Recht und Steuern

A1 Nr. 102

A1 Nr. 102 - Art. 2 Abs. 1GG, §§ 33, 39 BGB, § 1027 ZPO a.F. - Schiedsklausel in Vereinssatzung
Die in einer Vereinssatzung enthaltene Schiedsklausel wirkt nicht gegenüber einem Mitglied, wenn sie erst nach dessen Beitritt in die Satzung aufgenommen wurde und das Mitglied dieser Satzungsänderung nicht zugestimmt hatte. Die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft nach dieser Satzungsänderung gilt nicht ohne weiteres als Zustimmung. Zwar bietet das Vereinsrecht jedem Mitglied durch § 39 BGB die Möglichkeit, aus dem Verein auszutreten und sich damit der Vereins-Schiedsgerichtsbarkeit zu entziehen. Der Austritt ist aber jedenfalls dann keine zumutbare Alternative zum Verzicht auf den Zugang zum staatlichen Gericht, wenn das Mitglied bei der Ausübung seines Berufes oder Gewerbes auf die Mitgliedschaft angewiesen ist.
BGH Urteil vom3.4.2000 – II ZR 373/98 NJW 2000, 1713 = SpuRt 2000, 153 = RKS A 1 Nr. 102
Aus den Gründen:
Für die Beurteilung einer Schiedsklausel aus der Zeit vor dem 1.1.1998 gelten gemäß Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22.12.1997 (BGBl. I 1997, 3224) die §§ 1025 ff. ZPO in der bis zum 31.12.1997 in Kraft gewesenen Fassung (”a.F.–).
§ 1048 ZPO a.F. ist zwar im Grundsatz auf Schiedsklauseln in Satzungen von Vereinen und anderen juristischen Personen des Privatrechts entsprechend anwendbar (BGHZ 38, 155 = NJW 1963, 203 = LM § 1027 ZPO Nr. 4; BGHZ 48, 35 = NJW 1967, 2057 =LM § 13 GVG Nr. 105; Senat, LM § 199 AktG Nr. 1 = MDR 1951, 674; vgl. schon RGZ 153, 267 und RGZ 165, 140). Dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit, dem im Bereich vertraglicher Schiedsabreden § 1027 ZPO a.F. u.a. Rechnung tragen soll, ist durch die satzungsmäßige Form im Regelfall ausreichend Genüge getan. Sie gewährleistet im Allgemeinen ebenso wie die Form des § 1027 ZPO a.F. die Nachprüfbarkeit des Gegenstandes der Schiedsgerichtsbarkeit, ihrer näheren Ausgestaltung, der Personen der Beteiligten und der Ernsthaftigkeit des Willens zur Unterwerfung unter die Entscheidung eines privaten Schiedsgerichts.
Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass ein Vereinsmitglied ohne weiteres auch einer erst nach seinem Beitritt ohne seine Zustimmung durch satzungsändernden Mehrheitsbeschluß eingeführten Schiedsgerichtsklausel unterworfen werden kann. Das Recht auf Zugang zu den staatlichen Gerichten, das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt, und das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) haben Verfassungsrang. Zwar ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, die Schiedsgerichtsbarkeit für Sachgebiete zuzulassen, bei denen die streitenden Parteien berechtigt sind, über den Streitgegenstand einen Vergleich zu schließen. Sie ist insoweit Ausfluß des in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Grundrechts der Handlungsfreiheit und Privatautonomie (Achterberg, in BK-GG, Art. 92 Rd-Nrn. 173 ff m.w.Nachw.; Heyde, Hdb. des VerfassungsR, 2. Aufl. 1994, S. 1579, 1596; vgl. auch BGHZ 65, 59 [61] = NJW 1976, 109 = LM § 1041 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Nr. 14). Dieses Grundrecht verlangt jedoch, dass die Unterwerfung unter die Schiedsklausel und der damit verbundene Verzicht auf die Entscheidung eines staatlichen Rechtsprechungsorgans grundsätzlich auf demfreien Willen des Betroffenen beruhen. Die Formvorschrift des § 1027 a.F. soll, indem sie dem Betroffenen die Tragweite seiner Erklärung möglichst nachhaltig und eindringlich vor Augen führt, dementsprechend sicherstellen, dass der Verzicht auf die Entscheidung staatlicher Gerichte und auf den gesetzlichen Richter zu Gunsten eines privaten Schiedsgerichts bewußt und freiwillig erfolgt.
Diesen Voraussetzungen dürfte zwar in Bezug auf diejenigen Vereinsmitglieder Genüge getan sein, die der Satzungsänderung zugestimmt haben. Bei einer ordnungsmäßig durchgeführten Satzungsänderung kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass das betreffende Vereinsmitglied ausreichende Möglichkeiten hatte, sich bewußt und mit der nötigen Ernsthaftigkeit mit der Regelung auseinanderzusetzen, bevor es ihr seine Zustimmung erteilte. Anders verhält es sich dagegen bei denjenigen Mitgliedern, die der Satzungsänderung nicht zugestimmt haben. Sie haben gerade keine freiwillige Entscheidung für die Unterwerfung unter eine private Schiedsgerichtsbarkeit getroffen und damit nicht aus eigenem Willen auf den Zugang zu den staatlichen Gerichten und aufden gesetzlichen Richter verzichtet. Der Verzicht wurde ihnen vielmehr gegen ihren Willen von der Mehrheit aufgezwungen. Ein freiwilliger Verzicht könnte bei ihnen allenfalls indirekt in der Aufrechterhaltung ihrer Mitgliedschaft trotz Bestehens der Möglichkeit, der Unterwerfung durch Austritt aus dem Verein zu entgehen, gesehen werden.
Bei Vereinen, deren Mitglieder frei und unabhängig von wirtschaftlichen, sozialen oder sonstigen faktische Sachzwänge auslösenden Umständen darüber entscheiden können, ob sie in einem Verein verbleiben oder austreten, bietet das Vereinsrecht in § 39 BGB nicht nur rechtlich und unabdingbar, sondern darüber hinaus faktisch jedem Vereinsmitglied die Möglichkeit, aus dem Verein auszutreten. Jedes Vereinsmitglied kann sich damit bei derartigen Vereinen der Unterwerfung unter die Schiedsgerichtsbarkeit entziehen. Allerdings kann auch dann, wenn das Vereinsmitglied auf die Mitgliedschaft nicht angewiesen ist, der Austritt unter Umständen ein schwerer, mit belastenden Folgen verbundener Schritt sein. Die Frage, ob gleichwohl die Möglichkeit des Vereinsaustritts in ausreichendem Maße die Freiwilligkeit des Verzichts auf den Zugang zu den staatlichen Gerichten und auf den gesetzlichen Richter ersetzen kann, braucht hier indes nicht entschieden zu werden.
Für die Mitglieder des beklagten Tierzuchtvereins besteht nämlich diese Freiheitbereits vom Ansatz her nicht, weil er die Rassekennzeichen vergibt, das Zucht-und das Körbuch führt und der Kläger als Züchter auf die Mitgliedschaftangewiesen ist. Der Vereinsaustritt kann für den Kläger nicht als zumutbare Alternative zum Verzicht auf den Zugang zu den staatlichen Gerichten und auf den gesetzlichen Richter gelten; der Kläger würde sich damit der Möglichkeit begeben, Deutsche Schäferhunde zu züchten und mit ihnen an Meisterschaften und Ausstellungen teilzunehmen (vgl. Senat, NJW-RR 2000, 758 = DStR 2000, 289 m.w.Nachweisen).