Recht und Steuern

A 4b Nr. 61

A 4b Nr. 61 - §§ 1042 Abs. 1, 1059 Abs. 2 ZPO - Verstoß gegen rechtliches Gehör; ordre public
Schiedsgerichte sind – wie die staatlichen Gerichte – nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Schiedsgerichte entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Gegebenenfalls kommt es darauf an, ob dem Gesamtzusammenhang des Urteils unter Zugrundelegung der Rechtsanschauung des urteilenden (Schieds-)Gerichts entnommen werden kann, dass es das Vorbringen zwar erwogen, aber als unwesentlich beurteilt hat.
OLG München, Beschl. v. 09.01.2017 - 34 Sch 20/16 = RKS A 4b Nr. 61
Aus den Gründen:
[...]
3. Der Schiedsspruch ist für vollstreckbar zu erklären, weil Aufhebungsgründe gemäß § 1059 Abs. 2 ZPO nicht begründet geltend gemacht sind (Nr. 1) und, soweit sie von Amts wegen zu berücksichtigen sind (Nr. 2), nicht vorliegen (§ 1060 Abs. 1 und 2 ZPO).
a) Gegen das Gebot rechtlichen Gehörs wurde nicht verstoßen.
aa) Ob dessen Verletzung nur wegen begründeter Geltendmachung des in § 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZPO bezeichneten Aufhebungsgrundes oder schon wegen des amtswegig zu berücksichtigenden verfahrensrechtlichen ordre public gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO beachtlich ist, kann auf sich beruhen. Denn zu einer unterschiedlichen Beurteilung führt dies hier nicht.
bb) Gemäß § 1042 Abs. 1 Satz 2 ZPO und § 26.1 Satz 2 DIS-SchO ist den Parteien im schiedsrichterlichen Verfahren rechtliches Gehör in wesentlich gleichem Umfang wie vor staatlichen Gerichten zu gewähren (vgl. nur BGHZ 96, 40/47 f.). Nach Art. 103 Abs. 1 GG haben die Parteien Anspruch darauf, dass ihre Ausführungen von den Schiedsrichtern zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden (BVerfGE 42, 364/367 f.; BVerfG WM 2012, 492; BGH a. a. O.), soweit das Vorbringen nicht nach den Prozessvorschriften ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (BVerfGE 50, 32/35 f.; 60, 147; 70, 288/294). Allerdings sind auch die Schiedsgerichte – wie die staatlichen Gerichte – nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Schiedsgerichte entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Gegebenenfalls kommt es darauf an, ob dem Gesamtzusammenhang des Urteils unter Zugrundelegung der Rechtsanschauung des urteilenden (Schieds-)Gerichts entnommen werden kann, dass es das Vorbringen zwar erwogen, aber als unwesentlich beurteilt hat (BVerfGE 86, 133/146; BVerfG NJW 1999, 1387/1388; Sandrock BB 2001, 2173/2176).
Dieser Maßstab gilt auch im Hinblick auf die hier vereinbarte schiedsgerichtliche Verfahrensordnung. Die DIS-SchO statuiert keine die Schutzwirkung des Art. 103 Abs. 1 GG übersteigenden Pflichten (vgl. § 26 DIS-SchO; Haller in Nedden/Herzberg ICC-SchO/DIS-SchO Rn. 13 und 20 zu § 26 DIS-SchO).
cc) Das Schiedsgericht hat die als übergangen gerügten Schriftsätze der Antragsgegnerin vom 15.4. und 13.5.2016 bei der Darstellung des Verfahrensgangs ausdrücklich erwähnt. Aus der Kurzangabe zum Inhalt geht zudem hervor, dass es die Schriftsätze inhaltlich zur Kenntnis genommen hat (Ssp. Rn. 17 und 19). Dass es die Lieferung von 16 InCarrier-Gurtern von der Antragsgegnerin an die Fa. B. nach dem Inhalt der mündlichen Verhandlung für unstreitig angesehen (Ssp. Rn. 62) und das Vorbringen in den nachgereichten Schriftsätzen nicht als nachträgliches Bestreiten und demzufolge nicht als entscheidungserhebliches Vorbringen gewertet hat, stellt keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör dar.
(1) Die Antragsgegnerin behauptet selbst nicht, dass ihre Einlassung in der im Schiedsverfahren durchgeführten mündlichen Verhandlung unzutreffend protokolliert worden sei. Mit ihrem Antrag auf Protokollberichtigung hat sie diesen Teil der Niederschrift auch im Schiedsverfahren nicht beanstandet. Sollte die Antragsgegnerin ihre festgehaltene Äußerung als (so) nicht gefallen bestreiten oder als anders verstanden wissen wollen, wäre es an ihr gewesen, sich mit dem Antrag auf Protokollberichtigung auch zu dieser Passage zu erklären oder aber nun klar zu stellen, dass sie ihr früheres Bestreiten nicht aufgegeben habe.
(2) Mit den Schriftsätzen vom 15.4. und 13.5.2016 hat sie zwar geltend gemacht, dass nach den angestellten Recherchen aktuell lediglich 10 bzw. 15 Gurter mit InCarrier-Zuführung arbeiteten und – nach der insoweit nicht protokollierten Aussage des Zeugen L. – eine Lizenzpflicht nur bestehe, soweit Anlagen als InCarrier-Gurter fungierten. Daraus musste die Schiedsrichterin aber unter dem Gesichtspunkt rechtlichen Gehörs nicht zwingend den Schluss ziehen, die in der mündlichen Verhandlung zugestandene Tatsache, (mindestens) im klagegegenständlichen Umfang (16 Stück) InCarrier-Gurter geliefert zu haben, bestreiten zu wollen. Die Schriftsätze vom 15.4. und 13.5.2016 decken zudem die Behauptung der Antragsgegnerin nicht ab, sie habe ausdrücklich die Lieferung einer Anzahl von Modulen bestritten, die in der Summe die Lizenzforderung begründen könnten. Ihre Ausführungen betreffen differierende Ergebnisse aktueller Bestandsaufnahmen, nicht jedoch den zurückliegenden Lieferumfang. Es stellt keine Verletzung rechtlichen Gehörs dar, wenn das Schiedsgericht in den Angaben zu Recherchen über den aktuellen Einsatz bei der Fa. B. keinen Widerruf der protokollierten Äußerung über den Lieferungsumfang sieht. Ob eine andere Würdigung möglich erschiene, bedarf wegen des Verbots der „revision au fond“ keiner Vertiefung.
(3) Ein nachträgliches Bestreiten ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 15.4.2016 zu den Anlagen G 32 bis G 37 ausführte, diese seien nicht mit InCarrier-Gurtern ausgestattet gewesen. Diese Anlagen waren ohnehin nicht berechnet (SSp. Rn. 35).
(4) Auch das Vorbringen der Antragsgegnerin, sie habe keine Anlagen mit Nummern höher als G 46 an die Fa. B. geliefert, zwang unter Gehörsgesichtspunkten nicht dazu, den Lieferumfang an lizenzpflichtigen Modulen als bestritten anzusehen. Die Antragsgegnerin führte nämlich zugleich aus, dass die von der Antragstellerin gewählte Abrechnungsweise durch Bezeichnung der bei der Fa. B. geführten Anlagennummern wenig sachdienlich sei, weil es der Fa. B. überlassen sei, ob und bei welchen Anlagen sie die gelieferten Module einsetze oder austausche.
(5) Die Würdigung des Vorbringens dahingehend, die Antragsgegnerin habe den Verkauf der streitgegenständlichen 16 Module unstreitig gestellt und dies nicht nachträglich widerrufen, ist deshalb unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs nicht zu beanstanden. Die von der Antragsgegnerin behauptete Zahlung für acht Lizenzen hat das Schiedsgericht bei der Bemessung der deshalb geschuldeten Vergütung - unangegriffen - als nicht erwiesen angesehen.
dd) Soweit die Antragsgegnerin rügt, das Schiedsgericht habe die Aussage des Zeugen L. unvollständig protokolliert und deshalb bei der Entscheidung einen wesentlichen Gesichtspunkt übergangen, ist ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ebenfalls nicht festzustellen.
Soweit es sich um formale Verstöße bei der nach § 29 DIS-SchO erforderlichen Protokollierung handelt, bleibt deren Verletzung als solche sanktionslos (vgl. Stumpe/Haller § 29 DIS-SchO Rn. 11).
Im Übrigen hat das Schiedsgericht die Behauptung, es sei unvollständig protokolliert worden, in einem ergänzten Protokoll festgehalten. Dass es die Rüge nicht zur Kenntnis genommen hätte, kann daher ausgeschlossen werden.
Dass der Zeuge die behauptete, nicht protokollierte Angabe tatsächlich gemacht hat, ist allerdings streitig geblieben und nicht unter Beweis gestellt. Schon deshalb kann nicht festgestellt werden, dass das Schiedsgericht bei der Entscheidung erheblichen Prozessstoff außer Acht gelassen hat.
Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör liegt auch nicht darin, dass das Schiedsgericht den Zeugen nicht erneut einvernommen hat. Die Antragsgegnerin hat im Schiedsverfahren weder eine erneute Zeugenvernehmung beantragt noch sonst Beweis für den Inhalt der – angeblich – gemachten Aussage angetreten. Entsprechende Verteidigungsmittel hat das Schiedsgericht deshalb nicht übergangen. Dass das Schiedsgericht seiner Überzeugungsbildung über das zutreffende Verständnis der Vergütungsvereinbarung die insoweit streitig gebliebene Behauptung über den Inhalt der Zeugenaussage nicht zugrunde gelegt hat (Ssp. Rn. 56), verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht.
Die von den Parteien vereinbarte Verfahrensordnung statuiert zwar nicht die Parteimaxime, sondern gemäß § 27.1 DIS-SchO einen beschränkten Untersuchungsgrundsatz, dessen Anwendung im Ermessen des Schiedsgerichts steht. Dass das Schiedsgericht sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt und deshalb gegen das rechtliche Gehör verstoßen hätte, indem es den Zeugen L. nicht von Amts wegen erneut einvernommen hat, ist jedoch nicht ersichtlich. Deshalb ist auch ein Verstoß gegen das vereinbarte Verfahren, § 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d ZPO, unabhängig von der Frage der hinreichenden Geltendmachung, nicht gegeben.
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5. Es ergeht folgende
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung kann Rechtsbeschwerde eingelegt werden. [...]