Recht und Steuern

A5 Nr.37

A5 Nr.37
§§ 317 ff., 319 BGB GmbH-Anteilskauf: Schiedsgutachten zur Ermittlung der Außenstände und Verbindlichkeiten zur Zeit des Übergangs zwecks Feststellung der Ausgleichspflicht. Bestimmung der Person, Wegfall des Gutachters, Lückenhaftigkeit des Gutachtens
1. Wenn beide Parteien eines Kaufvertrages über einen GmbH-Anteil übereinstimmend „den Steuerberater der Gesellschaft, Herrn Steuerberater B.” anweisen, die Außenstände und die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Anteilsübertragung zwecks Feststellung der Ausgleichspflicht zu ermitteln, so liegt ein Schiedsgutachtenvertrag vor. Durch Auslegung ist zu ermitteln, ob damit der jeweilige Steuerberater der Gesellschaft oder der Steuerberater B. persönlich beauftragt ist, das Schiedsgutachten zu erstatten. Für letztere Auslegung sprechen ggf. die besseren Detailkenntnisse und die größere Sachnähe des zum Zeitpunkt der Übertragung für die Gesellschaft tätig gewesenen Steuerberaters B., außerdem das besondere Vertrauensverhältnis zwischen beiden Parteien und dem Steuerberater B. auf Grund der langjährigen Zusammenarbeit.
2. Unverbindlich ist das Schiedsgutachten u.a., wenn es nicht durch den von beiden Parteien betrauten Steuerberater erstattet ist oder wenn dessen Ausführungen so lückenhaft sind, daß auch ein Fachmann das Ergebnis aus dem Zusammenhang des Gutachtens nicht überprüfen kann.
3. Ist die im Schiedsgutachtenvertrag beauftragte Person aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen an der Erstattung des Gutachtens gehindert, so ist zu prüfen, ob der Vertrag, möglicherweise im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung durch die Übertragung der Auswahl des Schiedsgutachters an einen Dritten, noch erfüllbar ist. Ist er nicht mehr erfüllbar, ist entsprechend § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Leistungsbestimmung durch Urteil zu treffen.
BGH Urteil vom 27.6.2001 - VIII ZR 235/00; Wertpapier-Mitteilungen 2001, 1864 = RKS A 5 Nr. 37
Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die interne Ausgleichspflicht der Beklagten auf Grund eines GmbH-Anteilskaufvertrages. Mit notariellem Vertrag vom 18.10.1996 verkaufte und übertrug die Bekl. ihren Geschäftsanteil an der Klägerin mit Wirkung vom 1.11.1996 an G., den jetzigen Geschäftsführer der Kl., zum Preis von 165.000 DM. Hinsichtlich der bis zu diesem Stichtag entstandenen Forderungen und Verbindlichkeiten der Kl. vereinbarten die Parteien in Ziffer IV.3. des Vertrages folgendes:
„Die Verkäuferin hält im Innenverhältnis die GmbH von allen Verpflichtungen der GmbH frei auf Zahlung von Steuern, insbesondere Umsatzsteuer und Gewerbesteuer, Lohnsteuer und Sozialabgaben, soweit diese Verbindlichkeiten bis zum Verrechnungstag enstanden sind, also unabhängig davon, ob dann diese Beträge geltend gemacht und abgeführt werden. Andererseits stehen die Außenstände bis zum Verrechnungstag der Verkäuferin zu, und zwar unabhängig, wann Außenstände an die Gesellschaft gezahlt werden. Die Vertragsparteien weisen den Steuerberater der Gesellschaft, Herrn Steuerberater B. aus H., H-Straße, übereinstimmend an, die Außenstände ebenso wie die Verbindlichkeiten für die Parteien dieses Vertrages abzurechnen. Beide Parteien weisen den Steuerberater B. an, den Vertragsparteien Einsicht in die Unterlagen der Gesellschaft auch nach dem Verrechnungstag zu gewähren und Auskunft zu erteilen über alle Einnahmen und Verbindlichkeiten der Gesellschaft ab 1. November 1996, soweit eine Einsicht erforderlich ist zur Feststellung einer Ausgleichspflicht.”
Unter dem 16.10.1998 erstellte der Steuerberater M., der die Praxis B. übernommen hatte, eine mit „Aufstellung über Steuerverbindlichkeiten sowie Sozialabgaben bis zum 31.10.1996 K.-GmbH” überschriebene Übersicht über die von der Kl. geschuldete Umsatzsteuer für 1995 und 1996. Die Kl. verlangt u.a. den sich daraus ergebenden Gesamtbetrag. Die Bekl. erwidert, bisher fehle es an einer wirksamen Abrechnung gem. Ziffer IV.3. des Vertrages.
Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG die Bekl. teilweise verurteilt. Der BGH hat aufgehoben und zurückverwiesen.
Aus den Gründen:
1. Zwar handelt es sich bei der Ermittlung des Sinngehaltes jener Vertragsbestimmung um die in erster Linie dem Tatrichter obliegende Auslegung einer Individualerklärung; das Revisionsgericht kann das Ergebnis deshalb nur daraufhin überprüfen, ob gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind (st. Rechtsprechung, so Senatsurteil vom 21.10.1992 = WM 1993, 114 = NJW-RR 1993, 562; BGH Urt.v. 1.10.1999 = WM 1999, 2513 = NJW 1999, 3704 unter III 2 a, m.Nachw.). Zu den anerkannten Auslegungsregeln gehören insbesondere die Maßgeblichkeit des Wortlautes als Ausgangspunkt jeder Auslegung sowie die Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragspartner im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH Urt.v. 5.12.1990 BGHR BGB § 133 Wortlaut 1; Urt.v. 10.7.1998 = WM 1998, 1883 = NJW 1998, 3268). Diesen Maßstäben wird das Berufungsurteil nicht gerecht, so daß das Revisionsgericht an die Auslegung des Berufungsgerichts nicht gebunden ist (vgl. § 561 Abs. 2 ZPO).
Nicht haltbar ist die Annahme des Berufungsgerichts, schon aus dem Wortlaut der Klausel ergebe sich, daß es den Parteien nicht auf dessen Person, sondern allein auf seine Funktion als „Steuerberater der Gesellschaft” angekommen sei. Das Berufungsgericht hat nicht erkannt, daß der Wortlaut der Vereinbarung beide Auslegungsmöglichkeiten zuläßt, weil sowohl der Name des Steuerberaters als auch dessen berufliche Stellung genannt werden. Greifbare Anhaltspunkte, welche die Bedeutung der Namensnennung hinter der Angabe der Funktion als Steuerberater zurücktreten lassen würden, hat das Berufungsgericht nicht aufgezeigt. Der Wortlaut rechtfertigt eine solche Schlußfolgerung entgegen der Meinung des Berufungsgerichts gerade nicht. Da er beide Angaben ohne erkennbare Gewichtung, mithin gleichwertig nebeneinander enthält, hätten nur Anzeichen außerhalb der Urkunde, die auf eine bestimmte Willensrichtung der Vertragsparteien hindeuten würden, die Auslegung des Berufungsgerichts zu stützen vermocht (BGH Urt.v. 5.12.1990 aaO.); daran fehlt es jedoch.
Darüber hinaus ist das Berufungsgericht bei einer wörtlichen Deutung der Vertragsklausel stehengeblieben und hat die Interessenlage der Parteien nicht in seine Betrachtung einbezogen. Zi. IV.3. des Vertrages ist eine Schiedsgutachtenabrede, auf die die Vorschriften der §§ 317 ff. BGB entsprechend anwendbar sind. Der Gutachter sollte die von der Bekl. zu tragenden Verbindlichkeiten und die ihr zustehenden Außenstände klarstellend ermitteln und eine Abrechnung vornehmen. Es ging nicht nur um die „Sichtung” von Unterlagen und die Feststellung von Zahlen. Es lag für die Vertragsparteien auf der Hand, daß bei der einen Zeitraum von mehreren Jahren umfassenden Abrechnung von unterschiedlichen Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen der Kl., der Bekl. und Dritten auch Schwierigkeiten auftreten konnten wie etwa Lücken in der Buchführung, Abgrenzungsfragen oder steuerrechtliche Probleme. Schon deshalb könnte es sinnvoll gewesen sein und im Interesse aller Beteiligten gelegen haben, daß der zu dem maßgebenden Zeitpunkt für die Kl. tätig gewesene Steuerberater B. wegen seiner besseren Detailkenntnisse und der größeren Sachnähe die Abrechnung durchführen sollte. Auch das besondere Vertrauen, das zwischen dem Steuerberater B. und beiden Parteien bestand, legte es nahe, B.und nicht einen Dritten mit der Erstellung der schiedsgutachtlichen Abrechnung zu beauftragen; denn das Verhältnis zwischen den Parteien eines Schiedsvertrages und dem Schiedsgutachter ist, auch wegen der nur begrenzten Anfechtbarkeit seiner Leistungsbestimmung (§ 319 BGB) in besonderem Maße auf ein wechselseitiges Vertrauen aufgebaut. Die Bekl. hatte jedoch nach ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft keinerlei Einfluß mehr auf die Auswahl des Dritten, hier also des Steuerberaters M.
2. Des weiteren weist die von dem Steuerberater M. vorgelegte Aufstellung einen gravierenden inhaltlichen Mangel auf. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH ist ein Schiedsgutachten mit dem oben genannten Inhalt entsprechend § 319 Abs. 1 BGB für die Beteiligten nicht verbindlich, wenn es offenbar unrichtig ist, d.h. sich einem sachkundigen und unbefangenen Beobachter - sei es auch erst nach eingehender Prüfung - offensichtliche Fehler der Leistungsbestimmung aufdrängen, die das Gesamtergebnis verfälschen. Sie ist darüber hinaus aber auch dann gegeben, wenn die Ausführungen des Sachverständigen so lückenhaft sind, daß selbst der Fachmann das Ergebnis aus dem Zusammenhang des Gutachtens nicht überprüfen kann (BGH Urt.v. 16.11.1987 WM 1988, 276 = NJW-RR 1988, 506 m.w.N. = RKS A 5 Nr. 20).
Hinsichtlich des sachlichen Umfangs der Aufstellung weist die Abrechnung offensichtliche Lücken auf, die ihre Verwertbarkeit ausschließen.
Nach Ziffer IV.3. des Anteilskaufvertrages hatte der Steuerberater B. auf den Stichtag 1.11. 1996 eine Abrechnung aller Verbindlichkeiten der Kl. an Steuern und Sozialabgaben sowie sämtlicher Außenstände der Kl. zu erstellen, die im Innenverhältnis von der Bekl. getilgt werden bzw. ihr zufließen sollten. Der naheliegende und in der Abrechnungsklausel ausdrücklich erwähnte Zweck dieser Abrechnung war die Ermittlung eines Saldos, d.h. einer Ausgleichspflicht einer der Parteien. Dies allein war auch interessengerecht, weil es für alle Beteiligten die von ihnen erstrebte abschließende Klarheit über ihre vermögensrechtlichen Beziehungen erbracht hätte. Mit einer einseitigen Aufstellung nur der von der Bekl. auszugleichenden Verbindlichkeiten der Kl. konnte dieses Ziel von vornherein nicht erreicht werden.
Die von dem Steuerberater M. gefertigte „Abrechnung” wird dem vertraglichen Zweck der Klausel nicht gerecht. Sie läßt nicht erkennen, daß sich der Steuerberater der ihm gestellten Aufgabe bewußt gewesen ist, und ebensowenig, daß er die Buchführung, Jahresabschlüsse und sonstigen einschlägigen Unterlagen der Gesellschaft auf Außenstände, die im Innenverhältnis der Bekl. zustehen sollten, geprüft hat. Die Überschrift „Aufstellung über Steuerverbindlichkeiten sowie Sozialabgaben bis zum 31.10.1996 K. GmbH” besagt das Gegenteil. Daß der Steuerberater M. die ihm gestellte Aufgabe nicht erfüllt, sondern einseitig nur die von der Bekl. zu tragenden Schulden ermittelt hat, führt zur Unverbindlichkeit seiner Bestimmung entspr. § 319 Abs. 1 S. 1 BGB, auch mit Wirkung für die als begünstigte Dritte (§ 328 BGB) - nämlich bezüglich eines etwaigen Überschusses der Verbindlichkeiten über die Außenstände - in diese Regelung einbezogene Klägerin.
3. Der Senat verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück, da es zur Entscheidung des Rechtsstreits weiterer Feststellungen bedarf. Das Berufungsgericht wird unter Berücksichtigung des tatsächlichen Vorbringens der Parteien erneut zu prüfen haben, ob nach der Schiedsgutachtenklausel der damalige Steuerberater der Kl., B., persönlich oder lediglich der jeweilige Steuerberater der Kl. ohne Bindung an die Person des Herrn B. bzw. ein etwaiger Betriebsnachfolger des Steuerberaterbüros B. mit der Abrechnung beauftragt sein sollte. Sollte die betreffende Person aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen an der Erstellung des Gutachtens gehindert sein (BGH Urt.v. 6.6.1994 WM 1994, 1778), wäre zu prüfen, ob die Schiedsgutachtenabrede, möglicherweise im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung durch die Übertragung der Auswahl des Schiedsgutachters an einen Dritten, noch durchführbar ist. Bei dieser Möglichkeit, der Schiedsgutachtenabrede ihre Geltung zu erhalten, wäre ein Zahlungsanspruch der Kl. schon dem Grunde nach zur Zeit nicht gegeben, was im Rahmen von Zumutbarkeitserwägungen zu bedenken ist (BGHZ 57, 47, 50 f. = WM 1971, 1018 = HSG A 5 Nr. 4). Ist die Schiedsgutachtenabrede nicht mehr erfüllbar, ist entsprechend § 319 Abs. 1 S. 2 BGB eine Leistungsbestimmung durch Urteil zu treffen (BGHZ 57, 47, 52 = WM 1971, 1018 = HSG A 5 Nr. 4; BGH Urt.v. 1.3.1996 = WM 1996, 1275 = NJW 1996, 1748; vgl. auch BGH Urt.v. 6.6.1994 WM 1994, 1778 = NJW-RR 1994, 1314).