Recht

Produkthaftung in den USA

Das US-amerikanische Produkthaftungsrecht wird für jedes Unternehmen, das Geschäfte in den USA macht, ein Thema sein. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, sich in die Reihe der spektakulären Klagen über Kaffeeverbrennungen oder der sachgerechten Nutzung von Mikrowellenöfen einzureihen und exorbitant hohe Schadenssummen zahlen zu müssen, eher gering, das Risiko, aufgrund von unvollständigen Sicherheitshinweisen oder nicht dokumentierten Qualitätskontrollen zur Rechnung gezogen zu werden, allerdings durchaus gegeben. Eine gewisse Affinität zum Klagen kann dem amerikanischen Volk auch nicht von der Hand gewiesen werden und die Produktsicherheitsauflagen der USA gehören im weltweiten Vergleich sicherlich zu den strengeren. Um das Risiko von Schadensersatzforderungen aus den USA zu reduzieren, ist eine Auseinandersetzung mit der US-amerikanischen Produkthaftung für deutsche Unternehmen also unumgänglich.

I Das US-amerikanische Produkthaftungsgesetz

Von deutschen Unternehmen, gerade Einsteigern im US-Geschäft, werden die USA gerne und oft als ein einzelner Markt angesehen. In Bezug auf den Handel - aber ganz besonders das lokale Rechts- und Steuersystem - empfiehlt sich aber ein sehr viel differenzierter Blick: Die USA bestehen aus insgesamt 50 Bundesstaaten. Jeder von ihnen hat sein eigenes Rechtssystem und somit auch sein eigenes Produkthaftungsrecht. Zwar gibt der Staat  einige allgemeingültige Grundsätze vor, ein übergreifendes Produkthaftungsgesetz, das im gesamten Land gültig wäre, existiert aber nicht. Genaugenommen müssten deutsche Unternehmen sich also nicht mit nur einem Produkthaftungsrecht, sondern mit 50 verschiedenen Verordnungen auseinandersetzen, wenn sie im gesamten Land tätig werden. 50 Produkthaftungsgesetze hört sich nach viel an. Welche Bedeutung die Unterschiede in den einzelnen Gesetzen haben können, lässt sich pauschal nicht beantworten.
Generell orientieren sich die Bundesstaaten natürlich an den Vorgaben des US-Staates sowie an Präzedenzfällen der Nachbar-Staaten. Aber natürlich können auch kleine Unterschiede in den Rechtsprechungen durchaus relevant sein, wie Hans-Michael Kraus, Rechtsanwalt und Attorney of Law, Smith, Gambrell Russel, anmerkt: „Ob eine Verjährungsfrist fünf oder sieben Jahren beträgt, kann im Einzelfall wesentlich oder unwesentlich sein.“

I.I Anspruchsgrundlagen im US-amerikanischen Produktaftungsrecht

Im US-amerikanischen Recht können im Wesentlichen drei voneinander unabhängige Anspruchsgrundlagen für Produkthaftungsklagen unterschieden werden:
„Breach of Warranty” – Verletzung der Gewährleistung 
Die Gewährleistung wird gesetzlich im „Uniform Commercial Code”, dem US-amerikanischen Handelsgesetzbuch, das auf Verträge über bewegliche Sachen anwendbar ist, geregelt. Ähnlich wie die deutsche Gewährleistungspflicht bezieht man sich hier auf die vertragliche Haftung dafür, dass ein Produkt bestimmte Eigenschaften besitzt. Voraussetzung für einen vertraglichen Haftungsanspruch sind ausdrückliche „express“ oder stillschweigende „implied“ garantierte Produkteigenschaften, die nicht eingehalten worden sind und damit eine Gewährleistungspflicht begründen.
„Negligence” – Haftung aufgrund von Fahrlässigkeit 
Herstellende müssen für fehlerhafte Produkte haften, wenn eine fahrlässige Verletzung der Sorgfaltspflicht bei Produktdesign und Fabrikation zu einem vorhersehbaren Schaden geführt hat. Eine vertragliche Beziehung zur/zum Geschädigten ist nicht erforderlich; Klagende müssen die fahrlässige Verletzung der Sorgfaltspflicht allerdings nachweisen. Rechtsanwalt Hans-Michael Kraus kommentiert: „In der Praxis sind Ansprüche aus „Negligence“ eher von rechtshistorischer Bedeutung, da heutzutage die meisten Ansprüche ohne den schwerwiegenden Nachweis der Fahrlässigkeit aufgrund der „Strict Liability“ geltend gemacht werden.“
„Strict Liability in Tort” – Gefährdungshaftung
Voraussetzung für diesen Haftungsanspruch ist ein schadensverursachender Produktfehler, wie Herstellungsfehler, Konstruktionsfehler, Instruktionsfehler oder auch die Verletzung einer Produktbeobachtungspflicht. Selbst der Vertrieb von außerordentlich „gefährlichen“ Produkten reicht im Einzelfall aus, wie Kraus meint. Für eine Haftung muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem Produktfehler und einem Schaden bestehen, den Klagende nachzuweisen haben.
Mit welcher Anspruchsgrundlage deutsche Unternehmen eher oder seltener in Kontakt kommen, hängt im Wesentlichen von dem Produkt ab, wie Hans-Michael Kraus meint. „Bei den meisten in unserer Kanzlei geltend gemachten Ansprüchen, steht eher die Vertragshaftung, beziehungsweise die Gewährleistungshaftung im Vordergrund, da wir viele deutsche Maschinebauunternehmen betreuen. Bei Konsumprodukten kann aber auch vielfach die Gefährdungshaftung im Vordergrund stehen.“

I.II Haftende, Haftungsumfang & Gerichtszuständigkeit

In den USA kann jede/r aus der Vertriebskette, also sowohl Hersteller/innen, Händler/innen, Importeure/innen als auch Vertragshändler/innen, Zulieferer/innen und unter Umständen auch die Produktentwicklung für die Haftung herangezogen werden. Klagende haben ein Wahlrecht – können nur eine Partei, mehrere oder alle Gruppen verklagen. „Oft liest man, dass sogar eine direkte Verantwortlichkeit der Geschäftsführung in Betracht gezogen werden kann. „Dies wäre aber wirklich ein Extremfall, der eindeutiges Eigenverschulden, quasi ‚kriminelles Handeln‘ voraussetzt“, kommentiert Hans-Michael Kraus.
In den USA entscheiden übrigens nicht Richterin oder Richter, sondern eine Jury über die Höhe des Schadensersatzes Diese Jury setzt sich aus Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlichster Herkunft und oft ohne juristische Vorbildung zusammen.
Schadenskategorien gibt es verschiedene: „Direct Damages” sind Schäden aus Produktfehlern. „Pain and Suffering” oder „Emotional Distress” adressiert immaterielle Schäden – eine Art Schmerzensgeld, wenn man so will. Das „Lost Income” bezieht sich auf den erlittenen Verdienstausfall; sogenannte „Punitive Damages” sind eine eine Art Strafschadensersatz, die um „consequential damages“, Folgeschäden, ergänzt werden können.
Auch die Beurteilung der Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte für die Verhandlung eines Falls vor Gericht kann von Bundesstaat zu Bundesstaat recht unterschiedlich sein. Manchmal reicht in der Tat ein „minimal contact“ als Grundlage für eine Verhandlung. „In machen Bundesstaaten sind ‚minimal contacts‘ bereits gegeben, wenn ein Unternehmen dort ein Produkt beworben hat oder auf Teilnehmender einer Messe war. Andere Bundesstaaten verlangen, dass sich die Geschäftstätigkeit im Land deutlicher manifestiert. So wurde im Bundesstaat New York kürzlich eine Klage gegen einen italienischen Reifenhersteller wegen fehlender ‚minimum contacts‘ abgelehnt, da dieser dort keinerlei Kontakte unterhielt, sondern lediglich die Reifen der Herstellerfirma auf den PKWs montiert waren, die dort vertrieben wurden“, so Hans-Michael Kraus.

II Risikomanagement

Um das Haftungsspektrum von deutschen Unternehmen, die in den USA tätig sind, gering zu halten, empfiehlt sich ein vernünftiges Risikomanagement. Der sicherste Weg ist natürlich die Vermeidung von Produktfehlern. Da jedoch niemand vor Fehlern gefeit ist, sollten auch an anderen Stellschrauben gedreht werden, um mögliche Ansprüche erfolgreich abwehren oder verlagern zu können.

II.I Fehlervermeidung, Qualitätskontrollen & Dokumentation

Deutsche Unternehmen fahren nicht schlecht, wenn sie beim Design, der Konzeption und der Produktion von Produkten, die für den US-amerikanischen Markt bestimmt sind, eher von  einem niedrigen Sachverständnis der Anwendenden ausgehen. Montage, Anwendung und Wartung der Produkte sollten einfach sein, Produktionsprozesse dokumentiert und kontrolliert werden, Bedienungsanleitungen nach US-amerikanischen Standards geschrieben und nicht nur übersetzt werden. Auch die Werbetexte sollten hinsichtlich der Gültigkeit der Produktversprechen sorgfältig analysiert werden.
Ist das Produkt auf dem Markt gilt eine besondere Beobachtungspflicht, um bei sicherheitsrelevanten Defekten umgehend reagieren zu können. Verhaltensadäquate Reaktionen schließen nicht nur mögliche Anpassungen im Produktions- und Vermarktungsprozess, sondern auch Warnungen oder Produktrückrufe ein. Bei Verbraucherprodukten besteht daneben eine Meldepflicht bei der „Consumer Product Safety Commision“ (CPSC).

II.II Konsistenz mit den US-amerikanischen Normen

Zwischen der Europäischen Union und der USA existiert ein Beschluss des Rates (1999/78/EG) zur gegenseitigen Anerkennung der Konformitätsbewertungsverfahren. Danach existiert im Bereich der Produktsicherheit eine grundlegende Übereinstimmung für Produkte, bei denen eine Konformität nach europäischen Normen bestätigt wurde. In den USA gelten allerdings zusätzliche gesetzliche Regelungen und Normen, die von Unternehmen eingehalten werden müssen. Diese können im Einzelnen auf der Homepage der „Occupational Safety & Health Administration“ (OSHA) in der Rubrik „Standards“ eingesehen werden. Daneben gibt es eine Vielzahl von Institutionen, die Qualitätsstandards, teils branchenspezifisch, festsetzen, wie zum Beispiel die „National Electrical Manufacturers Association” (NEMA), „Underwriters Laboratories” (UL) oder die „National Fire Protection Association” (NFPA).

II.III Bedienungsanleitungen und Gebrauchsanweisungen

Oft stellen Bedienungsanleitungen oder Gebrauchsanweisungen eine viel größere Angriffsfläche für Schadensersatzforderungen dar als Fehler beim Design oder der Konstruktion des Produktes. Eine schlichte Übersetzung der für den europäischen Markt existierenden Papiere empfiehlt sich wirklich nicht: Diese Gebrauchsanweisungen sind für den US-amerikanischen Markt oft kurz und vor allem zu technisch. Anleitungen für den US-Markt sollten in Englisch, eventuell auch in Spanisch und in vielen einzelnen Schritten, bestenfalls bebildert, gefasst sein. Abkürzungen und technischer Fachjargon sollten vermieden werden. Sicherheitsrelevante Hinweise zur bestimmungsgemäßen Verwendung und vorhersehbarem Fehlgebrauch von Produkten sollten ebenso dokumentiert werden, wie Warnungen und Gefahren. Zu beachten ist auch, dass in den USA nicht nur andere Längen- und Flächenmaße, Gewichtseinheiten, Volumenmaße oder Bekleidungsgrößen, sondern auch andere elektrische Anschlüsse existieren. Diese gilt es entsprechend umzurechnen. „Wer zum Beispiel OSHA-gerechte Maschinen in den USA anbietet, muss gegebenfalls in den USA andere Kabelfarben verwenden, als in Deutschland“, erzählt Hans-Michael Kraus.
Produktübergreifende Standards für Bedienungsanleitungen stellt das „American National Standards Institute“ (ANSI) zur Verfügung. Für Bedienungsanleitungen ist die Norm „Product Safety Information in Product Manuals, Instructions, and Other Collateral Materials” (ANSI Z535.6) relevant, da sie als wichtigste Norm für notwendige Sicherheitshinweise gilt. So ist in der Norm beispielsweise genau festgelegt, in welcher Farbe und in welchem Layout Warnzeichen verwendet werden müssen und dürfen. Die Norm findet keine Anwendung, sofern speziellere Normen greifen, die etwa für ein Produkt direkt gelten.

II.IV Versicherungen

Das Risiko, Schadensersatz aufgrund von Produkthaftungsansprüchen zahlen zu müssen, kann mit Hilfe einer Produkthaftversicherung und einer Rückrufversicherung verlagert werden. Nicht selten unterteilen deutsche Versicherungsanbietende ihre Policen in die Bereiche Kanada/USA und „Rest oft he World“ (ROW) auf. Ein Einschluss direkter Exporte und/oder Montagen in die beziehungsweise in den USA werden oft nur im Fall einer ausdrücklichen Vereinbarung und dann mit relativ hohen Selbstbeteiligungen und Prämien mitversichert. Auch eine deutsche Rückrufkostenpolice muss oft auf die USA ausgedehnt werden. Als Grund werden oft die in den USA üblicherweise sehr hohen Schadenersatzzahlungen, Verteidigungs- und Prozesskosten angeführt. Die Kalkulation deutscher Versicherungsverträge sind auf diese Summen oft nicht ausgelegt.
Betriebsstätten in den USA werden vom deutschen Versicherungsschutz übrigens im Allgemeinen nicht erfasst, sondern müssen in den USA separat versichert werden. Dasselbe gilt übrigens für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten von ausländischem Personal.
Sofern die Geschäftsaktivitäten von deutschen Unternehmen auf dem US-amerikanischen Markt über eine/n amerikanische/n Absatzmittler/in gestaltet werden, sollte diese/r bestenfalls verpflichtet werden eine Produkthaftungsversicherung für den US-Markt abzuschließen. Auch besteht die Möglichkeit des eigenen Einschlusses in der Versicherung der/s US- amerikanische/n Absatzmittler/in als Mitversicherte/r. Eine „Indemnification Clause” (Freistellungsklausel), durch die sich ein/e amerikanische/r Händler/in von Schadenersatzansprüchen freistellen lassen könnte, wird die Kosten einer deutschen Police ebenso erhöhen, wie eine Mitversicherung („Vendors Endorsment”) des/r amerikanischen Absatzmittlers/in.
Derweilen wird seitens deutscher Unternehmen die Gründung einer US-Tochtergesellschaft zur Risikominimierung erwogen. „Die Lieferkette „Mutter liefert an Tochter - Tochter liefert an US-Kundenkreis“ ist fast immer haftungsmindernd, da alle vertraglichen Ansprüche (nicht jedoch „Strict Liability“) und nach unserer Beobachtung sind dies die meisten – bei der Tochter hängen bleiben. Dennoch sollten immer beide Gesellschaften – das Mutterhaus in Deutschland und die Tochter in den USA – abgesichert sein. Nur die US-Tochter gegen die Produkthaftplicht zu versichern wäre fatal, da die Muttergesellschaft direkt in Anspruch genommen werden könnte. Eine enge Zusammenarbeit mit einem Versicherungsbroker ist hier dringend zu empfehlen“, kommentiert Kraus.

II.V Haftungsfreistellung

Bilaterale Vereinbarungen über eine mögliche Haftungsfreistellungen sowie Qualitätssicherungsvereinbarungen mit Lieferantinnen und Lieferanten könnten mögliche Risiken einer Haftung aufgrund von Produktschäden verringen. „Vereinbarungen zum Haftungsausschluss mit Endkunden sind insbesondere im Industriebereich durchaus möglich und wirksam. Zum Beispiel beim Verkauf von Maschinenteilen an einen US-Endproduzenten. Im allgemeinen Liefer- und Geschäftsverkehr wird ein Zwischenhändler kaum als Art Versicherungsgesellschaft für den Hersteller auftreten, so dass es hier kein besseres Rezept als ein allgemein gutes und sorgfältiges Risikomanagement gibt“, sagt Jurist Kraus.

III Exkurs: Online-Handel

Seit August 2021 müssen Unternehmen, die ihre Waren über das US-amerikanische Amazon-Marketplace verkaufen und dort einen Monatsumsatz von 10.000 USD überschreiten, den Abschluss einer US-Produkthaftpflichtversicherung nachweisen. Zudem muss Amazon Marketplace in der Versicherungspolice als Versicherungsnehmer eingetragen sein.
Amazon ist nicht die einzige Online-Handelsplattform, die von hier tätigen Händlern eine US-Produkthaftpflichtversicherung verlangt, hat allerdings für Schlagzeilen gesorgt, da man begleitend zu der Forderung den Dienst „Amazon Insurance Accelerator” eingeführt hat – ein kuratiertes Panel von Versicherern, die Verkäuferinnen und Verkäufern bei der Absicherung von Sach- oder Personenschäden, die durch defekte Produkte verursacht werden, unterstützen. Verkäuferinnen und Verkäufer sind laut Amazon nicht verpflichtet, den Amazon Insurance Accelerator zu nutzen, sondern können sich weiterhin bei jedem qualifizierte/n Versicherungsanbieter/in ihrer Wahl versichern lassen. Welche konkreten Anforderungen an den Begriff „qualifizierter Versicherungsanbieter/in” gestellt werden, ist allerdings nicht dokumentiert.

IV Fazit

„Der US-Markt ist ein sehr interessanter Markt für deutsche Unternehmen. Die US-Produkthaftung sollte deutsche Unternehmen nicht abschrecken, aussichtsreiche Chancen in den USA ungenutzt zu lassen. Die Gefahren einer Klage und hohen Schadensersatzzahlung sind mit einem guten Risikomanagement überschaubar und händelbar. Wie in vielen anderen Auslandsmärkten auch“, so Hans-Michael Kraus.
Stand: 09.03.2022