Recht und Steuern

A1 Nr. 104

A1 Nr.104
Auslegung der Klausel ”Schiedsverfahren nach den Schiedsregeln der deutschen zentralen Handelskammer (German Central Chamber of Commerce)” = Schiedsgericht der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS)
Mit der Klausel „Jede Meinungsverschiedenheit oder jeder Anspruch aus diesem Vertrag ist endgültig durch ein Schiedsverfahren nach den Schiedsregeln der deutschen zentralen Handelskammer (German Central Chamber of Commerce) zu regeln” haben sich die Parteien auf ein aus ihrer Formulierung ableitbares, genau bestimmbares Schiedsgericht geeinigt, nämlich das der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V.
Kammergericht Beschluss vom 15. 10. 1999 - 28 Sch 17/99; RKS A 1 Nr. 104
Aus dem Sachverhalt:
Die Antragstellerin beantragt die Aufhebung des Zwischenentscheides des DIS-Schiedsgerichts vom 4.8.1999, mit dem es sich zur Entscheidung über die Schiedsklage vom 15.11.1998 für zuständig erklärt hat. Die im Vertrag vom 15.5.1998 enthaltene Schiedsklausel lautet in beglaubigter Übersetzung:
„Können Meinungsverschiedenheiten technischer Art zwischen den Parteien nicht einvernehmlich geregelt werden, hat der Verkäufer den Versuch zu unternehmen, die Probleme, die mit verborgenen Mängeln und Leistungsgarantie zusammenhängen und die in den Verantwortungsbereich des Lieferanten fallen, mit dem Käufer angemessen zu regeln. Lässt sich innerhalb einer angemessenen Frist keine Lösung finden, ist die Sache der Schieds­gerichts­barkeit des TÜV, des Deutschen Instituts für Technische Normen, Stuttgart, zu unterbreiten. Die Parteien erkennen die Schiedsgerichtsbarkeit des TÜV bedingungslos an.
Der Spruch des TÜV, der als Schiedsrichter ernannt wird, ist endgültig und als Gerichtsurteil zu vollstrecken.
Jede Meinungsverschiedenheit, ausgenommen der oben aufgeführten technischen Meinungsverschiedenheiten, jede Kontroverse oder jeder Anspruch aus diesem Vertrag oder aus Vertragsbrüchigkeit, Kündigung oder Ungültigkeit ist endgültig durch ein Schiedsverfahren nach den Schiedsregeln der deutschen zentralen Handelskammer (German Central Chamber of Commerce) zu regeln. Das Schiedsverfahren soll in Berlin stattfinden und ist in englischer Sprache zu führen. Das Schiedsverfahren unterliegt dem Recht der Bundesrepublik Deutschland.
Die Parteien haben dies bedingungslos vereinbart. Die zuständigen staatlichen Gerichte sind die Handelsgerichte in Cagaloglu, Istanbul, Türkei, und die Handelsgerichte Fredericia, Dänemark. Da der Spruch des Schiedsrichters verbindlich ist, können die Vollstreckungsmaßnahmen unverzüglich erfolgen.”
Aus den Gründen:
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Obwohl eine „deutsche zentrale Handelskammer” nicht existiert, haben sich die Parteien auf ein aus ihrer Formulierung ableitbares, genau bestimmbares Schiedsgericht geeinigt, nämlich das der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. Das ergibt die Auslegung der Schiedsklausel. Schiedsklauseln sind nach der internationalen Praxis generell großzügig auszulegen, um den Interessen der Parteien möglichst weitgehend zu entsprechen. Hierbei gelten die allgemeinen Auslegungsgrundsätze des Bürgerlichen Gesetzbuches, so dass bei der Ermittlung des Willens der Parteien, ausgehend vom Wortlaut, alle Umstände des Einzelfalles heranzuziehen sind, insbesondere die Interessen der Parteien und die von ihnen verfolgten Zwecke, soweit sie gegenseitig bekannt waren (vgl. Zöller/Geimer, 21. Aufl., Rd-Nr. 31ff., Baumbach/Albers, 57. Aufl., Rd-Nr. 12 zu § 1029 ZPO; OLG München NJW-RR 1991, 602, 603; Hochbaum Beilage 14 zu BB 1995, 14, 15). Die Parteien haben unstreitig die Anwendbarkeit deutschen Rechts gewollt, auch des materiellen Rechts.
Auszugehen ist davon, dass beide Parteien eindeutig die Schiedsgerichtsbarkeit für möglichst alle eventuell aufkommenden Meinungsverschiedenheiten vorsehen wollten. Für technische Fragen haben sie sogar differenziert und eine andere, ebenfalls deutsche Institution als Schiedsgericht bestimmt. Schließlich halten beide Parteien - ohne dass es entscheidend darauf ankäme - auch jetzt noch im gerichtlichen Verfahren an ihrem Willen zur möglichst weitgehenden Beilegung ihres Streits in einem Schiedsverfahren fest. Dass die Zulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO auf Antrag auch von einem staatlichen Gericht hätte überprüft werden können, berührt die Zulässigkeit und die Erfolgsaussichten des vorliegenden Antrages nicht (Baumbach/Albers aaO. § 1032 Rd-Nr. 9).
Mit der Formulierung „ein Schiedsverfahren nach den Schiedsregeln der deutschen zentralen Handelskammer” haben die Parteien vereinbart, dass sie sich einem institutionellen Schiedsgericht unterstellen wollen und dass - in Verbindung mit dem übrigen Inhalt der Schiedsklausel - dieses Schiedsgericht seinen Sitz in Deutschland mit dem Verfahrensort Berlin haben soll. Nur so wird hinreichend berücksichtigt, dass ausdrücklich von der „deutschen zentralen Handelskammer” gesprochen wird. Auch wenn die Antragstellerin dieser Formulierung keine besondere Bedeutung beigemessen haben mag, so kann der Aspekt bei der Auslegung doch nicht unberücksichtigt bleiben oder gar in sein Gegenteil verkehrt werden, indem gemäß ihrer jetzigen Interpretation statt dessen der „Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer” mit Sitz in Paris vereinbart sein soll. Ein derartiger Bezug kommt in der Klausel auch nicht ansatzweise zum Ausdruck (vgl. zum gegenteiligen Fall OLG Dresden BB 1995, Beilage S. 18ff. = RKS A 1 Nr. 85), zumal da es z.B. auch das „Internationale Schiedsgericht der Wirtschaftskammer Österreich, Wien” und nicht nur das der ICC gibt. Zudem enthalten auch die Namen von Schiedsgerichten wie diejenigen der Stockholmer und der Zürcher Handelskammer gerade keine Zusätze wie „international” o.ä., obwohl diese Gerichte selbstverständlich auch solche Verfahren bearbeiten. Die Parteien haben darüber hinaus nicht die von ICC vorgeschlagene Formulierung für eine Schiedsabrede in Erwägung gezogen und schließlich in technischen Fragen ebenfalls eine deutsche Institution als Schiedsgericht bestimmt. Auch hierin kommt wie in der gesamten Schiedsklausel zum Ausdruck, dass jeder aus dem Vertrag resultierende Streit in Deutschland (und nicht etwa in Paris) ausgetragen und entschieden werden soll. Soweit die Ast. anführt, sie habe die DIS als Institution und deren Schiedsordnung nicht gekannt, so ist dies nicht von tragender Bedeutung für die Auslegung der Klausel und die Feststellung des gemeinsamen Willens der Parteien, gerade weil die „German Central Chamber of Commerce” beiden ebenso wenig bekannt gewesen sein kann (denn sie gibt es nicht).
Zusammenfassend ist der äußere Rahmen der Auslegung mithin dadurch festgelegt, dass einerseits die im Vertrag benannte deutsche zentrale Handelskammer (mit einem eigenen Schiedsgericht wie in anderen Staaten) nicht existiert und andererseits nur ein Schiedsgericht in Frage kommen kann, das mit einer vergleichbaren deutschen Institution in einem engen Zusammenhang steht.
In diesen Voraussetzungen unterscheidet sich der vorliegende Fall maßgeblich von den Fällen, wo entweder bei der Auslegung der Schiedsklausel zwei verschiedene ständige Schiedsgerichte in Betracht kamen (z.B. BGH NJW 1983, 1267ff. = RKS A 1 Nr. 40) - was hier in Bezug auf das ICC-Schiedsgericht nicht zutrifft - oder ein existierendes institutionelles Schiedsgericht nach Vertragsschluss aufgelöst und nicht - für die Parteien wirksam - auf eine andere Institution übertragen worden war (so BGH WM 1994, 520 ff. = RKS A 1 Nr. 79).
Unabhängig davon wäre für den Fall eines nicht bestimmbaren ständigen Schieds­gerichts zu prüfen, ob nicht das Verfahren zur Ausfüllung lücken­hafter Schieds­verein­barungen gemäß Art. 4 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5, 6 des Gesetzes zu dem Europäischen Überein­kommen vom 21. 4. 1961 über die internationale Handels­schieds­gerichts­barkeit vom 17.4.1964 (BGBl. II 1964, 425ff. und 1965, 107 = HSG Band 1 Textteil II Nr. 4) zu betreiben wäre oder ob sich die Bestellung des Schieds­gerichts und seine Verfahrens­weise aus der gemäß § 1025 Abs. 1 ZPO anwendbaren Zivilprozess­ordnung ergeben, um dem Willen der Parteien auf Durch­führung eines Schieds­verfahrens in Deutschland Geltung zu verschaffen (Raeschke-Kessler, Recht und Praxis des Schieds­verfahrens, 2. Aufl. Rd-Nr. 144; Rüsch Anm.zu OLG Stettin JW 1927, 725).
Die Parteien haben indes mit ihrer Vereinbarung das in Deutschland unter diesen Voraus­setzungen einzig in Betracht kommende, bestimmbare Schiedsgericht der DIS gewählt. Sie wollten sich den Schiedsregeln der „deutschen zentralen Handelskammer” unterwerfen. Die Funktionen dieser so beschriebenen Einrichtung werden in der Bundes­republik Deutschland vom Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) als Spitzen­organisation aller deutschen Handelskammern in weiten Bereichen wahr­genommen; eine andere überregionale Einrichtung, die mit den Handelskammern der Länder auch nur annähernd vergleichbar zusammenarbeitet, gibt es nicht. Dem gemeinsamen Willen nach Durch­führung eines Schieds­verfahrens in Deutschland kann bei der Auslegung dadurch Geltung verschafft werden, dass diejenige Schieds­gerichts­institution gemeint ist, die vom DIHT ausdrücklich und maßgeblich mitgetragen wird. Dies ist aus den ausführlichen Gründen im Zwischenentscheid des Schiedsgerichts, auf die der Senat ausdrücklich verweist (§ 543 Abs. 1 ZPO analog), die branchenunabhängige DIS mit ihrer Verfahrensordnung. Ist ein - durch Auslegung ermitteltes - ständiges Schiedsgericht verabredet, so ist grundsätzlich auch die von ihm angewandte Verfahrensordnung gewollt (BGH NJW-RR 1986, 1059f. = RKS A 3 Nr. 15).
Dem Parteiwillen nach einem internationalen Bezug der Verfahrensordnung wird Rechnung getragen. Auf das vorliegende Schiedsverfahren ist, auch wenn sie erst nach Vertragsschluss in Kraft getreten ist (vgl. BGH WM 1994, 520, 524 = RKS A 3 Nr. 16), die Schiedsordnung der DIS vom 1.7.1998 anwendbar, die ebenso wie das auf Grund der Vorgaben des UNCITRAL-Modellgesetzes neugefaßte 10. Buch der ZPO an internationalen Maßstäben ausgerichtet ist. Die DIS-Schiedsordnung ist nach der Einleitung ihrer neuen Fassung ausdrücklich auch für „internationale Schieds­gerichts­verfahren” geeignet.