Recht und Steuern

A1 Nr. 150

A 1 Nr. 150
EGBGB Art. 34, Art. 17, 19 Richtlinie 86/653 EWG, § 89b HGB, § 23 ZPO - Vereinbarung ausländischen Schiedsgerichts mit Rechtswahl im Handelsvertretervertrag, Ausgleichsanspruch
1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gem. § 23 ZPO (Gerichtsstand des Vermögens) ist auch gegeben, wenn der Beklagte Forderungen gegen Kunden mit Wohnsitz im Inland hat.
2. Die Anwendung der zwingenden Vorschriften der EG-Handelsvertreter-Richtlinie über Ausgleich und Entschädigung des Vertreters nach Vertragsbeendigung ist durch Art. 34 EGBGB geschützt. Sie kann nicht dadurch vereitelt werden, dass in einem Handelsvertreter-Vertrag über die Rechtswahl hinaus der Gerichtsstand eines Drittstaats vereinbart wird, dessen Recht dem Ausgleichsanspruch entsprechende Ansprüche des Handelsvertreters nicht kennt. Die dadurch begründete Gefahr, dass das Gericht des Drittstaats das zwingende deutsche Recht nicht anwendet, rechtfertigt das Verbot der Derogation.
3. Das gilt auch für die Vereinbarung eines ausländischen Schiedsgerichts in Verbindung mit einer entsprechenden Rechtswahl.
OLG München Urteil vom 17.5.2006 - 7 U 1781/06; IPRax 2007, 322 = RKS A 1 Nr. 150.
Aus dem Sachverhalt:
Die Klägerin mit Sitz in München übernahm den ausschließlichen Vertrieb von Halbleiterbausteinen u.a. in Deutschland und Österreich für die Beklagte mit Sitz in San José/Kalifornien. Nach Kündigung vom 24.8.2004 durch die Bekl. verlangt die Kl. Ausgleich gem. § 89b HGB. In dem in englischer Sprache abgefassten Vertrag vom 14.9.1998 ist u.a. geregelt:
Ziffer 14.2: "Sämtliche Streitigkeiten und Unstimmigkeiten, die durch oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag zwischen den Parteien auftreten, werden endgültig durch einen Schiedsspruch gemäß den Regelungen der American Arbitration Association, an welchen beide Parteien gebunden sind, beigelegt."
Ziffer 14.3: "Die Parteien vereinbaren unwiderruflich, dass alle Rechtsstreitigkeiten, Schiedsverfahren, Klagen, oder Verfahren zwischen der Gesellschaft und dem Vertreter, die durch oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder durch oder im Zusammenhang mit der Auslegung oder Umsetzung dieses Vertrags oder einem Verstoß gegen diesen Vertrag auftreten, vor den Staats- oder Bundesgerichten im Landkreis Santa Clara im Staat Kalifornien geführt werden."
In Ziffer 14.5 wird als anwendbares Recht das Recht des Staates Kalifornien gewählt.
Das LG München wies die Klage wegen Unzuständigkeit ab. Die Berufung hat Erfolg.
Aus den Gründen:
1. Die internatonale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich aus § 23 ZPO (Gerichtsstand des Vermögens). Vermögen i.S.d. § 23 ZPO ist jeder Gegenstand, der einen - wenn auch geringen - Geldwert hat, sei es eine Sache oder eine Forderung oder ein sonstiges Vermögensrecht. Dies gilt auch, wenn der Vermögensgegenstand nicht zur Befriedigung des Gläubigers geeignet oder ausreichend ist (BGH NJW 1988, 966, 967). Die Kl. hat im Einzelnen dargelegt, dass und inwiefern die Bekl. über Vermögenswerte in Deutschland in Gestalt von Kundenforderungen und Geschäftsanteilen verfügt. Hinsichtlich der Forderungen ist nach § 23 S. 2 ZPO auf den inländischen Wohnsitz der Schuldner der Bekl. abzustellen. Der für eine Anwendung des § 23 ZPO erforderliche Inlandsbezug folgt aus der Tätigkeit der in Deutschland ansässigen Kl. für die Bekl., die vertragsgemäß u.a. in Deutschland stattfand.
2. Ihre Ausschließlichkeit unterstellt, führt die im übrigen platzgreifende Gerichtsstandvereinbarung in Ziffer 14.3 des Vertriebsvertrags nicht zu einer rechtswirksamen Derogation der deutschen Gerichtsbarkeit, soweit die Geltendmachung von Handelsvertreterausgleichsansprüchen im Raum steht.
Unstreitig wurde die Kl. u.a. in Deutschland für die Bekl. wie ein Handelsvertreter im Sinne des deutschen Rechts tätig mit der Folge, dass ihr dem Grunde nach Ausgleich i.S.d. § 89b HGB zusteht. Lt. EuGH (9.11.2000 IPRax 2001, 225 - sog. Ingmar-Entscheidung) ist diese Regelung international zwingendes deutsches Recht mit der Maßgabe, dass sich der Geltungswille nur gegen die Wahl des Rechts eines Drittstaats richtet. Lt. Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 86/653/EWG treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen dafür, dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich gem. Abs. 2 oder Schadensersatz gem. Abs. 3 hat. Nach Art. 19 a.a.O. können die Parteien vor Ablauf des Vertrages keine Vereinbarungen treffen, die von Art. 17 und 18 zum Nachteil des Handelsvertreters abweichen. Der EuGH hat eine Vorlagefrage des Court of Appeal gem. Art. 234 EG wie folgt beantwortet: "Art. 17 und 18 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betr. die selbständigen Handelsvertreter, die dem Handelsvertreter nach Vertragsbeendigung gewisse Ansprüche gewähren, sind auch dann anzuwenden, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit in einem Mitgliedsstaat ausgeübt hat, der Unternehmer seinen Sitz aber in einem Drittland hat und der Vertrag vereinbarungsgemäß dem Recht dieses Landes unterliegt". Der zwingende Charakter dieser Bestimmungen ergebe sich daraus, dass die Parteien nach Art. 19 der Richtlinie vor Vertragsablauf nicht zum Nachteil des Handelsvertreters davon abweichen können, und aus dem doppelten Zweck der Richtlinie, nämlich Schutz des Handelsvertreters und Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt.
Auf Grund dieser EuGH-Rechtsprechung erlangt der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB den internationalen Geltungswillen einer Sachnorm i.S.d. Art. 34 EGBGB (sog. Eingriffsnorm), der sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung der mitgliedstaatlichen Umsetzungsnormen ergibt. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Sachverhalt einen starken Gemeinschaftsbezug aufweist, was hier aufgrund von Tätigkeitsort und Sitz der Kl. im Gemeinschaftsgebiet nicht zweifelhaft ist (Staudinger/Magnus 13. Aufl. 2002 Rd-Nr. 42 zu Art. 34 EGBGB S. 611).
Durch die Wahl des Gerichts eines Drittstaats bei gleichzeitiger Wahl des (Sach-)Rechts des Drittstaats folgt aus dem zwingenden Charakter des § 89b HGB auch ein Derogationsverbot, da nur so Geltung und Durchsetzbarkeit des zwingenden deutschen Rechts sichergestellt werden können. Obwohl beide Fragen logisch zu trennen sind, kann doch im Einzelfall die Gerichtsstandvereinbarung dem Zwecke dienen und praktisch dazu führen, dass das Recht des Landes angewendet wird, dessen ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart worden ist. Im Zweifel wird der Wille der Parteien dahin gehen. Dann aber kann die Vereinbarung des ausländischen Gerichtsstandes unwirksam sein, wenn die Parteien die Anwendung des betreffenden ausländischen Rechts nicht wirksam vereinbaren konnten. Beide Fragen müssen daher im Zusammenhang behandelt werden (BGH Urt.v. 30.1.1961 IPRax 1985, 27).
Lt. BGH (Urt.v.30.5.1983 IPRax 285, 27) ist für den Empfänger in einem deutschen Bestimmungshafen die Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts in einem Seefrachtvertrag nach dem Schutzzweck des § 662 HGB (nur) unwirksam, wenn dadurch die zwingende Haftung des Konnossementsverfrachters nach den Haager Regeln ausgeschaltet wird.
Mehrfach hat der BGH zu § 61 BörsenG einer Gerichtsstandvereinbarung die Wirksamkeit versagt, die bei ihrer Anwendung in Verbindung mit einer Rechtswahlklausel zur Folge hätte, dass die zur Entscheidung berufenen Gerichte den Termineinwand nicht beachten (IPRax 1985, 216; 1989, 163; anders nunmehr BGH IPRax 1999, 466, wonach der Termin- und der Differenzeinwand bei im Ausland geschlossenen Börsentermingeschäften nach dem neuen Börsengesetz nicht mehr zum deutschen ordre public international gehört).
Das LAG Hessen (Urt.v.14.8.2000 NJOZ 2001, 45, 52) hat für die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften über das Wettbewerbsverbot gem. §§ 74 ff HGB entschieden, dass Schranken, die einer Wahl ausländischen materiellen Rechts durch das deutsche internationale Privatrecht gezogen sind, auch auf die Derogation der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte durchschlagen müssen, soll nicht der Arbeitnehmerschutz, den das materielle Kollisionsrecht über Art. 30 EGBGB gewähren will, im Ergebnis weitgehend leer laufen.
Auch in der Literatur ist anerkannt, dass Gerichtsstandvereinbarungen zur Umgehung zwingender Schutzvorschriften des inländischen Rechts unzulässig sind, insbesondere eine internationale Gerichtsstandvereinbarung durch Derogation der inländischen Zuständigkeit nicht zu einem Verlust des Rechtsschutzes führen darf (Zöller/Vollkommer 25. Aufl. Rd-Nr. 30 zu § 38 ZPO).
Diese Grundsätze sind auch hier anzuwenden. Die über Art. 34 EGBGB geschützten (vgl. Staudinger/Magnus a.a.O. S. 610; Palandt/Heldrich 65.Aufl. Rd-Nr. 3 a zu Art. 34 EGBGB) zwingenden Vorschriften der Handelsvertreterrichtlinie über Ausgleich und Entschädigung nach Vertragsbeendigung können nicht dadurch vereitelt werden, dass über die Rechtswahl hinaus der Gerichtsstand eines Drittstaats gewählt wird, dessen Recht dem Handelsvertreterausgleich entsprechende Ansprüche des Handelsvertreters nicht kennt (vgl. zum kalifornischen Recht Staudinger/Magnus a.a.O. S. 610; Küstner/Thume Band 2, 7. Aufl. Rd-Nr. 180 S. 73).
Der Einwand der Bekl., dass die Nichtanwendung der deutschen Vorschriften über den Handelsvertreterausgleich durch kalifornische Gerichte keineswegs (als Rechtstatsache) festgestellt sei, greift nicht durch. Angesichts des Schutzzwecks der Eingriffsnorm reicht es vielmehr für die Annahme eines Derogationsverbots aus, wenn die naheliegende Gefahr besteht, dass das Gericht des Drittstaats zwingendes deutsches Recht nicht zur Anwendung bringt. Dies ist hier der Fall. Es erscheint nämlich ernstlich zweifelhaft, dass kalifornische Gerichte angesichts der getroffenen Rechtswahl zur Anwendung der deutschen Vorschriften über den Handelsvertreterausgleich gelangen. Vielmehr könnten kalifornische Gerichte mit Blick auf den Sitz der Bekl. in Kalifornien und die Kaufmannseigenschaft beider Parteien (der Argumentation der Bekl. folgend) zum - jedenfalls aus kalifornischer Sicht vertretbaren - Ergebnis gelangen, dass das Vertragsverhältnis der Parteien ausnahmslos kalifornischem Sachrecht unterliegt, da eine Bindung an EU-Richtlinien bzw. die Rechtsprechung des EuGH nicht besteht.
3. Entsprechendes gilt, soweit die Parteien in Ziffer 14.2 eine Schiedsvereinbarung nach den Regeln der American Arbitration Association vereinbart haben. Im Urteil vom 15.6.1987 (IPRax 1989, 163 = RKS A 1 Nr. 56) hat der BGH das für den Fall entschieden, dass die Vereinbarung eines ausländischen Schiedsgerichts in Verbindung mit einer Rechtswahl dazu führt, dass dem Börseninländer der Termineinwand versagt wird. Bei Anerkennung der Schiedsabrede stünden die börsenrechtlichen Schutzvorschriften zur Disposition der Parteien, was ihrem Charakter als unabdingbaren gesetzlichen Bestimmungen widerspreche.
Dem Antrag der Bekl., das Verfahren auszusetzen und die Vorlagefrage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, war nicht nachzukommen. Nach Art. 234 EG-Vertrag wäre hierfür Voraussetzung, dass das nationale Gericht eine Entscheidung über die Auslegung der Handelsvertreterrichtlinie zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält. Daran fehlt es hier. Nachdem die Frage des zwingenden Charakters der materiellrechtlichen Bestimmungen über Ausgleichsansprüche des Handelsvertreters durch die Ingmar-Entscheidung des EuGH geklärt ist, ergeben sich die hieraus zu ziehenden Folgerungen für Gerichtsstandvereinbarungen aus Art. 34 EGBGHB i.V.m. den Grundsätzen der deutschen Rechtsprechung zum internationalen Zivilprozessrecht. Eines Rückgriffs auf die Handelsvertreterrichtlinie bedarf es daher nicht mehr.