Recht und Steuern

A4a Nr.70

A4a Nr.70
Art.II, III, VUNÜ - Zwangsvollstreckung in Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche einesfremden Staates gegen die BR Deutschland gemäß VO „über die Erstattung vonUmsatzsteuer an ausländische ständige diplomatische Missionen und berufskonsularischeVertretungen sowie an ihre ausländischen Mitglieder” (UStErstV v. 3.10.1988BGBl. I 1988, 1780; 2003, 2645). Immunitätsverzicht durch Schiedsvereinbarung?
Eine Zwangsvollstreckung in Vermögensgegenstände eines fremden Staates,die hoheitlichen Zwecken dienen, insbesondere in vom Diplomatenrecht besondersgeschützte Vermögensgegenstände, setzt einen ausdrücklichen, auf dieseVermögensgegenstände bezogenen Immunitätsverzicht des fremden Staates voraus.
Zu diesen diplomatenrechtlich besonders geschützten Vermögensgegenständengehören die Umsatzsteuererstattungsansprüche, weil sie ausschließlich derAufrechterhaltung der Funktionen der diplomatischen Missionen und derkonsularischen Vertretungen des fremden Staates in der BR Deutschland und derenbevorrechtigten Mitgliedern sowie der Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgabendienen.
Die Unterwerfung des fremden Staates unter die Schiedsklausel in Art. 9 desVertrages der BR Deutschland und der UdSSR über die Förderung und dengegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 13.6.1989, i.V.m. Art. 10 Abs. 4desVertrages, wonach der Schiedsspruch anerkannt und vollstreckt wird nachMaßgabe des UNÜ vom 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckungausländischer Schiedssprüche, ist kein ausdrücklicher Immunitätsverzichtbezüglich dieser Erstattungsansprüche.
KammergerichtBeschluß vom 3.12.2003 - 23 W 15/03; Zeitschrift für Schiedsverfahrensrecht2004, 103 = RKS A 4 a Nr. 70
Aus demSachverhalt:
Der Gläubigererwirkte vor dem Internationalen Schiedsgericht der Handelskammer Stockholm am7.7.1998 einen Schiedspruch gegen die Russische Föderation auf Zahlungvon US$ 2.350.000 nebst Zinsen. Das Schiedsgericht hatte seine Zuständigkeitwegen einer Enteignung von Kapitalanlagen angenommen nach dem beiderseitsratifizierten „Vertrag der Bundesrepublik Deutschland und der Union derSozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigenSchutz von Kapitalanlagen” vom 13.6.1989. In diesem Vertrag ist in Art. 9vereinbart, daß Meinungsverschiedenheiten diesem Schiedsgericht unterbreitetwerden. In Art. 10 Abs. 4 ist ferner geregelt: „Der Schiedspruch wird anerkanntund vollstreckt nach Maßgabe des Übereinkommens vom 10.6.1958 über dieAnerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche” (UNÜ). Mit Beschlußvom 28.2.2001 hat das Kammergericht Berlin - Az. 28 Sch 23/99 - diesenSchiedsspruch für vorläufig vollstreckbar erklärt. Das Amtsgericht Berlin-Mitteerließ am 16.9.2002 den beantragten Pfändungs- und Überweisungsbeschluß undordnete die Pfändung „der Umsatzsteuerrückerstattungsansprüche derSchuldnerin gegen die BR Deutschland gemäß der Verordnung über dieErstattung der Umsatzsteuer an ausländische ständige diplomatischeMissionen und berufskonsularische Vertretungen sowie an ihre ausländischenMitglieder (UStErstV) vom 3.10.1988 im Wege des Vergütungsverfahrens ...” an.Auf Erinnerung der Schuldnerin hob das Amtsgericht den Beschluß vom 16.9.2002auf.
Aus denGründen:
Die sofortigeBeschwerde ist unbegründet. Der aufgehobene Beschluß verstößt gegen dievölkerrechtlichen Vorrechte und Befreiungen des diplomatischen Verkehrs.Zutreffend hat das Amtsgericht angenommen, daß nach der einschlägigenEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vom 13.12.1977 BVerfGE 46, 342,388f., 392) eine allgemeine Regel des Völkerrechts , die über Art. 25 GGBestandteil des Bundesrechts wäre, nicht existiert, nach welcher demGerichtsstaat die Zwangsvollstreckung gegen einen fremden Staat schlechthinverwehrt wäre. Danach besteht aber eine gefestigte, allgemeine, von derRechtsüberzeugung getragene Übung der Staaten, wonach dieZwangsvollstreckung durch den Gerichtsstaat aus einem gerichtlichenVollstreckungstitel gegen einen fremden Staat, der über einnicht-hoheitliches Verhalten (acta iure gestionis) dieses Staates ergangen ist,in Gegenstände dieses Staates, die sich im Hoheitsbereich des Gerichtsstaatesbefinden oder dort belegen sind, ohne Zustimmung des fremden Staates unzulässigsind, soweit diese Gegenstände im Zeitpunkt des Beginns der Vollstreckungsmaßnahmehoheitlichen Zwecken des fremden Staates dienen (BVerfGE aaO.; BVerfGE 64, 1,40). Eine Zwangsvollstreckung sowohl in Vermögensgegenstände eines fremdenStaates, die hoheitlichen Zwecken dienen als auch insbesondere dieZwangsvollstreckung in vom Diplomatenrecht besonders geschützteVermögensgegenstände setzt einen entsprechenden Immunitätsverzicht des fremdenStaates voraus.
Einen Verzichtauf diesen besonderen Schutz nach dem Grundsatz der Unverletzlichkeitdiplomatischer Vertretungen und der Immunität des fremden Staates bezüglich deramtlichen Funktionen derselben hat die Schuldnerin nicht erklärt. DerRegelung in Art. 10 Abs. 4 des Vertrags zwischen der BR Deutschland und derUnion der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 13.6.1989 i.V.m. Art. II und VUNÜ kommt ein derartiger Erklärungsgehalt nicht zu. Die gegenständlichenGrenzen, die das allgemeine Völkerrecht der Vollstreckung durch denGerichtsstaat gegen den fremden Staat setzt, sind durch die angegriffenePfändungsmaßnahme überschritten.
Nach derentsprechenden Auskunft des Botschaftsrats im Auftrag des Botschafters vom25.10.2002 dienen die streitgegenständlichenUmsatzsteuerrückerstattungsansprüche ausschließlich der Aufrechterhaltung derFunktionen der diplomatischen Missionen und der konsularischen Vertretungen derRussischen Föderation in der BR Deutschland und deren bevorrechtigtenMitgliedern sowie der Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben und waren stetsfester Besdtandteil des Budgets der Botschaft. Die Schuldnerin hat damitnachvollziehbar und hinreichend dargelegt und durch Vorlage der Bestätigung desBotschaftsrats vom 25.10.2002 auch hinreichend glaubhaft gemacht, daß die derPfändung unterliegenden Ansprüche der Abwicklung der Ausgaben und Kostenfür die Einrichtung und Tätigkeit ihrer diplomatischen Mission dienen,mithin die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hoheitliche Vermögensgegenständebetreffen. Eine weiterreichende Glaubhaftmachung war daneben nichterforderlich; denn an die Darlegungs- und Beweislast der Schuldnerin sindinsoweit keine hohen Anforderungen zu stellen (BVerfGE 46, 342, 400; BGHBeschl.v. 28.5.2003 IX a ZB 19/03). So verwehrt das allgemeine Völkerrecht zwarnicht, vom Entsendestaat zu verlangen, daß er in derartigen Fällen glaubhaftmacht, es handele sich bei dem von der Vollstreckungsmaßnahme betroffenenVermögensgegenstand um einen solchen, welcher dem besonderen Schutz derdiplomatischen Immunität unterliegt; für Inhalt und Form dieserGlaubhaftmachung muß es der Gerichtsstaat von Völkerrechts wegen aber genügenlassen, wenn eine gehörige Versicherung durch ein zuständiges Organ desEntsendestaates erfolgt (BVerfG aaO., BGH Beschl.v.28.5.2003 IX a ZB19/03 S. 10). Dies ist hier gegeben (wird ausgeführt).
Die Pfändungder Botschaftskonten ist mangels eines ausdrücklich erklärten Verzichts auf diebesondere diplomatische Immunität unzulässig.
Aus Art. 9 und 10 des deutsch-sowjetischen Investitionsschutzabkommens i.V.m.dem in Bezug genommenen UNÜ ergibt sich nicht, daß ein Immunitätsverzicht erklärtworden wäre, welcher über die allgemeine Staatenimmunität hinausgehend auch diebesondere diplomatische Immunität umfassen würde. So ist insbesondere inArt. III des UNÜ nur geregelt, daß jeder Vertragsstaat Schiedssprüche alswirksam anerkennt und sie nach den Verfahrensvorschriften des Hoheitsgebiets,in dem der Schiedsspruch geltend gemacht wird, zur Vollstreckung zuläßt.
Selbst wennman deshalb annehmen würde, daß der russische Staat durch Unterwerfung unterein Schiedsverfahren den Verzicht auf Immunität nicht nur imErkenntnis- sondern auch im Vollstreckungsverfahren erklärt habe, so folgtdaraus nicht, daß sich dieser Verzicht ohne weiteres auch auf den besonderenSchutz der diplomatischen Immunität bezieht; denn es gibt kein einheitliches Rechtsinstitutder Immunität. Staatsimmunität und diplomatische Immunität sind verschiedeneInstitute des Völkerrechts mit jeweils eigenen Regeln. Die diplomatischeImmunität ist nicht nur ein Reflex der Immunität des Entsendestaates, sondernerklärt sich eigenständig aus dem besonderen Status des Diplomaten. DessenAnwesenheit auf dem Territorium des Empfangsstaates und seine Befugnis, dortfür den Entsendestaat tätig zu werden, beruhen auf der Zustimmung desEmfangsstaats in Form des Agrément. Diese Zustimmung rechtfertigt diediplomatische Immunität (BVerfGE 96, 68, 83, 84; Seidl-Hohenfeldern/Stein,Völkerrecht 10. Aufl. Rd-Nr. 1462 und 1008 ff.; Ipsen Völkerrecht 4. Aufl. §26Rd-Nr. 16 und 26; § 35 Rd-Nr. 34ff.). Schutzzweck und Schutzwirkungunterscheiden beide Rechtsinstitute: Während die Staatenimmunität auf dergleichberechtigten Souveränität der Staaten als Völkerrechtssubjekten beruht(„par in parem non habet imperium”), ist das Schutzgut der Vorrechte undBefreiungen des diplomatischen Verkehrs ein anderes, nämlich das Interesse derVölkergemeinschaft am diplomatischen Verkehr [ wird ausgeführt unter Bezugauf BVerfGE 42, 342, 396, 397; 96, 68, 83f; auf die WienerÜbereinkommen über konsularische Beziehungen (BGBl. 1969 II 1585) und über diplomatischeBeziehungen (BGBl. 1964 II 959) sowie auf internationale Rechtsprechung undLiteratur] .
Die danach aneinen Immunitätsverzicht hinsichtlich der Zwangsvollstreckung in besonderemdiplomatischem Schutz unterliegenden Vermögensgegenstände zu stellenden Anforderungenunterscheiden sich danach maßgeblich von den Anforderungen an einen Verzichtauf die allgemeine Staatenimmunität (so schon Senat im Beschl. v. 7.11.2003 zu25 W 100/03).
UnterBerücksichtigung dieser Grundsätze ist hier der Verweis auf das UNÜ alleinnicht ausreichend; denn die besondere Schutzwürdigkeit der diplomatischenAktivitäten erfordert (zumindest) einen explizit erklärten Verzicht desEntsendestaates auf Immunität hinsichtlich der Zwangsvollstreckung in Vermögen,das diesen Aktivitäten zu dienen bestimmt ist und dem besonderen Schutz derWiener Übereinkommen unterliegt. Daran fehlt es hier.
Hinweis:
Über dieZwangsvollstreckung in das Vermögen eines fremden Staates, insbesondere dieAbgrenzung fiskalisches / hoheitliches/ ”diplomatisches” Vermögen und dieRelevanz einer Auskunft des fremden Staates für die Zuordnung, zurNotwendigkeit einer sinnvollen Balancierung der völkerrechtlichenVollstreckungsimmunität gegen den ebenfalls völkerrechtlich geschütztenAnspruch des Gäubigers auf effiziente Justizgewährung einschließlichZwangsvollstreckung siehe:
Geimer Zeitschrift für Schiedsverfahrensrecht 2004 S. 108 Anmerkung zu OLG KölnBeschluß v. 6.10.2003 aaO. S. 100 = RKS A 4 a Nr. 67 und zu KG Beschlußvom 3.12.2003 aaO. S. 103 = RKS A 4 a Nr. 70.