A4a Nr. 87
A4a Nr. 87
Richtlinie 93/13/EWG vom 5.4.1993 Art. 3 I, 6 I, 7 I - Missbräuchliche Schiedsklausel in Verbrauchervertrag: Schiedsspruch-Aufhebung durch nationales Gericht ohne Rüge der Missbräuchlichkeit im Schiedsverfahren
1. Gemäß der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen prüft auf Antrag eines Verbrauchers das nationale Gericht im Aufhebungsverfahren die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung und hebt den Schiedsspruch auf, wenn die Vereinbarung eine missbräuchliche Klausel enthält.
2. Dem steht nicht entgegen, dass der Verbraucher die Missbräuchlichkeit nicht im Schiedsverfahren geltend gemacht hat.
EuGH (1. Kammer) 26.10.2006 - C 168/05; NJW 2007, 135 = SchiedsVz 2007, 46 (m.Anm.Gerhard Wagner) = RKS A 4 a Nr. 87
Aus dem Sachverhalt:
Die Fa. Móvil erhob gegen Frau M.C. Ansprüche aus einem Mobiltelefonvertrag vom 2.5.2002. Dieser enthielt eine Schiedsklausel, die evtl. Rechtsstreitigkeiten dem Schiedsverfahren der Asociación Europea de Arbitraje de Derecho y Equidad (AEADE = Europäischer Verband für Schieds- und Billigkeitsentscheidungen) unterwarf. Mit Schreiben vom 25.7.2003 gewährte AEADE Frau M.C. eine Frist von zehn Tagen, um die Ablehnung des Schiedsverfahrens mitzuteilen, und stellte klar, dass in diesem Fall der Rechtsweg eröffnet sei. Frau M.C. brachte Argumente zur Sache vor, ohne das Schiedsverfahren anzugreifen oder sich auf die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung zu berufen. Sie unterlag im Schiedsverfahren. Frau M.C. griff den Schiedsspruch der AEADE vor dem zuständigen staatlichen Gericht - der Audiencia Provincial Madrid - an und trug vor, dass der missbräuchliche Charakter der Schiedsklausel die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung zur Folge habe. Die Audiencia Provincial stellte fest, dass die genannte Schiedsvereinbarung zweifellos eine missbräuchliche Vertragsklausel enthalte und daher nichtig sei. Da sich Frau M.C. im Schiedsverfahren jedoch nicht auf diese Nichtigkeit berufen hatte, und um das nationale Recht gemäß der Richtlinie auszulegen, setzte die Audiencia Provincial das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof seine Frage zur Vorentscheidung vor.
Aus den Gründen:
Zu 1. Aus den Akten des vorlegenden Gerichts geht hervor, dass dieses den missbräuchlichen Charakter der in dem zwischen Móvil und Frau M.C. enthaltenen Schiedsklausel festgestellt hat. Der Gerichtshof kann sich nicht zur Anwendung der vom Gemeinschaftsgesetzgeber zur Definition des Begriffs der missbräuchlichen Klausel verwendeten allgemeinen Kriterien auf eine bestimmte Klausel äußern; diese ist anhand der Umstände des konkreten Falls zu prüfen (EuGH Slg. 2004, I-3403 = NJW 2004, 1647 = EuZW 2004, 349 Rd-Nr. 22, 25 - Freiburger Kommunalbauten). Es ist daher Sache des nationalen Gerichts festzustellen, ob eine Vertragsklausel "missbräuchlich" i.S. von Art. 3 I der Richtlinie ist (EuGH a.a.O.).
Nach ständiger Rechtsprechung sind mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenen Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliestaates; sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzprinzip), und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsprinzip) (vgl. insbes. EuGH Slg. 2000, I-3201 = EuZW 2000, 565 Rd-Nr. 31 - Preston u.a., und EuZW 2006, 696 = NVwZ 2006, 1277 Rd-Nr. 57 = NJW 2007, 136 L -i-21 Germany und Arcor).
Das durch die Richtlinie eingeführte Schutzsystem geht davon aus, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können (EuGH Slg. 2000, I-4941 = NJW 2000, 2571 = EuZW 2000, 506 Rd-Nr. 25, 27 - Océano Grupo Editorial und Salvat Editores). Diese Ungleichheit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem kann nur durch ein positives Eingreifen von dritter, von den Vertragsparteien unabhängiger Seite ausgeglichen werden (EuGH a.a.O.).
Anhand dieser Grundsätze hat der Gerichtshof entschieden, dass die Befugnis des Gerichts, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Klausel zu prüfen, ein geeignetes Mittel ist, um das in Art. 6 der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen, zu verhindern, dass der einzelne Verbraucher an eine missbräuchliche Klausel gebunden ist, und die Verwirklichung des Ziels des Art. 7 der Richtlinie zu fördern, da eine solche Prüfung abschreckend wirken kann und damit dazu beiträgt, dass der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch Gewerbetreibende in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird (EuGH a.a.O. Rd-Nr. 28; Slg. 2002, I-10875 = NJW 2003, 275 = EuZW 2003, 27 Rd-Nr. 32 - Cofidis).
Diese Befugnis des Gerichts hat der Gerichtshof als notwendig angesehen, um den wirksamen Schutz des Verbrauchers insbesondere angesichts der nicht zu unterschätzenden Gefahr zu gewährleisten, dass dieser seine Rechte nicht kennt oder Schwierigkeiten hat, sie auszuüben (EuGH Slg. 2000, I-4941 - Océano - a.a.O. und Slg. 2002 I-10875 - Cofidis - a.a.O.).
Somit erstreckt sich der den Verbrauchern durch die Richtlinie gewährte Schutz auf alle Fälle, in denen sich ein Verbraucher, der mit einem Gewerbetreibenden einen Vertrag mit einer missbräuchlichen Klausel geschlossen hat, nicht auf die Missbräuchlichkeit beruft, weil er entweder seine Rechte nicht kennt oder durch die Gerichtskosten von der Geltendmachung seiner Rechte abgeschreckt wird (Slg. 2002, I-10875 - Cofidis - a.a.O.).
Zu 2. Demnach kann das von Art. 6 der Richtlinie verfolgte Ziel - Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, vorzusehen, dass Verbraucher an missbräuchliche Klauseln nicht gebunden sind - nicht erreicht werden, wenn das Gericht, das über eine Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruchs entscheidet, nur deshalb gehindert ist, die Nichtigkeit dieses Schiedsspruchs zu prüfen, weil der Verbraucher die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung nicht im Rahmen des Schiedsverfahrens vorbrachte.
Diese Unterlassung des Verbrauchers könnte dann in keinem Fall durch Handlungen von Dritten kompensiert werden. Das durch die Richtlinie eingerichtete besondere Schutzsystem wäre endgültig beeinträchtigt.
In eben diese Richtung hat sich die spanische Regelung entwickelt. Auch wenn die Ley 60/2003 de Arbitraje (Gesetz über das Schiedsverfahren) vom 23.12 2003 (BOE Nr. 309 vom 26.12.2003) auf das Ausgangsverfahren nicht anwendbar ist, ist doch darauf hinzuweisen, dass diese nicht mehr voraussetzt, dass der Widerspruch gegen das Schiedsverfahren gleichzeitig mit den ursprünglichen Anträgen der Parteien geltend gemacht wird.
Móvil und die deutsche Regierung tragen vor, dass durch die Befugnis des Gerichts, die Nichtigkeit einer Schiedsvereinbarung auch dann zu prüfen, wenn der Verbraucher eine solche Einrede nicht während des Schiedsverfahrens geltend mache, die Wirksamkeit der Schiedssprüche erheblich beeinträchtigt würde. Dieses Vorbringen läuft darauf hinaus, dass die Erfordernisse der Wirksamkeit des Schiedsverfahrens es rechtfertigten, Schiedssprüche nur in beschränktem Umfang zu überprüfen und die Aufhebung eines Schiedsspruchs nur in aussergewöhnlichen Fällen vorzusehen (EuGH Slg. 1999, I-3055 = EuZW 1999, 565 Rd-Nr. 35 m. Anm. Spiegel = NJW 1999, 3549 L - Eco Swiss).
Jedoch hat der Gerichtshof schon entschieden, dass ein staatliches Gericht, soweit es nach seinen nationalen Verfahrensregeln einem Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruchs wegen Verletzung nationaler Bestimmungen, die zur öffentlichen Ordnung gehören, stattgeben muss, einem solchen Antrag auch dann stattgeben muss, wenn er auf die Verletzung von entsprechenden Gemeinschaftsvorschriften gestützt ist (vgl. in diesem Sinne EuGH Slg. 1999, I-3055 a.a.O. - Eco Swiss).
Insbesondere wegen der Bedeutung des Verbraucherschutzes hat der Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 6 I der Richtlinie vorgesehen, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, "für den Verbraucher unverbindlich sind". Es handelt sich um eine zwingende Vorschrift, die wegen der Unterlegenheit einer der Vertragsparteien darauf zielt, die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien als solcher durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen.
Zudem stellt die Richtlinie, die den Verbraucherschutz verbessern soll, eine Maßnahme nach Art. 3 I lit. t EG dar, die für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaft und insbesondere für die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität in der ganzen Gemeinschaft unerlässlich ist (siehe analog zu Art. 81 EG EuGH Slg. 1999, I-3055 a.a.O.- Eco Swiss).
Die Art und die Bedeutung des öffentlichen Interesses, auf dem der durch die Richtlinie den Verbrauchern gewährte Schutz beruht, rechtfertigen es weiter, dass das nationale Gericht von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel prüfen und damit dem Ungleichgewicht zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem abhelfen muss.
Anmerkung
Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen - Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993
Artikel 3 (1) Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.
(3) Der Anhang enthält eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können.
(3) Der Anhang enthält eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können.
Anhang 1. Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass
a) bis p) pp.
q) dem Verbraucher die Möglichkeit, Rechtsbehelfe bei Gericht einzulegen oder sonstige Beschwerdemittel zu ergreifen, genommen oder erschwert wird, und zwar insbesondere dadurch, dass er ausschließlich auf ein nicht unter die rechtlichen Bestimmungen fallendes Schiedsgerichtsverfahren verwiesen wird, .......
a) bis p) pp.
q) dem Verbraucher die Möglichkeit, Rechtsbehelfe bei Gericht einzulegen oder sonstige Beschwerdemittel zu ergreifen, genommen oder erschwert wird, und zwar insbesondere dadurch, dass er ausschließlich auf ein nicht unter die rechtlichen Bestimmungen fallendes Schiedsgerichtsverfahren verwiesen wird, .......
Artikel 6 (1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; ....
Artikel 7 (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.