Wirtschaft und Gesamtverteidigung

Die verteidigungspolitische Lage in Deutschland hat sich grundlegend gewandelt. Landes- und Bündnisverteidigung stehen wieder im Mittelpunkt der deutschen Sicherheitspolitik. Doch anders als zu Zeiten des Kalten Krieges sind die heutigen Bedrohungsszenarien weitaus vielschichtiger: Neben der Gefahr einer direkten militärischen Auseinandersetzung rücken hybride Angriffe zunehmend in den Fokus. Cyberattacken, Ausspähungen und gezielte Sabotage- und Störaktionen treffen schon heute nicht nur staatliche Institutionen, sondern auch Unternehmen. Klar ist: Im Ernstfall wird die zivile Wirtschaft auf vielfältige Weise und in unterschiedlicher Intensität betroffen sein – und eine zentrale Rolle in der Gesamtverteidigung spielen. Die IHK Hannover gibt einen ersten Überblick:

Hintergrund: Was ist Gesamtverteidigung?

Unter dem Begriff der Gesamtverteidigung versteht man das umfassende Zusammenwirken von Streitkräften, öffentlichen Einrichtungen, Wirtschaft und Gesellschaft zur Verteidigung Deutschlands, sowohl im Falle eines bewaffneten Angriffs als auch angesichts hybrider Bedrohungen. Die Gesamtverteidigung gliedert sich in zwei Teilbereiche: die militärische Verteidigung und die zivile Verteidigung.
Während die militärische Komponente insbesondere Aufgaben wie territoriale Verteidigung, Bündnisverteidigung und Host Nation Support (HNS) umfasst, und damit primär in den Zuständigkeitsbereich von Bundeswehr und NATO fällt, beinhaltet die zivile Verteidigung sämtliche Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung ziviler Schutz- und Unterstützungsleistungen im Krisen- oder Verteidigungsfall. Die Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung (RRGV) beschreiben hierbei die Handlungsfelder auf strategischer Ebene.

Bedeutung der Wirtschaft für die zivile Verteidigung

Im Falle eines Konflikts und daraus resultierender Notlagen kommt der gewerblichen Wirtschaft eine zentrale Rolle zu, insbesondere bei der Sicherstellung der Versorgung der Zivilbevölkerung sowie bei der Unterstützung der Streitkräfte. Je nach Bedrohungsszenario können die Anforderungen und Aufgaben dabei sehr unterschiedlich ausfallen. In besonders schweren Lagen, etwa wenn der sogenannte Spannungs- oder Verteidigungsfall festgestellt wird, kann die Wirtschaft zur Bereitstellung von Personal, Transportkapazitäten, Werksleistungen oder zur Produktion und Verteilung lebenswichtiger Güter wie Lebensmitteln, Medikamenten, Energie oder Trinkwasser herangezogen werden. Darüber hinaus können Pflichten zur Vorratshaltung oder zu bestimmten Buchführungs- und Auskunftspflichten angeordnet werden. Die rechtlichen Grundlagen hierfür finden sich in den Sicherstellungs- und Vorsorgegesetzen (z. B. dem Ernährungs-, Wirtschafts- oder Verkehrssicherstellungsgesetz), dem Bundesleistungsgesetz, und dem Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG).
Es ist jedoch davon auszugehen, dass großflächige Markteingriffe nur in äußersten Ausnahmefällen angewendet werden. In vielen denkbaren Krisen- und Spannungsszenarien, die unterhalb der Schwelle eines klassischen militärischen Angriffs auf das Bundesgebiet liegen, wird ein erheblicher Teil des wirtschaftlichen Lebens voraussichtlich weiterlaufen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Teile der Belegschaft, etwa durch die Einberufung als Reservisten oder durch ehrenamtliches Engagement bei zivilen Hilfsorganisationen, vorübergehend nicht zur Verfügung stehen könnten. Für NATO-Truppen stellt Niedersachen die Logistikdrehscheibe dar. Hier könnte es zu Einschränkungen im Verkehr kommen. Zudem würden zivil-gewerbliche Unternehmen in diesem Fall auf Basis von Verträgen die Streitkräfte mit Leistungen wie Fahrzeugen, Treibstoff, Instandsetzung und Verpflegung unterstützen.
Die Wirtschaft rückt zunehmend selbst ins Visier feindlicher Akteure. Als sogenanntes „weiches Ziel“ ist sie besonders anfällig für Cyberangriffe, Ausspähungen und andere hybride Angriffe. Unternehmen sollten sich daher frühzeitig die Frage stellen, inwieweit sie auf solche Szenarien vorbereitet sind. Was sind meine kritischen Geschäftsbereiche? Was passiert, wenn IT-Systeme oder Kommunikationsinfrastruktur für Stunden oder gar Tage ausfallen? Wie widerstandsfähig sind meine Produktions- und Lieferketten? Die Fähigkeit, in solchen Lagen handlungsfähig zu bleiben, wird zunehmend zu einem entscheidenden Faktor unternehmerischer Resilienz.

Rolle der IHK

Die Industrie- und Handelskammer vertritt im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags das gesamtwirtschaftliche Interesse.
Zur Unterstützung der Unternehmen bietet die IHK:
  • Information über gesetzliche Anforderungen und sicherheitspolitische Entwicklungen
  • Beratung zur betrieblichen Notfallvorsorge, etwa in den Bereichen Business Continuity Management (BCM), Cybersicherheit und Resilienzmaßnahmen
  • Unterstützung bei öffentlichen Aufträgen und Vergabeverfahren
  • Vernetzung mit sicherheitspolitischen Akteuren und zuständigen staatlichen Stellen
Darüber hinaus ist die IHK als Körperschaft des öffentlichen Rechts verpflichtet, bei staatlichen Maßnahmen im Rahmen der Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze mitzuwirken. In der Vergangenheit übernahm die Kammer beispielsweise mit der Ausstellung von Unabkömmlichkeitsbescheinigungen eine hoheitliche Aufgabe.
Stand: 02.06.2025