Recht und Steuern

A4a Nr. 73

RKS A 4 a Nr. 73 Art. IV, V, VII Abs. 1 UNÜ, §§ 767, 1064 ZPO - Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs, Günstigkeitsprinzip: Vorzulegende Urkunden, Rechtliches Gehör, übergangene Beweisanträge. Aufrechnung
1. Für den Antrag auf auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs ist nach § 1064 Abs. 1 und 3 ZPO nur die Vorlage des Schiedsspruchs in Ur- oder beglaubigter Abschrift erforderlich, nicht die Vorlage einer Übersetzung des Schiedsspruchs oder der Schiedsvereinbarung. Diese nationale Regelung hat nach dem Günstigkeitsprinzip des Art. VII Abs. 1 UNÜ Vorrang vor der entsprechenden Bestimmung des Art. IV UNÜ.
2. Ein Verstoß gegen das Schiedsverfahrensrecht oder den prozessualen ordre public ist nur anzunehmen, wenn die Entscheidung von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in solchem Maße abweicht, daß sie nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahrenergangen angesehen werden kann.
3. Schiedsgerichte müssen rechtliches Gehör nach den gleichen Grundsätzen gewähren wie staatliche Gerichte. Sie müssen nicht nur den Parteien Gelegenheit zumVortrag geben, sondern diesen auch zur Kenntnis nehmen und erwägen. Wenn das Schiedsgericht Beweisanträgen mit rechtsfehlerhafter Begründung nicht nachgegangen ist, ist das rechtliche Gehör nur verletzt, wenn diese vorgeschoben ist, um zu verdecken, daß das Schiedsgericht sich mit dem Vortrag nicht befaßt hat.
4. Die inhaltliche Richtigkeit des Schiedsspruchs hat das staatliche Gericht nicht zuprüfen (Verbot der révision au fond). Die vom Schiedsgericht vorgenommene Tatsachenfeststellung ist unangreifbar, solange kein Verfahrensmangel vorliegt.
5. Eine Aufrechnung des Schuldners gegen den dem Schiedsspruch zugrunde liegenden Anspruch ist ohne die zeitliche Schranke des § 767 Abs. 2 ZPO zulässig, wenn das Schiedsgericht über die aufgerechnete Forderung wegen Unzuständigkeit nicht entschieden hat. Die Zulässigkeit der Aufrechnung beurteilt sich nach deutschem Recht und setzt nach § 367 BGB Fälligkeit, Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit voraus; ausnahmsweise kann bei Treuhandverhältnissen dem Schuldner die Aufrechnungsbefugnis nach § 242 BGB zuerkannt werden.
OLG KölnBeschluß vom 23.4.2004 - 9 Sch 01/03; Zeitschrift für Schiedsverfahrensrecht2005, 163 = RKS A 4 a Nr. 73
Aus demSachverhalt:
Die Antragstellerin beantragt Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs vom 27.2.2002 des Internationalen Handelsschiedsgerichts bei der Internationalen Handelskammer der Russischen Föderation. Im Jahre 2000 kaufte die Antragsgegnerin von der Ast. Viskosefasern. Nach Streitigkeiten über die Kaufpreiszahlung kam es zu einem Rechtsstreit vor dem Friedensgericht in Tel Aviv. Dort rügte die Ag. die Unzuständigkeit des israelischen Gerichts und berief sich auf die Zuständigkeit des russischen Schiedsgerichts. In einem koordinierten Antrag willigten die Parteien ein, die Streitigkeit vor dem Internationalen Handelsschiedsgericht bei der Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation durchzuführen.
Die Ast. beantragt die Vollstreckbarerklärung des am 27.2.2002 erlassenen Beschlussesdes Internationalen Handelsschiedsgerichts, dessen Tenor (auszugsweise) lautet: „Das Schiedsgericht hat entschieden: Die Firma D.C. GmbH , Deutschland, zu verpflichten, der Firma T.H.J.Ltd., Israel, die Summe US$ 10.503 der Hauptschulden, die Strafsumme US$ 2.652 für die Fristversäumung in der Bezahlung der Ware, die Summe US$ 1.437als Entschädigung dem Kläger für die Bezahlung der Schiedsgerichtsgebühr zu bezahlen”.
Sie beantragt weiter zu erkennen, daß die Ag. zusätzlich zur Hauptforderung verpflichtet ist, Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.8.2002aus US$ 14.566 an die Ast. zu zahlen.
Die Ag. beantragt, den Antrag auf Anerkennung und Vollstreckbarerklärung zurückzuweisen und festzustellen, daß der Schiedsspruch nicht anzuerkennen ist, sowie den Zinsantrag zurückzuweisen. Der Antrag erfülle nicht die Anforderungen des Art. IV UNÜ; Urschrift oder beglaubigte Abschrift der Schiedsklausel lägen nicht vor; die prozessualen Mindestanforderungen seien im Schiedsverfahren nicht gewahrt worden, so daß ein Verstoß gegen den ordre public vorliege; es seien Beweisantritte vom Schiedsgericht übergangen, das rechtliche Gehör nicht ausreichend gewährt, Beweise nur selektiv gewürdigt worden; es handle sich um nach deutschem und russischem Recht nichtige Scheingeschäfte, die steuerpflichtige Einnahmen der mit der Ast. gemeinsam agierenden Gesellschaft G.Ltd. verdecken sollten; diese sei die tatsächliche Vertragspartnerin (wird ausgeführt).
Die Ast. erwidert, auf die Schiedsabrede habe sich die Ag. selbst im Verfahren in Israel berufen. Im übrigen gelte des Günstigkeitsprinzip, so daß die Vorlage der Schiedsklausel nicht erforderlich sei. Verstöße gegen den ordre public seien nicht erkennbar. Die Lieferverträge seien rechtmäßige Rechtsgeschäfte gewesen.
Aus denGründen:
1. Der Schiedsspruch ist für vollsteckbar zu erklären. Die Ast. hat die erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Art. IV UNÜ wird durch liberaleres nationales Recht, §1064 ZPO, abgeschwächt. Es werden im deutschen Recht weniger strenge Anforderungen an die Vorlagepflicht gestellt. Nach dem Günstigkeitsprinzip gilt die anerkennungsfreundlichere Norm. Für den Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs ist nach §§ 1025 Abs. 4, 1064 Abs. 1 und 3 nur die Vorlage des Schiedsspruchs in Ur- oder beglaubigter Abschrift erforderlich, nicht dagegen die Vorlage einer Übersetzung des Schiedsspruchs oder der Schiedsvereinbarung. Diese nationale Regelung hat nach dem Günstigkeitsprinzip des Art. VII Abs. 1 UNÜ Vorrang vor der entsprechenden Bestimmung des Art. IV UNÜ (BGH Beschl.v. 25.9.2003 IIIZB 68/05 IHR 2003, 298 = RKS A 4 a Nr. 65; BayObLG 11.8.2000 BayObLGZ 2000,233, 236 = RKS A 4 a Nr. 63; Thomas/Reichold in Thomas/Putzo ZPO 25. Aufl. § 1061 Rd-Nr.3; Geimer in Zöller ZPO 24. Aufl. Anh. § 1061 Rd-Nrn. 3, 4 m.w.N.).
Auf die Vorlage einer in bestimmter Weise beglaubigten Übersetzung der Schiedsvereinbarung wie auch des Schiedsspruchs kommt es demnach nicht an. Dass der koordinierte Antrag betreffend die Einleitung eines Schiedsverfahrensvorgelegen hat, wird im übrigen von der Ag. auch nicht in Abrede gestellt. Sie hat sich im Verfahren in Israel auf die Schiedsvereinbarung berufen.
Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist auch begründet. Versagungsgründe i.S.d. Art. V UNÜ sind nicht gegeben. Daß die Schiedsvereinbarung i.S.v. Art. V Abs. 1 a UNÜ nicht wirksam sein soll, ist nicht erkennbar. Die Ag. ist im Verfahren vor dem israelischen Gericht selbst von der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung ausgegangen und hat sich dort auf sie im Hinblick auf die Zuständigkeit des Commercial Arbitration Court of the Chamber of Commerce and Industry of the Russian Federation, Moscow, Russia berufen. Außerdem hat sie im Schiedsverfahren darauf Bezug genommen.
2. Es liegt auch kein Verstoß gegen das schiedsrichterliche Verfahrensrecht oder den prozessualen ordre public vor. Nach Art. V Abs. 1 d, 2 b UNÜ kann die Vollstreckbarkeit versagt werden, wenn das Verfahrensrecht oder der ordre public verletzt sind. Eine solche Verletzung ist dann anzunehmen, wenn die Entscheidung von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in solchem Maße abweicht, daß sie nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann(Thomas/Reichold a.a.O. § 1059 Rd-Nr. 16). Nicht jeder Verfahrensfehler ist von Bedeutung, vielmehr müssen Mindeststandards in Verfahrensgerechtigkeit verletzt sein (Geimer a.a.O. § 1061 Rd-Nr. 31) und die Entscheidung muß auf dieser Verletzung beruhen können. Solche Mängel des Schiedsverfahrens sind nicht gegeben.
3. Schiedsgerichte müssen rechtliches Gehör im Wesentlichen nach den gleichen Grundsätzen gewähren wie staatliche Gerichte. Das rechtliche Gehör erschöpftsich nicht darin, den Parteien Gelegenheit zum Vortrag zu geben. Vielmehr muß das Gericht das jeweilige Vorbringen auch zur Kenntnis nehmen und in Erwägungziehen (BGH NJW 1992, 2299 = RKS A 4 a Nr. 33). Das ist vorliegend geschehen. Die Argumente der Ag., die anwaltlich vertreten war, sind vom Schiedsgerichtgehört und gewichtet worden.
Das das Schiedsverfahren in besonderer Eile unter Verletzung der prozessualen Rechte und Verteidigungsmittel der Ag. betrieben worden sein soll, ist nicht zuerkennen. Ausweislich des Schiedsspruchs wurde die Schiedsklageschrift am28.6.2001 beim Handelsschiedsgericht eingereicht. Die Erwiderung der Ag. datiert vom 5.9.2001. Diese hat auch die Gelegenheit zu weiterem Vortragwahrgenommen. Die mündliche Verhandlung vor dem Schiedsgericht fand am 19.12.2001 statt, und der Schiedsspruch stammt vom 27.2.2002.
Daß der Ag.die Möglichkeit zum Vortrag eingeschränkt worden sei, ist nicht dargelegt. Wie sich aus dem im Schiedsspruch mitgeteilten Gang des Verfahrens vor dem Schiedsgericht ergibt, sind die Einwendungen der Ag. erörtert worden. Das Schiedsgericht hat den Sachverhalt ausführlich dargestellt und die einzelnen Argumente der Parteien bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Selbst wenn das Schiedsgericht Beweisanträgen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts nicht nachgegangen ist, ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Das gilt selbst bei einer fehlerhaften Beurteilung, solange sie nicht nur vorgeschoben ist, um etwa zu verdecken, daß das Schiedsgericht sich mit dem Vortrag nicht befaßt hat (BGH NJW 1992, 2299, 2300 = RKS A 4 a Nr. 33; Geimer a.a.O.
§ 1061 Rd-Nr.44).
4. Auch in materieller Hinsicht ist der ordre public nicht verletzt. Ein Eingehen auf die Berechtigung der Forderung der Ast. in der Sache und die Beurteilung der materiellen Rechtslage durch das Schiedsgericht ist dem Senat im vorliegenden Fall verwehrt. Die inhaltliche Richtigkeit des Schiedsspruchs ist nicht zu prüfen (Verbot der révision au fond, Geimer a.a.O. § 1059 Rd-Nr. 74, § 1061Rd-Nr. 40). Die vom Schiedsgericht vorgenommene Tatsachenfeststellung ist solange unangreifbar, als nicht ein Verfahrensmangel vorliegt (Geimer a.a.O. §1059 Rd-Nr. 53). Ein solcher Fehler ist nicht dargelegt. Das Schiedsgericht hatsich mit dem Vortrag der Ag. auseinandergesetzt, es handle sich um einScheingeschäft (Zi. 5 des Schiedsspruchs). Im Ergebnis hat es sich der Argumentation der Ag. nicht angeschlossen. Die Überprüfung der Rechtslage nach russischem Recht, insbesondere Wirtschafts- oder Steuerrecht, ist dem Senat verwehrt.
5. Die Hilfsaufrechnung der Ag. greift nicht durch. Einwendungen gegen den demSchiedsspruch zugrunde liegenden Anspruch sind grundsätzlich nur im Rahmen des § 767 Abs. 2 ZPO zulässig (Geimer a.a.O. § 1061 Rd-Nr. 21, § 1060Rd-Nr. 4). Eine Aufrechnung des Schuldners ohne die zeitliche Schranke des § 767 Abs. 2 ZPO ist allerdings zulässig, wenn sich das Schiedsgericht der Entscheidung über die aufgerechnete Forderung wegen Unzuständigkeit enthalten hat (BGH 22.11.1962 BGHZ 38, 259; 7.1.1965 MDR 1965, 374 = HSG A 4 a Nr.1; Zöller/Geimer a.a.O. § 1061 Rd-Nr. 21). Ob diese Voraussetzung gegeben ist, kann offen bleiben. Die Zulässigkeit der Aufrechnung beurteilt sich nach deutschem Recht (Zöller/Geimer a.a.O.). Damit sind erforderlich Fälligkeit, Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der Forderung (Palandt/Heinrichs BGB 63.Aufl. § 387 Rd-Nrn. 4 ff.).
An dieser Voraussetzung fehlt es. Nach dem eigenen Vortrag richtet sich die (bestrittene)Forderung gegen die G. Ltd. Allerdings kann bei Treuhandverhältnissen nach § 242 BGB dem Schuldner die Aufrechnungsbefugnis zuerkannt werden (BGHZ 25, 367; 110,81; NJW 1989, 2367; Palandt/Heinrichs a.a.O. § 387 Rd-Nr. 7). Für die Annahme eines solchen Rechtsverhätnisses fehlt es aber an Anhaltspunkten und Belegen. Die Gesellschaften gehören unterschiedlichen Rechtskreisen an. Daß der Grundsatz von Treu und Glauben hier ausnahmsweise eine Aufrechnungrechtfertigen soll, ist nicht anzunehmen. Danach war der Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären.