Recht und Steuern

A1 Nr. 164

A 1 Nr. 164

§§ 485, 490, 493, 571 Abs. 2 S. 2, 1033 ZPO - Prüfung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte im Beschwerdeverfahren. Selbständiges Beweisverfahren gem. § 485 ZPO und einstweilige Verfügung trotz Vereinbarung ausländischer Schiedsgerichtsbarkeit und Rechtsordnung (hier: Korea)?
1. Nach § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO kann die Beschwerde nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Dies gilt nicht für die internationale Zuständigkeit.
2. Für ein selbständiges Beweisverfahren und eine damit in Zusammenhang ergangene einstweilige Verfügung ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht gegeben, wenn die Parteien in dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis ein ausländisches Schiedsgericht und die Geltung ausländischen Rechts vereinbart haben.
3. Trotzdem können ausnahmsweise deutsche Gerichte für Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes – z.B. den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Unterbindung von Markenverletztungen – zuständig sein, wenn anders ein wirksamer Rechtsschutz nicht gewährleistet werden kann.
4. In solchen Fällen ist aber zu berücksichtigen, dass das selbständige Beweisverfahren gem. § 487 ZPO nur die Beweissicherung für einen künftigen Rechtsstreit bezweckt, in dem das Beweisergebnis (z.B. ein Sachverständigengutachten) gem. § 493 ZPO verwendet werden kann, und dass das Verfahren funktionslos würde, wenn ein solcher Rechtsstreit vor deutschen Gerichten mangels internationaler Zuständigkeit – etwa wegen der Vereinbarung ausländischer Schiedsgerichtsbarkeit und ausländischen Rechts – nicht stattfinden kann. Dasselbe gilt, wenn das in dem Beweisverfahren erstattete Sachverständigengutachten zwar in einem ausländischen Rechtsstreit der Parteien verwendbar werden könnte, in diesem aber allenfalls die Bedeutung eines Parteigutachtens haben würde.
5. Dass die Parteien von ihrer Vereinbarung einer ausländischen Rechtsordnung und Schiedsgerichtsbarkeit selbständige Beweisverfahren ausnehmen wollten, soweit der Beweis im Inland zu erheben ist, ist nicht ohne weiteres anzunehmen.
6. Nach § 1033 ZPO schließt eine Schiedsvereinbarung nicht aus, dass ein staatliches Gericht eine vorläufige oder sichernde Maßnahme in Bezug auf den Streitgegenstand des Schiedsverfahrens trifft. Diese Vorschrift begründet aber nicht die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts, sondern setzt sie voraus.
7. § 490 Abs. 2 ZPO, wonach die Beweisanordnung im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nicht, auch nicht hinsichtlich der Annahme der Zuständigkeit des Gerichts, überprüft werden kann, gilt nicht für die internationale Zuständigkeit. Diese ist Grundlage des Verfahrens und bestimmt die Entscheidungsbefugnis in sämtlichen Verfahrensabschnitten.
OLG Düsseldorf Beschl.v. 7.2.2008 - I-20 W 152/07; Zeitschrift für Schiedsverfahrensrecht 2008, 258 = RKS A 1 Nr. 164
Aus dem Sachverhalt:
Die Antragstellerin schloss im Jahre 2000 mit der Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin u.a. einen Lizenz- und einen Liefervertrag über eine Anlage zur Herstellung von Schaumstoff. Der Lizenzvertrag enthält in Art. 9 eine Geheimhaltungs- und in Art. 16 eine Rechtsanwendungs- und Schiedsklausel. Nach Lieferung der Anlage Anfang 2001 erfuhr die ASt. im Jahre 2004, dass die AGg. eine zweite Anlage aufbaute. Die ASt. hatte den Verdacht, dass dies gegen Art. 9 des Lizenzvertrages und das darin geregelte Nachbauverbot verstoße. Die AGg. bestritt dies.
Auf Antrag der ASt. beschloss das LG am 20.2.2007 im selbständigen Beweisverfahren die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens über bestimmte technische Merkmale des angeblichen Nachbaus und verpflichtete die AGg. durch einstweilige Verfügung, die Besichtigung durch den Sachverständigen zu dulden. Mit dem angefochtenen Beschluss entschied das LG ferner, dass das Gutachten nur teilweise an die ASt. ausgehändigt werden dürfe. Hiergegen wendet sich die AGg. mit der sofortigen Beschwerde; die internationale Zuständigkeit des LG sei nicht gegeben, und das Gutachten dürfe überhaupt nicht an die ASt. ausgehändigt werden.
Aus den Gründen:
Die sofortige Beschwerde ist zulässig ....und begründet. Das LG Düsseldorf ist nämlich international nicht zuständig für die Anordnung und Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens und den begleitenden Erlass der einstweiligen Verfügung. Wegen der fehlenden internationalen Zuständigkeit besteht jedenfalls dann keinerlei anerkennenswertes Interesse der ASt. an der Herausgabe des Gutachtens, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Parteien umfänglich über das Bestehen von Geheimhaltunginteressen auf Seiten der AGg.
streiten. Bei nach Auffassung des Senats verfahrensmäßig ordnungsmäßigem Vorgehen hätte das Gutachten mangels internationaler Zuständigkeit des LG überhaupt nicht eingeholt werdn dürfen.
1. Der Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Beschwerdeverfahren steht § 571 Abs. 21 S. 2 ZPO nicht entgegen. Danach kann die Beschwerde zwar nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Diese Regelung gilt aber nicht für die internationale Zuständigkeit. Entsprechend hat der BGH zu der gleichlautenden Bestimmung für das Revisionsverfahren in § 545 Abs. 2 ZPO entschieden (BGHZ 153, 82). Für § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO kann nichts anderes gelten, weil auch hier dieselben Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, die für die Unanwendbarkeit des § 545 Abs. 2 ZPO sprechen. Insbesondere entscheidet auch im vorliegenden Zusammenhang die internationale Zuständigkeit – anders als die örtliche, sachliche, funktionelle und ähnliche innerstaatliche Zuständigkeit – über das Verfahrensrecht, dem der Rechtsstreit unterliegt (vgl. BGH aaO.).
2. Der internationalen Zuständigkeit der deutschen Schiedsgerichte steht die Schiedsabrede der Parteien entgegen. Letztere haben in Art. 16 des Lizenzvertrages vereinbart, dass die Lizenzvereinbarung „den Gesetzen der Republik Korea” unterliegen solle, und bei Streitigkeiten die Zuständigkeit der koreanischen Schlichtungsstelle für Handelsfragen bestimmt.
Trotz des nicht ganz klaren Wortlauts der Vertragsbestimmung besteht Einigkeit der Parteien darüber, dass von der Schiedsabrede grundsätzlich auch Streitigkeiten der hier in Rede stehenden Art, also solche über die Einhaltung des Nachbauverbots in Art. 9 des Vertrages erfasst sein sollten. Damit ist für derartige Fälle die Zuständigkeit des koreanischen Schiedsgerichts vereinbart, das materiell nach koreanischem Recht zu entscheiden hat.
Ob daneben auch eine Zuständigkeit der staatlichen Gerichte, ggf. welchen Landes, gegeben sein sollte, ist der Vereinbarung nicht eindeutig zu entnehmen. Jedenfalls aber ist Kern der Schiedsklausel, dass Streitigkeiten durch die vereinbarte Schlichtungsstelle beigelegt werden sollen. Das schließt grundsätzlich auch die Tatsachenfeststellung und den Erlass vorläufiger Maßnahmen ein. Der einleitende Satz des Art. 16 spricht zudem wegen seiner weiten Fassung dafür, dass allenfalls eine Zuständigkeit koreanischer und nicht deutscher staatlicher Gerichte in Betracht gezogen wurde. Es ist dort nämlich in allgemeiner Form davon die Rede, dass die Lizenzvereinbarung „den Gesetzen der Republik Korea” unterliege. Das wird zwar in erster Linie auf die Anwendung des materiellen Rechts abzielen, spricht wegen seiner sehr weiten und einschränkungslosen Nennung der koreanischen „Gesetze” indes dafür, dass die Parteien auch in verfahrensmäßiger Hinsicht über die nachfolgende Schiedsabrede hinaus bei Streitigkeiten von einer Auseinandersetzung in Korea ausgingen.
3. Gleichwohl kann einiges dafür sprechen, in bestimmten Situationen deutsche Gerichte für Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes als zuständig anzusehen, wenn anders ein effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet werden kann. So hat das OLG Köln seine Zuständigkeit für Eilmaßnahmen trotz an sich anders lautender Schiedsklausel bejaht (12.4.2002 - 6 U 142/01- GRUR-RR 2002, 309 = OLGR Köln 2002, 392). Das OLG Nürnberg räumt degegen dem Parteiwillen einen größeren Stellenwert ein und hält eine derogierende Wirkung der Vereinbarung eines ausländischen Schiedsgerichts für möglich (IPRax 2006, 468 = RKS A 1 Nr. 163).
Aber auch wenn man mit dem OLG Köln auf den Grundgedanken des vorläufigen Rechtsschutzes und seine ihm immanente Eilbedürftigkeit der zu treffenden Maßnahme abstellt, begründet dies unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht die Zuständigkeit der deutschen Gerichte neben derjenigen koreanischer Stellen. Dabei spielt die Art der hier in Rede stehenden sichernden Maßnahme eine maßgebliche Rolle. Es geht – anders als im Fall des OLG Köln – nicht um den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Unterbindung von Markenverletzungen, sondern um die Einleitung und Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, verbunden mit einer gleichzeitig erlassenen einstweiligen Verfügung mit dem Zweck, die Durchführung der Begutachtung sicherzustellen.
4. Das selbständige Beweisverfahren der §§ 485 ff. ZPO dient der Sicherung des Beweises durch eine gerichtliche Beweisanordnung mit Blick auf einen künftigen Rechtsstreit, in dem das Beweisergebnis dann gem. § 493 ZPO verwendet werden kann. Die Beweissicherung hat daher lediglich Hilfsfunktion für ein vorgedachtes Hauptverfahren (OLG Celle NJW-RR 2000, 1100). Die selbständige gerichtliche Erhebung von Beweisen ist demzufolge nach den Grundsätzen des deutschen Prozesses dann nicht zulässig, wenn sie in dem funktional mit ihr verbundenen Hauptsacheverfahren nicht benutzbar werden kann und deshalb funktionslos durchgeführt würde, weil ein zivilprozessuales Streitverfahren denkbarerweise nicht mehr stattfindet (OLG Celle NJW-RR 2000, 1100). Demgemäß kann im deutschen Prozessrecht ein rechtliches Interesse an der Beweissicherung dann verneint werden, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner oder ein Anspruch nicht ersichtlich ist (BGH NJW 2004, 3488; Zöller/Herget ZPO 26. Aufl. 2007 § 485 Rd-Nr. 7a).
Der vorliegende Fall ist zwar nicht unter den Begriff des „rechtlichen Interesses” i.S.d. § 485 Abs. 2 ZPO zu subsumieren, sondern die vorgelagerte Frage zu beantworten, ob die deutschen Gerichte für die Durchführung dieses Verfahrens international zuständig sind. Gleichwohl zeigen die aufgeführten Gesichtspunkte, dass das selbständige Beweisverfahren im vorliegenden Fall seine ihm vom deutschen Prozessrecht zugedachte Funktion nicht erfüllen kann. Die Verwendung des Gutachtens nach Maßgabe des § 493 ZPO in einem nachfolgenden Rechtsstreit vor einem deutschen Gericht scheidet wegen der Schiedsabrede und der Vereinbarung koreanischen Rechts, dortiger Zuständigkeiten und dortiger Rechtsgrundsätze aus. Es ist nicht ersichtlich, dass das Gutachten in dem anschließenden koreanischen Verfahren einen anderen Stellenwert als ein von der Partei selbst eingeholtes Gutachten haben könnte. Vor diesem Hintergrund spricht nichts dafür, dass die Parteien von ihrer Vereinbarung Sicherungsverfahren der vorliegenden Art ausnehmen wollten. Auch sind wegen der Nichterreichbarkeit des gesetzlichen Ziels eines gerichtlichen Beweisverfahrens keine übergeordneten Gesichtspunkte für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes, wie sie das OLG Köln in anderem Zusammenhang anführt, erkennbar.
5. Dabei sind Beweisschwierigkeiten der ASt. nicht zu verkennen, weil es um den Zustand einer Anlage geht, die sich hier in Deutschland befindet, während die ASt. ihren Sitz in Korea hat. Dies ist indes ein Gesichtspunkt, der für die Tatsachenfeststellung in jedem Verfahren, sei es eines Schieds- oder eines staatlichen Gerichts, gleichermaßen gilt. Dies musste den Parteien von vornherein bewusst sein, gerade auch angesichts des Umstands, dass die Anlage nach Deutschland geliefert werden sollte und sich Verstöße gegen das vertragliche Nachbauverbot hier auswirken würden. Gleichwohl haben die Parteien in der Lizenzvereinbarung sich der Entscheidung koreanischer Stellen und der Anwendung koreanischen Rechts unterworfen. Das ist zu respektieren und führt zur Unzuständigkeit deutscher Gerichte. Die Ast. kann jetzt nicht hiervon abweichen und Einzelteile aus einem im Übrigen für die Tatsachenfeststellung nicht maßgeblichen Verfahrensrecht für sich in Anspruch nehmen, weil ihr das nunmehr günstiger zu sein scheint.
6. Entgegen der Auffassung des LG lässt sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht unter Rückgriff auf § 1033 ZPO begründen. Die Vorschrift setzt als Teil des deutschen Verfahrensrechts die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte voraus. Zwar schließt gem. § 1033 in der Tat eine Schiedsvereinbarung nicht aus, dass ein staatliches Gericht eine vorläufige oder sichernde Maßnahme in Bezug auf den Streitgegenstand des schiedsrichterlichen Verfahrens anordnet, zu denen auch selbständige Beweisverfahren gehören mögen. Sind aber die deutschen Gerichte wegen der anders lautenden Abrede international überhaupt nicht zuständig, besteht für eine Anwendung des § 1033 ZPO keine Grundlage.
7. Schließlich steht der Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Beschwerdeverfahren auch nicht § 490 Abs. 2 S. 2 ZPO entgegen. Zwar kann danach die Beweisanordnung grundsätzlich im Beschwerdeverfahren nicht, auch nicht hinsichtlich der Annahme einer Zuständigkeit des Landgerichts, überprüft werden. Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts ist indes Grundlage des gesamten Verfahrens und bestimmt die Entscheidungsbefugnis in sämtlichen Verfahrensabschnitten. Betroffen ist damit jedenfalls auch die hier anstehende Entscheidung über die Herausgabe des Gutachtens, die als solche – wie dargelegt – von § 490 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht erfasst wird.