Recht und Steuern

A4a Nr. 103

A 4a Nr. 103
Art. V Abs. 1 e UNÜ, Art. 9 EuÜ, § 1061 ZPO - Schiedsspruch des Schiedsgerichts bei der Weißrussischen IHK, aufgehoben durch das Oberste Wirtschaftsgericht Weißrusslands u.a wegen fehlender Mitwirkung eines Schiedsrichters an der Entscheidung
1. Rechtsgrundlage für die Beurteilung der Vollstreckbarkeit des von einem Gläubiger in den USA gegen einen Schuldner in Weißrussland erstrittenen Schiedsspruchs ist § 1061 ZPO i.V.m. dem UN-Übereinkommen vom 10.6.1958 und dem Europäischen Übereinkommen 21.4.1961. Die USA und Weißrussland sind Vertragsstaaten des UNÜ; doch ist das EuÜ anwendbar, weil im Verhältnis zwischen USA und Weißrussland das Meistbegünstigungsgebot gilt. Das EuÜ beschränkt die Gründe für die Aufhebung eines Schiedsspruchs auf die in Art. 9 EuÜ genannten Gründe.
2. Das im Herkunftsstaat gegen den Schiedsspruch ergangene Aufhebungsurteil ist nicht deshalb unbeachtlich, weil der Staatspräsident ein Diktator ist. Vielmehr sind solche Urteile im Einzelfall zu überprüfen und anzuerkennen, wenn die Aufhebung den Regeln des EuÜ entspricht.
3. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Verfahrensregeln des Schiedsgerichts nicht eingehalten wurden, insbesondere wenn ein Schiedsrichter sich geweigert hat, an der Entscheidung mitzuwirken oder wenn er an der Mitwirkung gehindert wurde.
OLG Dresden Beschl.v. 31.1.2007 - II Sch 18/05; Internationales Handelsrecht 2008, 69 = RKS A 4 a Nr. 103
Aus dem Sachverhalt:
Ein Handelsunternehmen in den USA erwirkte gegen ein staatliches Unternehmen in M./Weißrussland einen Schiedsspruch vom 12.7.2005, nach dem dieses 1.269.407 US$ nebst Zinsen und Kosten für die Lieferung von Rädern und Felgen zu zahlen hatte. Der Schiedsspruch soll in Deutschland für vollstreckbar erklärt werden, weil die Antragsgegnerin hier Vermögen hat, und zwar ein Tochterunternehmen zur Herstellung und zum Vertrieb von Traktoren in Leipzig. Die Antragsgegnerin beantragt Zurückweisung, weil der Schiedsspruch vom Obersten Wirtschaftsgericht Weißrusslands mit Beschluss vom 19.9.2005 aufgehoben wurde.
Die Antragstellerin meint, dieser Beschluss könne in Deutschland nicht anerkannt werden, weil Weißrussland eine Diktatur sei und das Oberste Wirtschaftsgericht die finanziellen Interessen des Staatsoberhaupts, aber nicht die Rechtsordnung schütze. Die Antragsgegnerin meint u.a., das Oberste Wirtschaftsgericht habe seine eigene Verfahrensordnung verletzt: der Schiedsrichter habe den Schiedsspruch nicht unterschrieben. Die Ast. hält die Unterschrift für entbehrlich; der Vorsitzende des Schiedsgerichts habe festgestellt, der Schiedsrichter sei bei Unterschrift des Schiedsspruchs im Urlaub gewesen.
Aus den Gründen:
Dem Schiedsspruch ist die Anerkennung im Inland zu versagen, § 1061 Abs. 2 ZPO.
Das OLG Dresden ist örtlich zuständig, weil im Bezirk des OLG vollstreckt werden soll, § 1062 Abs. 2 ZPO.
1. Die Rechtsgrundlage für die Beurteilung der Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs ist § 1061 ZPO i.V.m. dem UN-Übereinkommen vom 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ) und dem Europäischen Übereinkommen vom 21.4.1961 (EuÜ). Die USA und Weißrussland sind Vertragsstaaten des UNÜ. Das hindert aber nicht die Anwendung des EuÜ, welches in Art. 9 bestimmt, dass die anerkennenswerten Aufhebungsgründe eines Schiedsspruchs gem. § Art. V Abs. 1 e UNÜ beschränkt seien auf diejenigen Aufhebungsgründe, die in Art. 9 EuÜ genannt sind.
Das EuÜ ist anwendbar, weil im Verhältnis zwischen den USA und Weißrussland das Meistbegünstigungsgebot gilt. Das EuÜ respektiert stärker als das UNÜ die Autonomie der Wirtschaftssubjekte, die ihre Streitigkeiten der Schiedsgerichtsbarkeit unterstellen. Das begünstigt den freien Austausch der Güter, der mit der Meistbegünstigungsklausel gefördert werden soll.
Das Wirtschaftsabkommen zwischen den USA und Weißrussland widmet der Schiedsgerichtsbarkeit einen eigenen Abschnitt. Das spricht ebenfalls dafür, die Meistbegünstigungsklausel auch auf Völkerrechtsverträge anzuwenden, welche Schiedssprüche weniger kontrollieren als das UNÜ.
2. Die Aufhebung des Schiedsspruchs durch das Oberste Wirtschaftsgericht Weißrusslands (nachfolgend: OWW) führt dazu, dass der Schiedsspruch im Inland nicht anzuerkennen ist. § 1061 Abs. 2 ZPO.
Die Entscheidungen weißrussischer Gerichte verdienen eine Überprüfung im Einzelfall. Es geht nicht an, mit dem Ast. sämtliche gerichtlichen Entscheidungen in Weißrussland für Unrechtsakte zu halten, weil der Staatspräsident ein Diktator ist. Auch in Diktaturen können Gerichtsbeschlüsse richtig sein.
Die Aufhebung des Schiedsspruchs entspricht den Regeln des EuÜ.
aa) Art. 9 Abs. 1 a EuÜ: Ein Aufhebungsgrund besteht, wenn die Schiedsklausel nicht wirksam vereinbart worden ist. Das OWW argumentiert, das Gericht des Stadtbezirks ... der Stadt M. habe im Strafurteil vom 17.2.2002 gegen ... festgestellt, dass ... eine ständige Vertretung der Antragstellerin in M. unterhalten habe, die aber nicht registriert gewesen sei; ohne Registrierung sei die Niederlassung nicht rechtsfähig gewesen, deswegen sei die Schiedsklausel nicht wirksam vereinbart.
bb) Art. 9 Abs. 1 d EuÜ: Ein weiterer Aufhebungsgrund ist, dass die Verfahrensregeln nicht eingehalten seien. Das OWW argumentiert, dass Art. 3.7 der Verfahrensordnung des Internationalen Schiedsgerichts bei der Weißrussischen Industrie- und Handelskammer verletzt sei: Das Schiedsgericht müsse in der Besetzung, in der es verhandelt habe, auch entscheiden; das sei nicht geschehen, weil von den drei Schiedsrichtern, welche verhandelt hätten, nur zwei entschieden hätten, nämlich nicht der von der Ag. benannte Schiedsrichter.
Die Ast. greift dieses Argument an. Der Schiedsspruch sei in der Tat nur von zwei Schiedsrichtern unterschrieben, das sei aber unschädlich, weil Art. 51 der Verfahrensordnung dem Vorsitzenden erlaube, die Unterschrift eines Schiedsrichters zu ersetzen, wenn er den Grund von dessen Verhinderung ordnungsgemäß mitteile; hier ist auf dem Schiedsspruch mitgeteilt, dass der Schiedsrichter S. durch Urlaub an der Unterschrift gehindert sei.
Diese Erwägung ist zwar in sich richtig, geht aber am Einwand des OWW vorbei: Der Beschluss des OWW rügt, dass nur zwei von drei Schiedsrichtern an der Willensbildung beteiligt gewesen seien, aus der Aussage des Schiedsrichters gehe hervor, dass er an der Beratung, welche zum Schiedsspruch geführt habe, nicht teilgenommen habe. Das ist ein anderer Sachverhalt, der es wohl erlaubt, von einer Verletzung der Verfahrensregeln des Schiedsgerichts zu sprechen.
Das OWW rügt zum Dritten, die Klage vor dem Schiedsgericht sei nicht wirksam erhoben, weil nicht von einer ordentlichen Vollmacht gedeckt, und zum Vierten, das Schiedsgericht habe ein Zahlungs- und Verrechnungsverbot der Untersuchungsorgane missachtet.
Mit Recht macht die Ast. geltend, das seien Gründe, welche es nach dem EuÜ nicht rechtfertigen würden, den Schiedsspruch aufzuheben. Darauf kommt es aber nicht mehr an, nachdem die beiden erstgenannten Gründe, mit denen das OWW den Schiedspruch aufhebt, mit den Aufhebungsgründen übereinstimmen, die das EuÜ anerkennt.
Der Beschluss des OWW vom 19.9.2005 hat im Ergebnis zu Recht den Schiedsspruch aufgehoben.
Es kann dahinstehen, ob die Aufhebung ausländischer Schiedssprüche im Heimatstaat des Schiedsgerichts für deutsche Gerichte ohne nähere Prüfung verbindlich ist (so Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit 7. Aufl Kap. 30 Rd-Nr. 14) oder ob das ausländische Staatsurteil, das den ausländischen Schiedsspruch aufhebt, nach den Regeln von § 328 ZPO anerkennungsfähig sein muss (so Schütze, Ein ausländisches Urteil über die Wirksamkeit eines Schiedsspruchs, II.1. in: Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit Band 3 S. 121). Das vorliegende Verfahren zeigt allerdings, dass dem Standpunkt von Schwab/Walter Weisheit innewohnt.
3. Der Beschluss des Obersten Wirtschaftsgerichts ist nämlich mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts vereinbar (§ 328 Abs. 1 Zi. 4 ZPO). Es kann dahinstehen, ob die Schiedsklausel wirksam vereinbart ist, ob das Gericht die Unwirksamkeit der Schiedsklausel noch habe von Amts wegen berücksichtigen dürfen und ob der Prozessbevollmächtigte der Ast. vor dem OWW in M. mit einer wirksamen Vollmacht aufgetreten ist oder nicht. Denn in jedem Fall hat das OWW zu Recht gerügt, das Schiedsgericht habe seine eigene Verfahrensordnung verletzt, weil der Schiedsrichter am Schiedsspruch nicht mitgewirkt habe. Es kann wiederum dahinstehen, ob die Darstellung der Schiedsbeklagten und Ag. richtig ist, dass nämlich die beiden anderen Schiedsrichter den Schiedsrichter der Ag. an der Willensbildung des Schiedsgerichts nicht hätten teilnehmen lassen so die Darstellung des Schiedsrichters oder ob die Darstellung des Vorsitzenden Schiedsrichters stimmt; denn in beiden Fällen hätte das Schiedsgericht nicht nach seiner eigenen Verfahrensordnung gehandelt. Es versteht sich von selbst, dass nicht zwei Schiedsrichter sich zusammentun dürfen, um den dritten von der Willensbildung bei der Entstehung des Schiedsspruchs auszuschließen.
Aber auch dann, wenn der Schiedsrichter die Beschlussfassung sabotiert haben sollte, wie es der Vorsitzende schildert, hätte das Schiedsgericht nicht einfach die fehlende Unterschrift des Schiedsrichters mit dem Hinweis auf seine Urlaubsabwesenheit ersetzen dürfen, sondern hätte die Einsetzung eines neuen Schiedsrichters beantragen müssen, so wie Art. 10 der Schiedsgerichtsordnung zum Zeitpunkt des Erlasses des Schiedsspruchs es vorgeschrieben hätte. Dort heißt es in Abs. 2:
„Im Falle einer Weigerung (des Schiedsrichters), seine Pflichten zu erfüllen, überträgt der Vorsitzende dessen Funktionen auf den Ersatzschiedsrichter. ... Ein ebensolcher Austausch erfolgt, wenn der Schiedsrichter plötzlich seine Teilnahme an einer zuvor anberaumten Sitzung verweigert hat oder an ihr nicht teilgenommen hat. Der neue Schiedsrichter ... nimmt an dem Verfahren bis zu dessen Abschluss teil. ...”.
So hätte das Schiedsgericht verfahren müssen, wenn der Schiedsrichter sich so verhalten haben sollte, wie der Vorsitzende des Schiedsgerichts in seiner Erklärung schildert:
„Ich habe den Richter ... im Juni 2005, als er noch nicht im Urlaub im Ausland, sondern in der Stadt M. weilte, persönlich eingeladen, beim Internationalen Schiedsgericht bei der Weißrussischen Industrie- und Handelskammer zu erscheinen, um das Gerichtsurteil zu unterschreiben. Zu demselben Zeitpunkt wurde ihm auch das von mir vorbereitete Projekt des Urteils zur Kentnisnahme vorgelegt. Er lehnte es jedoch ab, ... zu kommen, um das Urteil zu fällen und zu unterschreiben. Er erklärte, dass er mit meiner Meinung und mit der Meinung des Richters ... nicht einverstanden sei und deshalb das Gerichtsurteil nicht unterschreiben werde und dass er jetzt in den Urlaub ins Ausland fahre; wenn er es nach seinem Urlaub als notwendig erachte, werde er zu dem von mir und Richter ... (zu ergänzen: wohl für richtig gehaltenen Urteil) seine eigene Stellungnahme abgeben. Ich besitze keine Vollmacht, den Richter dazu zu zwingen, beim Internationalen Schiedsgericht bei der Weißrussischen Industrie- und Handelskammer zu erscheinen, um ein Urteil zu fällen und dieses zu unterschreiben. Das Verhalten des Richters ... werte ich als Versuch, das Fällen eines Urteils in der genannten Sache zu verhindern.”
Dieses Verhalten des Richters ... hätte, wenn diese Darstellung sich bewahrheiten sollte, dazu führen müssen, dass der Richter ... durch einen Ersatzschiedsrichter zu ersetzen war. Es handelt sich auch nach Darstellung des Vorsitzenden Schiedsrichters nicht um das geschäftsübliche Ersetzen der Unterschrift eines Richters, der an der Beschlussfassung mitgewirkt hat, aber an der Unterschrift durch Urlaub gehindert ist. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Vokabel in der Wendung „das Urteil fällen” richtig übersetzt ist oder nicht, wie die Ast. nach der mündlichen Verhandlung argumentiert; denn das Gesamtverhalten des Schiedsrichters, so wie es der Vorsitzende schildert, ist eine eindeutige Verweigerung, die Pflichten des Schiedsrichters bei der Beschlussfassung zu erfüllen.
Damit erweist sich einer der Gründe, aus denen das Oberste Wirtschaftsgericht den Schiedsspruch aufgehoben hat, als auch nach der deutschen Rechtsordnung gerechtfertigt.
Es kann dahinstehen, ob das Oberste Wirtschaftsgericht das rechtliche Gehör der Ast. im Aufhebungsverfahren verletzt hat. Denn auch bei voller Gewährung rechtlichen Gehörs, so wie im vorliegenden Verfahren über 1 ½ Jahre hinweg, hat die Ast. nichts vorbringen können, was entkräften könnte, dass das Schiedsgericht gegen die eigene Verfahrensordnung in erheblicher Weise verstoßen hatte.