Recht und Steuern

A5 Nr.34

A5 Nr.34
§ 319 Abs. 1 BGB, § 1 Abs. 1, § 9 AGBG Schiedsgutachtenklausel in notariellem Bauträgervertrag als AGB. Berufung des AGB-Verwenders auf Unwirksamkeit. Erfordernis der „Benennung” des Schiedsgutachters durch IHK. Verzicht der Parteien auf Einhaltung vereinbarter Verfahrensvorschriften. Unwirksamkeit des Schiedsgutachtens wegen offenbarer Unrichtigkeit
Auch die Schiedsgutachtenklausel in einem notariell beurkundeten Vertrag kann unter bestimmten Voraussetzungen eine von einer Vertragspartei „gestellte” Geschäftsbedingung i.S.d. § 1 Abs. 1 AGBG sein.
Unwirksamkeit gemäß § 9 AGBG wird bei einem mehrfach verwendeten Bauträgervertrag kraft ersten Anscheins angenommen, soweit Klauseln einseitig auf die Interessen des Bauträgers abstellen. Der Verwender der AGB kann sich nicht auf die Unwirksamkeit berufen.
Die Schiedsgutachtenvereinbarung ist vernünftig und interessengerecht dahin auszulegen, dass sie möglichst für alle Beanstandungen aus dem Bau­träger­vertrag gilt.
Das vereinbarte Erfordernis der „Benennung” des Schiedsgutachters durch die Industrie- und Handelskammer ist keine für die Erstellung eines unparteiischen Gutachtens unerlässliche Verfahrensvorschrift. Es bedeutet nicht, der Schieds­gutachter sei von der IHK mit verbindlicher Wirkung für beide Vertrags­parteien zu ernennen oder zu bestimmen; vielmehr soll es Qualifikation und Neutralität des Gutachters dadurch gewährleisten, dass er von der IHK als einer hierfür kompetenten Stelle gutgeheißen wird.
Im übrigen können die Parteien auf eine etwa vereinbarte förmliche „Benennung” auch formlos und stillschweigend verzichten, ohne dadurch die Verbindlichkeit des Schiedsgutachtens in Frage zu stellen.
Das Schiedsgutachten ist - abgesehen von Verfahrensfehlern - analog § 319 Abs. 1 BGB nur unverbindlich, wenn es offenbar unrichtig ist, d.h. wenn sich einem sachkundigen und unbefangenen Beobachter - erforderlichenfalls nach ein­gehen­der Prüfung - offensichtliche Fehler aufdrängen, die das Gesamt­ergebnis verfälschen.
OLG Koblenz Urteil vom 15.3.2000 - 3 U 904/98; Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau) 2000, 562 = RKS A 5 Nr. 34
Aus dem Sachverhalt:
Der Bauträgervertrag über eine von den Bekl. für die Kl. zu errichtende Eigentums­wohnung enthält folgende Klausel: „ Erfolgt zwischen Verkäufer und Käufer keine Einigung über die Frage, ob eine vom Käufer erhobene Beanstandung zu Recht erfolgt ist, so entscheidet ein von der IHK zu benennender Bausachverständiger als Schieds­gutachter. Jede Partei ist berechtigt, einen Gutachter abzulehnen.”
Nachdem die Kl. Mängel rügte, erklärten die Bekl. unter Bezugnahme auf die Klausel, zur Feststellung von Mängeln müsse die Kl. ein Schiedsgutachten in Auftrag geben. Die Kl. beauftragte daraufhin den öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Dipl.Ing. G mit einem Schiedsgutachten über die von ihr gerügten Mängel. Sie verlangt wegen der von dem Schiedsgutachter festgestellten Mängel u.a. Schadensersatz und Minderung des Kaufpreises. Das Gericht gab der Klage teilweise statt, die Berufung der Kl. hatte teilweise Erfolg.
Aus den Gründen:
Die Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf Schadenersatz und Minderung. Die Mängel sind durch das Schiedsgutachten des Sachverständigen G vom 24.9.1996 verbindlich festgestellt. Das Gutachten ist gemäß der Schiedsgutachtenvereinbarung in § 10 des notariellen Vertrages vom 28.2.1994 erstellt worden. Diese Vertrags­bestim­mung ist nicht unwirksam gem. § 9 AGBG. Da es sich hier um einen notariellen Vertrag handelt, liegen nur unter bestimmten Voraussetzungen von einer Vertragspartei „gestellte” Geschäftsbedingungen i.S.d. § 1 Abs. 1 AGBG vor. Dies wird bei einem mehrfach verwendeten Bauträgervertrag allerdings kraft ersten Anscheins angenommen, soweit Vertragsklauseln einseitig auf die Interessen des Bauträgers abstellen (BGH NJW 1992, 2160 [2162] ). Ob dies auf die Bestimmung des § 10 zutrifft, kann jedoch dahin­stehen, da jedenfalls die Bekl. als mögliche Verwender sich nicht auf die Unwirk­sam­keit berufen können (vgl.dazu BGH NJW 1987, 837 [838] ).
Die Parteien vereinbarten die Einholung eines Schiedsgutachtens für den Fall der fehlenden Einigung „über die Frage, ob eine vom Käufer erhobene Beanstandung zu Recht erfolgt ist” (§ 10 Nr. 6 I des notariellen Vertrags). Ein solcher Fall lag hier vor. Zwar befindet sich die Vertragsbestimmung als Teil des mit der Überschrift „Abnahme” versehenen § 10 unmittel­bar hinter dem Passus, der das Abnahmeprotokoll betrifft. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass über Mängelrügen, die - wie hier - nicht ins Abnahme­protokoll aufgenommen werden, kein Schiedsgutachten zu erstellen sei. Es entspricht vielmehr einer vernünftigen und interessengerechten Vertragsauslegung, dass § 10 Nr. 6 auch für die nachträglich geäußerten Beanstandungen gelten soll.
Aus dem Vertragstext ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das gem. § 10 Nr. 6 einzuholende Schiedsgutachten nicht hinsichtlich der Voraussetzungen von Gewährleistungsansprüchen, sondern nur für Fragen der Abnahme habe verbindlich sein sollen. Insbesondere enthält die Vertragsbestimmung keine Beschränkung auf solche Beanstandungen des Käufers, die bereits einer wirksamen Abnahme überhaupt entgegenstehen. Vielmehr umfasst der Begriff „Mängelrüge” in § 10 Nr. 5 des Vertrags ersichtlich die Beanstandung aller Mängel, deretwegen gem. § 640 Abs. 2 BGB ein Vorbehalt bei der Abnahme möglich ist, so dass nach § 10 Nr. 6 auch über Mängel dieser Art ein Schiedsgutachten zu erstellen ist und als solches für die Parteien in jeder Hinsicht - insbesondere in Bezug auf die Gewährleistung - verbindlich sein soll. Das gilt sinnvoller Weise ebenso für Mängelrügen, die erst nach der Abnahme vorgebracht und deshalb nicht in das Übernahmeprotokoll eingetragen wurden.
Bei der Einholung des Gutachtens wurde auch nicht gegen Verfahrensregeln verstoßen, insbesondere nicht gegen § 10 Nr. 6 des notariellen Vertrags, wonach der Schieds­gutachter von der IHK Koblenz zu benennen war. Dabei bedarf es keiner Prüfung, ob eine solche Benennung - etwa der Kl. gegenüber - erfolgte. Denn die Bekl. können sich nach Treu und Glauben jedenfalls nicht darauf berufen, dass die Benennung unterblieb.
Das Erfordernis der Benennung eines Schiedsgutachters durch die IHK ist keine Verfahrensvorschrift, die für die Erstellung eines unparteiischen Gutachtens unerlässlich wäre. Die Formulierung des § 10 Nr. 6 läßt nicht die Deutung zu, der Schiedsgutachter sei von der IHK mit verbindlicher Wirkung für beide Seiten des Vertrages zu ernennen oder zu bestimmen.
Es sollen vielmehr offenbar Qualifizierung und Neutralität des Sachverständigen dadurch gewährleistet sein, dass er von der IHK als einer dafür kompetenten Stelle gutgeheißen wird und dass jede Partei ohne besondere Voraussetzungen berechtigt ist, ihn abzu­lehnen. Der Verfahrensvorschrift wäre auch dann Genüge getan, wenn die IHK der Kl. mehrere Sachverständige benannt und diese einen von ihnen ausgewählt, d.h. die übrigen abgelehnt hätte.
Auf die Einhaltung einer solchen Regel des Schiedsgutachten-Verfahrens können die Parteien verzichten, ohne dass dadurch die Verbindlichkeit des Schiedsgutachtens in Frage gestellt wäre. Ein solcher Verzicht bedarf keiner Form, da er den Inhalt des Bauträgervertrags nicht verändert, sondern nur dessen Vollzug betrifft. Ein still­schweigen­der Verzicht auf die Benennung durch die IHK ist in dem Schreiben der Bekl. vom 15.3.1996 in Verbindung mit ihrem weiteren Verhalten zu erblicken: in dem Schreiben legten sie der Kl. nahe, einen von der IHK öffentlich bestellten und vereidigten Schiedsgutachter zu beauftragen, und als ihnen mitgeteilt wurde, dass auf Veranlassung der Kl.der Sachverständige G als Schiedsgutachter tätig werden sollte, widersprachen sie dieser Verfahrensweise nicht. Die Kl. durfte daraus nach Treu und Glauben entnehmen, dass die Bekl. sich mit der Erstellung des Schiedsgutachtens ohne eine besondere Benennung durch die IHK einverstanden erklärten. Die Bezugnahme auf § 10 Nr. 6 in dem Schreiben vom 15.3. lässt insofern keinen Vorbehalt der Bekl. erkennen. Da der Sachverständige G - wie in dem Schreiben der Bekl. verlangt - von der IHK Koblenz öffentlich bestellt und vereidigt ist und die Bekl. vor der Gutachtenerstellung Gelegenheit erhielten, ihn abzulehnen, erfüllt er die Voraussetzungen eines Schieds­gutachters gem. § 10 Nr. 6 des Vertrages.
Unschädlich ist, dass der Sachverständige von der Kl. allein und nicht von allen Beteiligten gemeinsam beauftragt wurde. Denn eine gemeinsame Beauftragung schreibt der notarielle Vertrag nicht vor. Überdies haben die Bekl. sich in ihrem Schreiben vom 15.3. mit einer Beauftragung allein durch die Kl. einverstanden erklärt.
Das Schiedsgutachten ist für das Gericht entsprechend § 318 Abs. 1 BGB verbindlich. Etwas anderes würde nur gelten, wenn das Gutachten offenbar unrichtig wäre (§ 319 Abs. 1 BGB in entsprechender Anwendung), d.h. wenn sich einem sachkundigen und unbefangenen Beobachter - gegebenenfalls nach eingehender Prüfung - offensichtliche Fehler aufdrängen würden, die das Gesamtergebnis verfälschen (BGH NJW 1987, 21 [22] - RKS A 5 Nr. 20, 21). Einen solchen Sachverhalt haben die Bekl. auch nicht ansatzweise dargetan.