RECHT UND STEUERN

A 5 Nr. 53

A 5 Nr. 53 Schiedsgutachtenvertrag im engeren Sinne: Fälligkeit und Verzinsung der vom Schiedsgutachter zu ermittelnden Forderung
1. Ein Schiedsgutachtenvertrag im engeren Sinne liegt vor, wenn der Gutachter nicht unmittelbar die Leistung bestimmen, sondern für die Klarstellung des Vertragsinhalts maßgebliche Tatsachen (z.B. Unternehmenswert oder Verkehrswert zum bestimmten Zeitpunkt) ermitteln und für die Parteien verbindlich feststellen soll. Der Vertrag  enthält in der Regel die stillschweigende Vereinbarung, dass die Begleichung der betroffenen Forderung für die Dauer der Erstattung des Gutachtens weder gerichtlich durchgesetzt noch außergerichtlich verlangt werden kann mit der Folge, dass die Forderung in diesem Zeitraum noch nicht fällig ist.
2. Diese Wirkung besteht fort, wenn die zur Bemessung der geschuldeten (Geld-)Leistung erforderliche Tatsachenfeststellung analog § 319 Abs. 1 S. 2 BGB auf das Gericht übergeht, so dass die betreffende Forderung erst mit Rechtskraft des Gerichtsurteils fällig wird. Demzufolge können Fälligkeits-, Verzugs- oder Prozesszinsen erst ab diesem Zeitpunkt zugesprochen werden.
BGH Urt.v. 4.7.2013 –III ZR 52/12 MDR 2013, 1019 = RKS A 5 Nr. 53     
Aus den Gründen:
1. Die Parteien haben einen Schiedsgutachtenvertrag geschlossen. Danach sollte der Gutachter nicht unmittelbar die „Bestimmung der Leistung“ als zur Rechtsgestaltung befugter Dritter vornehmen. Vielmehr war die Erfolgsvergütung auf der Grundlage nicht einer tatsächlichen Veräußerung, sondern des“ Unternehmenswertes (Verkehrswerts) der Beteiligungen zum Kündigungsstichtag“  zu zahlen. Den Beteiligten war allerdings dieser „Unternehmenswert (Verkehrswert)“ unbekannt, den der Schiedsgutachter entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen mitzuteilen hatte. Es lag somit ein Schiedsgutachtenvertrag im engeren Sinne vor, bei dem der Schiedsgutachter für die Klarstellung des Vertragsinhalts maßgebliche Tatsachen zu ermitteln und für die Parteien verbindlich festzustellen hatte (BGH 9.6.1983 IX ZR 41/82 MDR 1983, 839 = NJW 1983, 2244 f.; 26.10.1989 VII ZR 75/89 MDR 1990, 427 = NJW 1990, 1231 mwN.). Auf eine Schiedsgutachtenvereinbarung dieses Inhalts, die nur mittelbar der Bestimmung der Leistung dient, sind mangels einer anderen Vereinbarung der Parteien die §§ 317 bis 319 BGB entsprechend anzuwenden (BGH 26.10.1989 aaO.).
Da er sonst seinen Zweck weitgehend verfehlen würde, enthält ein Schiedsgutachtenvertrag im engeren Sinne in der Regel die stillschweigende Vereinbarung, dass der Gläubiger für die Dauer der Erstattung des Gutachtens aus der Forderung gegen den Schuldner nicht vorgehen werde (BGH 26.10.1989 aaO.). Es handelt sich dabei um eine Abrede, wonach die Feststellung der betroffenen Tatsachen einem Dritten überlassen werden soll mit der Folge, dass diese Tatsachen einer gerichtlichen Beweisaufnahme (zunächst) unzugänglich sind und die Begleichung der Forderung (zunächst) weder gerichtlich durchgesetzt noch außergerichtlich verlangt werden kann. Eine Klage ist insgesamt als verfrüht („als zur Zeit unbegründet“) abzuweisen, wenn die beweispflichtige Partei die rechtserhebliche Tatsache, deren Feststellung dem Schiedsgutachter übertragen ist, nicht durch Vorlage des Schiedsgutachtens nachweist  (BGH Urt.v. 8.6.1988 – VIII ZR 105/87 MDR 1988, 1053 = NJW-RR  1988, 1405; v.7.6.2011 – II ZR 186/08 Rz. 13 MDR 2011, 926 =NJW-RR  2011, 1059 = RKS A 5 Nr. 48). Daraus wird deutlich, dass die Schiedsgutachtenvereinbarung im engeren Sinne (auch) eine Regelung der Leistungszeit i.S.v. § 271 BGB enthält, und zwar dahin gehend, dass die Fälligkeit der Forderung bis bis zur Vorlage des Gutachtens aufgeschoben wird (soweit im Urteil des BGH vom 26.10.1989 aaO. von einem pactum de non petendo die Rede ist, ist dies ersichtlich nicht dahin zu verstehen, dass eine Schiedsgutachtenabrede auf die Fälligkeit der Forderungen keine Auswirkungen hätte…).
2. Die Leistungsbestimmung (Tatsachenfeststellung) ist analog § 319 Abs. 1 S. 2 durch das Gericht vorzunehmen, wenn sich die von den Vertragsparteien in erster Linie gewollte Bestimmung durch einen Dritten als nicht durchführbar erweist (BGH Urt.v. 7.4.2000 - V ZR 36/99 MDR 2000,  1027 = NJW 2000, 2986 f.). Eine Undurchführbarkeit ist schon dann gegeben, wenn die hierzu verpflichtete Partei den Schiedsgutachter nicht innerhalb angemessener Zeit benennt, ohne dass es hierbei auf ihr Verschulden ankommt (BGH 26.10.1989 aaO.; v. 7.6.2011 aaO. – Rz. 15 m.w.N. = RKS A 5 Nr. 48). Dies gilt entsprechend für den vorliegenden Fall, in dem nicht eine Partei den Gutachter zu benennen hatte, sondern die Parteien über seine Person eine Einigung herbeizuführen hatten (BGH Urt.v. 12.1.2001 V ZR 372/99 MDR 2001, 625 = NJW 2001, 1928f.).
Mit dem Übergang der Leistungsbestimmung (Tatsachenfeststellung) auf das Gericht gem. § 319 Abs. 1 S. 2 (analog)  tritt das Gericht gleichsam an die Stelle des Schiedsgutachters; in dieser Weise wirkt die Schiedsgutachtenabrede weiter fort. Dies hat zugleich die Folge, dass die Fälligkeit der betroffenen Forderung erst mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung beginnt.
Für Schiedsgutachtenvereinbarungen im weiteren Sinne, auf welche die §§ 317 bis 319 BGB unmittelbar anzuwenden sind und bei denen der Schiedsgutachter den Vertragsinhalt nach billigem Ermessen rechtsgestaltend zu bestimmen hat, ist es allgemein anerkannt, dass die Forderung im Falle des Übergangs der Leistungsbestimmung auf das Gericht (§ 319 Abs, 1 S. 2 BGB) erst mit Rechtskraft des Gerichtsurteils fällig wird, so dass Zinsen – vorbehaltlich anderer vertraglicher Vereinbarungen – vorher nicht verlangt werden können (BGH 5.7.2005 - X ZR 60/04 MDR 2006, 14 = NJW 2005, 2919 f.; 4.4.2006 – X ZR 122/05 Rz. 22f., BGHZ 167, 139 [149f.] = MDR 2007, 75). Hier wird die streitige Forderung mit dem (gestaltenden) Gerichtsurteil erst bestimmt; sie steht bis zu dessen Rechtskraft noch nicht fest und kann somit auch keinen Zinsanspruch auslösen.
Auch beim Schiedsgutachten im engeren Sinne haben sich die Parteien darauf verständigt, dass die Leistungsbestimmung – hier zwar nur mittelbar, aber gleichwohl maßgeblich – durch einen Dritten geschehen und die betroffene Forderung deswegen in aller Regel zunächst, bis zur Verbindlichkeit dieser Bestimmung, noch nicht fällig werden soll. Das hat seinen inneren Grund darin, dass die vom Schiedsgutachter (bzw. an seiner Stelle vom Gericht) festzustellende Tatsache typischerweise nur auf Grund besonderer fachlicher Kenntnisse unter Einsatz eines größeren Aufwandes ermittelt werden kann und dass insoweit, zumal wenn es um Bewertungsfragen geht, Beurteilungs- und Wertungsspielräume bestehen, die eine Mehrzahl vertretbarer Ergebnisse zulassen. Bei einer solchen Lage ist es den Vertragsparteien – Gläubiger und Schuldner – nicht oder kaum möglich, den Anspruchsinhalt selbst zuverlässig festzustellen. Dies hat zur Folge, dass die Vor- oder Annahme von Erfüllungshandlungen Schwierigkeiten bereitet und sogar unzumutbar sein kann. Ebenso wie bei Schiedsgutachten im weiteren Sinne steht auch bei Schiedsgutachten im engeren Sinne die streitige Forderung bis zur Rechtskraft des Urteils des nach § 319 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) zur Bestimmung berufenen Gerichts „noch nicht fest“.
Die Gleichbehandlung zwischen Schiedsgutachten im weiteren und engeren Sinne rechtfertigt sich zudem daraus, dass deren Abgrenzung zueinander im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten und von bloßen Formulierungsvarianten abhängig sein kann.
Das Hinausschieben bis zur Fälligkeit bis zur Rechtskraft des Urteils führt auch nicht zu einer unbilligen Benachteiligung des Gläubigers (wird ausgeführt).
26.9.2013