Recht und Steuern

A5 Nr. 44

A5 Nr. 44
§ 1062 ZPO, § 319 BGB - GmbH-"Beirat": Schiedsrichter oder Schiedsgutachter
1. Der sog. Beirat ist kein Organ einer juristischen Person mit gesetzlich festgelegten Aufgaben. Er kann in unterschiedlichen Funktionen tätig werden. Diese sind durch Auslegung des Vertrages, der seiner Bestellung zugrundeliegt, zu ermitteln. Die von den Vertragsparteien gewählte Bezeichnung ist für die Auslegung, was gewollt ist, nicht allein entscheidend.
2. Erfolgt die Aufgabenzuweisung ohne kontradiktorisches Verfahren, oder erlaubt der Vertrag eine Zusammensetzung oder innere Ordnung des Beirats, die mit der gebotenen Unparteilichkeit nicht vereinbar ist, so spricht das gegen eine Funktion als Schiedsgericht. Soll der Beirat Tatsachen ermitteln, die den Umfang einer Leistung bestimmen, so spricht das für eine Tätigkeit als Schiedsgutachter.
3. Im Zweifel ist grundsätzlich anzunehmen, dass wegen der erheblichen Tragweite der Regelung keine Schiedsgerichtsabrede gewollt ist, sondern eine ihr gegenüber weniger weitgehende und daher für die Parteien weniger gefährliche Schiedsgutachterklausel.
4. Ist der Beirat in der streitgegenständlichen Funktion schiedsgutachterlich tätig, ist der Antrag auf Ablehnung eines Beiratsmitglieds wegen Besorgnis der Befangenheit vom OLG als unzulässig abzuweisen, weil dessen besondere erstinstanzliche Zuständigkeit gem. § 1062 ZPO ausschließlich für Schiedsverfahren gilt.
Ob auf den Schiedsgutachter die gesetzlichen Regeln für die Ablehnung von Schiedsrichtern analog anzuwenden sind oder die begründete Besorgnis seiner Befangenheit zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Gutachtervertrages berechtigt, ist nicht vom OLG zu entscheiden, sondern von den sonst zuständigen allgemeinen Zivilgerichten.
OLG München Beschl.v. 7.8.2006 - 34 SchH 9/05, Zeitschrift für Schiedsverfahrensrecht 2006, 287 = RKS A 5 Nr. 44
Aus dem Sachverhalt:
Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin zu 1, beide GmbH & Co KG , gründeten mit Gesellschaftsvertrag vom 13.10.2000 die X. GmbH. An dieser waren sie seit 2002 mit je 50% beteiligt. In § 16 des Gesellschaftsvertrages sind die Einrichtung eines Beirats sowie dessen Zusammensetzung, Aufgaben und Rechte u.a. wie folgt beschrieben:
"1. Zusammensetzung des Beirats
a) Die Gesellschaft hat einen aus drei Mitgliedern bestehenden Beirat.
b) Die Beiratsmitglieder können Gesellschafter des jeweiligen Gesellschafterstammes der beiden Gesellschafter ... oder Dritte sein. Sie müssen über die notwendige Sachkenntnis verfügen, die dem Umfang und der Bedeutung ihres Amtes entsprechen. Geschäftsführer und Prokuristen der Komplementär-GmbH und Prokuristen der Gesellschaft sowie im Wettbewerb zur Gesellschaft stehende Personen dürfen dem Beirat nicht angehören. Letztere Einschränkung gilt nicht für Gesellschafter der beiden Gesellschafterstämme.
c) (Regelungen zur Wahl bzw. der Bestimmung des Beirats). .........
2. Aufgaben und Rechte des Beirats
a) Bei fehlender Mehrheit zu Gesellschafterbeschlüssen und allen Streitigkeiten zwischen der Gesellschaft und der Gesellschafter und dieser untereinander oder auf Verlangen eines Gesellschafters tritt der Beirat entscheidend in Funktion und entscheidet endgültig unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs als Schiedsgericht. .........
f) Auf das schiedsrichterliche Verfahren sind die §§ 1025 ff. ZPO anwendbar. Ort des Verfahrens ist der Sitz der Gesellschaft.
3. Innere Ordnung des Beirats.
a) Vorsitzender des Beirats ist, sofern die Gesellschafterversammlung nicht einstimmig etwas anderes beschließt, das gem. Abs. 1 Buchstabe c bestimmte dritte Mitglied. .........
e) Über die Sitzungen des Beirats sowie über die nicht in Sitzungen gefassten Beiratsbeschlüsse sind unverzüglich Niederschriften anzufertigen, die der Vorsitzende zu unterzeichnen und allen Beiratsmitgliedern sowie den beiden Gesellschafterstämmen zu senden hat."
Während des Bestehens der gemeinsamen GmbH wurde ein Beirat eingesetzt, wobei die Ast. Dr. P. und die Ag. zu 1 Dr. I. als jeweils ihr Beiratsmitglied einsetzten. Diese wählten sodann gemeinsam den Richter R. als Vorsitzenden.
Mit Kaufvertrag vom 1./11.2004 veräußerte die Ast. der Ag. zu 1 ihre Anteile an der X.-GmbH. Die Ag. betreibt die GmbH nunmehr unter dem Namen Y.(= Ag. zu 2)-GmbH weiter. Im Vertrag vom 1./11.10. ist unter III.1. u.a. geregelt:
"Der vereinbarte Kaufpreis beträgt 150.000 Euro zuzüglich eines Geldbetrages, der dem Schuldenstand der zum 30.9.2004 bestehenden Gesellschafterdarlehn, die der Veräußerer der Gesellschaft gewährt hat, entspricht, abzüglich eines Geldbetrages, der dem Schuldsaldo auf dem Gesellschafterverrechnungskonto des Veräußerers zum 30.9.2004 entspricht. Die genaue Höhe des Schuldenstandes des Gesellschafterdarlehns und des genauen Schuldsaldos auf dem Gesellschafterverrechnungskonto wird verbindlich durch den Beirat der Gesellschaft festgestellt und den Vertragsteilen mitgeteilt."
In der Folgezeit trat der Beirat mehrmals zusammen, um über die Höhe der von ihm zu ermittelnden Kontostände zu beraten. Zwischen den Beteiligten ist der genaue Umfang der dem Beirat zugewiesenen Aufgabe streitig.
Durch vertrauliche Informationen wurde der Ast. am 7.1.2005 bekannt, dass mangels sonstiger ausreichender Finanzierung die Übernahme der Gesellschaftsanteile durch die Ag. zu 1. nur dadurch möglich war, dass das Beiratsmitglied Dr. I. zugunsten der Ag.zu 1. eine Zahlung in Höhe eines sechsstelligen Euro-Betrages eingebracht hatte. Mit Schriftsatz vom 18.5.2005 beantragte sie wegen dadurch begründeter Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Dr. I. dessen Ablehnung gem. § 1037 Abs. 2 ZPO. In der Beiratssitzung vom 30.9.2005 wurde der Antrag abgelehnt.
Am 24.11.2005 fand eine Beiratssitzung unter Beteiligung von Vertretern der Ast. und der Ag. zu 1. statt, in der bekannt gegeben wurde, dass die Ast. (=Verkäuferin) 350.000 Euro als "Restkaufpreis" zu bezahlen habe. - Am 7.11.2005 beantragte die Ast. gerichtliche Entscheidung über die Ablehnung gem. § 1037 Abs. 3 ZPO.
Aus den Gründen:
Die Zuständigkeit des OLG München für Entscheidungen gem. § 1037 Abs. 3 ZPO ergibt sich aus § 1025 Abs. 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 ZPO i.V.m. § 8 der Gerichtlichen Zuständigkeitsverordnung Justiz (GZVJu vom 4.11.2004 GVBl. S. 471).
Der gestellte Antrag ist nicht bereits wegen Fristversäumung unzulässig. Der Antrag vom 7.11.2005 ist vielmehr fristgerecht gestellt. Gem. § 1037 Abs. 3 S. 2 ZPO ist ein Antrag auf Entscheidung durch das staatliche Gericht innerhalb eines Monats nach Kenntniserlangung von der Entscheidung des Schiedsgerichts zu stellen. Diese Frist wurde gewahrt. Die Sitzung am 30.9.2005 fand nicht im Beisein der Parteien statt. Entscheidend ist daher die spätere Kenntniserlangung der Partei, die nicht an eine bestimmte Form gebunden ist (Schlosser in Stein/Jonas ZPO 22. Aufl. § 1037 Rd-Nr. 5; Münch in MüKomm 2. Aiufl. § 1037 Rd-Nr. 10).... (wird ausgeführt).
1. Der gestellte Antrag ist jedoch unzulässig, weil es sich bei dem Gremium, das über die restliche Kaufpreisforderung entscheiden soll, nicht um ein Schiedsgericht i.S.v. § 1025 ff. ZPO handelt. Der Beirat wird jedenfalls bei der ihm durch den Kaufvertrag vom 1./11.10.2004 zugewiesenen Aufgabe nicht als Schiedsgericht tätig.
Die Parteien habe mit Einsetzung des Beirats gem. Gesellschaftsvertrag v. 13.10.2000 ein Gremium geschaffen, dessen Rechtsnatur durch Auslegung des von den Parteien Gewollten zu ermitteln ist (BGH NJW 2004, 2226 = RKS A 2 Nr. 31). Der sog. Beirat ist kein gesetzliches Organ der juristischen Person mit gesetzlich festgelegten Aufgaben und kann auch in unterschiedlichen Funktionen tätig werden. Daher ist bei der Auslegung, in welcher Funktion er tätig wird, auf den jeweiligen Einzelfall, hier auf die Aufgabenstellung aus dem Kaufvertrag vom 1./11.10.2004, abzustellen.
2. Aus der Formulierung im Kaufvertrag ergibt sich eine Aufgabenzuweisung an den Beirat ohne kontradiktorisches Verfahren (vgl. § 1029 Abs. 1 ZPO). Diese Konstellation entspricht nicht der typischen Gestaltung im Rahmen von Schiedsverfahren, bei denen das Verfahren durch Antragsteller und Antragsgegner und ein entsprechendes streitiges Verfahren gekennzeichnet ist (§ 1044 ff. ZPO). Auch der Verfahrensgegenstand wird nicht wie bei einem Schiedsgericht üblich durch die gestellten Anträge vorgegeben. Dem Beirat wird hier aufgegeben, tatbestandliche Feststellungen zu unbekannten Einzelfaktoren zu treffen, aus denen sich dann die zweite Kaufpreisrate ergibt. Bei der Feststellung dieser Einzelfaktoren ist der Beirat an Antragsvorgaben nicht gebunden. Nach Ermittlung der beiden für den Restkaufpreis wertbildenden Faktoren soll der Beirat diese den Vertragsparteien mitteilen. Auch diese Formulierung spricht dagegen, dass mit der Feststellung und Mitteilung des Beirats ein zur Vollstreckung geeigneter Schiedsspruch angestrebt wird. Die Mitteilung von zwei Beträgen ist zur Vollstreckung ungeeignet. Die Auslegung der Vertragsgestaltung im Kaufvertrag ergibt daher, dass es sich eher um die Dritten überlassene Bestimmung von Tatsachen handelt, die für den Umfang der Leistung von Bedeutung sind.
Gegen diese Auslegung spricht nicht, dass die Parteien eine "verbindliche" Bestimmung der Kontenhöhe durch den Beirat wollen. Auch die Bestimmung durch einen Schiedsgutachter ist grundsätzlich verbindlich für die Beteiligten sowie für ein eventuell mit der Sache befasstes Gericht. Sie ist nur im Rahmen des § 319 BGB durch das staatliche Gericht auf offenbare Unbilligkeit hin überprüfbar (Palandt/Grüneberg BGB 65. Aufl. § 319 Rd-Nr. 1; vgl. BGH NJW 1957, 1834; BB 1982, 1077 = HSG A 5 Nr. 15).
Auch die bisherige Tätigkeit des Beirats unter Berücksichtigung des Gesellschaftsvertrages der Parteien vom 13.10.2000 ergibt nicht, dass es sich zwingend und stets um eine schiedsgerichtliche Tätigkeit handelt. Zwar ist im Gesellschaftsvertrag der Parteien geregelt, dass der Beirat "als Schiedsgericht unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs entscheidet" und "auf das Verfahren die §§ 1025 ff. ZPO anwendbar" sind. Dies ist jedoch für den Fall von Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern u.a. vorgesehen, was bei der Aufgabenzuweisung im Kaufvertrag jedenfalls zunächst noch nicht gegeben ist. Zudem enthält der Vertragspassus über die Zusammensetzung des Beirats Regeln, die mit der Besetzung eines Schiedsgerichts unvereinbar sind. Erlaubt ist danach nämlich die Beiratszugehörigkeit von Gesellschaftern der beiden Gesellschafterstämme (Gesellschaftsvertrag § 16 Nr. 1 b, letzter Satz). Dies würde aber zu einem Schiedsrichter in eigener Sache führen (vgl. Mankowski SchiedsVZ 2004, 304, 308 m.w.N.). Auch die Regelungen zur inneren Ordnung des Beirats (GV § 16 Nr. 3 d, e) sind mit zwingenden Vorschriften eines Schiedsgerichtsverfahrens unvereinbar (vgl. Senat vom 28.6.2006 34 SchH 11/05 RKS A 2 Nr. 37 und A 4 a Nr. 81). Letztlich spricht auch die bisherige Art und Weise der Aufgabenerfüllung des Beirats sowie dessen eigene Auffassung von seiner Stellung jedenfalls gegen die Annahme eines dauernden Schiedsgerichts.
Der Kaufvertrag vom 1./11.10.2004 verwendet das Wort "Schiedsgericht" oder "Schiedsvereinbarung" nicht. Die Bezeichnung durch die Parteien ist jedoch für die Auslegung, was gewollt ist, nicht allein entscheidend (Palandt/Grüneberg § 317 Rd-Nr. 8; Zöller/Geimer ZPO, 25. Aufl. § 1031 Rd-Nr. 12). Die Formvorschrift für § 1031 ZPO für Schiedsvereinbarungen wäre jedoch nur dann eingehalten, wenn auf den Gesellschaftsvertrag vom 13.10.2000 zurückgegriffen werden könnte (§ 1031 Abs. 3 ZPO) und dieser auch eine für den Kaufvertrag geltende, eindeutige Regelung enthielte. Letzteres ist jedoch nicht der Fall. Entsprechend ist in der Verwendung des Begriffs "Beirat" im Kaufvertrag und unter Auslegung dieses Begriffs unter Rückgriff auf den Gesellschaftsvertrag nicht zwingend eine Schiedsvereinbarung zu sehen. Ob möglicherweise eine allgemeine, im Gesellschaftsvertrag vom 13.10.2000 enthaltene Schiedsklausel auch Streitigkeiten der Parteien bei der Abwicklung des Kaufvertrages erfasst, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da der Beirat nach eigenem Bekunden bei der Kontenstandsermittlung ausdrücklich in Erfüllung der ihm durch den Kaufvertrag zugewiesenen Aufgabe und damit keinesfalls in schiedsrichterlicher Funktion tätig wurde.
3. In Zweifelsfällen ist letztlich grundsätzlich davon auszugehen, dass wegen der erheblichen Tragweite der Regelung kein Schiedsgericht gewollt ist, sondern nur die gegenüber einer Schiedsabrede weniger weitgehende und daher für die Parteien weniger gefährliche Schiedsgutachterklausel (BGH BB 1982, 1077 f. = HSG A 5 Nr. 15; Palandt/Grüneberg § 317 Rd-Nr. 8).
4. Die Frage, ob auf den Schiedsgutachter die gesetzlichen Regelungen über die Ablehnung von Schiedsrichtern analog anzuwenden sind (dafür Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit 7. 7. Aufl. Kap. 2 Rd-Nr. 12, dagegen Palandt/Grüneberg § 317 Rd-Nr. 7 m.w.N.) oder aber die begründete Besorgnis der Befangenheit das Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Gutachtervertrages gibt (vgl. BGH DB 1980, 967), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn für beide Verfahren besteht keine (erstinstanzliche) Zuständigkeit des OLG gem. § 1062 ZPO (str. für Befangenheitsanträge, vgl. Schwab/Walter und Palandt/Grüneberg, jeweils a.a.O.). Ausgehend davon, dass die besondere erstinstanzliche Zuständigkeit des OLG gem. § 1062 ZPO ausschließlich für schiedsrichterliche Verfahren festgelegt ist, die schiedsgutachterliche Tätigkeit aber gem. § 319 BGB der Überprüfung durch die ansonsten zuständigen allgemeinen Zivilgerichte unterliegt, ist eine analoge Anwendung des § 1062 Abs. 1 Nr. 1 ZPO weder notwendig noch geboten. Auch für Streitigkeiten betr. die Kündigung eines Schiedsgutachtervertrages verbleibt es bei den allgemeinen Zuständigkeiten (BGH a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Streitwert für das Verfahren ist gem. § 3 ZPO, §§ 48, 63 GKG zu schätzen. Der wirtschaftliche Wert der Hauptsacheentscheidung liegt in der Differenz zwischen dem Restkaufpreis lt. Vorstellung der Ast. (zu erhaltende 270.000 Euro) und der Entscheidung des Beirats (zu bezahlende 350.000 Euro), somit bei 620.000 Euro. Gemäß seiner Rechtsprechung zur Schiedsrichterbestellung (vgl. 34 SchH 004/06 m.w.N.) legt der Senat den vollen Streitwert für die Schiedsrichterablehnung zugrunde. Zwar handelt es sich bei der beantragten Schiedsrichterablehnung nur um einen Teilakt eines schiedsrichterlichen Verfahrens. Dem Umstand, dass der Verfahrensaufwand für das Gericht wie für die Parteien im allgemeinen geringer ist, tragen die Gebührensätze des Kostenverzeichnisses (KV 1624) bzw. des Vergütungsverzeichnisses (VV 3327) jedoch bereits Rechnung.