Recht und Steuern

A1 Nr. 142

A 1 Nr. 142 §§ 592 ff., 602 ff., 1032 Abs. 1 ZPO - Bei Schiedsvereinbarung Wechsel-, aber kein Urkundenprozeß
Sind Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis einer Schiedsabrede unterstellt, dann schließt diese grundsätzlich nicht nur die ordentliche Klage, sondern auch den Urkundenprozeß vor dem staatlichen Gericht wegen Ansprüchen aus diesem Rechtsverhältnis aus.
Der Grundsatz, daß die Schiedsabrede i.d.R. einen Gläubiger nicht hindert, im Wechselprozeß schnell einen Vollstreckungstitel aus im Rahmen des Rechtsverhältnisses begebenen Wechseln zu erlangen, kann nicht auf den gewöhnlichen Urkundenprozeß übertragen werden.
BGH Urteil vom 12.1.2006 - III ZR 214/05; NJW 2006, 779 = RKS A 1 Nr. 142
Die Klägerin verlangt im Urkundenprozeß 58 057 Euro restliche Vergütung für die Verlegung von Kabeln. Die Beklagte hat die Schiedseinrede erhoben.
Aus den Gründen:
Die Klage ist gem. § 1032 Abs. 1 ZPO als unzulässig abzuweisen, weil sie in einer Angelegenheit erhoben worden ist, die Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist und die Bekl. dies vor Beginn der mündlichen Verhandlung gerügt hat. In Nr. 35.2 des in englischer Sprache abgefaßten Vertrages vom 10./12.9.2001 haben die Parteien lt. der von der Kl. vorgelegten Übersetzung:
„Falls es den Parteien nicht gelingt, solche Streitigkeiten oder Differenzen beizulegen, wird die Angelegenheit entsprechend den Richtlinien des Schiedsgerichtshofs der Internationalen Handelskammer einem Schiedsgericht vorgetragen. Ort des Schiedsgerichts ist G./Schweiz, und die Schiedsgerichtsverhandlungen sind in englischer Sprache zu führen“
eine Schiedsvereinbarung getroffen (§ 1029 Abs. 2, 2. Alt. ZPO). Die Revision rügt, die Vereinbarung sei unwirksam, weil sie in unauflösbarem Widerspruch zu Art. 31 des Vertrages stehe, der lt. der von der Kl. vorgelegten Übersetzung lautet:
„Dieser Vertrag unterliegt deutschem Recht und wird entsprechend den deutschen Gesetzen erstellt wie er auch der nicht ausschließlichen (oder: einfachen) Zuständigkeit der deutschen Gerichte unterliegt.“
Das Berufungsgericht hat - auf der Grundlage der von der Kl. vorgelegten Übersetzungen - einen Widerspruch zwischen den vorgenannten Klauseln nicht gesehen; sie seien nebeneinander anwendbar. Trotz der Schiedsgerichtsklausel habe es Sinn gemacht, die Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu vereinbaren, etwa für den Fall, daß die Bekl. die Schiedseinrede nicht oder nicht rechtzeitig erhoben habe. Aus der Vereinbarung, deutsches Recht solle gelten (Nr. 31 d.Vertrags), ergebe sich auch, daß der Streit um die Zulässigkeit - einer Klage vor dem staatlichen Gericht oder einer Schiedsklage - vor den deutschen Gerichten auszutragen sei. Im Übrigen habe die Vereinbarung deutschen Rechts Bedeutung für die materiell-rechtliche Ausgestaltung des Vertrages.
Diese Auslegung des Vertrages vom 10./12.9.2001 kann im Revisionsrechtszug nur darauf überprüft werden, ob gegen Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungsgrundsätze verstoßen worden ist oder gesetzliche Vorschriften nicht beachtet worden sind (vgl Senat BGHR ZPO § 1025 Schiedsvereinbarung 1; BGHZ 24, 15 [19] = NJW 1957, 791). Dies ist
BGH 12.1.2006 RKS A 1 Nr. 142 S. 2
nicht der Fall. Die Auslegung des BerG., wonach sich die beiden Klauseln nicht widersprechen, sondern ergänzen, ist möglich. Ungeachtet der Schiedsvereinbarung bleiben die staatlichen Gerichte - nach dem unstreitig maßgeblichen deutschen Recht - u.a. zuständig für die Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1032 Abs. 2 ZPO), für die Entscheidung über einen die Zuständigkeit betreffenden Zwischenentscheid des Schiedsgerichts (§ 1040 Abs. 3 S. 1 und 2 ZPO) oder für die Anordnung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen (§ 1033 ZPO). Es liegt nahe, die Bestimmung der „nicht ausschließlichen“ oder „einfachen“ Zuständigkeit der deutschen Gerichte (Nr. 31 des Vertrags) - im Zusammenhang mit der Schiedsklausel (Nr. 35.2 des Vertrags) - so zu verstehen, daß sie die den staatlichen Gerichten verbleibenden Zuständigkeiten betrifft. Für eine die Zuständigkeit des Schiedsgerichts überhaupt in Frage stellende Vereinbarung einer alternativen Zuständigkeit von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit besteht kein Anhalt.
Mit dem vorbeschriebenen „Nebeneinander“ von Schiedsgericht und staatlichem Gericht steht in Einklang, daß - vereinbarungsgemäß - das Schiedsgericht den Richtlinien der Internationalen Handelskammer unterliegt (vgl. § 1042 Abs. 3 ZPO) und im Schiedsverfahren Englisch die Verhandlungssprache ist (Nr. 35.2 des Vertrags, vgl. § 1045 Abs. 1 S. 1 ZPO), das - ausnahmsweise zuständige - staatliche Gericht aber nach ZPO und § 184 GVG verfährt.
Die von der Kl. auf den Vertrag gestützte Restwerklohnforderung selbst ist unstreitig in die - weit gefaßte - Schiedsvereinbarung einbezogen. Zu Recht hat das BerG. durch die Schiedsvereinbarung auch den Urkundenprozeß (§ 592 ff. ZPO) für abbedungen angesehen.
Zum Wechselprozeß (§§ 602 ff. ZPO), einem Unterfall des Urkundenprozesses, hat der Senat (NJW 1994, 136 = RKS A 1 Nr. 77, m.w.Nachw.; s.auch Czempiel/Kurth, NJW 1987, 2118 [2120 ff.]) entschieden, daß bei einer umfassenden Schiedsklausel, die alle Streitigkeiten aus dem abgeschlossenen Geschäft einem Schiedsgericht zuweist, Ansprüche aus Wechseln, die im Zusammenhang mit dem Geschäft begeben werden, grundsätzlich in die Schiedsvereinbarung einbezogen sind. Das bedeute allerdings nicht, daß dem Kl. der Wechselprozeß vor dem staatlichen Gericht mit der Möglichkeit, schnell zu einem Vollstreckungstitel zu gelangen, verschlossen sei. Der Wechselgläubiger habe sich im Regelfall ungeachtet der vereinbarten Schiedsklausel das Recht auf ein Vorgehen im Wechselprozeß - jedenfalls im Urkundenverfahren - vorbehalten; die Schiedsabrede sei erst im Nachverfahren erheblich (vgl. Senat NJW 1994, 136 [137] = RKS A 1 Nr. 77). Insofern liege es ähnlich wie bei den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Arrest und einstweilige Verfügung, §§ 916ff. ZPO); die Schiedsvereinbarung stehe vorläufigen oder sichernden Maßnahmen des staatlichen Gerichts in Bezug auf den Streitgegenstand des in Aussicht genommenen oder bereits begonnenen schiedsrichterlichen Verfahrens nicht entgegen (vgl. Senat NJW 1994, 136 = RKS A 1 Nr. 77 [zum alten Recht], § 1033 ZPO n.F.; Begr. d. BReg. zu dem GE zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts, BT-Dr. 13/5274 , S. 38f.).
Diese Grundsätze zum Wechselprozeß können nicht auf den (gewöhnlichen) Urkundenprozeß übertragen werden. Sind Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis einer Schiedsvereinbarung unterstellt, dann schließt dies grundsätzlich die ordentliche Klage und den Urkundenprozeß vor dem staatlichen Gericht aus (vgl. OLG Köln NJOZ 2001, 735 = OLG-Report 2001, 227 [228]; Stein/Jonas/Schlosser ZPO 22. Aufl. [2002] § 1029 Rd-Nr. 23 a.E., § 1032 Rd-Nr. 6; Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. [2005] Vorb. § 592 Rd-Nr. 3; Musielak/Voit, ZPO 4. Aufl. [2005], § 592 Rd-Nr. 15 ; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 27. Aufl. [2005] Vorb. §
BGH 12.1.2006 RKS A 1 Nr. 142 S. 3
592 Rd-Nr. 2 und § 1032 Rd-Nr. 1; Wolf DB 1999, 1101 [1104]; so wohl auch Münch in: MünchKomm-ZPO Bd. 3, 2. Aufl. [2001] , § 1032 Rd-Nr. 6 und Braun in MünchKomm-ZPO Bd. 2, 2. Aufl. [2000], § 597 Rd-Nr. 2a; Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit 7. Aufl. [2005], Kap. 7 Rd-Nr. 16a; a.A. OLG Düsseldorf OLG-Report 1995, 198 [199]; = RKS A 1 Nr. 82 und OLG-Report 1998, 225 [226 f.]; OLG Bamberg OLG-Report 2005, 79 [80]; offen geblieben in dem die erst im Nachverfahren eines Urkundenprozesses erhobene Schiedsabrede betreffenden Senatsurteil, BGH NJW-RR 2002, 387).
Daß wechsel- und scheckrechtliche Ansprüche in einem beschleunigten und vereinfachten Verfahren (vgl. §§ 602 f. ZPO) durchgesetzt werden können, hat seinen Grund darin, daß im Geschäftsverkehr Wechsel und Scheck den Zahlungsmitteln weitgehend gleichgestellt werden. Die Möglichkeit eines Wechsel- oder Scheckprozesses ist gerade einer der Hauptvorteile, die ein Wechsel oder Scheck bietet (vgl. Senat NJW 1994, 136 = RKS A 1 Nr. 77; Wolf DB 1999, 1101 [1104]). Ist die rasche Durchsetzbarkeit aber von so zentraler Bedeutung für Wechsel und Scheck, kann in der Regel nicht angenommen werden, daß eine Schiedsvereinbarung nicht nur die gewöhnliche Klage zum staatlichen Gericht, sondern weiter den Wechsel- oder Scheckprozeß ausschließen sollte. Beim gewöhnlichen Urkundenprozeß liegt es anders: Zwar findet dort, wie im Wechsel- und Scheckprozeß, eine Beschränkung auf liquide Beweismittel statt, und ist die Widerklage ausgeschlossen (vgl. § 595 ZPO). Der gewöhnliche Urkundenprozeß ist indes nicht von den besonderen Bedürfnissen des Zahlungsverkehrs geprägt (vgl. Wolf DB 1999, 1101). Er ist im Gegensatz zum Wechsel- und Scheckprozeß (vgl. §§ 602, 605a ZPO) nicht auf bestimmte Ansprüche, nämlich auf Ansprüche aus wechseln oder Schecks, beschränkt. Die Möglichkeit einer - die Wirkung des Wechsels oder Schecks wie Bargeldzahlung geschuldeten (vgl. OLG Köln OLG-Report 2001, 227 [228]; Wolf DB 1999, 1101) - außerordentlichen Beschleunigung des Verfahrens durch die Verkürzung der Ladungsfrist auf eine (Mindest-)Frist von 24 Stunden (vgl. § 604 Abs. 2 S. 1 ZPO) kennt der gewöhnliche Urkundenprozeß nicht. Steht aber der Urkundenprozeß ungeachtet gewisser Besonderheiten dem ordentlichen Klageverfahren doch recht nahe, muß regelmäßig davon ausgegangen werden, daß eine schiedsvertragliche Zuständigkeitsverlagerung vom staatlichen Gericht zm Schiedsgericht auch für die Klage im Urkundenprozeß (§ 592 ZPO) gilt. Anderenfalls, d.h. wenn die Schiedseinrede der Urkundenklage grundsätzlich nicht entegegengesetzt werden könnte, bestünde die Gefahr, daß Schiedsvereinbarungen ohne weiteres unterlaufen werden könnten; die „schiedsunwillige“ Partei müßte nur einen Urkundenprozeß anstrengen.
Das BerG konnte besondere Anhaltspunkte, daß die Parteien Klagen im Urkundenprozeß von der Schiedsklausel hätten ausnehmen wollen, nicht feststellen.