Recht und Steuern

A5 Nr. 46

A 5 Nr. 46
§§ 307, 317, 319 BGB, § 485 ZPO - Auslegung einer Schiedsgutachtenklausel, Unwirksamkeit als AGB im Werkvertrag zur Errichtung eines Hauses. Selbständiges Beweisverfahren trotz wirksamer Schiedsgutachtenklausel
1. Gegen eine Auslegung als Schiedsgutachtenklausel spricht, wenn darin nicht nur der Begriff „Schiedsgutachten” fehlt, sondern auch eine ausdrückliche Regelung, dass die Feststellungen des Gutachters verbindlich sein sollen, und wenn der ordentliche Rechtsweg vorbehalten bleibt.
2. Eine Schiedsgutachtenklausel als Allgemeine Geschäftsbedingung in einem Werkvertrag über die Errichtung eines Hauses ist grundsätzlich unwirksam. Die Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (§ 307 Abs. 2 BGB) besteht in der weitgehenden Unangreifbarkeit eines Fehlgutachtens durch den weitgehenden Ausschluss des staatlichen Rechtsschutzes angesichts des erheblichen Risikos, mit dem die Feststellung oder Nichtfeststellung von Mängeln bei Häusern sowie die Beurteilung daraus folgender Rechtsfragen und Ansprüche durch den Schiedsgutachter (meist technischer Sachverständiger) verbunden sind.
3. Eine gleichwohl wirksam vereinbarte Schiedsgutachtenklausel nimmt einem Vertragspartner nicht das rechtlich geschützte Interesse an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens.
OLG Köln Beschl.v. 24.4.2008 - 15 W 15/08; NJW-RR 2009, 159 = RKS A 5 Nr. 46
Aus dem Sachverhalt:
Die Antragstellerin kaufte von dem Antragsgegner mit notariellem Vertrag vom 22.9.2003 einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück mit einem ca. 1910 errichteten, aus zwölf Wohnungen bestehenden Gebäude, zu dessen Modernisierung und Sanierung gem. Baubeschreibung sich der AGg. verpflichtete, verbunden mit dem Sondereigentum an Wohnung Nr. 8 und Keller. In Nr. 6c dieser Urkunde wurde darauf hingewiesen, dass der Kaufgegenstand kein Neubau ist und demgemäß die Anforderungen der Landesbauordnung für Neubauten in Teilbereichen, insbesondere in bautechnischer und bauphysikalischer Hinsicht, z.B. Wärmedämmung, Schall- und Brandschutz gem. DIN, nicht erfüllt werden. Gem. 6d sollten für den Umfang der geschuldeten Leistung ausschließlich die Festlegungen in der Baubeschreibung und der notariellen Urkunde gem. dem technischen und rechtlichen Standard zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gelten. Gem. 6h sollte bei Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Qualität der Bauausführung bzw. etwaiger vorhandener Mängel ein von den Vertragsteilen übereinstimmend benannter, ggf. von der IHK zu benennender vereidigter Bausachverständiger entscheiden; der Rechtsweg sollte vorbehalten bleiben. Bezüglich etwaiger Mängel am Bauwerk vereinbarten die Parteien gem. 10c einen Haftungsausschluss für die nicht zu verändernde Altbausubstanz mit Ausnahme für grob fahrlässiges oder vorsätzliches Unterlassen von notwendigen Renovierungsarbeiten an der Altbausubstanz. Im Übrigen sollte das Leistungsstörungsrecht des BGB mit Modifizierungen gelten.
Ihren Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens begründete die ASt. damit, die streitverkündete Mieterin ihrer Wohnung habe im Jahre 2007 Feuchtigkeit und Schimmel an den Wänden im Schlafzimmer und dem Keller darunter mit erheblicher Geruchsbelästigung reklamiert.
Das LG hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen, weil es wegen der Schiedsgutachtenabrede an einem rechtlichen Interesse für die begehrte Beweiserhebung fehle. Die sofortige Beschwerde der ASt. hatte Erfolg. Ihr Antrag ist gem. § 485 Abs. 2 ZPO zulässig und begründet.
Aus den Gründen:
Das erforderliche rechtliche Interessse der ASt. ist nicht wegen der Regelung in Nr. 6h des Kaufvertrages zu verneinen.
Zu 1. Es bestehen bereits Zweifel hinsichtlich der Auslegung dieser Regelung als Schiedsgutachtenabrede. Der Begriff „Schiedsgutachten” ist nicht angeführt. Es fehlt auch an einer ausdrücklichen Regelung, dass die Feststellungen des Sachverständigen „verbindlich” sein sollen und einer gerichtlichen Überprüfung analog §§ 317, 319 Abs. 1 BGB nur wegen „offenbarer Unrichtigkeiten” zugeführt werden können. Für den unbefangenen, verständigen Leser dieser Bestimmung ergibt sich das Gegenteil, nämlich die Unverbindlichkeit etwaiger privatgutachterlicher Feststellungen. Letztlich wird dieses Verständnis durch den letzten Satz dieser Regelung bestätigt: „Der Rechtsweg bleibt vorbehalten”. Zwar spricht für die Beschränkung der Geltung dieses Satzes auf die von dem Privatsachverständigen zu treffende Kostenentscheidung dessen Stellung am Ende des 2. Absatzes, in dem vorausgehend die Kostenlast geregelt ist. Die Geltungsbeschränkung auf die Kostentragungsregelung macht indes keinen insbesondere dem Zweck einer Schiedsgutachtenabrede entsprechenden Sinn der Erübrigung eines gerichtlichen Verfahrens, da das Verhältnis des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten auf Grund der Entscheidung des Sachverständigen im Zweifel jedenfalls dann, wenn die Feststellungen des Sachverständigen im Übrigen unngreifbar sind zwangsläufig feststeht. Selbst wenn man annehmen wollte, es verblieben trotz der Auslegung dieser Bestimmung Zweifel im Sinne des Verständnissses des Verwenders, gehen diese auf Grund der Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB zu seinen Lasten. Bei der notariellen Schiedsgutachtenabrede handelt es sich lt. unbestrittenem Vorbringen der ASt., in den Erwerbsverträgen der anderen Miteigentümer habe der AGg. entsprechende Vertragstexte stellen lassen um eine Allgemeine Geschäftsbedingung i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB.
Zu 2. Aber selbst dann, wenn man von einer hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommenen Schiedsgutachtenabrede ausgehen wollte, müsste von deren Unwirksamkeit gem. § 307 BGB ausgegangen werden. Bei Häusern ist die Feststellung oder Nichtfeststellung von Mängeln mit so erheblichen Risiken verbunden, dass Schiedsgutachtenklauseln unwirksam sind (vgl. BGH 10.10.1991 BGHZ 115, 329 = NJW 1992, 433; OLG Düsseldorf 20.7.1994 BauR 1995, 559; Palandt/Grüneberg BGB 67. Aufl.§ 307 Rd-Nr. 144). Schiedsgutachterklauseln schließen den Rückgriff auf den staatlichen Rechtsschutz weitgehend aus. Darin liegt die mit ihnen verbundene Abweichung von der gesetzlichen Regelung. Das dadurch bewirkte Risiko besteht im praktischen Ergebnis im Wesentlichen in der weitgehenden Unangreifbarkeit eines Fehlgutachtens einschließlich der damit u.U. verbundenen inzidenten Fehlbeurteilung von vertraglichen Pflichten und Rechten. Die Klausel kann ferner die Beurteilung bestimmter Rechtsfragen, vor allem derjenigen, die sich aus der Festlegung der vertraglich geschuldeten Leistungen durch Auslegung des Vertrags ergeben, vom rechtskundigen Richter auf einen (meist technischen) Sachverständigen verlagern.
Zu 3. Ungeachtet dessen zieht auch nicht der vom LG bemühte Gesichtspunkt der angeblichen Gleichwertigkeit des Schiedsgutachtenverfahrens mit dem selbständigen Beweisverfahren. Eine Schiedsgutachtenklausel, die anders als hier wirksam zu Stande gekommen ist, nimmt einem Vertragsparttner nicht das rechtliche Interesse an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens (Werner/Pastor Der Bauprozess 12. Aufl. Rd-Nr. 54); Köble BauR 2007, 1116 1118; Zöller/Geimer ZPO 26. Aufl. § 1029 Rd-Nr. 5; a.A. Musielak/Huber ZPO 5. Aufl. § 485 Rd-Nr. 14). Ein Ausnahmefall, wie er gegeben sein kann, wenn das gerichtliche Verfahren ausdrücklich ausgeschlossen ist (OLG Köln Beschl.v. 19.10.1998 IPR 1999, 289) oder das Schiedsgutachterverfahren bereits in Gang gebracht worden ist (OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 1537 = NZBau 2003, 383 = RKS A 5 Nr. 38; OLG Koblenz Beschl.v. 15.7.1998 BauR 1999, 1055), liegt ersichtlich nicht vor.
Die Verneinung des Rechtsschutzinteresses der ASt. an der beantragten Beweiserhebung scheitert auch nicht unter dem Gesichtspunkt (Zöller/Herget § 485 Rd-Nr. 7), dass ein Gewährleistungsanspruch der ASt. dem AGg. gegenüber nicht bestünde. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein formelhafter Ausschluss der Gewährleistung für Sachmängel beim Erwerb von Altbauwohnungen und -häusern in AGB stets unwirksam, wenn mit der kaufrechtlichen Übertragungsverpflichtung Herstellungspflichten korrespondieren, gleich ob die vertraglich geschuldeten Bauleistungen Neubauarbeiten vergleichbar sind oder nicht, es sei denn, die Freizeichnung wäre was hier nicht ersichtlich ist mit dem Erwerber unter ausführlicher Belehrung übe die einschneidenden Rechtsfolgen eingehend erörtert worden (BGH 6.10.2005 BGHZ 164, 225 = NJW 2006, 214 = NZBau 2006, 113).
Dem LG ist einzuräumen, dass die oben angesprochenen Rechtsfragen jedenfalls teilweise einer intensiveren rechtlichen Prüfung bedürfen, die grundsätzlich nicht im selbständigen Beweisverfahren, sondern im kontradiktorischen Verfahren zu bewerkstelligen ist. Umso mehr verbietet es sich indes, auf Grund einer dem materiell-rechtlich zu Grunde liegenden Anspruch entgegengehaltenen Einwendung des AGg. die Zulässigkeit des Beweisverfahrens bei fehlender Eindeutigkeit der Begründetheit der Einwendung zu verneinen, anderenfalls die ASt. mit ihrem Anspruch auf Rechtsgewährung außerhalb des zur Klärung dieser Frage eingerichteten kontradiktorischen Verfahrens zivilprozessual systemwidrig abgeschnitten würde.
Schließlich bestehen auch hinsichtlich der dem gerichtlich zu bestellenden Sachverständigen vorzulegenden Beweisfragen keine Bedenken. Sie beziehen sich auf Beweisthemen, wie sie in Nrn. 1 bis 3 von Satz 1 des § 485 Abs. 2 ZPO ausdrücklich genannt sind und sind mit dem Tatsachenvortrag der ASt. bezüglich der Symptome (Feuchtigkeit und dadurch bedingte Schimmelbildung im Schlafzimmer) ausgefüllt ... (wird ausgeführt). Die ASt. hat die Tatsachen, die die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens begründen sollen, auch glaubhaft gemacht i.S.v. §§ 294, 487 Nr. 4 ZPO.