Recht und Steuern

A 4a Nr. 142

A 4 a Nr. 142 § 91 GWB, § 1062 ZPO, Art. V Abs. 2 b UNÜ – (Interne) Zuständigkeit des „Kartellsenats“ oder des Senats gem. § 1062 ZPO beim OLG ?... für die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs in einer Streitigkeit, in der es um die Anwendung von (deutschem oder europäischem) Kartellrecht geht. Kartellrecht und Ordre public
1. Für die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs ist der Kartellsenat des OLG allenfalls zuständig, wenn es in der zugrundeliegenden Streitigkeit um die Anwendbarkeit ausländischen oder europäischen Rechts ging.
2. Bei der Prüfung, ob die Vollstreckbarerklärung des ausländischen Schiedsspruchs der inländischen öffentlichen Ordnung widerspricht (Art. V Abs. 2 b UNÜ), sind kartellrechtliche Fragen nur in diesem Rahmen beachtlich. Eine Versagung beruht dann ggf. nicht auf einem Verstoß gegen nationale oder europäische kartellrechtliche Vorschriften, sondern allein darauf, dass der Verstoß zu einem unerträglichen Ergebnis führt.
3. Das staatliche Gericht darf nicht im Rahmen des Anerkennungsverfahrens seine Rechtsansichten zum Kartellrecht an die Stelle der Ansichten des Schiedsgerichts setzen. Ist streitig, ob ein Verstoß gegen Kartellrecht vorliegt, so steht ein Schiedsspruch, der sich in den Grenzen rechtlich vertretbarer Erwägungen hält, jedenfalls nicht im Widerspruch zum ordre public. 
4. Nach dem Günstigkeitsprinzip verlangt das anerkennungsfreundliche nationale Recht zwingend auch für ausländische Schiedssprüche nur die Vorlage einer anwaltlich beglaubigten Abschrift. Um die Anerkennungsvoraussetzungen sachgerecht zu prüfen kann das deutsche Gericht die Vorlage einer deutschen Übersetzung anordnen; dafür genügt allerdings eine solche von einer allgemein beeidigten Dolmetscherin in anwaltlich beglaubigter Abschrift. 
5. Ein vom zuständigen staatlichen Gericht des Heimatstaates aufgehobener ausländischer Schiedsspruch darf nicht für vollstreckbar erklärt werden. Das Gericht des Vollstreckungsstaates muss sich auf die Prüfung beschränken, ob die Aufhebung auf einem der vier in Art. IX a – d EuÜ enthaltenen Gründe beruht. Keinesfalls darf das Exequaturgericht nachprüfen, ob das staatliche Gericht des Heimatstaates das Gesetz oder das EuÜ richtig angewendet hat, ob also Aufhebungsgründe auch tatsächlich vorgelegen haben. Die Prüfungskompetenz beschränkt sich allein auf die Zuständigkeit des den Schiedsspruch aufhebenden staatlichen Gerichts.
6. Ein ausländischer Schiedsspruch, der eine Partei zu einem gesetzeswidrigen Verhalten verpflichtet, verstößt in einem Rechtsstaat gegen Art. V Abs. 2 b UNÜ (ordre public). Seine Anerkennung würde zu einem Ergebnis führen, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre.
OLG München Beschl.v. 30.7.2012 – 34 Sch 18/10 SchiedsVZ 2012, 339=RKS A 4 a.Nr.143
Aus dem Sachverhalt:
Die Antragstellerin, eine Handelsgesellschaft ukrainischen Rechts, begehrt die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines zu ihren Gunsten in Kiew/Ukraine ergangenen Schiedsspruchs. Die Antragsgegnerin, eine deutsche GmbH, stellt u.a. Rübenerntemaschinen her. Sie hatte am 11.3. 11.3.2005 einen Händlervertrag mit der ASt. geschlossen und dieser ein Alleinvertriebsrecht für ihre Maschinen für das Gebiet der Ukraine eingeräumt. Darin ist folgende Rechtswahl- und Schiedsklausel vereinbart:
Der vorliegende Vertrag wurde nach den Gesetzen der Ukraine errichtet und unterliegt diesen. Jede Streitigkeit, Auseinandersetzung oder Forderung, welche aus oder in Zusammenhang mit diesem Vertrag entsteht, ferner Bruch des Vertrages, seine Kündigung oder seine Gültigkeit werden ausschließlich und endgültig beigelegt durch einen Schiedsspruch in Übereinstimmung mit den Schiedsgerichtsregeln der Handels- und Industriekammer der Ukraine. Das Schiedsgerichtsverfahren ist in Kiew in englischer Sprache durchzuführen.
Die Anlage enthält sinngemäß folgende Regelung:
H. (die AGg.) verpflichtet sich, Strafsanktionen in Höhe der Händler-Marge nach Abzug von 3.000 Euro für jeden nachgewiesenen Verstoß an den Dealer (ASt.) zu zahlen, wenn H.  innerhalb der Laufzeit des Vertrages auf dem Vertragsterritorium … als Verkäuferin ihrer Waren auftreten wird. 
Da die AGg. entgegen dem mit der ASt. geschlossenen Vertrag zehn Maschinen unmittelbar  an eine dritte Person in der Ukraine verkauft hatte, erhob die ASt. Schiedsklage beim Internationalen  Kommerziellen Schiedsgericht bei der Handels- und Industriekammer der Ukraine (IKSG) auf eine Vertragsstrafe in Höhe von 353 242  Euro. Die AGg. beantragte Klageeabweisung und erhob Widerklage mit dem Antrag festzustellen, dass die Bestimmungen zum Alleinvertriebsrecht unwirksam sind und die ASt. zur Zahlung entgangenen Gewinns verpflichtet sei, da nicht die vereinbarte Anzahl Maschinen verkauft worden sei.
Das Schiedsgericht erließ am 11.12.2009 folgenden Schiedsspruch:
Die AGg. ist verpflichtet, u.a. ….345.000 Euro Vertragsstrafe wegen der Verletzung des Händlervertrages … zu zahlen. Im Übrigen wies das Schiedsgericht Klage und Widerklage ab. Auf Antrag der  AGg. wurde der Schiedsspruch durch die Entscheidung des Bezirksgerichts Kiew vom 9.9.2010 aufgehoben, u.a. weil die Händlervereinbarung gegen ukrainisches Recht verstoße und darum der Annullierung unterliege. Das Rechtsmittel der ASt. hat das Appellationsgericht Kiew am 27.10.2010 zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde am 7.5.2012 vom Hohen Gericht der Ukraine bestätigt. Gleichwohl beantragt die ASt. dessen Vollstreckbarerklärung.
Aus den Gründen:
Der Antrag, den ukrainischen Schiedsspruch vom 11.12.2009 vollstreckbar zu erklären, ist unbegründet.
1. Die (interne) Zuständigkeit des (34.) Zivilsenats folgt aus der Jahresgeschäftsverteilung des OLG für 2011. Die Angelegenheit ist keine dem (29.) Kartellsenat zugewiesene Sache, sondern  eine schiedsrichterliche  bzw. eine solche nach § 1062 ZPO. Die Zuständigkeitsfrage ist allerdings zweifelhaft; teilweise wird eine analoge Anwendung des § 91 GWB mit Vorrang vor § 1062 ZPO befürwortet (vgl. OLG Düsseldorf 15.7.2002 – 6 Sch 5/02 bei juris; Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker GWB 3. Aufl. § 87 Rd-Nr. 72). Es handelt sich um die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs in einer Streitigkeit, für die materielles ukrainisches Recht vereinbart wurde. Um die Anwendung von deutschem oder von EU-Kartellrecht geht es deshalb nicht.
2. Darüber hinaus sind bei der Prüfung, ob die Anerkennung und Vollstreckung des ausländischen Schiedsspruchs der inländischen öffentlichen Ordnung widerspricht (Art. V Abs. 2 b UNÜ), kartellrechtliche Fragen nur in diesem Rahmen beachtlich. Eine etwaige Versagung beruht nicht auf einem Verstoß gegen nationale oder europäische kartellrechtliche Vorschriften, sondern allein darauf, ob dieser zu einem unerträglichen Ergebnis führt.
3. So kann im Rahmen der Anerkennungsprüfung das staatliche Gericht nicht seine eigenen Rechtsansicht zum Kartellrecht an die Stelle derjenigen des Schiedsgerichts setzen. Ist strittig, ob ein Verstoß gegen Kartellrecht vorliegt, so steht ein Schiedsspruch, der sich in den Grenzen rechtlich vertretbarer Rechtserwägungen hält, jedenfalls nicht im Widerspruch zum ordre public (Schlosser in Stein/Jonas ZPO 22. Aufl. Anh. § 1061 Rd-Nr. 148). All dies spricht dagegen, jedenfalls in der gegebenen Konstellation von einer Kartellsache auszugehen.
4. Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs ist zulässig (§ 1025 Abs. 4, § 1061 Abs. 1, § 1064 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 ZPO). Soweit Art. IV UNÜ über § 1064 Abs. 1 und 3 ZPO hinausgehende Anforderungen an die Vorlage von Urkunden, Übersetzungen und deren Qualität stellt, gilt nach Art VII Abs. 1 UNÜ das Günstigkeitsprinzip (BGH 21.9.2005 NJW 2005, 3499 = RKS A 4 a Nr. 78). Das anerkennungsfreundlichere Recht verlangt auch für ausländische Schiedssprüche nur die Vorlage des Schiedsspruchs  im Original oder in anwaltlich beglaubigter Abschrift. Um die Anerkennungsvoraussetzungen sachgerecht zu prüfen, kann das nationale Gericht allerdings die Beibringung von Übersetzungen anordnen (vgl. § 142 Abs. 3 ZPO; Reichold in Thomas/Putzo ZPO 33. Aufl. § 1061 Rd-Nr. 6). Die ASt. hat diesen Voraussetzungen genügt, indem sie den in englischer Sprache abgefassten Schiedsspruch vom 11.12.2009 und eine von einer allgemein beeidigten Dolmetscherin gefertigte deutsche Übersetzung in anwaltlich beglaubigter Abschrift vorgelegt hat. Die Authentizität dieser Dokumente ist überdies unbestritten.
5. Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist abzulehnen, zugleich ist nach § 1061 Abs. 2 ZPO auszusprechen, dass der Schiedsspruch im Inland nicht anzuerkennen ist.Der Begründetheit des Antrags steht bereits entgegen, dass der Schiedsspruch im zusprechenden Teil vom staatlichen Bezirksgericht Kiew als dem gem. Art. 34 Zi. 2 Abs. 1 Ges. über das Internationale Handelsschiedsgericht (IHSGG) und Nr.9.2 Verfahrensordnung des Internationalen Handelsschiedsgerichts bei der IHK der Ukraine (Sourjikova-Giebner, Schiedsgerichtsbarkeit in der Ukraine S. 70) zuständigen Gericht im Heimatstaat (MünchKomm/Adolphsen ZPO 3. Aufl. UNÜ Art. V Rd-Nr. 60) annulliert worden ist. Territorial wie verfahrensrechtlich ist Heimatstaat die Ukraine. Wird ein ausländischer Schiedsspruch im Herkunftsland aufgehoben, kann er auch im Inland nicht mehr wirken.Das Gericht des Vollstreckungsstaats hat sich bei der Prüfung, ob die Aufhebungs-entscheidung anzuerkennen ist, darauf zu beschränken, ob diese auf einem der vier in Art. IX a bis d EuÜ enthaltenen Gründe beruht. Keinesfalls darf das Exequaturgericht nachprüfen, ob das staatliche Gericht das Gesetz bzw. das EuÜ richtig angewendet hat, ob also die Aufhebungsgründe tatsächlich vorgelegen haben. Die Prüfungskompetenz beschränkt sich allein auf die Frage der Zuständigkeit des den Schiedsspruch aufhebenden staatlichen Gerichts (MünchKomm/Adolphsen Art. IX EuÜ Rd-Nr. 10). Diese ist hier gegeben (wird ausgeführt).
6. Die Vollstreckbarerklärung ist aber auch zu versagen, weil der Schiedsspruch gegen Art. V Abs. 2 b UNÜ verstößt. Art. 12 des Gesetzes der Ukraine über den Schutz der Käufer landwirtschaftlicher Maschinen verbietet u.a., die Käufer an der freien Auswahl der Verkäufer zu hindern. Diese Regelung findet ihre innere Rechtfertigung in einer nationalen Wirtschaftsordnung, die der Agrarentwicklung und der Sicherstellung der Lebensmittelproduktion im Allgemeininteresse einen überragenden Stellenwert einräumt. Es widerspricht den Prinzipien eines Rechtsstaates, eine Vertragspartei zu einem gesetzwidrigen Verhalten zu zwingen. Dies wäre durch den aufgehobenen Schiedsspruch geschehen (wird ausgeführt).
16.2.2013