Recht und Steuern

A4a Nr. 88

A4a Nr. 88
Vertrag BRD/UdSSR über Förderung und gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 13.6.1989 (Investitionsschutzvertrag - BGBl. 1990 II 342); VO über die Erstattung von Umsatzsteuer an ausländische ständige diplomatische Missionen und berufskonsularische Vertretungen (UStErstVO) vom 3.10.1988 - Keine Schiedsspruch-Vollstreckung in Forderungen, die der diplomatischen Funktion eines ausländischen Staates dienen. Schiedsabrede in Investitionsschutzvertrag kein Immunitätsverzicht
1. Ansprüche eines ausländischen Staates auf Umsatzsteuer-Rückerstattung gem. Umsatzsteuer-ErstattungsVO dienen dessen diplomatischer Vertretung zur Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktion und unterliegen wegen dessen Immunität kraft Völkerrechts nicht der deutschen Gerichtsbarkeit. Daher ist auch die Zwangsvollstreckung eines Schiedsspruchs in diese Ansprüche unzulässig.
2. Die im Investitionsschutzvertrag enthaltene Schiedsabrede enthält keinen Verzicht auf die Immunität.
3. Das gilt auch, wenn in der Schiedsabrede ausdrücklich das UN-Vollstreckungsübereinkommen (UNÜ) anwendbar erklärt ist.
BGH Beschl.v. 4.10.2005 - VII ZB 08/05; SchiedsVZ 2006, 44 = RKS A 4 a Nr. 88
Aus dem Sachverhalt:
Der Gläubiger, ein Investor, erwirkte auf der Grundlage des Investitionsschutzvertrages vor dem vereinbarten Internationalen Schiedsgericht der Handelskammer in Stockholm am 7.7.1998 gegen die UdSSR einen Schiedsspruch auf Zahlung einer Entschädigung von 2,35 Mio US$ für die vertragswidrige Enteignung seiner dortigen Investitionen. Diesen Schiedsspruch hat das Kammergericht für vollstreckbar erklärt (KG-Report 2001, 146 = RKS A 4 a Nr. 71). Der Gläubiger erwirkte daraufhin gegen die Schuldnerin am 16.9.2002 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, mit dem Umsatzsteuer-Rückerstattungsansprüche der Botschaft der Schuldnerin in Berlin gem. der UStErstVO gegen die Bundesrepublik Deutschland gepfändet und der Gl. zur Einziehung überwiesen wurden. Auf Erinnerung der Schu. hat das Amtsgericht den Beschluss aufgehoben und den Antrag auf dessen Erlass zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gl. hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen, u.a. weil die gepfändeten Ansprüche hoheitlichen Zwecken der Schuldnerin dienen und diese insoweit diplomatische Immunität genießt. Es hat die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Aus den Gründen:
Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Soweit der Beschluss "sonstige Umsatzsteuererstattungsansprüche, unabhängig aus welchem Rechtsgrund" umfasst, war er bereits deshalb aufzuheben, weil der Gl. den Drittschuldner nicht angegeben hat und der Antrag auf Erlass des Beschlusses daher nicht hinreichend bestimmt ist. Gem. § 46 Abs. 7 AO gilt bei der Pfändung eines Erstattungs- oder Vergütungsanspruchs die Finanzbehörde, die über den Anspruch entschieden oder zu entscheiden hat. Diese Finanzbehörde ist in dem Antrag eindeutig zu bezeichnen; solche Ansprüche können sich gegen verschiedene Finanzbehörden richten (wird ausgeführt, siehe SchiedsVZ 2006 S. 45 m.Nachw.).
Zu 1. Die Zwangsvollstreckung in die Ansprüche der Schuldnerin auf Umsatzsteuerrückerstattung gem. UStErstVO ist unzulässig. Die Schuldnerin ist hinsichtlich dieser Ansprüche nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen. Sie genießt hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Ansprüche diplomatische Immunität, weil diese Ansprüche ihrer diplomatischen Vertretung zur Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktion dienen.
Von Völkerrechts wegen darf bei Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen einen fremden Staat nicht auf die seiner diplomatischen Vertretung zur Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktion dienenden Gegenstände zugegriffen werden, sofern dadurch die Erfüllung der diplomatischen Tätigkeit beeinträchtigt werden könnte (BVerfG Beschl.v. 13.12.1977 - 2 BvM 1/76; BVerfG 46, 342, 394/395; BGH Beschl.v. 28.5.2003 - IXa ZB 19/03 NJW-RR 2003, 1218 = Rpfleger 2003, 518). Bei der Beurteilung dieser Gefährdung zieht das Völkerrecht den Schutzbereich zu Gunsten des anderen Staates sehr weit und stellt auf die typische, abstrakte Gefahr, nicht aber auf eine konkrete Beeinträchtigung der diplomatischen Tätigkeit ab (BVerfG a.a.O. S. 395; BGH a.a.O.). Es kommt daher nicht darauf an, ob der Entsendestaat den Botschaftsbetrieb trotz der Pfändung durch andere finanzielle Zuwendungen aufrecht erhalten könnte. Diese allgemeine Regel des Völkerrechts gilt auch für solche Gegenstände, die - wie die gepfändeten Ansprüche - nicht unter den Anwendungsbereich des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen fallen (BVerfG a.a.O. S. 396/397). Demgemäß sind generell die den diplomatischen und konsularischen Missionen dienenden Gegenstände unverletzlich (BVerfG, BGH a.a.O.). ...
Es wäre eine völkerrechtswidrige Einmischung in die Angelegenheiten eines fremden Staates, wenn diesem angesonnen würde, die Verwendungszwecke eines ihm gehörenden Vermögensgegenstandes näher darzulegen (BVerfG Beschl.v. 13.12.1977 - 2 BvM 1/76, BVerfGE 46, 342, 400; BGH Beschl.v. 28.5.2003 - IXa ZB 19/03 NJW-RR 2003, 1218 = Rpfleger 2003, 518 m.w.N.). Deshalb genügt es, wenn der fremde Staat durch die gehörige Versicherung eines zuständigen Organs glaubhaft macht, dass der Vermögensgegenstand unmittelbar der Aufrechterhaltung der Funktionen ihrer diplomatischen Vertretung dient (BVerfG, BGH a.a.O. m.w.N.; Linke, Internationales Zivilprozessrecht, 3. Auf. RdNr. 77; Geimer Intern.Zivilprozessrecht 4.Aufl. Rd-Nr. 594; Kröll IPRax 2004, 223, 227). Eine solche Erklärung hat die Schu. abgegeben (wird ausgeführt - SchiedsVZ 2006, 46).
Der Umfang der diplomatischen Immunität der Schu. bestimmt sich allein nach dem Diplomatenrecht und kann nicht durch innerstaatliches Recht eingeschränkt werden (wird ausgeführt - siehe SchiedsVZ a.a.O. S. 46).
Zu 2. Aus der in dem Investitionsschutzvertrag enthaltenen Schiedsvereinbarung ergibt sich kein Verzicht auf Immunität für das Vollstreckungsverfahren. Das Bestehen von Immunität im Erkenntnisverfahren einerseits und im Zwangsvollstreckungsverfahren andererseits ist nach unterschiedlichen Maßstäben und daher unabhängig voneinander zu beurteilen (BVerfG Beschl.v. 13.12.1977 - 2 BvM 1/76; BVerfGE 46, 342, 366/367; Geirrter Internationales Zivilprozessrecht 4.Aufl. Rd-Nr. 562; Unke Intern.Zivilprozessrecht Rd-Nr. 74; Doehring Völkerrecht 2. Aufl. § 12 Rd-Nr. 665; Lange, Internationale Rechts- und Forderungspfändung S. 37ff., Kröll IPRax 2004, 223, 224/225). Die Schiedsvereinbarung regelt das Erkenntnisverfahren. Aus ihr lässt sich daher von vornherein nicht auf einen Immunitätsverzicht für das Zwangsvollstreckungsverfahren schließen.
Zu 3. Aus der Vereinbarung, dass ein Schiedsspruch, der nach Maßgabe des Investitionsschutzvertrages zu Stande gekommen ist, nach Maßgabe des UN-Vollstreckungsübereinkommens "anerkannt und vollstreckt" wird (Art. 10 Abs. 4 Satz 2 des Investitionsschutzvertrages), folgt kein Verzicht auf Immunität für das Vollstreckungsverfahren. Völkerrechtliche Verträge sind so auszulegen, dass die Vertragspartner einerseits das von ihnen gemeinsam angestrebte Ziel durch den Vertrag erreichen können, andererseits nicht über das gewollte Maß hinaus als gebunden angesehen werden dürfen (BVerfG Urt.v. 4.5.1955 - 1 BvF 1/55, BVerfGE 4, 157; BVerfG Beschl.v. 7.4.1965 - 2 BvR 227/64 BVerfGE 18, 441, 450; Beschl..v. 10.6.1997 - 2 BvR 1516/96 BVerfGE 96, 68, 79/80 m.w.N.).
Nach diesen Kriterien enthalten der Investitionsschutzvertrag und das UN-Vollstreckungsübereinkommen keinen Immunitätsverzicht. Das UN-Vollstreckungsübereinkommen bestimmt, dass beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Schiedssprüche nach den inländischen Verfahrensregeln zur Vollstreckung zugelassen werden müssen und die Vollstreckung weder wesentlich strengeren Verfahrensvorschriften noch wesentlich höheren Kosten unterliegen darf als inländische Schiedssprüche (Art. 3 UNÜ). Die Bezugnahme auf das inländische Verfahrensrecht schließt als Bestandteil des Bundesrechts die allgemeinen Regeln des Völkerrechts ein, zu denen die Beachtung der diplomatischen Schutzrechte gehört.
Auch eine systematische Auslegung des Investitionsschutzvertrages ergibt einen solchen Verzicht nicht. Die Bezugnahme auf das UN-Vollstreckungsübereinkommen ist nicht sinnentleert. Sie stellt klar, dass ein Investor aus einem Schiedsspruch, den er nach Maßgabe des Investitionsschutzvertrages erwirkt hat, gegen den betr. Vertragsstaat vollstrecken kann. Diese Klarstellung war erforderlich, weil die Schuldnerin jedenfalls zum Zeitpunkt des Abschlusses des Investitionsschutzvertrages von einer absoluten Immunität der Staaten sowohl im Erkenntnis- wie auch im Zwangsvollstreckungsverfahren ausging, d.h. jede Vollstreckung gegen einen fremden Staat für unzulässig erachtete (Geimer Intern.Zivilprozessrecht 4. Aufl. rd-Nr. 557; Lentz Die intern.Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation, 2000, S. 391; Hess Staatenimmunität bei Distanzdelikten 1992 S. 189; aus sozialistischer Sicht: Enderlein RIW 1988, S. 333 ff., der ebenfalls von einer absoluten Immunität ausgeht, auf die teilweise - nämlich für Außenhandelsunternehmen - generell verzichtet worden sei). So sah Art. 61 des Gesetzes über die Grundlagen des zivilgerichtlichen Verfahrens der UdSSR und der Sowjetrepubliken vor, dass die Erhebung einer Klage gegen einen auswärtigen Staat und die Zwangsvollstreckung in das Vermögen eines auswärtigen Staates nur mit Zustimmung der Organe dieses Staates zulässig sei (vgl.Hess a.a.O. S. 190 f.). Ohne eine Bezugnahme auf das UN-Vollstreckungsübereinkommen hätte daher davon ausgegangen werden müssen, dass die Schu. für das Zwangsvollstreckungsverfahren absolute Immunität beanspruchen werde.
Durch die Bezugnahme ist außerdem gewährleistet, dass eine Vollstreckung auch dann nach dem UN-Vollstreckungsübereinkommen stattfinden kann, falls eine der Parteien das UN-Übereinkommen gem. dessen Art. XIII kündigen sollte.
Auch die sonstige Vertragspraxis zu Investitionsschutzvereinbarungen spricht dafür, dass die Vertragsparteien keinen Verzicht auf Vollstreckungsimmunität erklären wollten. Das Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten vom 18.3.1965 (ICSID-Convention - BGBl. 1969 II 369), das den meisten anderen Investitionsschutzabkommen zu Grunde liegt (vgl. Semler SchiedsVZ 2003, 97), enthält in Art. 55 einen ausdrücklichen Vorbehalt zur Vollstreckungsimmunität.

Anhaltspunkte dafür, dass die Vertragsparteien über das nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zulässige Maß eine Zwangsvollstreckung ermöglichen wollten, ergeben sich daher aus der Bezugnahme auf das UN-Vollstreckungsübereinkommen nicht. Wäre dies gewollt gewesen, hätte es, insbesondere im Hinblick auf die sonstige Vertragspraxis, nahe gelegen, den Verzicht auf jede Immunität ausdrücklich zu erklären.
Auch eine teleologische Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Vertragszweck, die Förderung von Investitionen von Angehörigen des anderen Vertragsstaates, erfordert es, dass eine Vollstreckung gegen die jeweiligen Vertragsstaaten grundsätzlich möglich ist. Eine Vollstreckung auch in solche Gegenstände, die hoheitlichen Zwecken dienen, ist dagegen nicht erforderlich, um den Vertragszweck zu erreichen.
Allein die Gefahr, dass die Schuldnerin wahrheitswidrig versichern könnte, ein Vermögensgegenstand , in den der Gläubiger vollstrecken möchte, diene diplomatischen Zwecken, rechtfertigt ebenfalls keine andere Auslegung des Vertrages. Die möglichen Reaktionen auf einen eventuellen Missbrauch diplomatischer Vorrechte und Immunitäten, für den hier allerdings nichts ersichtlich ist, werden durch das Diplomatenrecht abschließend umschrieben (BVerwG Beschl.v. 10.6.1997 - 2 BvR 1516/96 BVerfGE 96, 68). Die Annahme eines Immunitätsverzichts durch die Gerichte des Empfangsstaats ist keine Maßnahme, die das Diplomatenrecht vorsieht.