Recht und Steuern

A5 Nr.38

A5 Nr.38
§§ 485 ff. ZPO Gerichtliches Beweisverfahren trotz Schiedsgutachtervereinbarung
Eine Schiedsgutachtenvereinbarung schließt ein selbständiges Beweisverfahren gem. § 485 ff. ZPO vor den staatlichen Gerichten nicht grundsätzlich aus.
Mindestens für den Fall, daß Streit über Wirksamkeit oder Umfang der Vereinbarung sowie die Besorgnis besteht, daß das Beweismittel verlorengeht oder seine Benutzung erschwert wird, ist im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung anzunehmen, daß die Parteien die Begutachtung durch einen Sachverständigen im Rahmen des gerichtlichen Beweisverfahrens nicht ausschließen wollten.
OLG Brandenburg Beschl.v.19.4.2002 - 7 W 16/02; NJW-RR 2002, 1537 = RKS A 5 Nr. 38
Aus dem Sachverhalt:
Zu einem Vertrag über ein Bauvorhaben vereinbarten die Parteien folgende Ergänzung:
„Bestehen zwischen den Parteien Meinungsverschiedenheiten über die Abnahmefähigkeit der erbrachten Werkleistung und/oder Mängel bzw. die Einhaltung von Werten und Leistungsparametern gemäß Nr. 7, so einigen die Parteien sich bereits jetzt darauf, den Streitpunkt durch einen neutralen Sachverständigen als Schiedsgutachter verbindlich feststellen zu lassen. Können sich die Parteien nicht innerhalb von 14 Tagen auf die Person eines Schiedsgutachters einigen, so ist dieser auf Antrag vom Vorsitzenden des VGB zu benennen.”
Die Parteien streiten vor allem darüber, ob diese Vereinbarung der Zulässigkeit eines selbständigen Beweisverfahrens i.S.d. §§ 485 ff. ZPO entgegensteht. Das Gericht hat diese Frage verneint.
Aus den Gründen:
Die Vereinbarung ist nicht dahin auszulegen, daß die Parteien damit die Einholung eines Gutachtens im gerichtlichen Verfahren nach §§ 485 ff. ZPO für alle Fälle ausschließen wollten. Zwar wird mit einer Schiedsgutachtenvereinbarung regelmäßig - zumindest auch - bezweckt, Teilaspekte eines möglichen Rechtsstreits zwischen den Parteien verbindlich zu klären und damit einen Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten insgesamt oder zumindest hinsichtlich dieser Teilaspekte zu vermeiden. Andererseits verbleibt den Parteien bei einem Schiedsgutachten immer die Möglichkeit, das Ergebnis des Schiedsgutachtens in den Grenzen der §§ 317, 319 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt offenbarer Unrichtigkeit durch die ordentlichen Gerichte kontrollieren zu lassen. Kann damit aber nicht ausgeschlossen werden, daß die tatsächlichen Fragen, die Gegenstand der Schiedsgutachtenvereinbarung sind, trotz eines vorgelegten Schiedsgutachtens in einem Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten Gegenstand einer weiteren Beweisaufnahme werden, so kann auch die Vereinbarung über die Einholung eines Schiedsgutachtens nicht dahin ausgelegt werden, daß der Wille der Parteien dahin ging, die Durchführung einer Beweisaufnahme durch die ordentlichen Gerichte endgültig zu verhindern. Dies gilt jedenfalls wenn man bedenkt, daß die Parteien sich bei Abschluß einer Schiedsgutachtenabrede regelmäßig keine Gedanken darüber machen werden, daß sie sich in der Folgezeit über die Wirksamkeit der Schiedsgutachtenabrede streiten könnten. Gerade diese Situation ist jedoch hier eingetreten, da die Ast.die Wirksamkeit der Schiedsgutachtenabrede in Zweifel zieht und darüber hinaus die Auffassung vertritt, diese beziehe sich nur auf die Regelungsgegenstände der Nr. 7 des Vertrages. Jedenfalls für einen solchen Fall des Streits der Parteien über die Wirksamkeit oder den Umfang einer Schiedsgutachtenvereinbarung wird man im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß die Parteien mit der Schiedsgutachtenabrede die Einholung eines Gutachtens im selbständigen Beweisverfahren zumindest unter den Voraussetzungen der Besorgnis des Verlustes oder der Erschwernis der Benutzung des Beweismittels i.S.d. § 485 Abs. 1 ZPO nicht ausschließen wollten. Unter diesen Voraussetzungen steht der Zulässigkeit der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens auch nicht entgegen, daß die Schiedsgutachtenabrede im Falle eines späteren Prozesses - dann, wenn die Ag. eine entsprechende Einrede erhebt und das Gericht die Wirksamkeit der Abrede bejaht - zur Folge haben könnte, daß ein in einem selbständigen Beweisverfahren eingeholtes Gutachten zunächst durch das Gericht nicht verwertet werden dürfte und die Ast. deshalb gezwungen wäre, jedenfalls auch das Schiedsgutachten einzuholen (zu diesem Gesichtspunkt - für einen Fall des § 485 Abs. 2 ZPO - OLG Düsseldorf Baurecht 1998, 1111 [1112]).
Die Ast. hat auch - trotz der Schiedsgutachtenvereinbarung - ein Rechtsschutzbedürfnis für das selbständige Beweisverfahren. Mit der Einholung des Schiedsgutachtens würde der Ast. im Verhältnis zu der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens kein billigerer oder einfacherer Weg zur Erreichung ihres Rechtsschutzziels zur Verfügung stehen. Zwar dürfte im Hinblick auf das von der Ast. postulierte Eilbedürfnis der Sicherung der Beweise bei regelmäßigem Ablauf zwischen der Durchführung der Schiedsgutachtenvereinbarung und der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens gem. §§ 485 ff. ZPO kein wesentlicher Unterschied hinsichtlich der Dauer der Bestimmung des Gutachters und der Begutachtung selbst bestehen. Ebenso dürften die Unterschiede hinsichtlich der Hemmung der Verjährung, die - jeweils in der seit dem 1.1.2002 geltenden Fassung des BGB - gem. § 204 Nr. 7 an die Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens und gem. § 204 Nr. 8 BGB an den Beginn des vereinbarten Begutachtungsverfahrens anknüpft, allein nicht ausreichen, um das selbständige Beweisverfahren als effektiveren Weg erscheinen zu lassen. Jedoch darf selbst ein eindeutig einfacherer oder billigerer Weg dann nicht beschritten werden, wenn er verfahrensmäßig unsicherer ist (BGHZ 111, 168 [171] = NJW 1990, 2060 = LM H. 7/1991 § 823 BGB Nr. 12). Die größere Unsicherheit der Einholung des vereinbarten Schiedsgutachtens im Verhältnis zu der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ergibt sich für die Ast. jedoch schon aus dem Umstand, daß sich auch nach der Einholung des Schiedsgutachtens in einem späteren Prozeß die Notwendigkeit der Durchführung einer justizförmigen Beweisaufnahme ergeben kann (so wohl auch OLG Köln IBR 1999, 289; LG München I NJW-RR 1994, 355 [356] ). Zwar ist die Notwendigkeit einer weiteren Beweisaufnahme im späteren Prozeß auch im Falle der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens unter den Voraussetzungen des § 412 ZPO nicht gänzlich ausgeschlossen. Allerdings hat das Gericht im Falle der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens auf Grund der Regelungen der §§ 404 a, 407, 407a, 409 und 411 ZPO - anders als die Parteien im Falle der Beauftragung eines Schiedsgutachters - deutlich mehr Möglichkeiten, auf eine sachgerechte und zügige Begutachtung hinzuwirken. Dabei ist für diejenige Partei, die ein besonderes Eilbedürfnis i.S.d. § 485 Abs. 1 ZPO geltend machen kann, - jedenfalls dann, wenn abweichend vom regelmäßigen Ablauf Schwierigkeiten auftreten - eine größere Sicherheit der zügigen Durchführung der Begutachtung insbesondere auch durch die nur dem Gericht zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Sanktionierung von Verzögerungen durch Verhängung von Ordnungsgeldern gem. § 411 Abs. 2 ZPO gegeben (dazu auch OLG Frankfurt a.M. Baurecht 1993, 504 [505]). Hinzu kommt, daß eine Verweisung auf die Einholung eines Schiedsgutachtens im vorliegenden Fall auch deshalb als ein im Verhältnis zu einem selbständigen Beweisverfahren unsicherer Weg anzusehen ist, weil die Parteien über die Wirksamkeit und die Reichweite der Schiedsgutachtenabrede streiten. Käme jedoch das Prozeßgericht, das über diese Frage ohne Bindung an eine Bewertung im Rahmen der Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens zu dem Ergebnis, daß die Schiedsgutachtenabrede unwirksam ist oder sich tatsächlich nur auf die Vereinbarungen in Nr. 7 des Vertrages bezieht, so hätte das Schiedsgutachten im Gegensatz zu dem in einem selbständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachten für einen Rechtsstreit in der Hauptsache keine Bedeutung (so wohl auch OLG Koblenz MDR 1999, 502 [503]).