Recht und Steuern

A5 Nr.36

A5 Nr.36
§ 319 BGB Vermittlungs- oder Schlichtungsvertrag mit Unterwerfung unter den Schlichterspruch, Schiedsvertrag, Schiedsgutachtervertrag, Abgrenzung. Offenbare Unrichtigkeit, Darlegungs- und Beweislast
Wenn Gesellschafter sich gegenseitig verpflichten, bei Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsvertrag über seine Auslegung und Wirksamkeit oder ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten zunächst ein Vermittlungsverfahren durchzuführen, und sich vorab dem Einigungsvorschlag des Vermittlers unterwerfen, der im Gesellschaftsvertrag darüber hinaus beabsichtigte Schiedsvertrag aber nicht zustande kommt, so ist diese Abrede als Schiedsgutachtenvertrag zu verstehen.
Ein Schiedsgutachter hat Tatsachen festzustellen und Tatfragen zu entscheiden, ist aber nicht befugt zu entscheiden, welche Verpflichtungen sich daraus für die Parteien ergeben. Wohl kann ihm die rechtliche Einordnung einzelner Tatbestandsmerkmale übertragen werden.
Das Schiedsgutachten ist verbindlich, wenn es nicht offenbar unrichtig ist. Offenbar unrichtig ist es z.B., wenn der Gutachter falsche Bewertungsmaßstäbe anwendet oder seine Ausführungen so lückenhaft sind, dass ein Fachmann das Ergebnis aus dem Zusammenhang des Gutachtens nicht überprüfen kann.
Das Schiedsgutachten ist zu begründen. Die Begründung kann nachgereicht werden.
Eine Partei, die sich auf offenbare Unrichtigkeit beruft, muss Tatsachen und Zahlen vortragen, aus deren Gesamtschau sich dem Sachkundigen die Erkenntnis der offenbaren Unrichtigkeit aufdrängt.
OLG Hamm Urt. v. 22. 1. 2001 - 8 U 66/00; Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2001, 652 = RKS A 5 Nr. 36
Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten nach Auflösung ihrer Anwaltssozietät um die Berechtigung einer Ausgleichsforderung. Der Sozietätsvertrag vom 3.8.1995 enthält in § 16 folgende Regelung:
„(1) Die Sozien verpflichten sich gegenseitig, bei auftretenden Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten aus diesem Vertrag oder über seine Auslegung oder Wirksamkeit oder über ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten zunächst ein Vermittlungsverfahren durchzuführen. Zu diesem Zweck haben die Sozien sich auf einen Vermittler zu einigen. Kommt eine Einigung auf einen Vermittler binnen angemessener Frist (z.B. binnen höchstens einem Monat ab Aufforderung) nicht zustande,. ist der Vermittler von der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu bestellen. Die Sozien unterwerfen sich schon jetzt dem Einigungsvorschlag des Vermittlers.
(2) Wird eine Meinungsverschiedenheit oder die Streitigkeit nicht i.R.d. Vermittlung binnen angemessener Frist beigelegt, werden alle Streitigkeiten aus diesem Vertrage unter den Sozien und/oder ihren Rechtsnachfolgern (auch Streitigkeiten zwischen einem oder mehreren Sozien einerseits und der Sozien andererseits) durch ein Schiedsgericht unter Ausschluß des ordentlichen Rechtswegs endgültig entschieden. Der Schiedsvertrag ist in einer besonderen Urkunde niederzulegen und beizufügen.”
Ein Schiedsvertrag wurde nicht geschlossen. Der Vermittler führte unter Beteiligung der Parteien mehrere Vermittlungs­gespräche und fällte am 18.10.1999 einen Schlichtungsspruch dahingehend, dass der Beklagte an den Kläger eine Abstands­summe zahlt und damit alle Forderungen aus der Sozietäts­auseinander­setzung erledigt sind. Das LG hat die Klage auf die Abstandssumme abgewiesen. Die Berufung des Kl. hat Erfolg.
Aus den Gründen:
Der Kl. kann auf Grund des sog. Schlichtungsspruchs vom 18.10.1999 Zahlung verlangen. Der Schiedsspruch stellt allerdings keine verbindliche Entscheidung eines Schiedsgerichts dar. Eine Schiedsabrede ist nicht getroffen worden. Eine Schiedsvereinbarung ist eine Vereinbarung der Parteien, alle oder einzelne Streitigkeiten, die zwischen ihnen in Bezug auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis vertraglicher oder nicht vertraglicher Art entstanden sind oder künftig entstehen, der Entscheidung eines Schiedsgerichts zu unterwerfen (§ 1029 Abs. 1 ZPO). Das Schiedsgericht entscheidet anstelle des staatlichen Gerichts.
So liegt der Fall hier indes nicht. Dies folgt aus § 16 (2) des Vertrages unzweifelhaft, da man eine gesonderte Urkunde noch schaffen wollte. Dies ist unstreitig nicht geschehen. Die Parteien haben aber in § 16 (1) eine als Schieds­gutachten­abrede zu verstehende Vereinbarung getroffen. Ein Schiedsgutachter hat Tatumstände festzustellen und Tatfragen zu entscheiden, ohne dass er befugt ist, darüber zu befinden, welche Verpflichtungen sich daraus für die Parteien ergeben (BGHZ 9, 143). Die Tätigkeit des Schiedsgutachters braucht sich allerdings nicht auf die Ermittlung einzelner Tatbestandsmerkmale zu beschränken, es kann ihm auch deren rechtliche Einordnung übertragen werden (BGH NJW 1975, 1556 = RKS A 5 Nr. 7). Vorliegend kann die Vereinbarung nach den Vorstellungen der Parteien, die damals den Sozietäts­gründungs­vertrag als vorläufige, noch ausfüllungsbedürftige Regelung angesehen haben, als vorgeschaltetes Vermittlungsverfahren verstanden werden, um eine möglichst schnelle Regelung erzielen zu können. Dies wird deutlich, wenn man § 16 (2) hinzunimmt, der die endgültige Entscheidung eines Schiedsgerichts vorsah, wenn der Streit binnen angemessener Frist nicht beigelegt werden konnte.
Das Vermittlungsverfahren sollte auch zu einer endgültigen Beilegung einer Auseinandersetzung führen können. Dies bestätigt die Fassung des § 16 (1) a.E., wonach sich die Sozien „schon jetzt” dem Einigungsvorschlag des Vermittlers unterwerfen. Darin drückt sich der Wille der Parteien aus, diesen Vorschlag als verbindlich zu behandeln. Damit geht die Aufgabe des Vermittlers über die Aufgaben eines Schiedsgutachters im üblichen Sinne hinaus. Der Vermittler hatte Tatsachen zu ermitteln, zu bewerten und schließlich eine Regelung zu treffen. Ihm kam von den Parteien i.R.d. zunächst durchzuführenden Vermittlungsverfahrens die Aufgabe eines verbindlich entscheidenden Schlichters zu. Nach dem Regelungszweck des § 16 sollte i.R.d. Vermittlung letztlich auch eine Auseinandersetzung der Sozietät möglich sein. Jedenfalls ist nichts dafür erkennbar, dass insoweit eine Ausnahme gelten sollte. Das Verhalten der Parteien spricht auch für diese Wertung, da sie sich mit den die Auseinandersetzung der Sozietät betreffenden Fragen in dem Vermittlungsverfahren befasst haben.
Der Schlichtungsspruch unterliegt der Billigkeitskontrolle nach § 319 BGB. Das sieht auch der Kl. so. Einer solchen Kontrolle hält der Spruch stand. Die Parteien haben nämlich nicht mehr die vorgesehene Vereinbarung getroffen, Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten der Entscheidung eines Schiedsgerichts zu überantworten, das unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs endgültig entscheiden sollte, falls das Vermittlungsverfahren nicht binnen angemessener Frist zur Streitbeilegung geführt hat. Sie haben auch keine Vereinbarung dahin getroffen, dass auch der Einigungsvorschlag des Vermittlers ohne jede Kontrolle bleiben sollte. Deswegen rechtfertigt sich die Überprüfung des Schlichterspruchs nach § 319 BGB.
Der Schlichterspruch ist in Anwendung des § 319 BGB für die Parteien nur dann nicht verbindlich, wenn er offenbar unrichtig ist. Nicht jeder Fehler führt zur offenbaren Unrichtigkeit. Sie muss sich vielmehr einem sachkundigen und unbefangenen Beobachter - wenn auch möglicherweise erst nach eingehender Prüfung - aufdrängen; dabei sind an das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit strenge Anforderungen zu stellen, weil anderenfalls der mit der Bestellung eines Schiedsgutachters verfolgte Zweck in Frage gestellt würde, ein möglicherweise langwieriges und kostspieliges Prozeßverfahren zu vermeiden (BGH MDR 1984, 28 = NJW 1983, 2244, 2245; MDR 1988, 381 = NJW-RR 1988, 506 = RKS A 5 Nr. 21; NJW-RR 1993, 1034, 1035).
Eine offenbare Unrichtigkeit des Gutachtens ist auch dann gegeben, wenn die Ausführungen des Sachverständigen so lückenhaft sind, dass selbst der Fachmann das Ergebnis aus dem Zusammenhang des Gutachtens nicht überprüfen kann (BGH MDR 1988, 381 = NJW-RR 1988, 506 = RKS A 5 Nr. 21) Auch bei der Anwendung falscher Bewertungsmaßstäbe liegt eine offenbare Unrichtigkeit vor (BGHZ 9, 195, 198f.). Generell ist von einer offenbaren Unrichtigkeit bei schwerwiegenden Mängeln in der Begründung auszugehen (vgl. Palandt/Heinrichs BGB 59. Aufl. § 319 Rd-Nr. 5 m.w.N.). Denn bei schwer­wiegenden Begründungsmängeln liegt zumindest nahe, dass auch das Ergebnis falsch sein muss. Anders wäre es nur dann, wenn zufällig das Ergebnis durch andere Fehler, die sich im Ergebnis in etwa gleicher Höhe gegenteilig auswirken, wieder ausgeglichen würde (BGHZ 9, 195, 198).
Eine Partei, die sich auf offenbare Unrichtigkeit der Leistungsbestimmung beruft, muss Tatsachen vortragen, aus denen sich dem Sachkundigen die Erkenntnis offenbarer Unrichtigkeit aufdrängt (BGH NJW 1984, 43, 45 = RKS A 5 Nr. 18).
Nach Lage des Falles führt der Umstand, dass dem Schlichterspruch vom 18.10.1999 keine Begründung beigegeben war, nicht zu dessen Unwirksamkeit. Dem Schlichterspruch ist die Begründung nachträglich gegeben worden. Der Schlichter hat die Begründung für seinen Schlichterspruch als Anlage zu seinem Schreiben vom 14.4.2000 schriftlich gefertigt. Der Kl. hat diese Begründung mit der Berufungsbegründung überreicht und sie damit in den Rechtsstreit eingeführt. Der Bekl. hat nicht geltend gemacht, sie sei von dem Schlichter nicht mit der gebotenen Neutralität, etwa im Blick auf den ihm bekannt gewordenen Streitstand des Verfahrens, erstellt worden. Schließlich ist er auch nicht dem Vortrag entgegen getreten, dass der Schlichter die Begründung mit diesem Inhalt seinem Schlichtungsspruch zu Grunde gelegt habe, wie das vom Kl. vorgelegte Schreiben des Schlichters vom 14.4.2000 ausweist.
Es bestehen keine übergreifenden Rechtsgrundsätze, die zum Schutz und im Interesse des Bekl. gegen das Nachholen der schriftlichen Begründung anzuführen sein könnten. Der Schlichterspruch schaffte keine Rechtskraft wie ein Urteil. Es lief keine Frist zu seiner Anfechtung. Dem Bekl. blieben alle Möglichkeiten, sich durch Inanspruchnahme staatlicher Gerichte gegen den Schlichterspruch zu wehren. In einem gerichtlichen Verfahren standen ihm alle Verteidigungsmöglichkeiten offen. Mögliche Kostenbelastungen konnte er nach §§ 93, 97 Abs. 2 ZPO abwehren, wie sich an der hier vom Senat getroffenen Kostenentscheidung zeigt.
Eine Partei, die sich auf die offenbare Unrichtigkeit der Leistungsbestimmung beruft, muss Tatsachen vortragen, aus denen sich dem Sachkundigen die Erkenntnis offenbarer Unrichtigkeit aufdrängt (BGH NJW 1984, 43, 45 = RKS A 5 Nr. 18); der Vortrag, ihre Einwendungen seien nicht hinreichend berücksichtigt worden, reicht nicht aus.
Der Rahmen des billigen Ermessens ist für den Schiedsgutachter, hier für den Schlichter, weit gesteckt, so dass nicht jede nachteilige Folge i.S.d. § 319 BGB bedeutsam werden kann. Ein substantiierter Vortrag hätte erforderlich gemacht, dass der Bekl. zunächst aus seiner Sicht die Auseinandersetzung der Sozietät mit konkreten Sachverhalten und Zahlen darstellt. Erst dann kann beurteilt werden, ob und in welcher Weise dies mit der Regelung des Schlichterspruchs nicht in Einklang steht, so dass dessen Ergebnis mit Blick auf § 319 BGB nicht mehr hingenommen werden kann. Der Vortrag des Bekl. greift jedoch nur einzelne Vorgänge auf, ohne die Gesamtschau zu eröffnen. Es mag deshalb zutreffen, dass einzelne Punkte anders zu beurteilen sein oder noch einzelne Angelegenheiten hätten einbezogen werden können - eine Gesamtbewertung und -abwägung ist nicht möglich.