Recht und Steuern

A4a Nr.52

A4a Nr. 52
§§ 1051 Abs. 1, 1054 Abs. 2, 1059 Abs. 2 Nr. 1 d ZPO
Rechtswahl: deutsches Recht und englische Rechtsbegriffe. Verfahrensrechtlicher Ordre Public und rechtliches Gehör, Aufklärungs-, Hinweis- und Begründungspflicht des Schiedsgerichts, „Überraschungsentscheidungen”
Ein Schiedsspruch kann aufgehoben werden, wenn das Schiedsgericht die Rechtswahl der Parteien missachtet hat.
Das Schiedsgericht missachtet die Rechtswahl nicht dadurch, dass es bei der Anwendung des vereinbarten deutschen Rechts zur Auslegung eines deutschen Rechtsbegriffs (Verzugsschaden) ergänzend Literatur zu einem entsprechenden englischen Begriff (damages for detention) heranzieht; dies gilt insbesondere, wenn der Text der Parteivereinbarung (Chartervertrag) selbst diesen Begriff enthält.
Ob die Auslegung des vereinbarten Rechts zutreffend und der Schiedsspruch materiellrechtlich richtig ist, hat das ordentliche Gericht nicht zu prüfen.
Ein Schiedsspruch kann aufgehoben werden, wenn die Begründung inhaltslos oder widersinnig ist oder im Widerspruch zur Entscheidung steht. Die Begründung ist nicht schon mangelhaft, wenn eine juristische Überprüfung von Einzelfragen ergibt, dass eine andere Betrachtung richtiger gewesen wäre.
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Schiedsgericht nicht, den Parteien seine Rechtsauffassung vorab mitzuteilen oder sich mit allen Einzelheiten ihres Vortrages auseinander zu setzen. Ein Hinweis kann aber geboten sein, wenn dies von den Parteien vereinbart, insbesondere in der Verfahrensordnung des vereinbarten Schiedsgerichts bestimmt ist, oder wenn das Schiedsgericht von einer zuvor geäußerten Auffassung abweicht, so dass die Parteien von der erst im Schiedsspruch erkennbaren Rechtsauffassung des Schiedsgerichts überrascht würden.
Das Gebot rechtlichen Gehörs kann verletzt sein, wenn das Schiedsgericht ein für das Ergebnis erhebliches Bestreiten übersehen hat.
OLG Hamburg Beschluss vom 8. 6. 2001 - 11 Sch 1/01; Hamburger Seerechts-Report 2001 S. 173 = RKS A 4 a Nr. 52
Aus dem Sachverhalt:
Ein Reeder hatte eine Partie Braugerste von China nach Odessa/Ukraine befördert. Bei der Ankunft war die Ladung von Ungeziefer befallen und durch Rost sowie Chemikalien verunreinigt. Es kam zu Verzögerungen, wegen derer der Reeder Schadens­ersatz­ansprüche gegen den Charterer erhob. Dieser wiederum verlangte wegen einer Verun­reinigung der Ladung Schadens­ersatz vom Reeder. Das vereinbarte Schiedsgericht der German Maritime Arbitration Association (GMAA) gab der Schieds­klage überwiegend statt und wies die Widerklage des Charterers im wesentlichen ab. Vor dem OLG klagte der Reeder auf Vollstreckbarerklärung des Schieds­spruchs, der Charterer verlangte die Aufhebung. Das OLG erklärte den Schieds­spruch vollstreckbar.
Aus den Gründen:
Ein Aufhebungsgrund liegt nicht vor. Nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 d ZPO kann ein Schieds­spruch aufgehoben werden, wenn das Schiedsverfahren einer zulässigen Verein­barung der Parteien nicht entsprochen hat und anzunehmen ist, dass sich dies auf den Schiedsspruch ausgewirkt hat.
Diese Voraussetzungen können auch gegeben sein, wenn das Schiedsgericht bei seiner Rechtsanwendung die von den Parteien getroffene Rechtswahl ignoriert hat.
Dies trifft für die Rechtsanwendung im angegriffenen Schiedsspruch aber nicht zu. Die Parteien haben in der Charter zulässigerweise vereinbart, dass das Schiedsgericht seiner Entscheidung deutsches materielles Recht zugrunde zu legen habe. Hiergegen hat das Schiedsgericht aber nicht verstoßen; denn es hat für die Begründung seines Spruches deutsches materielles Recht angewendet. Insbesondere hat es den Anspruch des Reeders auf § 286 BGB gestützt, dessen Schaden zum Teil wegen Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB gekürzt und das Verschulden des Kapitäns sowie des Maklers nach HGB bzw. § 278 BGB zugerechnet sowie den Zinsanspruch aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB begründet. Auch die Widerklage hat das Schiedsgericht unter Anwendung von Vorschriften des HGB beschieden.
Dem steht nicht entgegen, dass das Schiedsgericht in seiner Begründung auch mit englischer Rechtsliteratur belegte Ausführungen zum englischen Verzugsrecht gemacht hat. Denn das Schiedsgericht hat den Anspruch des Reeders nicht auf das englische Rechtsinstitut „damages for detention” gestützt, sondern das englische Recht – ent­sprechend der insoweit aner­kannten Schieds­gerichts­praxis - ergänzend heran­gezogen. Auch bei der Feststellung des Schadens hat das Schiedsgericht deutsches Recht zugrunde gelegt. Das englische Rechtsinstitut der –detention– wurde wiederum nur ergänzend herangezogen. Das lag schon deshalb nahe, weil auch die zwischen den Parteien vereinbarte Charter diesen Begriff verwendet hat.
Allerdings hat sich das Schiedsgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Reeder den Charterer verzugsbegründend gemahnt hat bzw. ob eine Mahnung ent­behrlich war. Insoweit kann nicht die Rede davon sein, das Schiedsgericht habe deutsches Recht überhaupt nicht angewendet; vielmehr kann in diesem Umstand allenfalls eine fehlerhafte Anwendung der §§ 284 ff. BGB liegen, die zur materiellen Unrichtigkeit des Schiedsspruchs führen kann. Auf einen derartigen Rechts­anwendungs­fehler kann das Aufhebungsbegehren nicht gestützt werden. Die materielle Richtigkeit des Schiedsspruchs ist nicht zu prüfen. Das staatliche Gericht hat nur nachzuvollziehen, ob das Schiedsgericht das von den Parteien gewählte Recht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, nicht jedoch, ob es dieses Recht richtig angewendet und ausgelegt hat.
Aus den genannten Erwägungen kann die Einwendung der Nichtanwendung des von den Parteien gewählten Rechts auch keine Aufhebung nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO begründen. Auf die Frage, ob ein solcher Verstoß neben § 1059 Abs. 2 Nr. 1 d ZPO zugleich zu einer Verletzung des ordre public im Sinne dieser Bestimmung führen kann, kommt es nicht an.
Der Charterer hatte im Schiedsverfahren vorgetragen, dass es zu den Verzögerungen bei der Entladung in Odessa u.a. dadurch gekommen sei, dass die ukrainischen Behörden die Ausstellung eines Certificate of Conformity abgelehnt und dies ausschließlich mit der Verschmutzung der Ware durch Rost und Chemikalien begründet hätten; diesen Umstand habe das Schiedsgericht nicht in Erwägung gezogen.
Nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 d ZPO kann ein Schiedsspruch aufgehoben werden, wenn er entgegen § 1054 Abs. 2 ZPO nicht begründet ist. Die Begründung ist nur ordnungs­gemäß, wenn sie nicht ganz inhaltslos oder offenbar widersinnig ist oder im Widerspruch zu der Entscheidung steht. Ein Begründungsmangel in diesem Sinne liegt nicht bereits vor, wenn eine juristische Überprüfung von Einzelfragen der Begründung ergibt, dass eine andere Betrachtung richtiger gewesen wäre. Erforderlich ist vielmehr ein grundsätzlicher, eklatanter Begründungsmangel, der einer Nichtbegründung gleich zu achten ist. Davon kann bei dem vorliegenden Schiedsspruch nicht die Rede sein.
Das Schiedsgericht hatte in seiner Entscheidung erläutert, dass eine der wesentlichen Ursachen der Verzögerungen die Begasung der Ladung gewesen sei, die erforderlich gewesen sei, weil sich in der Ladung Käfer befunden hätten. Der Charterer beanstandete, dass das Schiedsgericht auf die Bedeutung, die es diesem Umstand beimessen werde, vor Erlass des Schiedsspruchs nicht ausreichend hingewiesen habe. Dieser Gesichtspunkt, zusammen mit der vom Charterer beanstandeten Bewertung des Verhaltens der ukrainischen Behörden, kann eine Aufhebung des Schiedsspruches nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO nicht begründen.
Danach kann ein Schiedsspruch aufgehoben werden, wenn das Gericht feststellt, dass die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs zu einem ordre-public-widrigen Ergebnis führen würde. Dies gilt auch bei einem Verstoß gegen den verfahrens­rechtlichen ordre public. Eine Abweichung von den Grundprinzipien des rechtsstaatlichen Verfahrensrechts, dazu gehört auch das rechtliche Gehör, kann daher einen Aufhebungsgrund ergeben. Allerdings erfordern die vom Schiedsgericht zu beachtenden Grundsätze des rechtlichen Gehörs nicht, dass es sich im Schiedsspruch mit allen Einzelheiten des Partei­vorbringens auseinandersetzt. Auch sind die in der ZPO enthaltenen Aufklärungs- und Hinweisvorschriften nicht Gegenstand der Schutzwirkung des Art. 103 Abs. 1 GG im Schiedsgerichtsverfahren, für das nur eine verfassungs­rechtliche Mindestausstattung garantiert ist.
Gemessen an diesen Grundsätzen liegt kein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public vor. Soweit es die Bedeutung der Begasung betrifft, war den Parteien der Bericht der ukrainischen Behörden, der die Maßnahmen gegen den Käferbefall vorsah, bekannt. Das Schieds­gericht war nicht verpflichtet, die Parteien auf seine Würdigung dieses Berichts und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen vor Erlass des Schiedsspruchs hinzuweisen. Dies umso weniger, als die Würdigung des Schieds­gerichts jedenfalls vertretbar war. Aus ähnlichen Gründen liegt auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, dass das Schiedsgericht den Vortrag des Charterers, die Verschmutzung der Ladung sei alleinige Ursache, nicht in seinem Sinne berücksichtigt hat. Denn das Schiedsgericht hat den Streitstoff in nachvollziehbarer Weise anders gewürdigt.
Wenn ein Vortrag des Charterers nach der Tatsachenwürdigung des Schiedsgerichts nicht erheblich ist, kann nicht deshalb ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs anzunehmen sein, weil sich das Schiedsgericht damit nicht unter der Prämisse des Charterers ausführlicher auseinandergesetzt hat. Ob der Charterer in seinem diesbezüglichen Vortrag ein wesentliches Verteidigungsmittel gesehen hat, kann nicht entscheidend sein. Er kann weiter keinen Aufhebungsgrund daraus herleiten, dass das Schiedsgericht nicht auf die entscheidungserhebliche Anspruchsgrundlage des § 286 BGB hingewiesen und die einzelnen Voraussetzungen des Verzuges nicht ange­sprochen hat. Dass das Löschhindernis Verzugsansprüche auslösen konnte, hätte für den anwaltlich vertretenen Charterer offensichtlich sein müssen. Ob es vom Reeder oder vom Charterer zu vertreten war, war vor allem unter diesem Gesichtspunkt relevant. Der Charterer hat hierzu ausführlich vorgetragen, so dass es schon deshalb keines Hinweises bedurfte. Jedenfalls sind die im schiedsgerichtlichen Verfahren einge­schränkten Hinweis­pflichten nicht verletzt.
Allerdings können die weitergehenden Aufklärungs- und Hinweispflichten nach der ZPO auch im Schiedsverfahren zu beachten sein, wenn die Parteien dies vereinbart haben oder wenn sie aus besonderen Gründen durch die erst im Schiedsspruch erkennbare Rechtsauffassung des Schiedsgerichts überrascht würden. Beide Voraussetzungen sind jedoch hier nicht gegeben. Zum einen bestimmt § 10 Abs. 3 der GMAA-Schieds­gerichts­ordnung nur allgemein, dass das Schiedsgericht den Parteien in jedem Stadium des Verfahrens ausreichendes rechtliches Gehör zu gewähren hat, statuiert aber keine besonderen Hinweispflichten. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass, der Charterer durch eine gegenüber vorangegangenen Hinweisen geänderte Rechts­auffassung des Schiedsgerichts oder aus anderen besonderen Gründen überrascht worden sei.
Das Schiedsgericht hatte den Schaden des Reeders pauschal auf der Grundlage der in der Charter für –detention– im Löschhafen festgelegten Rate berechnet. Dies hielt der Charterer für überraschend. Doch ergibt sich auch hieraus kein Aufhebungsgrund unter dem Aspekt des Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Das Schieds­gericht hat die Anspruchsgrundlage auch in der betreffenden Klausel der Charter gesehen und dies mündlich erläutert. Dort aber ist die vom Schiedsgericht zu Grunde gelegte Entschädigung vorgesehen. Damit scheidet eine Verletzung von Hinweispflichten aus. Ob die Rechtsauffassung des Schiedsgerichts materiellrechtlich zutrifft, gehört nicht zum Prüfungsauftrag des staatlichen Gerichts im Verfahren der Voll­streck­bar­erklärung.
Auch die Rüge des Charterers, der Schiedsspruch verstoße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, weil die Ausführungen zur Widerklage überraschend seien, begründet keinen Aufhebungsgrund nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO, ebenso wenig dass dem Charterer ein Anspruch auf Schadensersatz zugesprochen wurde, obwohl er keinen entsprechenden Antrag gestellt hat. Hieraus kann allenfalls der Reeder Rechte herleiten. Verstöße gegen den ordre public sind, soweit - was hier nicht ersichtlich ist - keine unmittelbaren Staatsinteressen auf dem Spiel stehen, nur auf Rüge der betroffenen Partei zu prüfen.
Die Rüge, die Ausführungen zur haftungsbegründenden Kausalität seien „ins Blaue hinein” aufgestellt und stünden im Widerspruch zum unstreitigen Tatbestand, begründet keinen Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs. Dieser Grundsatz kann nur im Hinblick auf entscheidungserheblichen Prozessstoff verletzt sein. Nach der eigenen Begründung des Schiedsgerichts hatten die vom Charterer gerügten Ausführungen keinen Einfluss auf das Ergebnis.
Das Vorbringen des Charterers, das Schiedsgericht habe den wegen der Ladungs­untüchtig­keit des Schiffes zu leistenden Schadensersatz entgegen der gefestigten Recht­sprechung und damit überraschend begründet, ergibt gleichfalls keinen Aufhebungs­grund. Das Schiedsgericht hat im einzelnen begründet, warum es aus den Bestimmungen der Charter eine Haftungs­begrenzung ableitet. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine Abweichung von gefestigter Recht­sprechung, sondern um Aus­legung der individuellen Verein­barung.
Auch die Rüge, der unstreitige Tatbestand des Schiedsspruchs sei unrichtig, führt nicht zur Aufhebung. Zwar verstößt es u.U. gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs, wenn das Schiedsgericht ein Bestreiten einer Partei übersehen hat. Ein Verstoß kann aber nicht angenommen werden, wenn das Bestreiten unerheblich war oder sich in einer bloßen Rechtsansicht erschöpft hat und der Fehler im Tatbestand ohne Auswirkungen auf das Ergebnis ist; so liegt der Fall hier (wird ausgeführt).