Recht und Steuern

A1 Nr. 172

A 1 Nr. 172

§ 1055 ZPO - Umfang der Rechtskraft eines Schiedsspruchs, Vorfrage. Auslegung und Reichweite einer Schiedsvereinbarung

1. Die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung verbietet eine erneute Verhandlung über denselben Streitgegenstand, d.h. über Anträge, die auf Rechtsfolgen gerichtet sind, über die entschieden wurde. Das gilt auch für einen Schiedsspruch; denn er hat zwischen den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils.
2. Eine erneute Klage ist nicht ausgeschlossen, soweit das (Schieds-)Gericht nur über eine Vorfrage entschieden hat.
3. Die tatrichterliche Auslegung einer Schiedsabrede unterliegt nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung darauf, ob die allgemeinen Auslegungsregeln, Denkgesetze und Erfahrungssätze eingehalten wurden. Nachprüfbar ist ─ wie bei tatrichterlichen Auslegungen generell ─ auch, ob die für die Auslegung erheblichen Umstände umfassend gewürdigt worden sind. Das ist nicht der Fall, wenn die Verhandlungen, die zur endgültigen Fassung der Schiedsabrede führten, unberücksichtigt blieben.

BGH Urt.v. 13.1.2009 – XI ZR 66/08; MDR 2009, 398 = WM 2009, 402 = RKS A 1 Nr. 172

Aus dem Sachverhalt:

Der Kläger erwarb einen 5/120-Anteil an der am 24.11.1994 gegründeten ”GbR Immobilienfonds H”. Zur Finanzierung nahm er, ebenso wie die anderen Gesellschafter, ein Darlehn der beklagten Bank . Am 14./20.1.1997 schlossen die GbR-Gesellschafter einen Schiedsvertrag. Darin heisst es u.a.:
„Die Parteien streiten darüber, ob die Vertragsabschlüsse bzw. die Vergabe der Darlehn ordnungsgemäß erfolgt sind und – wenn nicht – welche Konsequenzen sich daraus für die einzelnen Darlehnsverträge der Gesellschaft ergeben. Diese Streitigkeiten und die sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen sollen zwischen den Gesellschaftern –und (der Beklagten) unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs durch ein Schiedsgericht entschieden werden.”
Die Gesellschafter der GbR, darunter der Kl., machten vor dem Schiedsgericht geltend, die Bekl. habe bei der Darlehensvergabe gegenüber zwei Gesellschaftern auf Selbstauskünfte gem. § 18 KWG verzichtet und dadurch den Wettbewerb mit der I.-Bank für sich entschieden. Das Kreditangebot der I.-Bank hätte gegenüber dem von der Bekl. gewährten Darlehn einen Gesamtvorteil von 959.000 DM gehabt. Sie beantragten u.a., die Bekl. zu verurteilen, an die Kl. 959.000 DM zu zahlen. Das Schiedsgericht wies die Klage durch Schiedsspruch vom 12.5.1997 als unbegründet ab, weil die Voraussetzungen aller von den Kl. geltend gemachten und sonst in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen nicht erfüllt seien. Die Darlehensverträge seien wirksam. Im vorliegenden Verfahren macht der Kl. einen Verstoß des Darlehnsvertrages gegen § 4 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 d und e Verbraucherkreditgesetz geltend und verlangt u.a. Erstattung des nicht ausgezahlten Disagios von 23.647 – und Erstellung einer Abrechnung, die den Anforderungen des VerbrKrG entspricht und berücksichtigt, dass der Darlehnsvertrag wegen fehlender Angabe des effektiven Jahreszinses und des Normalzinssatzes gegen das VerbrKrG verstößt und deshalb von einem Zinssatz von 4% auszugehen ist. Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat ihr mit dem Hauptantrag stattgegeben. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung des Kl. als unzulässig.
Aus den Gründen:
1. Die Klage ist unzulässig. Rechtsfehlerfrei ist allerdings die Auffassung des Berufungs-gerichts, die Rechtskraft des Schiedsspruchs stehe der Zulässigkeit der vorliegenden Klage nicht entgegen (a.A. OLG Karlsruhe WM 2008, 1854 = RKS A 1 Nr. 162; OLG Frankfurt Urt. V.16.3.2007 – 24 U 113/06). Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH verbietet die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung eine erneute Verhandlung über denselben Streitgegenstand. Unzulässig ist deshalb eine erneute Klage, deren Streitgegenstand mit dem eines rechtskräftig entschiedenen Rechtsstreits identisch ist (BGH 19.11.2003 – VIII ZR 60/03 BGHZ 157, 47 [50]; Zöller/Vollkommer ZPO 27. Aufl., vor § 322 Rz. 19; jeweils m.w.N.). Auch der Schiedsspruch vom 12.5.1997 hat zwischen den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils (§ 1055, 322 Abs. 1 ZPO; § 10 Nr. 2 des Schiedsvertrages vom 14./20. 1.1997). ..
Der im vorliegenden Verfahren gestellte, auf § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gestützte Antrag, die Bekl. zur Rückzahlung des Disagios von 23.647 – zu verurteilen, hat einen anderen Streitgegenstand als der mit der Schiedsklage verfolgte Antrag auf Zahlung von 959.000 DM (wird ausgeführt).
Die übrigen im vorliegenden Verfahren gestellten Anträge betreffen andere Streitgegenstände als der Schiedsspruch, weil sie auf Rechtsfolgen gerichtet sind, über die durch den Schiedsspruch nicht entschieden worden ist. Sie verfolgen zwar ein vergleichbares Klageziel wie der Antrag im Schiedsverfahren, nämlich die Herabsetzung des Darlehnszinses. Das genügt aber nicht, um einen einheitlichen Streitgegenstand anzunehmen. Der im vorliegenden Verfahren gestellte Antrag, die Bekl. zu verurteilen, nach bestimmten Maßgaben eine Neuabrechnung des Darlehnsvertrages zu erstellen, ist auf eine Rechtsfolge gerichtet, über die das Schiedsgericht gar nicht entschieden hat. Im Schiedsverfahren hat der Kl. keine Neuberechnung begehrt. ...
2. Dass das Schiedsgericht den vom Kl. geschlossenen Darlehnsvertrag in den Entscheidungsgründen als wirksam bezeichnet hat, steht der Zulässigkeit der vorliegenden Klage schon deshalb nicht entgegen, weil das Schiedsgericht damit lediglich über eine Vorfrage entschieden hat und der Schiedsspruch insoweit nicht der Rechtskraft fähig ist (BGH 25.2.1985 – VIII ZR 116/84 BGHZ 94, 29 [32 f.] = MDR 1985, 574; 16.10.1995 – II ZR 298/94 BGHZ 131, 82 [86] = MDR 1996, 247; 26.6.2003 –I ZR 269/00 MDR 2003, 1247 = NJW 2003 3058).
3. Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Schiedseinrede gem. § 1032 Abs. 1 ZPO stehe der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen, weil die Schiedsabrede gegenständlich auf die konkreten Streitigkeiten, die zu dem Schiedsverfahren geführt haben, beschränkt sei. Die tatrichterliche Auslegung einer Schiedsabrede unterliegt allerdings nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung darauf, ob die allgemeinen Auslegungsregeln, Denkgesetze und Erfahrungssätze eingehalten worden sind (BGH 12.1.2006 – III ZR 214/05 BGHZ 165, 376 [379] = MDR 2006, 646 = RKS A 1 Nr. 142).Nachprüfbar ist, wie bei tatrichterlichen Auslegungen generell, auch, ob die für die Auslegung erheblichen Umstände umfassend gewürdigt worden sind (BGH 29.3.2000 – VIII ZR 297/98 MDR 2000, 968 = NJW 2000, 2508, 2509). Dieser Überprüfung hält die Auslegung des Berufungsgerichts nicht stand. Sie lässt wesentliche Umstände, nämlich die Verhandlungen, die zur endgültigen Fassung des Schiedsvertrages geführt haben, unberücksichtigt. Die unter Berücksichtigung dieser Umstände durch den Senat (BGH 4.10.2001 –III ZR 281/00 NJW-RR 2002, 387 = RKS A 1 Nr. 115) vorzunehmende Auslegung ergibt, dass der vorliegende Rechtsstreit von dem Schiedsvertrag erfasst wird (OLG Karlsruhe WM 2008,1854 [1856] = RKS A 1 Nr. 162).
Nach dem mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts im Revisionsverfahren zugrundezulegenden Vortrag des Kl. hat der von der Bekl. benannte Schiedsrichter zunächst einen Vertragsentwurf vorgelegt, der dem Schiedsgericht alle Streitigkeiten aus dem Darlehnsvertrag zuwies. Nach Ablehnung dieses Entwurfs durch die Parteien habe die Streithelferin des Kl. nach telefonischer Rücksprache mit der Bekl. einen neuen Entwurf vorgelegt. Dieser habe nur den Streit darüber erfasst, ob mit dem Verzicht auf eine Offenlegung der persönlichen Verhältnisse zweier Gesellschafter gegen das UWG verstoßen worden sei und welche Konsequenzen sich daraus für die Gesellschafter der GbR ergäben. Die Bekl. habe aber die Verletzung des KWG nicht in den Schiedsvertrag aufnehmen wollen und vorgeschlagen, die Funktion des Schiedsgerichts nicht vom Gesetzesverstoß, sondern von der Rechtsfolge her zu begrenzen. Nachdem auch ihr Vorschlag, den Anspruch auf vorzeitige Vertragsaufhebung ohne Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung zum Gegenstand des Schiedsvertrages zu machen, abgelehnt worden sei, hätten die Parteien sich auf den Schiedsvertrag in der vorliegenden Fassung geeinigt. Dieses Zustandekommen des Schiedsvertrages spricht dafür, dass er seinem von den Parteien gewählten Wortlaut entsprechend die Ordnungsgemäßheit der Abschlüsse der Darlehnsverträge und die Rechtsfolgen fehlender Ordnungsgemäßheit insgesamt erfasst und nicht auf bestimmte Einzelfragen begrenzt ist. Die Parteien haben den Vertragsentwurf, der die Zuständigkeit des Schiedsgerichts auf Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht und das KWG begrenzte, ausdrücklich verworfen und stattdessen einen Schiedsvertrag geschlossen, der diese Beschränkung nicht enthält. Außerdem haben sie durch ihr späteres vom Berufungsgericht rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassenes Verhalten, das für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das Verständnis der an dem Schiedsvertrag Beteiligten von wesentlicher Bedeutung ist (BGH 16.10.1997 – IX ZR 164/96 MDR 1998, 113 = WM 1998, 2305 f.; 6.7.2005 – VIII ZR 136/04 MDR 2006, 19 = WM 2005, 1895 [1897]) zum Ausdruck gebracht, dass sie den geschlossenen Schiedsvertrag nicht im Sinne einer solchen Begrenzung verstanden haben. Die Gesellschafter der GbR haben das Schiedsgericht keineswegs nur wegen eines Verstoßes gegen das UWG und das KWG, sondern auch wegen einer unzulänglichen Beratung durch die Bekl. angerufen. Auch das Schiedsgericht hat den Schiedsvertrag weit ausgelegt und die Wirksamkeit der Darlehnsverträge nicht nur gem. § 1 UWG und § 18 KWG, sondern umfassend geprüft. Dabei hat es die §§ 134, 138, 306 und 826 BGB sowie Ansprüche gem. §§ 280, 325 BGB und wegen Verschulden bei Vertragsverhandlungen sowie positiver Vertragsverletzung ausdrücklich behandelt. Darüber hinaus hat es sich auch an der Prüfung möglicher weiterer Anspruchsgrundlagen nicht gehindert gesehen, sondern ausgeführt, solche seien nicht erkennbar. Gegen diese umfassende Prüfung haben die Parteien keine Einwände erhoben. Die Bekl. hat die Einrede des Schiedsvertrages in allen Instanzen (vgl. hierzu: BAG 30.9.1987 – 4 AZR 233/87 BAGE 56, 179 [184 ] = MDR 1988, 259) vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache erhoben (§ 1032 Abs.1 ZPO). –