Standpunkt

Die Hamburger Innenstadt auf dem Weg in ihre Zukunft 2040

War die europäische Innenstadt im 20. Jahrhundert insbesondere durch die ihr zukommende Kernfunktion der zentralen Versorgung des mittel- und längerfristigen Bedarfs ihres jeweiligen Einzugsgebiets geprägt, so vollzieht sich mittlerweile ein tiefgreifender Wandel. Der klassische Einzelhandel hat zum großen Teil seine Leitfunktion als vordringlicher Anlass für einen Besuch der Innenstadt verloren. Es stellen sich grundsätzliche Fragen wie: Welche zentralen Funktionen werden die Innenstädte zukünftig haben? Werden sie in einem sich auflösenden funktional gegliederten Siedlungsraum noch eine zentrale Funktion haben können? Oder müssen die Cities selbst neue Funktionen und Qualitäten entwickeln? Die Corona-Pandemie wirkt hier als Beschleuniger von längerfristigen Entwicklungen und zeigt Veränderungsprozesse und Versäumnisse schonungslos auf.
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Diesen Entwicklungen, Fragestellungen und Herausforderungen, sieht sich insbesondere auch die Hamburger Innenstadt, als Identifikationsort der Metropolregion Hamburg und attraktives Ziel von Touristen und Tagesgästen, gegenüber. Die Hamburger Innenstadt muss gerade jetzt für die Zukunft gut aufgestellt werden, um als lebendiger, multifunktionaler und attraktiver Mittelpunkt der Metropolregion erhalten zu bleiben und gestärkt zu werden. Die Voraussetzungen des Gelingens sind gut, denn traditionell engagieren sich Bürgerschaft, Kaufleute, Immobilienbesitzer und Politik und Verwaltung für die Hamburger Innenstadt. Das zeigt sich beispielsweise an den zahlreichen Business Improvement Districts, in denen privates und öffentliches Engagement zum Wohle zentraler Standorte verbunden wird. Das ist in der Bundesrepublik Deutschland einmalig und hat Vorbildcharakter.
Mit dem vorliegenden Papier analysiert die Handelskammer Hamburg die aktuelle Situation der Hamburger Innenstadt, zeigt mittels einer SWOT-Analyse ihre Stärken und Schwächen auf und identifiziert die Chancen und Risiken für einen zielgerichteten und umfassenden Transformationsprozess. Das formulierte Zielbild mit seinen acht Unterzielen dient als Grundlage für die Benennung von Maßnahmen- und Projektvorschlägen und das darauf aufbauend entwickelte Funktionskonzept. Das Papier liefert eine breite Palette von Anregungen und soll als Grundlage zur Diskussion und für konkrete Verabredungen zwischen den Innenstadtakteuren dienen, um der Hamburger Innenstadt zurück zu neuer Strahlkraft zu verhelfen, sie zukunftsfähig im Wettbewerb mit anderen Metropolen und zu einem positiven Standortfaktor für den Wirtschaftsraum Hamburg zu machen.
Die Hamburger Innenstadt steht vor einem umfassenden Transformationsprozess dessen dringende Notwendigkeit durch die negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie noch sichtbarer geworden ist. Die City muss, ganz im Sinne der Neuen Leipzig-Charta, vielfältiger, nutzungsgemischter, grüner, gerechter, produktiver und damit attraktiver für Hamburger und auswärtige Besucher werden.
Die aufgezeigten Schwächen und Risiken lassen sich so mittels eines integrierten und ressortübergreifenden Gesamtkonzepts in Stärken und Chancen umwandeln. Das entwickelte Zielbild und die Maßnahmen und Ansätze in den Handlungsfeldern bilden mit dem vorgelegten Funktionskonzept den Rahmen einer positiven Transformation der Hamburger Innenstadt.
So könnte es der Innenstadt als dem Herz der Metropolregion gelingen, neue Strahlkraft zu erlangen, sie zukunftsfähig im Wettbewerb mit anderen Metropolen und zu einem positiven Standortfaktor für den Wirtschaftsraum Hamburg zu machen.
Der weitere Weg dorthin muss nun Gegenstand eines breiten Diskussionsprozesses mit allen Innenstadtakteuren sein. Die Handelskammer steht hierfür bereit.

Zentrum des Handels stärken und Nutzungsmischung intensivieren

Da die jahrzehntelang gängige Praxis, nämlich Handel mit Handel zu ersetzen, nicht mehr erfolgsversprechend ist, muss die räumliche Trennung von Einkaufen, Arbeiten, Dienstleistungen, Wohnen, Produktion und Freizeitgestaltung überwunden werden, um der Innenstadt neue Funktionen zu geben.
Notwendige Maßnahmen hierzu sind:
  • Wettbewerbsfähigkeit des stationären Handels stärken.
  • Mietenpoolmodelle zur Ermöglichung renditeschwacher Konzepte etablieren.
  • Entwicklung von gemischten und experimentellen Nutzungskonzepten.
  • Neuansiedlung und Integration urbaner Produktionen.
  • Umsetzung eines Markthallenkonzeptes in einem zentralen Bereich.
  • Verknüpfung von Onlinehandel und stationärem Handel durch intelligente Logistikkonzepte.
  • Professionelles Nutzungsmix- und Leerstandsmanagement einsetzen.
  • Heterogenität im Rahmen von Grundstücksausschreibungen und Umbaugenehmigungen regelhaft berücksichtigen.
  • Strategie entwickeln, um Fachgeschäfte für den Standort Innenstadt zu-rückzugewinnen.
  • Sonntagsöffnungsverbot befristet aussetzen.
  • Erlass/Reduktion Mehrwertsteuer für stationären Einzelhandel.

Erreichbarkeit für alle sicherstellen

Für einen innerstädtischen Standort ist die Erreichbarkeit mit allen Verkehrsträgern von elementarer Bedeutung. Zukünftig wird es darum gehen, eine bequeme, schnelle und klimaneutrale Erreichbarkeit der Innenstadt sicher zu ermöglichen. Durch die Mobilitätskonzepte der Zukunft, werden Chancen auf neue Freiräume, Nutzungen und Qualitäten in der Innenstadt eröffnet.
Notwendige Maßnahmen hierzu sind:
  • Aufstellung eines übergeordneten Verkehrskonzepts für die Hamburger Innenstadt unter Berücksichtigung aller Verkehrsträger.
  • Sicherstellung der Erreichbarkeit durch alle Verkehrsträger.
  • Switch-Mobility und City-Logistik stärken.
  • Gestalterische und funktionale Verbesserung von Wegebeziehungen.
  • Verbesserung und Ausbau des Fußgängerleitsystems.
  • Etablierung eines smarten Verkehrsleitsystems.
  • Umgestaltung des Hamburger Hauptbahnhofs inkl. Bahnhofsumfeld.
  • Baustellenmanagement verbessern.
  • Ausgleich zwischen verkehrstechnischen und stadtgestalterischen Interessen sichern.
  • Intermodalität stärken.
  • Voraussetzungen für neue Mobilitätsformen (z.B. Lufttaxis) schaffen.

Wohnstandort weiterentwickeln

Ein höherer Anteil von Wohnbevölkerung in einer Innenstadt trägt dazu bei, die Nachfrage nach Waren des täglichen Bedarfs, persönlichen Dienstleistungen und Gastronomie- und Freizeitangeboten zu stärken. Sie führt auch dazu, dass Straßen und Plätze auch in den Abendstunden belebt sind. Aufgrund ihrer Nähe zu vielen Arbeitsplätzen, der hervorragenden ÖPNV-Anbindung und der vielen herausragenden kulturellen Einrichtungen ist die Innenstadt ein attraktiver Wohnstandort, den es weiter zu stärken gilt.
Notwendige Maßnahmen hierzu sind:
  • Neues Wohnen in der Innenstadt etablieren.
  • Verbindliche Festschreibung eines maßvollen und verträglichen Anteils an Wohnnutzung.
  • Aufstockungen geeigneter Gebäude. Intelligente Lärmschutzkonzepte umsetzen, um Mischnutzung zu ermöglichen.
  • Wohnfolgeeinrichtungen vorausschauend planen und bedarfsgerecht umsetzen.

Kulturelle Funktion stärken und Freizeitangebote für alle bieten

Zukünftig muss die Hamburger Innenstadt für alle Generationen, Lebensstile und Bevölkerungsschichten einen hohen Freizeitwert bieten und dabei insbesondere auch kostenlose Freizeitangebote, Sportangebote und Verweilmöglichkeiten ohne „Verzehrzwang“ anbieten. Insbesondere einer attraktiven Bespielung von Plätzen und Straßen kommt eine hohe Bedeutung zu.
Notwendige Maßnahmen hierzu sind:
  • Innenstadt als Arena internationaler Sportveranstaltungen nutzen.
  • Innovative und attraktive Jugend-/Kinderspielplatzkonzepten mit Alleinstellungsmerkmalen umsetzen.
  • Potenziale für „Pocket-Parks“ prüfen.
  • Offene, niedrigschwellige und innovative Sport- und Bewegungsangebote für alle etablieren. 
  • Entwicklung/Erweiterung der Kunsthalle und ihres Umfeldes.
  • Interaktion der vorhandenen Kulturinstitutionen mit anderen Innenstadtakteuren befördern.
  • Bücherhalle zur „Bibliothek des 21. Jahrhunderts“ weiterentwickeln.
  • Entwicklung und Umsetzung des Science-Centers in der Innenstadt.
  • Konzept eines „Haus der digitalen Welt bzw. Wirtschaft“ (Digitalmuseum) umsetzen.
  • Klima- und Nachhaltigkeitszentrum aufbauen.
  • Ansiedelung des Naturkundemuseums/Evolutioneums im Innenstadtbereich.
  • Zusammenarbeit mit Kultur- und Kreativwirtschaft zur Schaffung neuer Besuchsanlässe intensivieren.
  • Schaffung und Vernetzung von unterschiedlichsten kulturellen Angebote in allen Quartieren der Innenstadt.

Anlässe für Aufenthalt und Austausch schaffen und verbessern

Öffentlichen Räumen haben im Stadtraum eine besondere Bedeutung und damit ist auch deren Gestaltung und Möglichkeit zur Nutzung essenziell. Die Anpassung von öffentlichen Räumen an die klimatischen Veränderungen ist unbedingt zu berücksichtigen, um Aufenthaltsqualität und Verweildauer zu optimieren. Neben der Gestaltung von öffentlichen Räumen, bedarf es auch der Schaffung von Anlässen, die einen Aufenthalt und Austausch in der Hamburger Innenstadt attraktiv machen.
Notwendige Maßnahmen hierzu sind:
  • Aufenthaltsqualitäten öffentlicher Räume steigern und durch regelmäßige Pflege langfristig sichern.
  • Binnenalster in ein Gesamtkonzept einbeziehen und bespielen.
  • Potenziale der vorhandenen Fleete stärker nutzen.
  • Kleinteilige Konzepte zur Bespielung von öffentlichen Räumen entwickeln.
  • Schaffung von mehr nicht-kommerziellen Attraktionen im öffentlichen Raum (umsonst und draußen).
  • Den Rathausmarkt durch Umgestaltung und Bespielung dauerhaft zu einem lebedigenen Ort machen.
  • Bürgerschaftshaus als öffentliches „Forum der Demokratie“ etablieren.
  • Unterschiedliche Räume für verschiedenste Bedürfnisse schaffen.
  • Einbindung der Eventbranche zur Weiterentwicklung von Ideen.
  • Freiraummanagement vereinfachen (Sondernutzungsgenehmigungen und deren Gebühren).
  • Historische Keimzelle Hamburgs sichtbar machen.
  • BID-Projekte fortführen und neu aufsetzen.

Attraktivität für Touristen erhöhen –  Gastronomie stärken

Vielfältige touristische und gastronomische Angebote sind für eine Stadt wie Hamburg ein wichtiger Standortfaktor. Es gilt neue touristische Konzepte aufzubauen, etablierte Reiseanlässe weiterzuentwickeln und neue Großveranstaltungen in Hamburgs Innenstadt zu etablieren. Neue gastronomische Konzepte und Bereiche für die Außengastronomie beleben öffentliche Räume, schaffen Besuchsanlässe und laden zum Verweilen und Genießen ein.
Notwendige Maßnahmen hierzu sind:
  • Aufbau eines repräsentativen Hamburg Visitor Center an zentraler Stelle.
  • Entwicklung und Umsetzung von App-geleiteten Rundgängen (z.B. „roter Faden“).
  • Aufbau einer internationale Digitalisierungsstrategie für den Tourismus.
  • Stärkung der Rolle des Eventausschusses als beratendes Gremium.
  • Informationen für Touristen (Digital, Beschilderung, Tourismusinformation etc.) konsequent mindestens zweisprachig anbieten.
  • Zusätzliche Liniengenehmigungen und Haltestellen für Stadtrundfahrten in der Innenstadt prüfen.
  • Zusätzliche Flächen im öffentlichen Raum für Außengastronomie.
  • Erlebnisgastronomie und kreative/innovative Gastronomiekonzepte unterstützen.
  • Potenziale von Messe und Kongresszentrum (CHH) in innenstadtnaher Lage mit hohen Besucherzahlen für die Innenstadt nutzen.

Innovationen initiieren und nachhaltiges Vorbild sein

Als Aushängeschild der ganzen Metropolregion und als ein wesentlicher Träger der Marke Hamburg, muss die Innenstadt im besonderen Maße für Zukunftsthemen, wie beispielsweise das Ziel Hamburg bis 2040 zu einer klimaneutralen Metropole zu machen, stehen. Deshalb gilt es, Projekte mit Vorbildcharakter zu initiieren, mit denen sich Hamburg in den kommenden Jahren auf den Zukunftsfeldern positioniert.
Notwendige Maßnahmen hierzu sind:
  • Neuvermarktung der Innenstadt als Ort mit Erlebnischarakter.
  • Positiven Wandel der Innenstadt als Impuls für die anderen Quartiere der polyzentralen Stadt Hamburg nutzen.
  • Klimawende vorbildhaft „fahren“ und Nachhaltigkeit der Angebote von Beginn an mitdenken.
  • Nachhaltigkeit als Alleinstellungsmerkmal aktiv vermarkten.
  • Inkubatoren schaffen und wissenschaftliche Einrichtungen in der Innenstadt ansiedeln.
  • Digitalisierung der Innenstadt vorantrieben.
  • Gemischt genutzten Flächen zu verschiedenen Tageszeiten erproben und etablieren.
  • Dachbegrünungs- und Solaranlagenprogramm aufsetzen.
  • Projekt Klimahaus als „Edutainment“-Einrichtung umsetzen.
  • Green-Building- und Green-City-Konzepte weiterentwickeln und umsetzen und so zur „European Green City“ werden.
  • Notwendige Voraussetzungen für 3D-Druckverfahren bei Bauprozessen und urbanen Produktionen schaffen.

Professionelles Transformationsmanagement einsetzen

Der Neuausrichtungsprozess der Hamburger Innenstadt bedarf eines professionellen Managements, welches die Gesamtentwicklung über alle Fachbereiche hinweg sicherstellt. Es muss die Aufstellung eines Masterplans für die Entwicklung der Innenstadt unter Berücksichtigung aller Funktionen vorantreiben und die Beteiligung/Einbindung aller Stakeholder sicherstellen. Es muss außerdem mit gezielten finanziellen Maßnahmen (Zwischenerwerb von Immobilien oder Finanzierung von innovativen Konzepten) steuernd und korrigierend eingreifen.
Notwendige Maßnahmen hierzu sind:
  • Aufbau einer PPP-Gesellschaft zur Entwicklung der Innenstadt.
  • Besetzung eines Gesamtsteuerungsgremiums mit Vertretern der Handelskammer.
  • Professionelles Management von Nutzungsmix und Leerstand. 
  • Masterplan für die Innenstadt unter Einbeziehung aller Stakeholder.
  • Priorisierung auf Grundlage einer umfassenden Analyse vornehmen.
  • Stärkung des „Bündnisses für die Innenstadt“.
  • Weiterentwicklung der vorhandenen BID-Strukturen.
  • Intensive Einbeziehung von Immobilienbesitzern.
  • Etablierung einer Prozessstruktur die sich kontinuierlich mit Innovationen und notwendigen Anpassungen der Innenstadt beschäftigt (Change-Management).
  • Trennung von Innenstadtmanagement und Vermarktung der Innenstadt zur Vermeidung von Interessenskonflikten
  • Vereinfachung und Optimierung von Steuerungsstrukturen (beispielsweise Genehmigungsverfahren im öffentlichen Raum).
  • Vermeidung von Doppel-/Polystrukturen, sondern Bündelung und Einbeziehung aller Stakeholder.

Für weitere notwendige Rahmenbedingungen sorgen

Neben den genannten Handlungsfeldern gibt es weitere Rahmenbedingungen, die für eine erfolgreiche Transformation der Hamburger Innenstadt einer Veränderung notwendig sind. Sie sind nicht standortspezifisch und bedürfen daher landes- oder bundespolitischer Initiative.
Notwendige Maßnahmen hierzu sind:
  • Beschleunigung von Bau- und Nutzungsgenehmigungen.
  • Klare Zuständigkeitszuweisungen zwischen dem Senat, Fachbehörden, und Bezirksamt.
  • Frühzeitige Kommunikation mit allen Stakeholdern und der breiten Öffentlichkeit und zu Wettbewerben für Zukunftsideen aufrufen.
  • Bauplanungs- und Bauordnungsrecht überarbeiten und anpassen, um Transformationsprozesse zu beschleunigen und zu erleichtern.
  • Ausbau der Betreuung von Randständigen in der City, um Interessenkollisionen vorzubeugen.
  • Stärkere Fokussierung auf maritime Themen in allen Bereichen.
  • Sondernutzungsgenehmigungen vereinfachen.