Recht und Steuern

A5 Nr. 42

A5 Nr. 42
§§ 1029, 1031 ZPO, 317 BGB, § 14 RVG - Abgrenzung Schiedsspruch/Schiedsgutachten einer Rechtsanwaltskammer über Anwaltshonorar
Eine Schiedsvereinbarung legt fest, daß ein Schiedsgericht unter Ausschluß der staatlichen Gerichte einen Rechtsstreit der Parteien entscheidet.
Ein Schiedsgutachten ist vereinbart, wenn ein Dritter nur Tatumstände festzustellen und Teilfragen zu entscheiden hat, ohne befugt zu sein, auch verbindlich darüber zu befinden, welche Verpflichtungen sich daraus für die Parteien ergeben.
Soll eine Überprüfung auf offenbare Unrichtigkeit durch staatliche Gerichte möglich bleiben, ist ein Schiedsgutachten vereinbart; ist dies ausgeschlossen, ist die Vereinbarung ein Schiedsvertrag.
Erstattet eine Rechtsanwaltskammer im Auftrag beider Parteien zur Vermeidung eines Rechtsstreits ein Gutachten über die Höhe einer zwischen ihnen streitigen Anwaltsgebühr, so ist dies i.d.R. kein Schiedsspruch, der gem. §§ 1060 ff ZPO vollstreckbar erklärt werden könnte.
OLG München Beschl.v. 1.6.2005 - 34 Sch 005/05; MDR 2005, 1186 = RKS A 5 Nr. 42
Aus dem Sachverhalt:
Zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten kam es zum Streit über die Höhe der Anwaltsgebühr. Der Mandant bat die Rechtsanwaltskammer um Überprüfung der Rechnung. Die Kammer teilte ihm am 5.2.2003 u.a. Folgendes mit:
„Ihrer Bitte vom 24.1.2003 kann der Kammervorstand nicht o.w. entsprechen, weil er nach den gesetzlichen Bestimmungen im Falle eines Honorarprozesses als Gutachter tätig werden müßte und einseitige vorprozessuale Stellungnahmen die hierzu erforderliche Unbefangenheit gefährden könnten. Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer kann jedoch ein Gebührenschiedsgutachten unter der Voraussetzung erstellen, daß der Sachverhalt unstreitig ist und sich die Beteiligten zur Vermeidung eines Rechtsstreits dem Ergebnis dieses Gutachtens unwiderruflich unterwerfen. Bitte teilen Sie mit, ob Sie unter Anerkennung dieser Bedingungen die Erstattung eines Gebührenschiedsgutachtens wünschen.“
Beide Parteien erklärten sich einverstanden. In dem unter dem 30.11.2004 erstellten, als Schiedsgutachten bezeichneten Schriftstück kommt die Vorsitzende der zuständigen Abteilung der Rechtsanwaltskammer zu dem Ergebnis, daß der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner noch eine offene Honorarforderung von 2.452,79 Euro hat. Der Antrag, diesen „Schiedsspruch“ für vollstreckbar zu erklären, wurde zurückgewiesen.
Aus den Gründen:
Die Zuständigkeit des OLG München für die Entscheidung über den gestellten Antrag ergibt sich aus § 1025 Abs. 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 5 ZPO i.V.m. § GZVJu i.d.F.v. 16.11.2004 (GVBl. 2004, 471). Eine wirksame Schiedsvereinbarung der Parteien gem. § 1029 ZPO ist nicht zustandegekommen. Die Schiedsvereinbarung legt fest, daß ein Schiedsgericht unter Ausschluß der staatlichen Gerichte eine Rechtsstreitigkeit der Parteien entscheidet (OLG Koblenz 17.6.1999 - 2 Sch 2/99 NJW-RR 2000, 1365 = RKS A 1 Nr. 106; Reichold in Thomas/Putzo ZPO 26. Aufl. § 1029 Rd-Nr. 3). Hingegen handelt es sich um die Vereinbarung eines Schiedsgutachtens, wenn ein Dritter nur Tatumstände festzustellen und Teilfragen zu
OLG München 1.6.2005 RKS A 5 Nr. 42 Bl. 2
entscheiden hat, ohne befugt zu sein, auch letztverbindlich darüber zu befinden, welche Verpflichtungen sich daraus für die Parteien ergeben (Zöller/Geimer ZPO 25. Aufl., § 1029 Rd-Nr. 4 m.w.N.). Wenig zuverlässig und damit nicht ausschlaggebend sind die von den Parteien selbst gebrauchten Bezeichnungen (Palandt/Heinrichs BGB 64. Aufl. § 317 Rd-Nr. 8). Entscheidend ist vielmehr, welche Wirkung der Feststellung des Dritten nach dem Parteiwillen zukommen soll. Sofern eine Überprüfung auf offenbare Unrichtigkeit durch staatliche Gerichte möglich bleiben soll, handelt es sich um ein Schiedsgutachten. Soll dies ausgeschlossen sein, liegt ein Schiedsvertrag i.S.v. §§ 1029 ff. ZPO vor (BGHZ 48, 25 [30f.] = MDR 1967, 834 = RKS A 5 Nr. 2; BGH NJW 1975, 1556 = RKS A 5 Nr. 8; Palandt/Heinrichs a.a.O.).
Es kann dahinstehen, ob die Einverständniserklärungen des Ag. vom 16.2. und des Ast. vom 3.4.2003 auf die Mitteilung der Rechtsanwaltskammer, sie werde ein Gebühren-Schiedsgutachten nur unter der Voraussetzung erstellen, daß sich die Beteiligten zur Vermeidung eines Rechtsstreits dem Ergebnis dieses Gutachtens unwiderruflich unterwerfen, nicht nur als je einseitiger Auftrag zur entsprechenden Geschäftsbesorgung (§ 675 BGB), sondern darüber hinaus auch, vermittelt durch die Kammer als Stellvertreter oder Empfangsbote, als Abschluß einer Vereinbarung unter den Parteien selbst auszulegen sind. Denn die beiderseitigen, nach §§ 133, 157 BGB auszulegenden Erklärungen richten sich zwar
auf die Unterwerfung unter das Gutachten zur Vermeidung eines Rechtsstreits, nicht aber auf den Ausschluß des Rechtswegs selbst in Folge der Unterwerfung. Werden aber nur, wenn auch entscheidende, tatsächliche wie rechtliche Elemente eines Streits von einem Dritten verbindlich beantwortet, bleibt das Recht der Parteien, das stattliche Gericht zur abschließenden und voll umfänglichen Streitbeilegung anzurufen, unberührt. Gebunden ist das staatliche Gericht insoweit nur an die der Entscheidung des Gutachtens unterworfenen Elemente des Rechtsstreits, soweit dessen Bestimmung nicht unbillig ist (§ 317 Abs. 1 BGB).
Diese Auslegung der von der Kammer formulierten und von den Parteien unverändert übernommenen Erklärung trägt auch dem Aufgabenbereich dieser Einrichtung im Rahmen von § 14 Abs. 2 S. 1 RVG (bis 30.6.2004 § 12 Abs. 2 S. 1 BRAGO) Rechnung. Danach hat im Rechtsstreit zwischen Anwalt und Mandant über die vom Rechtsanwalt bestimmte Gebühr das Gericht ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer einzuholen. Eines Gutachtens bedarf es nicht, soweit die Höhe der Gebühr unstreitig ist. Dies ist in § 14 Abs. 2 S. 1 RVG nun ausdrücklich niedergelegt, galt jedoch nach h.M. auch im Rahmen des § 12 Abs. 2 S. 1 BRAGO, also nach dem Rechtszustand vor dem 1.7.2004 (Madert in Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert BRAGO 15. Aufl. § 12 Rd-Nr. 20 m.w.N.). Unterwerfen sich die Parteien dem Gebührengutachten, ist die Höhe der Gebühr nicht mehr streitig und die Voraussetzungen einer Beteiligung der Rechtsanwaltskammer in einem etwaigen gerichtlichen Verfahren unter den Parteien nicht mehr gegeben. Insoweit entsteht für die Kammer auch keine Konfliktlage mit ihrer gutachterähnlichen Stellung, die es gebietet, im Vorfeld eines möglichen Gebührenprozesses jeglichen Anschein der Befangenheit gegenüber einer der Parteien zu vermeiden.
Es ist nicht erkennbar, daß die Parteien übereinstimmend und darüber hinausgehend in ihrem Verhältnis untereinander auch den Rechtsweg hätten ausschließen wollen. Überdies wäre auch die nach § 1031 Abs. 5 ZPO notwendige Form der Schiedsabrede nicht gewahrt. Der Ag. ist Verbraucher nach § 13 BGB. In diesem Fall muß die Schiedsvereinbarung in einer von den Parteien eigenhändig unterzeichneten Urkunde enthalten sein. Notwendig ist die Einhaltung der Schriftform gem. § 126 Abs. 2 S. 1 BGB, d.h. die Unterzeichnung der Parteien hat auf derselben Urkunde zu erfolgen, die die vollständige Schiedsabrede enthalten muß (BGHZ 38,
OLG München 1.6.2005 RKS A 5 Nr. 42 Bl. 3
155 = MDR 1963, 115; Reichold a.a.O. § 1031 Rd-Nr. 10). wechselseitige, in eigenständigen Schriftstücken niedergelegte Erklärungen genügen dieser Anforderung nicht.
Eine Heilung des Formmangels nach § 1031 Abs. 6 ZPO hat nicht stattgefunden. § 1031 Abs. 6 ZPO setzt eine rügelose Einlassung auf die schiedsrichterliche Verhandlung zur Hauptsache voraus. Dabei kommt es nicht auf die Kenntnis der Partei von dem Formmangel oder von den Folgen der Einlassung an (BGHZ 48, 35 [45f.] = MDR 1967 915 = RKS A 1 Nr. 7, Musielak/Voit ZPO 4. Aufl. § 1031 Rd-Nr. 13). Es reicht auch eine schriftliche Einlassung aus, weil eine mündliche Verhandlung vor dem Schiedsgericht nicht obligatorisch ist (§ 1047 Abs. 1 ZPO; s. OLG Hamburg 30.7.1998 - 6 Sch 3/98 NJW-RR 1999, 1738 f. = RKS A 1 Nr. 100; Musielak/Voit a.a.O.). Notwendig ist aber eine nach außen in Erscheinung getretene verfahrensbezogene Aktivität. Bloßes Schweigen ist keine Einlassung.
Die Einverständniserklärungen vom 16.2./3.4.2003 können nicht als Einlassung auf das Verfahren angesehen werden. Durch die bloße Tatsache der Einlassung geheilt wird nämlich nur der Formmamgel einer bereits abgeschlossenen Schiedsvereinbarung (BGHZ 48, 35 [45] = MDR 1967, 915 = RKS A 1 Nr. 7; OLG Hamburg 30.7.1998 a.a.O. = RKS A 1 Nr. 100). Demgegenüber ist § 1031 Abs. 6 ZPO nicht anwendbar, wenn die Schiedsabrede überhaupt fehlt (Reichold a.a.O. § 1031 Rd-Nr. 15).
Die Entscheidung des BayObLG v. 10.7.2003 (BayObLG v. 10.7.2003 - 4 Z Sch 12/03, BayObLG Report 2003, 370, dazu Geimer EWiR 1/03, 999, § 1029 ZPO) steht der Auffassung des Senats nicht entgegen. Denn anders als hier konnte das Gericht dort von einer wirksam abgeschlossenen Schiedsvereinbarung nach §§ 1029 ff. ZPO ausgehen. Daran fehlt es hier gerade.