Recht und Steuern

A4b Nr. 46

A 4 b Nr. 46
EuG-VO über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-und Handelssachen (EuGVVO) - Umfang und Grenzen ihrer Geltung für die Schiedsgerichtsbarkeit: Vollstreckbarerklärung des Urteils eines (ausländischen) staatlichen Gerichts auf Sicherheitsleistung für vertragliche, durch einen Schiedsspruch zuerkannte Ansprüche
1. Auf die Vollstreckbarerklärung des Urteils eines staatlichen Gerichts, das den Antragsgegner verurteilt, für die Erfüllung einer vertraglichen, in einem Schiedsspruch zuerkannten Forderung der Antragstellerin Sicherheit zu leisten, ist das EuGVÜ (Art. 1 Abs. 2 Nr. 4), nach ihrem Inkrafttreten (am 1.3.2002) die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 (EuGVVO - Art. 1 Abs. 2 Buchst. d) anzuwenden.
2. Zwar ist nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 EuGVÜ dieses Übereinkommen - ebenso wie nunmehr nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. d EuGVVO diese Verordnung - nicht anwendbar auf die Schiedsgerichtsbarkeit. Dieser Ausschluss gilt für gerichtliche Verfahren, die einem Schiedsverfahren dienen, ein Schiedsgericht unterstützen oder seine Funktionsfähigkeit herstellen sollen, wie etwa Verfahren zur Ernennung oder Abberufung von Schiedsrichtern, zur Feststellung der (Un-)Wirksamkeit des Schiedsvertrages, Verfahren und Entscheidungen über Anträge auf Aufhebung, Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen, und für Gerichtsentscheidungen, die Schiedssprüche in sich inkorporieren.
3. Dieser Ausschluss trifft nicht Maßnahmen, die nur der Sicherung eines vertraglichen Anspruchs dienen, aber nicht der Durchführung des Schiedsverfahrens oder der Vollstreckung des Schiedsspruchs, auch wenn der Anspruch Gegenstand des schiedsgerichtlichen Verfahrens war.
BGH Beschl.v. 5.2.2009 – IX ZB 89/06 Recht der internationalen Wirtschaft 2009, 238 = RKS A 4 b Nr. 46
Aus dem Sachverhalt:
Mit Urteil der Arrondissementsrechtsbankte Rotterdam vom 4.10.2001 wurde die Antragsgegnerin u.a. verurteilt, der Antragstellerin innerhalb von zwei Werktagen nach Zustellung dieses Urteils als Sicherheit für die Erfüllung der Forderung, wie diese im Endurteil vom 1.10.1993 festgesetzt worden ist, eine Bankgarantie zu stellen; damit verbunden war die Androhung eines Zwangsgeldes von ggf. 5.000 nl.Gulden für jeden Tag des Verzuges. Das LG hat angeordnet, dass das Urteil mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Auf sofortige Beschwerde hat das OLG diesen Beschluss des LG aufgehoben.
Aus den Gründen:
1. Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin ist begründet. Entgegen der Auffassung des OLG ist auf die beantragte Vollstreckbarerklärung das Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) anwendbar.
Das OLG hat zutreffend gesehen, dass sich die Vollstreckbarerklärung des Rotterdamer Urteils vom 4.10.2001 nicht nach dem EuGVVO vom 22.12.2000 (Amtsblatt EG 2001 Nr. L 12 S. 1) richtet. Diese VO ist gem. ihrem Art. 76 erst am 1.3.2002 in Kraft getreten. Gem. Art. 66, 68 EuGVVO ist deshalb auf den Streitfall das zuvor geltende EuGVÜ anzuwenden.
2. Das OLG hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 dieses Abkommen für den vorliegenden Fall nicht gelte. Nach dieser Bestimmung ist dieses Abkommen nicht anwendbar auf die Schiedsgerichtsbarkeit, darunter fielen lt. OLG auch Gerichtsentscheidungen, die Schiedssprüche in sich einschlössen, und das Rotterdamer Urteil nehme den Schiedsspruch vom 1.10.1993 in sich auf; dies ergebe sich sowohl aus dem Tenor wie aus den Entscheidungsgründen.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt: Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 EuGVÜ ist – nicht anders als nunmehr Art. 1 Abs. 2 Buchst. d EuGVVO – weit auszulegen. Von der Ausnahmeregelung werden alle staatsgerichtlichen Verfahren erfasst, die einem Schiedsverfahren dienen, ein Schiedsgericht unterstützen oder seine Funktionsfähigkeit herstellen sollen. So greift die Ausnahme ein, wenn Gegenstand des Rechtsstreits die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Schiedsvertrages ist, wenn ein Schiedsurteil für vollstreckbar erklärt oder aufgehoben werden soll (Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 29.Aufl. Art. 1 EuGVVO Rn. 9, Zöller/Geimer ZPO 27. Aufl. Art. 1 EuGVVO Rn. 43; mit kritischer Bewertung Schlosser EU-Zivilprozessrecht 2. Aufl. Art. 1 Rn. 23; Kropholler Europäisches Zivilprozessrecht 8. Aufl. Art. 1 Rn. 41ff.; Rauscher/Mankowski Europäisches Zivilprozessrecht 2. Aufl. Art. 1 Brüssel I-VO Rn. 27ff., Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht 2. Aufl. Art. 1 Rn. 150 ff.).
Das EuGVÜ ist insbesondere dann nicht anwendbar, wenn Schiedsrichter ernannt oder abberufen sollen, selbst wenn das Bestehen oder die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung nur eine Vorfrage des Rechtsstreits ist (EuGH Urt.v.25.7.1991 RsC 190/89 NJW 1993, 189, 190 = RKS A 2 Nr. 18). „Das EuGVÜ bezieht sich nicht auf gerichtliche Verfahren, die einem Schiedsverfahren dienen sollen wie etwa Verfahren zur Ernennung oder Abberufung von Schiedsrichtern – Das EuGVÜ – bezieht sich auch nicht auf Verfahren und Entscheidungen über Anträge auf Aufhebung, Änderung, Anerkennung und Vollstreckung v on Schiedssprüchen. Das gilt auch für Gerichtsentscheidungen, die Schiedssprüche in sich inkorporieren –” (Schlosser Bericht Nr. 64 und 65, Amtsblatt Europäische Gemeinschaften 1979 Nr. C 59 S.71, 93; hierauf Bezug nehmend auch EuGH 17.11.1998 RsC 391/95 EuZW 1999, 413, 415 Rn. 32).
3. Das Urteil des Rotterdamer Gerichts ist entgegen der Auffassung des OLG aber nicht ein Urteil, das das Urteil eines Schiedsgerichts in diesem Sinne unterstützt, seinen Inhalt für vollstreckbar erklärt oder das Schiedsurteil seinem Inhalt nach inkorporiert. Das Urteil lässt das von ihm in Bezug genommene Schiedsurteil völlig unberührt. Es leitet vielmehr aus dem den Rechtsbeziehungen der Parteien zugrundeliegenden Vertrag eine Verpflichtung der AGg. Ab, auf erstes Ersuchen der ASt. Sicherheitsleistung für ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erbringen. Die vom Schiedsgericht ausgesprochene Verpflichtung wird weder auf Richtigkeit überprüft noch in das Urteil einbezogen. Lediglich im Hinblick auf den Umstand, dass die Zahlung der AGg. bisher ausgeblieben ist und eine Vollstreckung des Schiedsspruchs in Deutschland möglicherweise noch viele Jahre dauern könne, wurde die Erbringung einer Sicherheitsleistung in einem summarischen Verfahren angeordnet.
Die Entscheidung des Schiedsurteils soll mit dem hier in Frage stehenden Urteil des Rotterdamer Gerichts weder vollstreckt noch für vollstreckbar erklärt werden. Auch gründet das Urteil den zu sichernden Anspruch nicht auf die Unanfechtbarkeit jenes Schiedsspruchs. Dieser wird vielmehr nur in Bezug genommen zur näheren Bezeichnung der materiellen Forderung, für die Sicherheit geleistet werden soll. Der Anspruch auf Sicherheitsleistung wird selbständig aus dem zugrundeliegenden Vertrag abgeleitet.
Von der Regelung des Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 EuGVÜ werden nicht erfasst einstweilige Maßnahmen, die lediglich der Sicherung eines Anspruchs dienen, nicht aber der Durchführung des Schiedsverfahrens oder der Vollstreckung des Schiedsurteils (ThomasPutzo/Hüßtege a.a.O. Art. 1 EuGVVO Rn. 9 a.E.; Zöller/Geimer a.a.O. Art. 1 EuGVVO Rn. 45 a.E.; Geimer in Geimer/Schütze a.a.O. Art. 1 Rn. 164; Rauscher/Mankowski a.a.O. Art. 1 Brüssel-I-VO Rn. 28b; OLG München 25 W 1067/00 OLG-Report 2000, 266, 267). Dies ergibt sich insbesondere auch aus dem Urt. des EuGH vom 17.11. 1998 (a.a.O. S. 415; vgl. auch Urt. v. 27.4.1999 – RsC 99/96 EuZW1999, 727, 729f.). Danach sind einstweilige Maßnahmen grundsätzlich nicht auf die Durchführung eines Schiedsverfahrens gerichtet, sie werden vielmehr parallel zu einem solchen Verfahren angeordnet. Gegenstand einer solchen Maßnahme ist nicht die Schiedsgerichtsbarkeit, sondern die Sicherung der Ansprüche. Danach bestimmt sich die Anwendung des Übereinkommens auf eine einstweilige Maßnahme nicht nach deren Rechtsnatur, sondern nach derjenigen der durch sie gesicherten Ansprüche (vgl. auch OLG München a.a.O.).
Bei den gesicherten Ansprüchen handelt es sich um zivilgerichtliche Ansprüche nach Art. 1 Abs. 1 S. 1EuGVÜ. Es geht nicht um die Sicherung des Anspruchs aus einem bereits unanfechtbar gewordenen Schiedsspruch, sondern um die Sicherung der Durchsetzung des materiell-rechtlichen Anspruchs, der daneben allerdings Gegenstand des schiedsgerichtlichen Verfahrens war. Auf die Vollstreckbarerklärung und Klauselerteilung ist deshalb das Übereinkommen anwendbar.
Da das Beschwerdegericht die Anwendbarkeit des EuGVÜ zu Unrecht verneint hat, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Das Beschwerdegericht wird zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung nach dem Übereinkommen vorliegen.