bundesregierung ist es, die Verkehrsleistung im Personenverkehr bis 2030 zu verdoppeln. Der Anteil des Schienengüterverkehrs soll von aktuell 18 Prozent auf 25 Prozent im Jahr 2030 gesteigert werden. Dies entspricht unter Berücksichtigung des Wachstums des Güterverkehrs einer Steigerung von ca. 40 Prozent. Für dieses Wachstum wurde ein ganzheitlicher Taktfahrplan, der „Deutschlandtakt“, nach Schweizer Vorbild entwickelt. Beim Personenverkehr sollen dabei die Züge an Knotenbahnhöfen vertaktet werden, so dass optimale Umsteigebeziehungen entstehen. Aktuell sind bereits Hauptstrecken der Bahn mit einer Gesamtlänge von 3.500 km mit einer durchschnittlichen Auslastung von 125 Prozent überlastet. Bis 2030 wird ein Anwachsen dieser hoch belasteten Strecken auf rund 9.000 km erwartet. Vor diesem Hintergrund ist im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbart, den Deutschlandtakt finanziell und infrastrukturell umzusetzen. Dafür sind sowohl die Kapazitäten zu schaffen, als auch die für die Vertaktung notwendigen Fahrzeiten zu erreichen.
Das Projekt Hannover – Bielefeld ist ein wesentlicher Bestandteil des dafür notwendigen Ertüchtigungsprogrammes. Zur Umsetzung des Deutschlandtakt ergibt sich damit als Prämisse für das Projekt, dass die Fahrzeit auf diesem Teilstück von 48 auf 31 Minuten reduziert wird. Mit der Kapazitätsausweitung durch den Bau zweier neuer Gleise sind zudem signifikante Ausweitungen im Nah- und Regionalverkehr möglich und für den Güterverkehr kann auf dieser Strecke erstmals eine feste Systemtrasse bereitgestellt werden, womit sich neben Fahrzeitverbesserungen insbesondere eine wesentlich geringere Stör- und Verspätungsanfälligkeit ergeben würde.
Im Zuge der Umsetzung des Deutschlandtaktes wurde Anfang 2021 mit einer öffentlichen Auftaktveranstaltung die Planung des bereits seit langem diskutierten Projektes neu aufgenommen. Seitdem begleitet ein Plenum das Verfahren, zu dem alle Interessengruppen, Träger öffentlicher Belange wie die IHK, Naturschutzverbände, Politik und Verwaltung eingeladen sind. Aktueller Planungsstand ist die Ausweisung mehrerer Trassenkorridore, in denen die Zeitvorgaben grundsätzlich erreichbar sein sollen. Damit ergeben sich Varianten, die sowohl einen weitgehenden Neubau der Strecke wie auch den Ausbau großer Teile der Strecke mit einzelnen Neubaustrecken beinhalten. Ein ausschließlicher Bestandsausbau kann allerdings die zeitlichen Prämissen des Deutschlandtaktes nicht erfüllen.
Gegen die Planung richtet sich inzwischen massiver Widerstand. Abgelehnt wird die Fixierung auf die Zeitvorgaben des Deutschlandtaktes und grundsätzlich der Neubau von Strecken. Dem angeschlossen haben sich auch viele Vertreter der Politik von kommunaler bis zur bundespolitischen Ebene. Auch im Koalitionsvertrag sprachen sich die Regierungsparteien in Niedersachsen ausdrücklich für einen trassennahen Ausbau aus. Zwischenzeitlich haben Vertreter der Bundespolitik in einem Positionspapier ebenfalls den trassennahen
Ausbau gefordert, und zwar aufgrund des Widerstands gegen eine Neubaulösung, der deshalb nicht zu erwartenden schnellen Realisierung und aufgrund vermuteter geringerer Kosten. Dabei ist anzumerken,
dass die Deutsche Bahn darauf hinweist, dass ein Ausbau einer bestehenden Strecke bezogen auf die Bauzeit aufgrund der komplexen Wechselwirkungen mit dem laufenden Verkehr zu höheren Behinderungen des Bestandverkehrs führe und wesentlich langwieriger sowie teurer sei.
Ein grundsätzliches Problem der Forderungen nach einem reinen Bestandsausbau ist, dass damit die Umsetzung des Deutschlandtaktes in Frage gestellt wird. Ob der Deutschlandtakt geeignet ist, die gesetzten Ziele zu erreichen, sei dahingestellt. Andererseits ist bisher auch kein besseres Konzept erarbeitet worden. Würde man nun die Prämissen des Deutschlandtaktes ändern und ihn – was mehrere Jahre dauern würde – neu konzipieren, so dass die Anforderungen an die Fahrzeitverbesserungen im Streckenabschnitt „Hannover – Bielefeld“ geringer wären, wäre ohne Zweifel an anderer Stelle eine höhere Betroffenheit mit entsprechenden Widerständen zu erwarten. Diese übergeordneten Planungsprämissen auf der Ebene eines konkreten Projektes zu erörtern, ist nicht sinnvoll, da sie dort nicht gelöst werden können.
Darüber hinaus sind Vorfestlegungen auf einen reinen Bestandsausbau aus zwei weiteren Gründen überaus problematisch:
  • Ein Planverfahren ist so konzipiert, dass unter Berücksichtigung und Abwägung aller Belange eine möglichst gute Lösung gefunden werden soll. Zu einem Zeitpunkt, an dem lediglich mögliche Korridore entwickelt worden sind, gibt es keine hinreichenden Informationen für oder gegen Varianten. Wird eine Vorfestlegung getroffen, beschädigt man das ergebnisoffene Planverfahren.
  • Darüber hinaus hätte eine Vorfestlegung auf den Bestandsausbau ohne ausreichende Variantenprüfung und Abwägung gravierende rechtliche Folgen. Denn bei einer Klage gegen einen beschlossenen Bestandsausbau ist zu erwarten, dass aufgrund der fehlenden hinreichenden Abwägung von Varianten der Planfeststellungsbeschluss für ungültig erklärt werden würde und der Ausbau gestoppt werden müsste.