Recht und Steuern

A1 Nr. 148

A1 Nr. 148
Art. 8 CISG - Auslegung einer unklaren fremdsprachlichen Schiedsklausel
1. Die Wirksamkeit der Schiedseinrede ist in jeder Instanz zu prüfen.
2. Die Auslegung eines Vertragstextes ist eigene Aufgabe des Gerichts. Das gilt nicht nur für nicht ganz eindeutige deutsche, sondern auch fremdsprachliche Texte. Es ist also der - durch den Wortlaut abdeckbare - Parteiwille zu ermitteln, auch unter Heranziehung der teleologischen Auslegung.
3. Mit der Klausel
"Arbitration... If Parties cannot agree upon an amicable settlement then all disputes and differences are to be submitted without recourse to the ordinary court to Stockholm, Sweden. The Award of the Arbitration Commission will be final and binding upon both Parties."
ist eindeutig das Arbitration Institute of the Stockholm Chamber of Commerce vereinbart, eines der bekanntesten internationalen Schiedsgerichte , im internationalen Wirtschaftsverkehr den Beteiligten ein Begriff und daher auch ohne ganz korrekte und vollständige Bezeichnung im Zweifelsfall gemeint.
OLG Stuttgart Urt.v. 15.5.2006 - 5 U 21/06; Internationales Handelsrecht 2007, 72 =
RKS A 1 Nr. 148
Aus dem Sachverhalt:
Die Klägerin, eine in Perm/Russland ansässige Kommanditgesellschaft, verlangt von der Beklagten, einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen GmbH, Rückzahlung einer am 15.9.1997 an die Beklagte entrichteten Kaufpreisanzahlung von 25.564,59 Euro (50.000 DM) aufgrund eines zwischen den Parteien am 29.8.1997 in russischer und englischer Sprache abgeschlossenen Kaufvertrages über eine Maschine, die nicht innerhalb der vertraglichen Frist geliefert wurde. Der Vertrag enthielt eine Schiedsgerichtsklausel, deren englische Fassung lautete:
"8. Arbitration. The seller and the Buyer, hereinafter referred to as Parties, will take measures to settle amicably all disputes and differences which may arise under the present Contract or in connection with it. If Parties cannot agree upon an amicable settlement then all disputies and defferences are to be submitted without resourse to the ordinary court to Stockholm, Sweden [sic!].
The Award of the arbitration Commission will be final and bindin(g) upon both parties."
Die Kl. klagte vor dem Landgericht Stuttgart auf Rückzahlung der Anzahlung. Die Schiedsklausel sei inhaltlich zu unbestimmt und daher unwirksam. Insbesondere sei unklar, auf welche Rechtsstreitigkeiten sie sich beziehe und welches der in Stockholm ansässigen Schiedsgerichte bzw. ordentlichen Gerichte zuständig sei. Das Landgericht gab der Klage mit Urteil vom 23.11.2005 statt.
Aus den Gründen:
Die Berufung der Bekl. hat Erfolg; denn wegen wirksamer Schiedsvereinbarung der Parteien ist die Klage vor den ordentlichen deutschen Gerichten unzulässig (§ 1032 Abs. 1 ZPO).
1. Die Schiedseinrede der Bekl., bereits in erster Instanz vor Klageerwiderung mit Schriftsatz vom 17.2.2004 erhoben, ist auch im Berufungsverfahren beachtlich. § 513 Abs. 2 ZPO erfasst nur die sachliche, örtliche oder funktionelle Zuständigkeit staatlicher Gerichte untereinander. Art. 17 GVG regelt die Zuständigkeit staatlicher Gerichte verschiedener Gerichtsbarkeiten. Die Einrede der Schiedsgerichtsvereinbarung des § 1032 Abs. 1 ZPO hat jedoch die Abgrenzung privater Gerichte (Schiedsgerichte) und staatlicher Gerichte zum Inhalt.
Deshalb wird diese Frage weder von § 513 Abs. 2 ZPO noch von Art. 17 GVG erfasst. Ist die Schiedseinrede jedoch wirksam erhoben, fehlt einer gleichwohl vor dem ordentlichen staatlichen Gericht erhobenen Klage die Zulässigkeit (Geimer in Zöller Kommentar zur ZPO 25. Aufl. § 1032 Rd-Nr. 7). Die Frage der wirksamen Schiedsgerichtseinrede und damit die Frage der Zulässigkeit einer Klage ist in jeder Instanz zu prüfen (Schlosser in Stein/Jonas Kommentar zur ZPO 22. Aufl. § 1032 Rd-Nr. 20).
2. Die Bekl. hat bereits vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache erster Instanz die Einrede der Schiedsvereinbarung erhoben, der auch eine wirksame Schiedsvereinbarung der Parteien (§ 1029 ZPO) zugrunde lag. So ist die Schriftform eingehalten (§ 1031 ZPO), und die Auslegung gem. Art. 8 CISG (i.V.m. Art. 1 I b, 4 CISG), unter Berücksichtigung des wirklichen Parteiwillens, ergibt nach Überzeugung des Senats, dass die Parteien in Nr. 8 des Kaufvertrages sich dahin geeinigt hatten, dass im Falle der fehlenden gütlichen Einigung der Parteien sie alle strittigen Fragen und Meinungsverschiedenheiten unter Ausschluss der Zuständigkeit der allgemeinen Gerichte der Schlichtungs-/Schiedskommission zur Entscheidung in Stockholm unterbreiten und deren Entscheidung für beide Parteien endgültig und bindend sein sollte.
Mit dieser Schiedskommission war nach Überzeugung des Senats ausschließlich das ständig in Stockholm ansässige Schiedsgericht des "Arbitration Institute of the Stockholm Chamber of Commerce", ein institutionalisiertes Schiedsgericht mit eigener, seit 1.8.1988 in Kraft getretener Schiedsordnung gemeint.
Die Ermittlung des wirklichen Parteiwillens hat sich zunächst am Wortlaut der Schiedsvereinbarung auszurichten. Dieser war vorliegend sowohl in russischer als auch in englischer Sprache gefasst. In erster Instanz hatte der russische Dolmetscher die Schiedsvereinbarung Satz 2 wie folgt übersetzt:
"Im Fall, dass die Parteien auf gütlichem Wege sich nicht einigen können, werden alle strittigen Fragen und Meinungsverschiedenheiten, mit Ausnahme der gerichtlichen Zuständigkeiten der allgemeinen Gerichte, zur Entscheidung in Stockholm, Schweden, unterbreitet".
Auch auf den Beweisbeschluss des Senats vom 22.3.2006 hin blieb der russische Dolmetscher am 27.3.2006 bei dieser Übersetzung, insbesondere dem Passus "mit Ausnahme der gerichtlichen Zuständigkeiten".
Nach Informationen des Senats über das russisch/deutsche Wörterbuch von Langenscheidt ergibt sich jedoch, dass das entscheidende Wort [Anm. d. Redaktion: Aufgrund kyrillischer Schrift konnte das Wort hier nicht wiedergegeben werden.] die Grundbedeutung Ausschließung, Ausschluss und Ausnahme (Fall) haben kann. Auch in der deutschen Sprache kann zudem dem Wort "Ausnahme" die Bedeutung "von etwas ausgeschlossen bzw. ausgenommen zu sein" zukommen.
Die Auslegung eines Vertragstextes ist eigene Aufgabe des Gerichts. Das gilt nicht nur für nicht ganz eindeutige oder sprachlich verunglückte deutsche Texte, sondern auch bei solchen in ausländischer Sprache. Es ist also der - durch den Wortlaut abdeckbare - Parteiwille zu ermitteln, auch unter Heranziehung der teleologischen Auslegung. Vorliegend deckt nicht nur der Wortlaut des russischen Vertragstextes die Bedeutung "mit Ausschluss" anstelle "mit Ausnahme" ab, vielmehr führt nur die Übersetzung mit dem Verständnis der Worte "mit/unter Ausschluss" auch zu einem sinnvollen Inhalt. Sollten die strittigen Fragen und Meinungsverschiedenheiten der Parteien entsprechend der Übersetzung des Dolmetschers nur insoweit dem Schiedsgericht in Stockholm unterbreitet werden können, als sie nicht zur Zuständigkeit der allgemeinen Gerichte ("mit Ausnahme der Zuständigkeiten der allgemeinen Gerichte") unterliegen, liefe die Schiedsvereinbarung der Parteien nahezu leer.Entgegen den Darlegungen der Klägerin verbleiben kaum denkbare Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien, die in die Zuständigkeit des Schiedsgerichts fallen könnten. Finanzstreitigkeiten, Sozialstreitigkeiten, Verwaltungsgerichtsstreitigkeiten sind kaum denkbar und werden nicht zwischen den Parteien geführt.
Aber auch die Parteien haben die Schiedsvereinbarung in dem Sinn verstanden, dass alle strittigen Fragen und Meinungsverschiedenheiten unter Ausschluss der gerichtlichen Zuständigkeiten der allgemeinen Gerichte dem Schiedsgericht in Stockholm unterbreitet werden sollen. Dies ergibt sich für den Senat deutlich aus dem Schreiben des Klägervertreters vom 8.10.2003 an die Beklagtenvertreter: ".... gehen wir davon aus, dass der Rechtsstreit - wie vertraglich vereinbart - vor dem Schiedsgericht in Stockholm ausgetragen werden soll."
Dieser Auslegung entspricht auch das richtige Verständnis der englischen Fassung des Vertragstextes. Zwar führte die englische Dolmetscherin eine weitere Übersetzungsvariante in den Rechtsstreit ein, wonach der fragliche Passus lautet:
"Sollten die Parteien zu keiner gütlichen Einigung gelangen, so ist ohne Regress das ordentliche Gericht in Stockholm anzurufen".
Bereits eine unbefangene Betrachtung des englischen Textes zeigt die Fragwürdigkeit dieser Übersetzung auf. Der Text lautet:
"If Parties cannot agree upon an amicable settlement then all disputies and defferences are to be submitted without resourse to the ordinary court to Stockholm, Sweden".
Neben dem Rechtschreibfehler in defferences anstatt differences fällt auf, dass die Dolmetscherin das Wort "resourse" (resource = Quelle, Ressource) durch das englische Wort "recourse" (Regress aber auch: Anrufung, Zuflucht; to have recourse to = sich an jemand wenden; without recorse to the ordinary court = ohne Anrufung des ordentlichen Gerichts (d.Hrsg.) ) ausgetauscht hat. Dazuhin wurde nicht beachtet, dass die englischen Worte "are to be submitted" als Bezugspunkt die Worte "to Stockholm, Sweden" haben und nicht den offensichtlichen Satzeinschub "without resourse to the ordinary court". Denn dem Wort to submit ist immer die Präposition "to" zugeordnet.
Damit gehört das Wort "to" vor dem Wort Stockholm zu dem Verb "submitted" und kann deshalb nicht mehr als Bezugsobjekt die Worte ordinary court haben.
Das führt auch hier zu dem richtigen Verständnis, dass ohne Zugriff auf die ordentlichen Gerichte das Schiedsgericht zuständig ist. Die angeführte englische Übersetzung macht auch schon deshalb keinen Sinn, weil sich schon aus der Überschrift "Arbitration" und aus dem der fraglichen Passage folgenden Satz ergibt, dass ein Schiedsgericht eingesetzt werden soll, was nach der genannten Übersetzung gerade ausgeschlossen wäre. Auch macht es kaum Sinn, dass Streitigkeiten zwischen einem russischen und einem deutschen Unternehmen vor dem ordentlichen Gericht in Schweden, wozu der Rechtsstreit keinen Bezug hat, ausgetragen werden sollen.
3. Die Schiedsvereinbarung ist in diesem vom Senat ausgelegten Sinn auch inhaltlich hinreichend bestimmt; denn sie deutet nur auf ein in Stockholm ansässiges Schiedsgericht hin, nämlich das Arbitration Institute of the Stockholm Chamber of Commerce, ein institutionalisiertes Schiedsgericht mit eigener, seit 1.1.1988 in Kraft getretener Schiedsordnung (vgl. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 6. Aufl. Kap. 41 Rd-Nr. 17). Dieses Schiedsgericht ist eines der international bekanntesten internationalen Schiedsgerichte und im internationalen Wirtschaftsverkehr den Beteiligten ein Begriff und daher auch ohne ganz korrekte und vollständige Bezeichnung im Zweifel gemeint.