Recht

Auftraggeberhaftung nach dem Mindestlohngesetz

1. Einleitung

Das Mindestlohngesetz (MiLoG) enthält verschiedene Instrumente zur Sicherung der Gewährung des Mindestlohns. Ein für die Praxis absolut relevantes Sicherungselement ist die in § 13 MiLoG verankerte unmittelbare Haftung des Auftraggebers von Werk- bzw. Dienstleistungen für die Zahlung des Mindestlohns gegenüber den Arbeitnehmern, die sein Auftragnehmer zur Erbringung der vereinbarten Leistung einsetzt. Dadurch können große Haftungsrisiken auch für Unternehmen entstehen, die selbst sogar Löhne über dem gesetzlichen Mindestlohnniveau zahlen. Denn diese haften nunmehr nicht nur ihren eigenen Arbeitnehmern gegenüber für die Einhaltung des Mindestlohns, sondern sie haften auch - in gewissen Grenzen - für die Arbeitnehmer der von ihnen beauftragten Unternehmen.
Dieses Merkblatt gibt Ihnen einen Überblick darüber, wer vom Anwendungsbereich der Norm erfasst ist, in welchem Umfang gehaftet wird und welche Möglichkeiten zur Reduzierung des Haftungsrisikos es gibt.

2. Welche gesetzliche Grundlage gibt es für die Auftraggeberhaftung?

Das MiLoG selbst enthält gar keine eigenständige Haftungsregelung für Auftraggeber. Vielmehr wird in § 13 MiLoG auf die entsprechenden Grundsätze des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) verwiesen. Dort ist in § 14 AEntG geregelt, dass "ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt hat, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestentgelts [...] wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, haftet." Inwiefern auch die bisher entwickelten Leitlinien der Rechtsprechung zur Haftung des Auftraggebers gem. § 14 AEntG künftig für den § 13 MiLoG herangezogen werden können, bleibt abzuwarten.

3. Ist jeder Auftraggeber Haftungsadressat?

Nein, auch wenn der Wortlaut des § 14 AEntG dies nahezulegen scheint. Haftender Unternehmer im Sinne der Bürgenhaftung ist mit Rücksicht auf den Regelungszweck der Norm nur der Unternehmer, der sich seinerseits gegenüber seinem Vertragspartner zur Erbringung von Werk- und Dienstleistungen verpflichtet hat, und diese Pflicht nicht mit eigenen, sondern mit fremden Arbeitskräften erfüllen will oder kann. Man spricht vom sog. Generalunternehmer. Damit scheiden jedenfalls Privatleute aus der Haftung aus. Der Generalunternehmer haftet dagegen auch unabhängig von seiner Rechtsform als Auftraggeber. Auch Handwerker, Landwirte und freiberufliche Selbstständige fallen also unter die Haftung des § 14 AEntG, bzw. § 13 MiLoG.  
Begründet wird die Haftung damit, dass den erwähnten Generalunternehmern der wirtschaftliche Vorteil der Beauftragung von Nachunternehmern zugutekommt und sie deswegen auch für die Lohnforderungen der dort beschäftigten Arbeitnehmer einstehen sollen.

4. Wie weit reicht die Haftung?

Bei bloßer Betrachtung des Wortlauts von § 14 AEntG kann leicht der Eindruck entstehen, dass sich die Mindestlohnhaftung auf jede Art von Dienstleistungsunternehmen, das vom Auftraggeber/Unternehmer beauftragt wird, erstreckt. Denn nach dem klaren Wortlaut umfasst die Haftung grundsätzlich alle Werk- und/oder Dienstleistungen, mit deren Erbringung ein Unternehmer einen anderen Unternehmer beauftragt. Das würde in letzter Konsequenz aber dazu führen, dass der Unternehmer auch für den Gärtner, der das Betriebsgelände pflegt, oder den Bäcker, der die Brötchen für das Catering liefert, haftet. Dies ist nicht der Fall!
Der Wortlaut des  § 14 AEntG sollte daher mit folgender Ergänzung gelesen werden: Ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung seiner Werk- oder Dienstleistungen beauftragt hat, haftet...".
Das heißt: § 13 MiLoG iVm § 14 AEntG verbrieft keine umfassende Auftraggeberhaftung, sondern vielmehr nur die bereits erwähnte Generalunternehmerhaftung. Nur soweit ein Auftraggeber sich zur Erfüllung einer ihm selbst vertraglich obliegenden Verpflichtung zur Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen eines Subunternehmers bedient, haftet er auch. Wenn er lediglich einen Eigenbedarf befriedigt, also zB einen Gärtner zur Pflege des Unternehmensgeländes beschäftigt, so beauftragt er ihn gerade nicht in Erfüllung einer eigenen vertraglichen Leistungspflicht. Vereinfacht gesagt kann man sich vielleicht merken, dass stets nur auftragsabhängig gehaftet werden muss.
Die Haftung besteht für Ansprüche gegen die gesamte Nachunternehmerkette (sog. Kettenhaftung). Der Auftraggeber haftet also nicht nur für solche Arbeitnehmer, die mit dem Auftragnehmer in einem Arbeitsverhältnis stehen. Seine Haftung erstreckt sich auch auf alle von diesem Auftragnehmer eingesetzten Personen - also auch auf Leiharbeitnehmer oder Arbeitnehmer von Nachunternehmern, die der Auftragnehmer mit einzelnen Tätigkeiten betraut. Eine zahlenmäßige Begrenzung von denkbaren Nach- bzw. Subunternehmern sieht das Gesetz nicht vor. Dieser kaskadenartige Haftung sollten sich Unternehmer bei der Auswahl ihrer Subunternehmer bewusst sein.

5. Wie wird gehaftet?

Der Unternehmer haftet für die Zahlung des Mindestlohns gem. § 14 AEntG wie ein Bürge, wodurch die Vorschriften der §§ 765 ff. BGB Anwendung finden. Das macht die Auftraggeberhaftung zu einer verschuldensunabhängigen Garantiehaftung. Damit greift die Haftung selbst dann ein, wenn die Nichtleistung des Mindestlohns an die Arbeitnehmer für den Auftraggeber weder erkennbar noch vermeidbar war. Hinzu kommt noch, dass die Arbeitnehmer sich direkt an den Auftraggeber wenden können, wenn ihnen der Mindestlohn nicht gezahlt wurde. Sie müssen vorab keine erfolglose Zwangsvollstreckung gegen den Auftragnehmer, d.h. ihren eigenen Arbeitgeber, versucht haben. Der Auftraggeber haftet also nicht erst subsidiär, sondern wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat.
Analog zum Bürgenausgleich kann der Auftraggeber sich, wenn er tatsächlich direkt von einem Arbeitnehmer auf Zahlung des Mindestlohns in Anspruch genommen wird, wiederum an den Auftragnehmer wenden und diesen intern in Regress nehmen.
Bisher nicht abschließend geklärt ist die Frage, inwieweit der Auftraggeber gem. § 14 AEntG haftet, wenn der Nachunternehmer insolvent ist. Sofern man nur auf den Wortlaut des § 14 S.1 AEntG abstellt, wird man eine vollumfängliche Haftung des Auftraggebers in diesem Falle wohl bejahen können. Deswegen sollte gründlich überlegt werden, wie das Risiko des Insolvenzfalls bereits vor Vertragsschluss durch eine sorgfältige Auswahl des Nachunternehmers minimiert werden kann. Gerichtlich hat die Einstandspflicht des Auftraggebers nach dem AEntG jedoch schon eine Einschränkung erfahren: jedenfalls dann, wenn die Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld zahlt, erlischt der Anspruch aus § 14 AEntG im Umfang dieser Zahlung. Für alles Weitere bleibt die Auslegung des Ausfallrisikos durch die Rechtsprechung abzuwarten.

6. Welchen Umfang hat die Haftung?

Der Haftungsumfang nach § 13 MiLoG lässt sich wiederum mithilfe des § 14 S. 2 AEntG bestimmen. Das vom Auftraggeber zu leistende Mindestentgelt umfasst danach grundsätzlich nur das Nettoentgelt. Als Nettoentgelt iSv § 14 S. 2 AEntG gilt der nach dem für den betreffenden Arbeitnehmer maßgeblichen Steuer- und Sozialversicherungsrecht zur Auszahlung verbleibende Betrag des Mindestentgelts. Nur für den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt für tatsächlich geleistete Arbeit muss also gehaftet werden. Damit sind sowohl Annahmeverzugslohnansprüche als auch Ansprüche auf Verzugszinsen wegen verspäteter Lohnzahlung nicht von der Haftung umfasst.

7. Welche Möglichkeiten zur Reduzierung des Haftungsrisikos gibt es?

Da der Arbeitgeber die Vergütungshaftung vertraglich nicht generell ausschließen kann, sollten Unternehmen geeignete Maßnahmen ergreifen, um das Haftungsrisiko zu minimieren und einem Bußgeld entgegenzuwirken. 
Bereits vor Vertragsabschluss sollte die Auswahl des zu beauftragenden Unternehmens besonders gewissenhaft erfolgen und etwa überprüft werden, ob konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Auftragnehmers in der Vergangenheit vorliegen. Weiterhin kommt die Einholung einer schriftlichen Verpflichtungserklärung des Auftragnehmers, dass er den Mindestlohn zahlen werde, in Betracht. In der Vertragsgestaltung ist die Einführung vertraglicher Prüf- und Kontrollrechte (etwa durch Vorlage der Lohnabrechnungen, oä) sinnvoll. Darüber hinaus kann darüber nachgedacht werden, eine Haftungs-Freistellungserklärung des Auftragnehmers und/oder einen Zustimmungsvorbehalt des Auftraggebers für die Beauftragung von Nachunternehmern vertraglich zu verankern. Auch ein (außerordentliches) Kündigungsrecht des Auftraggebers sowie eine Vertragsstrafe für den Fall, dass der Auftragnehmer den geschuldeten Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig vergütet, könnte ratsam sein. Während der Durchführung des Vertragsverhältnisses sollte der Auftraggeber dann den Auftragnehmer um Informationen bitten, sofern Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den gesetzlichen Mindestlohn bekannt werden. Formvorschriften für diese Vereinbarungen gibt es nicht - hier sind die Parteien in der Gestaltung also frei.
Grundsätzlich sollte jedoch unbedingt beachtet werden, dass derartige Vereinbarungen nicht dazu dienen sollen, Haftungsrisiken auf Vertragspartner zu übertragen und diese dadurch unbillig zu benachteiligen. Wie weit eine solche Vereinbarung nach Einführung des MiLoG überhaupt wirksam ist, ist im Übrigen rechtlich nicht für jeden Einzelfall abschließend geklärt. Sollten Sie selbst eine solche Vereinbarung mit Ihren Geschäftspartnern abschließen wollen, sollten Sie sich daher unbedingt von einem erfahrenen Rechtsbeistand beraten lassen und sich dabei immer kritisch überlegen, wie eine für beide Vertragsparteien angemessene Vereinbarung aussehen kann. Wenn Sie Adressat einer solchen Vereinbarung sein sollten, sollten Sie sich im Zweifel ebenfalls rechtlichen Rat einholen, bevor Sie eine solche Vereinbarung abschließen. Es besteht die Gefahr, dass solche Vereinbarungen zu weit gefasst sind und deshalb erhebliche Nachteile nach sich ziehen.

8. Beratungsangebote von Arbeitgeberverbänden

Bitte beachten Sie, dass dieses Merkblatt nur einen groben Überblick geben kann und daher keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit hat, obwohl es mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde. In arbeitsrechtlichen Fragen gibt es außerdem eine gesetzlich vorgegebene Arbeitsteilung zwischen unserer Handelskammer und den Arbeitgeberverbänden. Wir können Ihnen allgemeine Fragestellungen summarisch beantworten. Sobald Sie jedoch verbindliche Auskünfte oder prozessuale Unterstützung benötigen, sollten Sie die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband in Erwägung ziehen. Unabhängig von konkreten Fragestellungen kann Ihnen die Einbindung in einen Arbeitgeberverband hilfreiche Informationsvorteile bieten.
Darüber hinaus können Sie sich auch an eine Rechtsanwältin/einen Rechtsanwalt wenden. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer hat einen kostenlosen Anwalt-Suchdienst eingerichtet und benennt Ihnen bis zu drei Anwälte mit dem gewünschten Interessenschwerpunkt (Tel.: 3574410, Montag bis Freitag von 09:30 Uhr bis 14:00 Uhr).

9. Bürgertelefon des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Mindestlohn  

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat ein Bürgertelefon zum Thema Mindestlohn eingerichtet, welches unter der Rufnummer 030 60280028 von Montag bis Donnerstag in der Zeit von 8 Uhr bis 20 Uhr erreichbar ist.
Hinweis: Diese Informationen sollen Ihnen nur erste Hinweise geben und erheben daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl sie mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurden, kann eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden.