Recht und Steuern

A1 Nr. 152

A 1 Nr. 152
Art. 1156 ff., 1162 belg. ZGB, Art. 1677 belg. ZPO; § 293 ZPO - Auslegung der Klausel "Schiedsverfahren gemäß der Schiedsregeln des ICC Brüssel" nach belgischem Recht
1. Nach § 293 ZPO hat das zur Anwendung ausländischen Rechts berufene deutsche Gericht die maßgeblichen Rechtsvorschriften des anderen Staates von Amts wegen zu ermitteln. Wie es dieser Pflicht nachkommt, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Es bedarf nicht zwingend der Einholung eines Rechtsgutachtens, wenn die maßgeblichen Rechtsnormen und -grundsätze auf andere Weise ermittelt werden können.
2. Nach belgischem Recht soll eine Schiedsklausel ähnlich wie nach deutschem Recht so weit wie möglich für wirksam erachtet werden, wenn der Wunsch der Parteien, Streitigkeiten der Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, eindeutig festgestellt werden kann. Nur wenn Zweifel verbleiben, gehen diese bei Vereinbarung einer Schiedsklausel in AGB zu Lasten des Verwenders.
3. "ICC" ist eine im internationalen Handelsverkehr übliche Abkürzung für die Internationale Handelskammer mit Sitz in Paris. "Brüssel" bestimmt unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des internationalen Handelsverkehrs und der Interessenlage der Parteien den Tagungsort des ICC-Schiedsgerichts, der nach Art. 12 ICC-Vergleichs- und Schiedsordnung vorrangig von den Parteien festzulegen ist.
OLG Frankfurt Beschl.v. 24.10.2006 - 26 Sch 6/06; Zeitschrift für Schiedsverfahrensrecht 2007, 217 = RKS A 1 Nr. 152
Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien schlossen im Oktober 2003 eine Vereinbarung über die Erbringung von Kommunikationsdienstleistungen ("International Career Service Agreement"). Dieser von den Antragstellern vorgegebene Vertrag enthält in § 16 eine Schiedsklausel, die in etwa folgenden deutschen Wortlaut hat:
"Jede Streitigkeit aus und in Verbindung mit der Vereinbarung soll zunächst gütlich zwischen den Parteien beigelegt werden. Sollte eine gütliche Einigung zwischen den Parteien nicht zustande kommen, soll ein Schiedsverfahren gemäß der Schiedsregeln des ICC Brüssel oder ihrer Nachfolgeorganisation entschieden werden. Der Schiedsspruch ist bindend. Schiedsort soll Brüssel, Belgien sein."
In § 12 ist geregelt, dass der Vertrag belgischem Recht unterliegt und nach diesem ausgelegt werden muss.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es keine Brüsseler Schiedsregeln gibt. Die Antragstellerin ist deshalb der Auffassung, eine Auslegung der fraglichen Klausel auch nach belgischem Recht ergebe, dass die Parteien die Geltung der Schiedsregeln des ICC Paris gewollt hätten. Sie beruft sich zum Inhalt der maßgeblichen Auslegungsvorschriften des belgischen Rechts auf Stellungnahmen des Brüsseler Büros ihrer Verfahrensbevollmächtigten, die sie in Übersetzung vorgelegt hat.
Die Antragstellerin beantragt, festzustellen, dass das schiedsrichterliche Verfahren der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin nach den ICC-Regeln, Schiedsort Brüssel (Anspruch aus dem "International Career Service Agreement" vom Oktober 2003) zulässig ist.
Die Antragsgegnerin beantragt, 1. den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen;
2. festzustellen, dass das schiedsrichterliche Verfahren der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin nach den ICC-Regeln (Anspruch aus dem "International Career Service Agreement" vom Oktober 2003) unzulässig ist.
Die Antragstellerin beantragt, den Antrag der Antragsgegnerin als unzulässig zurückzuweisen.
Aus den Gründen:
Der Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens ist zulässig (§ 1032 Abs. 2 ZPO). Die Zuständigkeit des Senats ergibt sich aus §§ 1032 Abs. 2, 1062 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2; die Ag. hat ihren Sitz in Hessen.
Der Antrag ist auch begründet. Die Parteien haben in Zi. 16 des Agreements wirksam vereinbart, dass Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis in einem Schiedsverfahren nach den Regeln des ICC Paris auszutragen sind. Auch unter Zugrundelegung belgischen Rechts (Art. 4 Abs. 1, 27 Abs. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB), dessen Anwendung die Parteien in Ziffer 26 des Vertrags vereinbart haben, ist die fragliche Klausel in dem vorstehend genannten Sinn auszulegen.
1. Der Senat geht davon aus, dass die Auslegung von Vertragsklauseln, die Schiedsvereinbarungen zum Gegenstand haben, nach belgischem Recht in vergleichbarer Weise vorzunehmen ist wie nach deutschem Recht. Nach § 293 ZPO hat das zur Anwendung ausländischen Rechts berufene deutsche Gericht die maßgeblichen Rechtsvorschriften des anderen Staates von Amts wegen zu ermitteln. Dabei steht es in seinem pflichtgemäßen Ermessen, wie es dieser Verpflichtung nachkommen will. Es ist insbesondere nicht gehindert, die Parteien insoweit zur Mitwirkung aufzufordern und von ihnen vorgelegte Auskünfte und Stellungnahmen zu verwerten. Insoweit bedarf es nicht zwingend der Einholung eines Rechtsgutachtens, wenn die maßgeblichen Rechtsnormen und Rechtsgrundsätze auf andere Weise ermittelt werden können, insbesondere wenn sie von den Parteien dargelegt werden (vgl. Geimer in Zöller ZPO 25. Aufl. § 293 Rd-Nr. 15ff.).
So liegt der Fall auch hier. Die Ast hat den Inhalt der für die Auslegung der fraglichen Klausel heranzuziehenden Rechtsvorschriften und die bei der Auslegung nach belgischem Recht zu berücksichtigenden Grundsätze vorgetragen. Den Inhalt dieser Regelungen hat die Ag. nicht in Abrede gestellt, sie wendet sich lediglich gegen das von der Ast. auf dieser Grundlage vertretene Auslegungsergebnis.
2. Nach Art. 1677 der belgischen ZPO ist eine Schiedsvereinbarung durch ein schriftliches, von den Parteien unterzeichnetes Instrument oder durch andere Dokumente, die für die Parteien verbindlich sind und ihre Absicht, ein Schiedsgericht anzurufen, widerspiegeln, zu errichten. In Rechtsprechung und Literatur in Belgien ist insoweit anerkannt, dass eine Schiedsklausel soweit wie möglich für wirksam erachtet werden soll, wenn der Wunsch der Parteien, Streitigkeiten der Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, eindeutig festgestellt werden kann. Ist eine Schiedsklausel nicht eindeutig formuliert, richtet sich deren Auslegung nach den allgemeinen Vorschriften des belgischen Zivilgesetzbuches.
Nach Art. 1156 belg. ZGB soll das Gericht bei der Auslegung einer Klausel, deren Wortlaut nicht eindeutig ist, losgelöst von diesem die gemeinsame Absicht der Parteien (also deren wirklichen Willen) erforschen. Wenn eine Vertragsbestimmung mehrdeutig ist, sollte das Gericht sich eher für die Bedeutung entscheiden, die der Bestimmung Wirkung verleihen würde, als für die Bedeutung, bei der das nicht der Fall wäre (Art. 1157). Schließlich sollen mehrdeutige Begriffe so ausgelegt werden, wie es am besten passt und am ehesten mit der logischsten Bedeutung, dem Gegenstand und/oder den anderen Bestimmungen des Vertrages in Einklang zu bringen ist. Damit ist für die Frage der Wirksamkeit einer Klausel nach belgischem Recht vergleichbar deutschen Rechtsgrundsätzen zunächst zu prüfen, ob sie überhaupt wirksam vereinbart wurde und im Übrigen ausreichend klar und bestimmt ist, insbesondere die geltende Schiedsordnung und das Schiedsgericht bestimmbar sind (Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit 7. Aufl. Kap. 3 Rd-Nr. 11). Dabei ist durch Auslegung der wirkliche Wille der Parteien zu erforschen, wobei der internationalen Praxis entsprechend unklare Abreden möglichst großzügig zugunsten der Wirksamkeit von Schiedsabreden auszulegen sind (KG BB 2000 Beil. 8 S. 13 = RKS A 1 Nr. 104). Nur wenn gleichwohl Zweifel verbleiben, gehen diese bei Vereinbarung einer Schiedsklausel in AGB auch nach belgischem Recht zu Lasten des Verwenders (Art. 1162 belg. ZGB).
Unter Anwendung dieser Grundsätze war im vorliegenden Fall von der Wirksamkeit der Schiedsklausel mit dem von der Ast. intendierten Inhalt auszugehen.
Dass die Klausel losgelöst von der Frage der Bestimmtheit wirksam zwischen den Parteien vereinbart wurde, steht außer Streit. Insoweit hat auch die Ag. keine Einwände erhoben.
3. Die Parteien haben in Ziffer 16 der zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung eindeutig zum Ausdruck gebracht, sämtliche Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis in einem Schiedsverfahren klären zu wollen. Selbst wenn sie dabei nicht den genauen Wortlaut der Klausel gewählt haben, deren Verwendung die Internationale Handelskammer in Paris empfiehlt, lässt sich vorliegend gleichwohl der Wille beider Parteien feststellen, vertragliche Streitigkeiten in einem Schiedsverfahren nach den Regeln der Internationalen Handelskammer in Paris zu klären. Sie haben durch die verwendete Klausel kundgetan, evtl. Streitikeiten nach einer bestimmten Schiedsordnung vor einem Schiedsgericht auszutragen. Wenn die gewählte Formulierung eine solche Vorgehensweise aber ausschließt, weil es die von den Parteien bezeichnete Schiedsordnung nicht gibt, ist es geboten, im Wege der Auslegung nach einer Lösung zu suchen, die zumindest dem mutmaßlichen Willen der Parteien entspricht. Mit der Formulierung "ICC" haben sie eine im internationalen Handelsverkehr übliche Abkürzung für die Internationale Handelskammer mit Sitz in Paris (International Chamber of Commerce) gewählt. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Parteien der Schiedsklausel einen anderen als den im grenzüberschreitenden Handel üblichen Inhalt beimessen wollten. Soweit die Ag. verschiedene Institutionen bezeichnet, die mit der Abkürzung "ICC" gemeint sein könnten, ist dies für die Auslegung nicht von Relevanz. Sie hat insoweit schon nicht konkret dargetan, dass sie bei Abschluss der Vereinbarung tatsächlich von der Zuständigkeit einer dieser Institutionen ausgegangen ist, die schon nach ihrem eigenen Vortrag keine Schiedsordnung herausgegeben haben und schiedsgerichtliche Verfahren im eigentlichen Sinne auch nicht durchführen, sondern beschränkt ihren Vortrag auf das Aufzählen denkbarer Auslegungsmöglichkeiten, ohne darzulegen, welche Vorstellung sie bei Abschluss desVertrages hatte bzw. was nach ihrem Willen in Kenntnis der unzutreffenden Bezeichnung hätte gelten sollen. Auch der Hinweis auf die BGH-Entscheidung in NJW 1983, 1267 ff. (= RKS A 1 Nr. 40) rechtfertigt im vorliegenden Fall keine der Ag. günstige Bewertung der Rechtslage, da dieser Entscheidung ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde lag. Die Parteien hatten dort eine Schiedsklausel vereinbart, nach der tatsächlich zwei ständige Schiedsgerichte in Betracht kamen, was vorliegend, wie dargelegt, nicht der Fall ist.
Unschädlich ist ferner, dass die Parteien als Schiedsort Brüssel angegeben haben. Dieser Teil der Klausel lässt sich nämlich unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des internationalen Handelsverkehrs und der Interessenlage der Parteien als Regelung über den Tagungsort des Schiedsgerichts verstehen, zumal der Internationale Schiedsgerichtshof den Ort der Durchführung des Schiedsverfahrens vorrangig nach den Festlegungen der Parteien bestimmt (Art. 12 der Vergleichs- und Schiedsordnung der ICC).
4. Nach alldem war dem Begehren der Ast. auf Feststellung der Zulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens stattzugeben; der auf die gegenteilige Feststellung gerichtete Antrag der Ag. war hingegen schon mangels Rechtsschutzinteresse zurückzuweisen. Dieser von der anwaltlich vertretenen Ag. ausdrücklich gestellte Antrag konnte ausweislich seines Wortlauts und der Begründung nicht lediglich als Antrag auf Zurückweisung des Begehrens der Ast. verstanden werden, sondern er beinhaltet ein eigenständiges Rechtsschutzverlangen, zumal § 1032 Abs. 2 ZPO ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, die Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens feststellen zu lassen. Nachdem die Ast. jedoch zuerst die Feststellung der Zulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens begehrt hat, besteht für die Ag. kein rechtlich schützenswertes Interesse mehr, gleichzeitig das genaue Gegenteil geltend zu machen. Denn bereits im Fall der rechtskräftigen Abweisung der positiven Feststellungsklage steht für die Parteien bindend fest, dass ein schiedsrichterliches Verfahren nicht zulässig ist (vgl. grundsätzlich zu der Wirkung eines die positive Feststellungsklage abweisenden Urteils Vollkommer in Zöller ZPO 25. Aufl. § 322 Rd-Nr. 12).