Recht und Steuern

A4a Nr. 100

A 4 a Nr. 100
§§ 890, 1050, 1059 Abs. 2, 1061 Abs. 1, 1062 Abs. 4 ZPO, Art. 81 Abs. 2 EG-Vertrag i.V.m.§§ 1 GWB, 134 BGB - Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs. Verbot der révision au fond. Ordre public und europäisches Kartellrecht. Zuständigkeit für die Androhung und Verhängung von Erzwingungsmaßnahmen
1. Bei der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs oder Urteils geht es nicht um dessen sachliche Nachprüfung. Schiedsgerichte sprechen Recht an Stelle der staatlichen Gerichte und dürfen nicht zu einer bloßen Vorinstanz degradiert werden. Es kommt nur darauf an, einen Missbrauch der den privaten Schiedsrichtern vom Staat zugestandenen Rechtsprechungsbefugnis zu verhindern. Daher müssen auch unrichtige Schiedssprüche hingenommen werden, selbst wenn sie gegen zwingendes Recht verstoßen.
2. Die enge Ausnahme bildet der ordre public. Dazu zählen alle wesentlichen fundamentalen Normen und Rechtsgrundsätze, die die Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens berühren, insbesondere die Grundrechte und die guten Sitten, alle Grundprinzipien des deutschen Rechts und ein Mindeststandard an Verfahrensgerechtigkeit. Dazu gehören auch die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft erlassenen öffentlich-rechtlichen Vorschriften sowie das nationale und europäische Kartellrecht.
3. Auch das Gebot umfassenden rechtlichen Gehörs gehört zum ordre public. Es gilt auch bei der Würdigung von Zeugenaussagen. Diese begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn sie in sich stimmig und nachvollziehbar und nicht erkennbar falsch und grob fehlerhaft ist.
4. Hat ein staatliches Gericht im Ursprungsland einen Verstoß des Schiedsspruchs gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs verneint und einen Aufhebungsantrag rechtskräftig abgewiesen, so ist das deutsche Gericht im Verfahren der Vollstreckbarerklärung daran gebunden, falls Umfang und Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Ursprungsland dem des deutschen Rechts entsprechen. Das trifft für das Schweizer Recht zu.
5. Die Zuständigkeit für die Androhung und Verhängung von Erzwingungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs ist noch nicht eindeutig gesetzlich geregelt.
6. Solange kein Anlass besteht zu Zweifeln, dass sich der Schuldner nach Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs dem darin ausgesprochenen Unterlassungsgebot unterwerfen wird, kann das Gericht jedenfalls die beantragte Androhung von Erzwingungsmaßnahmen zurückstellen, weil sie einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechtsposition und den Geschäftsverkehr des Schuldners bedeuten würde.
ThürOLG Beschl.v. 8.8.2007 - 4 Sch 03/06; Zeitschrift für Schiedsverfahrensrecht 2008, 44 = RKS A 4 a Nr. 100
Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien hatten am 29.5.1992 einen Vertrag über die gemeinsame Entwicklung einer neuen Flachglas-Technologie mit einer Laufzeit von zehn Jahren geschlossen. Nach Ende der Laufzeit nutzte der Antragsgegner das ihm im Rahmen dieser Vertragsbeziehung lizenzierte Know-how des Antragstellers weiter. Mit Schiedsspruch vom 30.1.2006 verurteilte das vereinbarte Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer mit Sitz in Zürich den Ag.zu Unterlassung und Schadensersatz. Seine gegen diesen Schiedsspruch erhobene sog. staatsrechtliche Beschwerde wies das Schweizer Bundesgericht mit Urteil vom 19.6.2006 zurück.
Der ASt. beantragt die Vollstreckbarerklärung. Der Ag. rügt die Verletzung des ordre public: Das Schiedsgericht habe Zeugenaussagen nicht ausreichend berücksichtigt und damit gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs verstoßen, außerdem einen Verstoß gegen europäisches Kartellrecht nicht beachtet.
Aus den Gründen:
Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung richtet sich hier nach § 1061 ZPO, da ein ausländischer Schiedsspruch vorliegt. § 1061 Abs. 1 ZPO verweist auf das UNÜ vom 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Danach kommt es darauf an, ob der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der ordre public der BRD entgegensteht (Art. V Abs. 2 b UNÜ). Dies ist nicht der Fall.
1. Im Anerkennungsverfahren nach § 1061 ZPO gilt lt. der Verweisung das Verbot der révision au fond. Das bedeutet für die Anerkennung/Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche, dass es in diesem Verfahren nicht um die sachliche Nachprüfung der Schiedssprüche geht. Die evtl. sachliche Unrichtigkeit ist ebenso wie bei einem ausländischen Urteil hinzunehmen, sie ist insbesondere kein Aufhebungsgrund (Geimer in Zöller Rd-Nr. 74 zu § 1059 ZPO m.Nachw.). Es kommt im Anerkennungsverfahren danach nur darauf an, einen Missbrauch der den privaten Schiedsrichtern zugestandenen Rechtsprechungsbefugnis zu verhindern.
Grund: Die Schiedsgerichte sprechen Recht an Stelle der staatlichen Gerichte. Sie dürfen nicht zu einer bloßen Vorinstanz degradiert werden. Lässt der Staat Schiedsgerichte zu, muss er auch unrichtige Schiedssprüche hinnehmen, selbst wenn das Schiedsgericht gegen zwingendes Recht verstößt.
2. Die (enge) Ausnahme bildet der ordre public. Dispositives Recht gehört nach h.M. nicht zum ordre public. Fraglich ist, ob zwingendes (insbesondere materielles) Recht dazu gehört. Nach h.M. gehört jedenfalls nicht jedes zwingende Recht d.h. der Parteidisposition entzogene Normen dazu (Geimer a.a.O., Lachmann Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis Rd-Nr. 1223 ff. m.w.Nachw. in FN 4 S. 412), sondern nur das entsprechend dem Wesen der Schiedsgerichtsbarkeit als gleichwertiger Rechtsprechungs-Alternative zu beachtende Recht. Dazu zählen alle wesentlichen fundamentalen Normen und Rechtsgrundsätze. Der ordre public umfasst also sämtliche Normen des zwingenden Rechts, die die Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens berühren, sowie die elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen (Lachmann a.a.O. Rd-Nr. 1224 m.w.N. in FN 5 S. 412; u.a. BGHZ 50, 370, 376; BGHZ 54, 132, 140). Zum ordre public zählen insbesondere die Grundrechte und die guten Sitten, alle Grundprinzipien des deutschen Rechts und ein Mindeststandard an Verfahrensgerechtigkeit (BGH NJW-RR 1991, 1211, 1213). Dazu gehört zweifellos auch der Grundsatz der Gewährung umfassenden rechtlichen Gehörs.
3. Dieses ist vorliegend aber dem Ag. im Schiedsverfahren ausreichend gewährt worden. Hiermit hat sich bereits das Schweizer Bundesgericht im Aufhebungsverfahren ausführlich auseinandergesetzt und im Urteil vom 19.6.2006 ausgeführt, der Vorwurf des Ag. entspreche nicht den Tatsachen und auch nicht der Wertung des Schiedsgerichts. Dem schließt sich der Senat an.
4. Der Senat konnte auch insoweit auf die Ausführungen des Schweizer Bundesgerichts zurückgreifen. Die sog. staatsrechtliche Beschwerde an das Schweizer Bundesgericht entspricht dem Aufhebungsverfahren nach § 1059 ZPO. Der in § 1059 Abs. 2 Nr. 2 b genannte Aufhebungsgrund ist der ordre public; er erfasst den Grundsatz der umfassenden Gewährung rechtlichen Gehörs. Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 19.6.2006 festgestellt, dass dieser Anspruch auf rechtliches Gehör im Rahmen eines internationalen Schiedsverfahrens dem in Art. 29 Abs. 2 BV gewährleisteten Verfassungsrecht entspricht. Hieraus leite sich insbesondere das Recht der Parteien ab, sich über alle für das Urteil wesentlichen Tatsachen zu äußern, ihren Rechtsstandpunkt zu vertreten, ihre entscheidungswesentlichen Sachvorbringen mit tauglichen sowie rechtzeitig und formrichtig offerierten Mitteln zu beweisen... Der Anspruch auf rechtliches Gehör enthalte aber keinen Anspruch auf einen materiell richtigen Entscheid...
Damit entspricht der Umfang und Inhalt dieses Anspruchs auf rechtliches Gehör exakt dem des deutschen Rechts.
Auch die sachliche Würdigung der Witness Statements der Zeugen L und K begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Die Würdigung ist in sich stimmig und nachvollziehbar; sie nimmt auf den englischen Text und die entsprechende deutsche Übersetzung Bezug und widerlegt daraus die Auffassung des Ag. Es ist nicht Aufgabe des Senats im Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren, diese Schlussfolgerungen des Schweizer Bundesgerichts zu konterkarieren, solange diese nicht erkennbar falsch und grob fehlerhaft sind. Insofern bindet das hier vorgeschaltete Aufhebungsverfahren den erkennenden Senat, nachdem das Bundesgericht rechtskräftig den Bestand des streitgegenständlichen Schiedsspruchs durch Abweisung der sog. rechtsstaatlichen Beschwerde festgestellt hat.
Auch die zweite Rüge greift nicht. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Ag., der Schiedsspruch verstoße gegen europäisches Kartellrecht. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Senat gehalten ist, den Schiedsspruch vollinhaltlich auf seine Übereinstimmung mit europäischem Kartellrecht zu überprüfen, allerdings ist wohl anerkannt, dass im Anerkennungsverfahren die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft erlassenen öffentlich-rechtlichen Vorschriften sowie das nationale und europäische Kartellrecht unter den Schutzumfang des ordre public fallen (Lachmann a.a.O. Rd-Nr. 1226 m.w.N.in FN 6 S. 413). Auch der EuGH hat in seinem Urteil vom 1.6. 1999 - Rs. C - 126/97 - Art. 81 EG als von der ordre-public-Regelung in Art. V UNÜ 1958 erfasst angesehen.
Allerdings hat der Ag. erstmals mit Schriftsatz vom 4.7.2007 ausgeführt, der Schiedsspruch verstoße gegen zwingendes Kartellrecht, weil das Schiedsgericht Art. 8.2 des License Agreement so ausgelegt habe, dass die Vertragsklausel eine sachliche Beschränkung („field of use restriction”) und eine räumliche Beschränkung („territorial restriction”) enthalte, mithin der Ag. die ihm lizenzierte Technik weder während der Laufzeit des Vertrags noch danach in Asien zum Einsatz bringen dürfe und ihm dauerhaft eine sachliche Beschränkung in der Anwendung dieser lizenzierten Technik auch innerhalb der Europäischen Union auferlege.
Diese Auslegung bezogen auf die dissenting opinion des Schiedsrichters P. ist jedenfalls nicht zwingend. Das ergibt sich schon aus einer (lediglich) summarisch vorgenommenen Plausibilitätsüberlegung. Das License Agreement gestattete es dem Ag. doch gerade, das lizenzierte know-how in Europa zu nutzen, lediglich war es ihm untersagt, die Vertragsprodukte in Asien zu vermarkten. Damit ist eine Auswirkung auf den deutschen und europäischen Markt gerade nicht plausibel. Auch die sachliche Beschränkung der Lizenz hat - nach der Stellungnahme der ASt. keine Auswirkungen auf den europäischen Markt, da es keinen europäischen Markt für dieses Spezialglas (TFT) gebe. Im übrigen könne der Ag. jede Art von Glas, auch TFT-LCD-Glas, herstellen und vertreiben, solange er nicht die Technologie des ASt. benutze. Auch das leuchtet ein.
Dem entspricht auch das Ergebnis der umfassenden Prüfung durch das Schiedsgericht selbst, wie es in seiner Entscheidung Rz. 573 bis 580 ausgeführt ist. Danach fällt das License Agreement nicht unter den Anwendungsbereich des EG-Wettbewerbsrechts, bewirkt keine Wettbewerbsbeschränkung und wäre im Übrigen freistellungsfähig. Dieses Ergebnis ist in der Sache hinzunehmen und einer erneuten - umfänglichen - Überprüfung auf seine kartellrechtliche Zulässigkeit durch den Senat im Anerkennungsverfahren nicht zugänglich (Verbot der révision au fond - s.o.).
Demnach war antragsgemäß der Inhalt des Schiedsspruchs im Umfang der Tenorierung anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären.
5. Eine Entscheidung über den Antrag auf Festsetzung von Ordnungsgeld wird zurückgestellt, weil der Senat z.Zt. keine Veranlassung hat, daran zu zweifeln, dass nach Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des Schiedspruchs der Ag. sich den für vollstreckbar erklärten Unterlassungsgeboten unterwerfen werden.
Im Übrigen bestehen nach wie vor Bedenken an der Zuständigkeit des OLG für die beantragte Androhung von Erzwingungsmaßnahmen. § 890 ZPO ist nicht direkt einschlägig. Nach dieser Vorschrift kann (lediglich) das Prozessgericht des 1. Rechtszuges Erzwingungsmaßnahmen auf Antrag des Gläubigers anordnen. Übertragen auf das (laufende) Schiedsverfahren würde dies aber bedeuten, dass die Androhung/Anordnung solcher Erzwingungsmaßnahmen in die Kompetenz des Schiedsgerichts fiele. Nach überwiegender Meinung ist das Schiedsgericht aber anders als die staatlichen Gerichte weder zur Androhung noch zur Verhängung von Ordnungsmitteln berechtigt (Lachmann a.a.O. Kap. 15 Rd-Nr. 1458). Die von der Gegenmeinung (Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit, 2005, Kap. 17a Rd-Nr. 16) vertretene Ansicht, das Schiedsgericht dürfe Zwangs- und Ordnungsmittel androhen, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken, weil nach allgemeinen Grundsätzen deutschen Verfassungsrechts staatliche Zwangsmittel den staatlichen Gerichten vorbehalten sind; (die Beachtung des staatlichen Gewaltmonopols ist verfassungsrechtlich geboten, so insbesondere Geimer Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassung 1994, 194). Dies gilt erst recht im vorliegenden Fall, in dem der Senat einen ausländischen Schiedsspruch für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anerkennt und für das deutsche Staatsgebiet für vollstreckbar erklärt. Danach liegt es zwar nahe, die Androhung und Verhängung von Zwangsmaßnahmen in die Kompetenz des Oberlandesgerichts zu verlagern, das über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des (ausländischen) Schiedsspruchs entscheidet (so wohl Stöber in Zöller ZPO-Komm. 26. Aufl. § 890 Rd-Nr. 14 unter Bezugn. auf § 887 Rd-Nr. 6). Andererseits ist für sonstige richterliche Handlungen nach §§ 1050, 1062 Abs. 4 ZPO das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die beantragte Handlung vorgenommen werden soll. Lachmann (a.a.O. Kap. 15 Rd-Nr. 1460) vertritt die Meinung, dass die Verhängung von Ordnungsmitteln auch als sonstige richterliche Maßnahme anzusehen sei, zu der das Schiedsgericht nicht befugt sei, es mithin der Unterstützung durch das betreffende Amtsgericht bedürfe. Aber: Diese Auffangzuständigkeit sei misslich, weil das OLG schon wegen der ihm obliegenden Vollziehung näher am Fall dran sei.
Wie dem auch sei, fehlt bis dato eine eindeutige gesetzliche (Zuständigkeits)Regelung für die Androhung/Verhängung von Erzwingungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs.
6. Dessen ungeachtet stellt bereits die Anordnung von Zwangsmitteln den Beginn der Zwangsvollstreckung dar (vgl. BGH MDR 1979, 116; OLG Bremen NJW 1971,58; OLG Karlsruhe Justiz 86, 407), d.h. zu diesem Zeitpunkt müssen die allgemeinen Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung vorliegen. Zwar setzt nach der Rechtsprechung die Androhung (von Zwangsmitteln) weder eine Zuwiderhandlung (OLG Bremen NJW 1971, 58; OLG Hamm MDR 1988, 506), noch ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis (OLG Karlsruhe MDR 1994, 728) voraus, andererseits ist aber dennoch im Verhältnis der Parteien die mit einer solchen Androhung verbundene Außenwirkung für deren Geschäftsverkehr zu beachten. Daher erachtet der Senat derzeit auch die Androhung von Zwangsmitteln noch nicht für geboten, weil dies (jedenfalls derzeit noch) einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechtsposition des Ag. bedeuten würde.