Recht und Steuern

A 1 Nr. 163

A 1 Nr. 163

§§ 12, 32 ZPO - Derogation der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte durch Vereinbarung ausländischer Rechtsordnung und Schiedsgerichtsbarkeit. Zuständigkeit für den einstweiligen Rechtsschutz
1. Vertragsparteien können die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte
wirksam derogieren.
2. Durch die Wahl ausländischen Rechts und eines ausländischen Gerichtsstandes wird der einstweilige Rechtsschutz durch deutsche Gerichte, aber nicht durch staatliche Gerichte generell ausgeschlossen.
3. Vereinbaren die Parteien ein ausländisches Schiedsgericht, so ist dieses für den einstweiligen Rechtsschutz zuständig.

OLG Nürnberg Beschl.v. 30.11.2005 - 12 U 2881/04; IPRax 2006, 468 = RKS A 1 Nr. 163
Aus den Gründen:

Der Senat ergänzt seinen Hinweisbeschluss vom 27.10.2004 wie folgt:
Die Auslegung der maßgeblichen Vertragsklauseln (Art. 20, 21 des Liefervertrages) in ihrer Gesamtschau ergibt, dass die Vertragsparteien die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte – auch die nach § 32 ZPO – derogiert haben. Die Derogation der an sich nach §§ 12 ff. ZPO gegebenen internationalen Zuständigkeit Deutschlands ist zulässig (Geimer, IZPR 3. Aufl. Rd-Nr. 1757). Bei der Auslegung kommt es auf den erkennbaren übereinstimmenden Parteiwillen an (Geimer Rd-Nr. 1719, § 133 BGB). Bei dessen Feststellung macht es keinen entscheidenden Unterschied, ob die Parteien ein ausländisches Gericht oder ein ausländisches Schiedsgericht vereinbart haben. Denn bei der Frage der Derogation geht es darum, festzulegen, wo der Rechtsstreit nicht entschieden werden soll.
Deswegen kann aus der Rechtsauffassung des Senats nicht abgeleitet werden, dass dieser der Meinung ist, dass die Parteien hier eine Vereinbarung getroffen hätten, wonach der einstweilige Rechtsschutz durch staatliche Gerichte gänzlich ausgeschlossen wäre. Es geht vielmehr ausschließlich um die Frage, ob deutsche Gerichte (und zwar das LG Regensburg) für Anordnungen des einstweiligen Rechtsschutzes international zuständig sind. Dies ist vorliegend nicht der Fall; denn durch die wirksame Zuständigkeitsvereinbarung würde die gesetzliche Zuständigkeitsordnung modifiziert. Die Gerichte der BRD würden selbst dann international unzuständig, wenn sie „an sich” nach § 12 f. ZPO international zuständig gewesen wären (Geimer Rd-Nr. 1706).
Gegen die vom Senat vorgenommene Auslegung kann auch nicht eingewandt werden, dass dem Berufungskl. damit einstweiliger Rechtsschutz generell verweigert werde. Denn jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt – und nur darauf kommt es für die Entscheidung des Berufungsgerichts an – wären Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zumindest durch das Schiedsgericht in der Schweiz möglich, nachdem sich das Schiedsgericht unstreitig dort konstituiert hat. Auf die Ausführungen des Kl. betr. Ausdrücklichkeit (§§ 1041 und 1042 Abs. 3 ZPO) kommt es nicht an.
Wenn nach alledem eine umfassende Derogation der Zuständigkeit deutscher Gerichte erfolgte, kommt es auch auf das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 23 oder 32 ZPO nicht an.
Hinweisbeschluss vom 17.10.2004
Das LG Regensburg hat mit Endurteil vom 3.8.2004 die von der ASt. am 27.5.2004 bei ihm bewirkte einstweilige Verfügung aufgehoben, weil es seine internationale Zuständigkeit für das Verfahren verneint hat. Hierbei ist das LG davon ausgegangen, dass die Parteien die internationale Zuständigkeit des LG Regensburg in den Art. 20 und 21 des Liefervertrages vom 29.7.1999 in zulässiger Weise ausgeschlossen haben, weil in diesen Artikeln das gemeinsame Interesse der Parteien dokumentiert werde, „alle ggf. erforderlichen Verfahrenshandlungen – auch die Anrufung des staatlichen Gerichts im einstweiligen Rechtsschutz – an diesem Ort zu konzentrieren”.
Die Einwendungen gegen dieses Urteil greifen nicht durch.
Die in Art. 20 getroffene Schiedsabrede schließt Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes staatlicher Gerichte nicht aus. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 1033 ZPO. Eine Anordnungsbefugnis für das LG Regensburg setzt aber voraus, dass dieses Gericht der Hauptsache i.S.d. § 937 Abs. 1 ZPO ist. Das ist es jedoch nur, wenn es international zuständig ist, was wiederum davon abhängt, ob für dieses Gericht ein Gerichtsstand nach den §§ 12 ff. ZPO besteht (BGH 94, 157).
Weil im konkreten Fall allenfalls Gerichtsstände nach §§ 23 und 32 in Betracht kommen, diese Gerichtsstände aber abdingbar sind, kommt es tatsächlich darauf an, ob den Art. 20 und 21 des Vertrages vom 29.7.1999 eine Vereinbarung der Parteien entnommen werden kann, deutsche (und auch algerische) Gerichte von einer Entscheidung auszuschließen. Der Senat bejaht in Übereinstimmung mit dem Erstrichter, dass sich aus der Zusammenschau der genannten Vertragsbestimmungen eine Gerichtsstandvereinbarung mit dem Inhalt der Derogation deutscher Gerichte entnehmen lässt. Nach diesen Bestimmungen wurde nicht nur eine Schiedsabrede getroffen, sondern es wurde darüber hinaus der Schiedsort bestimmt. Ferner sollten Streitigkeiten aus dem Vertrag ausschließlich nach Schweizer Recht beurteilt werden. Das macht deutlich, dass es den Parteien darum ging, dass Streitigkeiten durch ein „neutrales” Gericht nach „neutralem” Recht entschieden werden. Welcher Gerichtsort und welches Recht als „neutral” gelten sollte, wurde dabei ausdrücklich festgelegt. Diese Vereinbarung kann damit auch nur das Ziel verfolgt haben, dass über etwaige Streitigkeiten ausschließlich in der Schweiz entschieden werden soll.
Es ist allgemein anerkannt, dass die Parteien eines internationalen Rechtsstreits auch eine ausschließliche Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts frei vereinbaren können (Thomas/Putzo ZPO 25. Aufl. Vorbem. vor § 38 Rd-Nr. 5). Allerdings ist die Vereinbarung einer ausschließlichen Zuständigkeit nach deutschem Recht unwirksam, wenn die Vereinbarung nicht schriftlich getroffen worden ist (§ 38 Abs. 2 S. 2 ZPO). Diese Voraussetzung ist hier aber erfüllt. Damit können nach Auffassung des Senats allenfalls Schweizer Gerichte Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes anordnen. Darüber hätte die Berufungskl.nun auch die Möglichkeit, die Anordnung derartiger Maßnahmen beim Schiedsgericht zu beantragen, nachdem dieses mittlerweile konstituiert ist.
Gegen die Annahme einer Derogation kann auch nicht eingewandt werden, dass eine etwaige Entscheidung eines ausländischen Gerichts in Deutschland nicht vollstreckbar sei, weil die Vollstreckung der beantragten Untersagungsanordnung jedenfalls nicht in Deutschland durchgesetzt werden müsste.
Im Übrigen hat der Senat auch erhebliche Zweifel, ob im LG-Bezirk Regensburg ein Gerichtsstand nach den §§ 23 oder 32 ZPO gegeben wäre.
§ 23 ZPO liegt nicht vor, weil gerade nach dem Vorbringen der Berufungsführerin eine Forderung der Berufungsbekl. gegen sie nicht besteht.
Für die Begründung eines Gerichtsstandes der unerlaubten Handlung i.S.d. § 32 ZPO reicht eine ledinglich schuldhafte Verletzung vertragsmäßiger Pflichten nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine unerlaubte Handlung i.S.v. § 823 BGB, hier ein Missbrauch der streitgegenständlichen Bankgarantie; dieser ist nicht dargelegt (wird ausgeführt).