Recht und Steuern

A4a Nr. 93

A4a Nr. 93
§§ 269 Abs. 3 S. 1, 1029 Abs. 1, 1055, 1060 ZPO - Wirksame Schiedsvereinbarung trotz vorbehaltener Klage vor dem ordentlichen Gericht
1. Eine wirksame Schiedsvereinbarung und ein wirksamer Schiedsspruch können auch vorliegen, wenn sich die Parteien in der Schiedsvereinbarung vorbehalten haben, binnen einer bestimmten Frist ab dem Datum des Schiedsspruchs in der Sache Klage vor dem zuständigen ordentlichen Gericht zu erheben.
2. Der Schiedsspruch kann für vollstreckbar erklärt werden, wenn die Frist fruchtlos verstrichen oder eine fristgerecht erhobene Klage zurückgenommen worden ist.
BGH Beschl.v. 1.3.2007 - III ZB 7/06; Internationales Handelsrecht 2007, 130 = Zeitschrift für Schiedsverfahrensrecht 2007, 161 = RKS A 4 a Nr. 93
Aus dem Sachverhalt:
In den "Allgemeinen Einkaufsbedingungen" (AEB) der Antragstellerin war unter Nr. 14 - "Erfüllungsort und Gerichtsstand" - für alle Streitigkeiten aus dem Vertrag ein Schiedsgericht gem. der Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) vom 1.1.1992 vereinbart mit dem Zusatz:
"Das Ergebnis der Schiedsgerichtsbarkeit kann von beiden Parteien als letztgültig, endgültig und für beide Teile bindend anerkannt werden.
Ist eine der Parteien mit dem Schiedsgerichtsergebnis nicht zufrieden, muss innerhalb 1 Monat ab Datum des Schiedsgerichtsurteils gerechnet, der Weg der ordentlichen Gerichtsbarkeit beschritten werden.
Bei Fristversäumnis gilt das Schiedsgerichtsurteil für beide Parteien als bindend und endgültig."
Das Schiedsgericht wies die Zahlungsklage der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin durch Schiedsspruch vom 8.7.2005 ab und legte der Ag. die Kosten des schiedsgerichtlichen Verfahrens auf. Die Ag. nahm den Schiedspruch nicht hin. Sie verfolgte den Zahlungsanspruch weiter mit einer am 13.9.2005 erhobenen Klage vor dem Landgericht W.
Durch "Ergänzenden Schiedsspruch über die Kosten" vom 12.10.2005 verurteilte das Schiedsgericht die Ag., 8.878 Euro nebst Zinsen an die Ast. zu zahlen. Die Ag. erweiterte daraufhin am 24.10.2005 ihre Klage vor dem Landgericht W. mit dem Antrag, den Ergänzenden Schiedsspruch aufzuheben.
Das OLG hat den Antrag, den ergänzenden Schiedsspruch vom 12.10.2005 für vollstreckbar zu erklären, zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Ast. weiterhin die Vollstreckbarerklärug des Schiedsspruchs. Die Ag. hat während des Rechtsbeschwerdeverfahrens den vor dem Landgericht W. gestellten Antrag, den Ergänzenden Schiedsspruch aufzuheben, zurückgenommen.
Aus den Gründen:
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Vollstreckbarerklärung des ergänzenden Schiedsspruchs.
Der Ergänzende Schiedsspruch ist als Schiedsspruch i.S.d. §§ 1051 ff. ZPO zu beurteilen und damit einer Vollstreckbarerklärung zugänglich.
1. Entsprechend Nr. 15 Abs. 1 S. 1 der Allgemeinen Einkaufsbedingungen (AEB) hat - auf Betreiben der Ag. - ein Schiedsgerichtsverfahren nach der Schiedsgerichtsordnung der DIS stattgefunden. Dies endete mit dem klagabweisenden "Schiedsspruch" in der Hauptsache und dem hier zu prüfenden "Ergänzenden Schiedsspruch über die Kosten" des Schiedsverfahrens.
Eine Schiedsvereinbarung ist jedenfalls dadurch als geschlossen zu betrachten, dass die Ag. das Verfahren vor dem DIS-Schiedsgericht mit der Schiedsklage einleitete und die Ast. sich darauf einließ.
Zwar war es den Parteien nach Nr. 15 Abs. 2 AEB freigestellt, innerhalb Monatsfrist den Schiedsspruch nicht anzuerkennen und in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis den ordentlichen Rechtsweg zu beschreiten. Innerhalb der Frist sollte nicht allein die Aufhebung des Schiedsspruchs - bei Vorliegen der in § 1059 Abs. 2 ZPO genannten Gründe -, sondern überhaupt die weitere Rechtsverfolgung oder -verteidigung vor dem staatlichen Gericht zulässig sein. Der Bestand des Schiedsspruchs war damit weithin in das Belieben der Parteien gestellt.
Dennoch kann in Nr. 15 AEB eine Schiedsvereinbarung im Sinne des § 1029 Abs. 1 ZPO gesehen werden. Das Schiedsverfahren beruht auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 1029 Abs. 1 ZPO). Dem Schiedsspruch erwächst die bindende Kraft (vgl. § 1055 ZPO) durch den Konsens der Parteien, eine bestimmte Streitigkeit der Entscheidung in einem schiedsrichterlichen Verfahren zu unterstellen. Gründet aber die Bindung der Parteien an den Schiedsspruch auf deren vertraglichem Willen, dann ist es ihnen ebenso unbenommen, diese Bindung an bestimmte Modalitäten zu knüpfen. Die Parteien konnten sich also - wie hier geschehen - darauf verständigen, dass ihre Streitigkeit in einem Verfahren nach der DIS-Schiedsgerichtsordnung durch - grundsätzlich endgültigen und exequaturfähigen (vgl. Nr. 15 Abs. 3 AEB) - Schiedsspruch entschieden werde, dem Schiedsspruch - im Sinne einer auflösenden Bedingung - aber dann keine Wirkung zukommen sollte. wenn binnen bestimmter Frist Klage vor dem staatlichen Gericht erhoben wurde.
Gegen eine solche Vereinbarung können durchgreifende prozessuale Bedenken nicht erhoben werden (so auch RAG 8, 77, 80 ff. und die herrschende Lehre: Kisch JW 1931, 2399 f., Jonas JW 1935, 1027 ff.; Stein/Jonas/Schlosser ZPO 22. Aufl. 2002 § 1029 Rd-Nr. 15; Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit 7. Aufl. 2005 Kap. 3 Rd-Nr. 21 und Kap. 22 Rd-Nr. 4; a.A.: RGZ 17, 434; 146, 262, 264ff.; RG JW 1894, 56 und 1907, 748 f.; MünchKomm/Münch 2. Aufl. 2001 § 1029 Rd-Nr. 41; das Senatsurteil vom 3.11.1983 - III ZR 111/82 LM Nr. 23 zu § 38 ZPO = RKS A 1 Nr. 51 sowie OLG Karlsruhe AWD 1973, 403, 404 und OLG Düsseldorf MDR 1956, 750 betreffen eine unbefristete Freigabe des Rechtsweges zum staatlichen Gericht; ebenso OLG Koblenz NJW-RR 2000, 1365 = RKS A 1 Nr. 106, wenn sich die Entscheidung überhaupt auf Schiedsgerichtsbarkeit i.S.d. § 1025ff. ZPO - und nicht auf sog. Verbandsschiedsgerichtsbarkeit - beziehen sollte). Die §§ 1025 ff. ZPO enthalten keine Vorschrift, die es den Parteien untersagte, dem Schiedsspruch nur unter gewissen Bedingungen die Bindungswirkung zu verschaffen; es liegt schließlich auch - unbestritten - in der Dispositionsfreiheit der Parteien, einem bindend ergangenen Schiedsspruch die Bindungswirkung nachträglich zu nehmen (vgl. - im Erg. allerdings nicht für durchgreifend erachtend - RGZ 146, 262, 268 m.N.). Ein vollständiger Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit wird insbesondere von § 1029 Abs. 1 ZPO nicht verlangt. Aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit ist vielmehr gefolgert worden, dass ein Wahlrecht zwischen der Anrufung des Schiedsgerichts oder des staatlichen Gerichts (Senatsurteil vom 18.12.1975 - III ZR 103/75 - NJW 1976, 852 = HSG A 1 Nr. 18) - im damaligen Fall beschränkt auf "wirkliche" Streitfälle - vereinbart werden kann. Entsprechend kann eine nur bedingte - bedingt nämlich durch die Untätigkeit der Parteien binnen bestimmter Frist - Unterwerfung der Parteien unter den Schiedsspruch zugelassen werden (Kisch a.a.O. S. 2399).
Es sprechen ferner praktische Gesichtspunkte dafür, einen Schiedsspruch mit eingeschränkter Bindungswirkung als Möglichkeit einer außergerichtlichen Streiterledigung zuzulassen. Der mit Ablauf der Ausschlussfrist endgültig gewordene Spruch unterscheidet sich in nichts von einem gewöhnlichen Schiedsspruch. Es bsteht kein Grund, dem unangefochten gebliebenen Spruch die Vollstreckbarerklärung im Verfahren nach § 1060 ZPO zu versagen (vgl. Jonas a.a.O. S. 1029).
2. Der Ergänzende Schiedsspruch ist nicht dadurch gegenstandslos geworden, dass die Ag. gem. Nr. 15 Abs. 2 AEB gegen den die Kostengrundentscheidung enthaltenden Schiedsspruch vom 8.7.2005 den "Weg der ordentlichen Gerichtsbarkeit beschritten" hätte. Die vom OLG mitgeteilten Verfahrensdaten lassen - wie die Beschwerde zu Recht geltend macht - darauf schließen, dass die vereinbarte Monatsfrist nicht eingehalten worden ist. Die Beschwerdeerwiderung ist dem nicht entgegengetreten.
Auch hinsichtlich des Ergänzenden Schiedsspruchs selbst ist von einem Rechtsmittel, das die Verbindlichkeit des Schiedsspruchs in Frage stellen könnte, kein Gebrauch gemacht worden.
Eine solche - auch fristgerechte - Klage vor dem staatlichen Gericht könnte in dem auf "Aufhebung" des Ergänzenden Schiedsspruchs vom 12.10.2005 gerichteten Antrag vom 24.12.2005 gesehen werden, mit dem die Ag. ihre vor dem LG W. erhobene Klage erweiterte. Diesen Antrag hat die Ag. aber am 22.3.2006 zurückgenommen. Insoweit ist der Rechtsstreit vor dem LG W. mithin als nicht anhängig geworden anzusehen (§ 269 Abs. 3 Halbs. 1 ZPO); die Wirkungen der Klage(erweiterung) sind rückwirkend entfallen (Musielak/Foerste ZPO 5. Aufl. 2007 § 269 Rd-Nr. 10).
Die nach Erlass des angefochtenen Beschlusses erfolgte Rücknahme der gegen den Ergänzenden Schiedsspruch gerichteten Klage vor dem staatlichen Gericht konnte noch im Rechtsbeschwerdeverfahren berücksichtigt werden. § 577 Abs. 2 S. 4 i.V.m. § 559 Abs. 1 S. 1 ZPO verbietet allerdings die Einführung neuer Tatsachen im Verfahren der Rechtsbeschwerde. Wie im Revisionsrechtszug erfährt dieser Grundsatz aber eine Ausnahme u.a. bei Tatsachen, die die prozessuale Rechtslage erst während des Verfahrens der Rechtsbeschwerde verändern (vgl. Senatsbeschluss vom 22.2.2001 - III ZB 71/99 - NJW 2001, 1730 f.; BGH Urt.v. 10.7.1995 II ZR 75/94 - WM 1995, 1806, 1807; Musielak/Ball a.a.O. § 559 Rd-Nr. 9) . Vergleichbar liegt der Streitfall: Die Klage vor dem staatlichen Gericht, die den ergänzenden Schiedsspruch (möglicherweise) gem. Nr. 15 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 3 AEB - Eintritt einer auflösenden Bedingung - wirkungslos und damit nicht exequaturfähig gemacht haben könnte, ist zurückgenommen worden. Der Ergänzende Schiedsspruch ist damit als "bindend anerkannt" bzw. "für beide Parteien als bindend und endgültig" (Nr. 15 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Abs. 3 AEB) anzusehen; denn die Klage vor dem staatlichen Gericht gilt - ex tunc - als nicht erhoben.
Ist demnach von der Wirksamkeit und bindenden Kraft des Ergänzenden Schiedsspruchs vom 12.10.2005 auszugehen, kann die Vollstreckbarerklärung gem. § 1060 Abs. 2 S. 1 ZPO nur dann abgelehnt werden, wenn einer der in § 1059 Abs. 2 ZPO genannten Aufhebungsgründe vorläge. Solche werden von der Ag. indes nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht erkennbar.