Recht und Steuern

A1 Nr. 138

A1 Nr.138
§§ 12ff., 23,32, 1025, 1032 ZPO - Derogation der internationalen Zuständigkeit deutscherGerichte: Schiedsort im Ausland, ausländisches Recht (hier: Genf, SchweizerRecht). Einstweiliger Rechtsschutz durch deutsches staatliches Gericht?
Die Parteien können wirksam vereinbaren, daß alle Streitigkeiten ausihrem (internationalen) Vertrag durch ein Schiedsgericht an einem ausländischenSchiedsort nach ausländischem Recht entschieden werden sollen.
In diesem Fall ist das deutsche staatliche Gericht auch für Maßnahmen deseinstweiligen Rechtsschutzes nicht zuständig.
OLG NürnbergBeschl.v. 30.11.2004 - 12 U 2881/04; Zeitschrift für Schiedsverfahrensrecht2005, 51 = RKS A 1 Nr. 138
Aus denGründen:
Die Auslegungder maßgeblichen Klauseln des Liefervertrages vom 29.7.1999 in ihrerGesamtschau ergibt, daß die Vertragsparteien die internationale Zuständigkeitdeutscher Gerichte - auch die nach § 32 ZPO (für Klagen aus unerlaubterHandlung) - derogiert haben. Die Derogation der an sich nach §§ 12 ff.ZPO gegebenen internationalen Zuständigkeit Deutschlands ist zulässig(Geimer IPR 3. Aufl. Rd-Nr. 1757). Bei der Auslegung kommt es auf denerkennbaren übereinstimmenden Parteiwilllen an (Geimer Rd-Nr. 1719 § 133 BGB).Dabei macht es für die Feststellung des Parteiwillens keinenentscheidenden Unterschied, ob die Parteien ein ausländisches Gericht oder ein ausländisches Schiedsgericht vereinbart haben. Denn bei der Derogationgeht es darum, wo der Rechtsstreit nicht entschieden werden soll.
Deswegen kannaus der Rechtsauffassung des Senats nicht abgeleitet werden, daß dieser derMeinung ist, daß die Parteien hier eine Vereinbarung getroffen hätten, wonachder einstweilige Rechtsschutz durch staatliche Gerichte gänzlich ausgeschlossenwäre. Es geht vielmehr ausschließlich um die Frage, ob deutsche Gerichte (undzwar das Landgericht Regensburg) für Anordnungen des einstweiligenRechtsschutzes international zuständig sind. Dies ist vorliegend nicht derFall; denn durch die wirksame Zuständigkeitsvereinbarung wurde die gesetzlicheZuständigkeitsordnung modifiziert. Die Gerichte der BRD würden selbst danninternational unzuständig, wenn sie „an sich” nach § 12 f. ZPO internationalzuständig gewesen wären (Geimer Rd-Nr. 1706).
Gegen die vom Senatvorgenommene Auslegung kann auch nicht eingewandt werden, daß der Berufungskl.damit einstweiliger Rechtsschutz generell verweigert würde. Denn jedenfalls zumheutigen Zeitpunkt - und nur darauf kommt es für die Entscheidung desBerufungsgerichts an - wären Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzeszumindest durch das Schiedsgericht in der Schweiz möglich, nachdem es sichunstreitig dort konstituiert hat.
Hinweisbeschlußan die Berufungskl. vom 27.10.2004:
Der Senatteilt die Ansicht des LG, daß die im Vertrag getroffene Schiedsabrede Maßnahmendes einstweiligen Rechtsschutzes staatlicher Gerichte nicht ausschließt. Diesergibt sich unmittelbar aus § 1033 ZPO. Eine Anordnungsbefugnis für das LGRegensburg setzt aber voraus, daß dieses das Gericht der Hauptsache i.S.d. §937 Abs. 1 ZPO ist. Das ist es jedoch nur, wenn es international zuständig ist,was wiederum davon abhängt, ob für dieses Gericht ein Gerichtsstand nach den §§12 ff. ZPO besteht (BGH 94, 157).
Weil imkonkreten Fall allenfalls Gerichtsstände nach §§ 23 und 32 ZPO in Betrachtkommen, diese Gerichtsstände aber abdingbar sind, kommt es tatsächlich daraufan, ob dem Vertrag eine Vereinbarung der Parteien entnommen werden kann,deutsche (und auch algerische) Gerichte von einer Entscheidung auszuschließen.Aus der Zusammenschau der Vertragsbestimmungen läßt sich eineGerichtsstandvereinbarung mit dem Inhalt der Derogation deutscher Gerichteentnehmen. Nach diesen Bestimmungen wurde nicht nur eine Schiedsabredegetroffen, sondern es wurde darüber hinaus der Schiedsort bestimmt. Fernersollten Streitigkeiten aus dem Vertrag ausschließlich nach Schweizer Rechtbeurteilt werden. Das macht deutlich, daß es den Parteien darum ging, daßStreitigkeiten durch ein „neutrales” Gericht nach „neutralem” Recht entschiedenwerden. Welcher Gerichtsort und welches Recht als „neutral” gelten sollten,wurde dabei ausdrücklich festgelegt. Diese Vereinbarung kann damit auch nur dasZiel verfolgt haben, daß über etwaige Streitigkeiten ausschließlich in derSchweiz entschieden werden soll.
Es istallgemein anerkannt, daß die Parteien eines internationalen Rechtsstreits aucheine ausschließliche Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts frei vereinbarenkönnen (Thomas/Putzo ZPO 25.Aufl. Vorbem.vor § 38 Rd-Nr.5). Allerdings ist dieVereinbarung einer ausschließlichen Zuständigkeit eines ausländischen Gerichtsnach deutschem Recht unwirksam, wenn die Vereinbarung nicht schriftlichgetroffen worden ist (§ 38 Abs. 2 S. 2 ZPO). Diese Voraussetzung ist hiergegeben, nachdem die genannten vertraglichen Bestimmungen schriftlichniedergelegt wurden. Demnach können allenfalls Schweizer Gerichte Maßnahmen deseinstweiligen Rechtsschutzes anordnen, darüber hinaus auch das mittlerweilekonstituierte Schiedsgericht.
Gegen dieAnnahme einer Derogation deutscher Gerichte kann auch nicht eingewandt werden,daß eine etwaige Entscheidung eines ausländischen Gerichts in Deutschland nichtvollstreckbar sei, weil die Vollstreckung der beantragten Untersagungsanordnungjedenfalls nicht in Deutschland durchgesetzt werden müßte.
Im Übrigen hatder Senat auch erhebliche Zweifel, ob im LG-Bezirk Regensburg ein Gerichtsstandnach den §§ 23 oder 32 gegeben wäre. § 23 ZPO liegt nicht vor, weil eineForderung der Berufungsbekl. gegen die Berufungskl. nicht besteht. Für dieBegründung eines Gerichtsstandes der unerlaubten Handlung i.S.d. § 32 ZPOreicht eine lediglich schuldhafte Verletzung vertragsgemäßer Verbindlichkeitennicht aus. Erforderlich sind vielmehr unerlaubte Handlungen nach §§ 823 ff. BGB.Diese gründen hier nur in einer vorwerfbaren Inanspruchnahme derstreitgegenständlichen Bankgarantie. Ein Mißbrauch müßte aber klar erkennbarsein. Das ist er aber schon deshalb nicht, weil die Antragsgegnerinzwischenzeitlich unter Einsatz eigener finanzieller Mittel das Schiedsgerichtin Genf angerufen hat. Daraus ist nämlich zu schließen, daß sie von derRechtmäßigkeit ihrer Forderung und damit auch der Inanspruchnahme derBankgarantie ausgeht, was jedenfalls auch objektiv nicht von vornherein auszuschließenist. Jedenfalls ist deshalb ein Schluß auf ein rechtsmißbräuchliches Verhaltennicht zu ziehen.
Der Senat legtdaher zur Vermeidung der Rechtsfolgen des § 522 Abs. 2 und 3 und ausKostengründen die Rücknahme der Berufung nahe; denn in diesem Fall ermäßigensich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (KV 1413, 1415).
Hinweise: Kritische Anmerkung zu diesem Beschluß von Geimer SchiedsVZ2005, 52 -
Die zitierteEntscheidung BGH 18.4.1985 VII ZR BGHZ 94, 157 betrifft kein Schiedsgericht,sondern besagt, daß der gem. § 18 Nr. 1 VOB Teil B vereinbarte Gerichtsstand amSitz der für die Prozeßvertretung des (öffentlichen) Auftraggebers zuständigenStelle (hier: in der Schweiz) nur für die örtliche Zuständigkeit gilt, dieinternationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aber nicht ausschließt.