Recht und Steuern

A 4a Nr. 139

4 a Nr. 139 „ne ultra petita“(§ 308 Abs. 1 ZPO): nicht beantragte Verurteilung als Gesamtschuldner , Aufhebung wegen Verstoß gegen den ordre public. Auslegung des Klageantrages und der Verurteilung. Révison au fond. Zurückverweisung an das Schiedsgericht (§ 1059 Abs. 4 ZPO) „in geeigneten Fällen“
1. Verurteilt das Schiedsgericht die Beklagten als Gesamtschuldner zur Erteilung einer Auskunft, obwohl der Kläger beantragt hat, jede Beklagte zur Auskunft nur über eigene Handlungen zu verurteilen, so verstößt der Schiedsspruch gegen den ordre public und ist aufzuheben.
2. Der Inhalt und der Umfang des Klageantrages wie der der Verurteilung sind im Falle von Unklarheiten durch Auslegung zu ermitteln. Ergibt diese eindeutig eine Inkongruenz, verstößt die Überprüfung und Aufhebung des Schiedsspruchs nicht gegen das Verbot der révision au fond.
3. DieVerurteilung der Schiedsbeklagten als Gesamtschuldner verletzt in diesem Falle auch das Gebot rechtlichen Gehörs.
4. Nach § 1059 Abs. 4 ZPO kann das Gericht auf Antrag die Sache an das Schiedsgericht zurückverweisen, wenn dadurch der Streit schneller und effektiver erledigt werden kann, z.B. wenn der Fehler nur einen Teilaspekt des Verfahrens betrifft und die Schiedsrichter in eine komplexe und inhaltlich schwierige Spezialmaterie eingearbeitet sind.
OLG Köln Beschl.v. 28.6.2011 – 19 Sch 11/10 SchiedsVZ 2012, 161 – 168 = RKS A 4 a Nr. 139
Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien waren in der Bietergemeinschaft „C“ verbunden. Diese war am 7.7.1998 gegründet worden zwecks Beteiligung an einer Ausschreibung zum Bau einer Transrapid-Magnetschnellbahn zwischen Hamburg und Berlin. Dabei war geplant, einen sog. hybriden Fahrwegträger zu entwickeln und anzubieten. Alle Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Vertrag sollten durch ein Schiedsgericht erledigt werden.
Nach der politischen Entscheidung gegen den Bau der Transrapid-Strecke  wurden die Ausschreibung aufgehoben und die drei Schiedsbeklagten aus der Bietergemeinschaft ausgeschlossen.
Nachdem sich im Oktober 2000 eine chinesische Delegation auf der Transrapid-Versuchsanlage im Emsland informierte, schloss ein chinesischer Bauherr Anfang 2001 mit dem Konsortium „U“, zu dem u.a. die Schiedsbeklagten zu 1) und 3) gehörten, einen Vertrag, dessen genauer Inhalt der Schiedsklägerin unbekannt ist. Danach verpflichtete sich das Konsortium, durch Wissenstransfer und Beratung den Bau und den Einsatz eines hybriden Fahrwerkträgers in China zu ermöglichen. Für die Überlassung der Lizenzen und des know how  für einen Hybridfahrwerkträger an die chinesischen Auftraggeber  stellte die Bundesregierung dem Konsortium einen Betrag von 100 Mio DM zur Verfügung. Die genauen Auszahlungsbedingungen sind der Schiedsklägerin unbekannt.
Die Schiedsklägerin leitete Anfang Oktober 2002 das schiedsrichterliche Verfahren ein: Der hybride Fahrwerkträger sei im Wesentlichen von der Bietergemeinschaft entwickelt worden. Der chinesische Bauherr habe sich an die Schiedsbeklagte zu 1 als technische Geschäftsführerin der Bietergemeinschaft gewandt und sei entschlossen gewesen, das Konzept der Bietergemeinschaft zu übernehmen. Das Konsortium habe dann das von der Bietergemeinschaft erworbene know how durch den Vertrag mit dem chinesischen Partner verwertet. Bis zur entsprechenden Entwicklungsarbeit der Bietergemeinschaft habe es keinen einsatzfähigen hybriden Träger gegeben. Auch die Schiedsbeklagten hätten bis zur Gründung der Bietergemeinschaft nicht über eine einsatzfähige und einer Genehmigung durch das Eisenbahnbundesamt zugängliche Lösung verfügt. Der für China vorgesehene Träger entspreche in allen wesentlichen Details dem von der Bietergemeinschaft entwickelten Träger. Wegen der Verwertung des know how stehe der Bietergemeinschaft ein Schadensersatzanspruch zu. Diesen könne sie nur beziffern, wenn sie den Inhalt der Vereinbarung des Konsortiums mit dem chinesischen Bauherrn sowie die Zahlungsmodalitäten des Bundes-Zuschusses kenne. Sie beantragte daher, die Schiedsbeklagten als Konsortialpartner zur Auskunfterteilung zu verurteilen.
Die Schiedsbeklagten beantragten Klagabweisung.
Nachdem die Schiedsklägerin die Schiedsbeklagten zunächst einzeln verklagt und drei selbständige Schiedsverfahren eingeleitet hatte, wurden die Verfahren später durch Beschluss des Schiedsgerichts verbunden.
Mit Schiedsspruch vom 28.4.2010 verurteilte das Schiedsgericht die Schiedsbeklagten als Gesamtschuldner, der Bietergemeinschaft Auskunft darüber zu erteilen, welche Geschäfte sie im Zusammenhang mit ihrer Leistungserbringung als Konsortialpartner hinsichtlich der Erstellung eines Fahrweges für die Magnetschnellbahn bei Shanghai getätigt haben und welche Erträge ihnen zugeflossen sind oder noch zufließen werden, und die in diesem Zusammenhang geschlossenen Verträge vorzulegen.

Das OLG lehnte den Antrag auf Vollstreckbarerklärung ab, hob den Schiedsspruch auf und verwies die Sache an das Schiedsgericht zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurück.
Aus den Gründen:
1. Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist gem. § 1060 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unter Aufhebung des Schiedsspruchs abzulehnen, da ein Aufhebungsgrund vorliegt, und die Sache gemäß § 1059 Abs. 4 analog an das Schiedsgericht zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung würde zu einem Ergebnis führen, das dem ordre public widerspricht. Denn der Schiedsspruch leidet an einem schweren Verfahrensfehler, da das Schiedsgericht mit der Verurteilung der Schiedsbeklagten als Gesamtschuldner unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO über den von der Schiedsklägerin gestellten Antrag hinausgegangen ist.
2. In dieser Divergenz liegt nicht eine unschädliche, bloß quantitative Abweichung vom Schiedsklageantrag, sondern eine gemäß § 308 Abs. 1 ZPO unzulässige „Aliud“-Entscheidung. Ein (Schieds-)Gericht verstößt beim Ausspruch einer gesamtschuldnerischen Verurteilung nicht gegen § 308 ZPO, wenn sich zwar nicht aus dem Klagantrag, aber aus der Klagebegründung die gesamtschuldnerische Haftung ergibt (Vollkommer in Zöller § 308 ZPO Rd-Nr. 3). Mit dem Antrag begehrt die Schiedsklägerin von jedem der in Anspruch genommenen Schiedsbeklagten Auskunft über die Geschäfte, welche „sie im Zusammenhang mit ihrer Leistungserbringung als Konsortialpartner hinsichtlich der Erstellung eines Fahrweges für eine Magnetschwebebahn Transrapid bei Shanghai in der VR China getätigt haben und welche Erträge ihnen zugeflossen sind“. Eine dem diesbezüglichen Klageantrag entsprechende Verurteilung als Gesamtschuldner bliebe nur dann in quantitativer Hinsicht hinter dem vorgenannten Antrag zurück und stellte keine gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßende Überschreitung des begehrten Leistungsumfanges dar, wenn er dahingehend zu verstehen wäre, dass jede Schiedsbeklagte selbständig Auskunft geben soll über die Geschäfte und daraus erwachsenden Erträge des Konsortiums aus dem Projekt Transrapid Shanghai mit dem chinesischen Partner, und zwar nicht lediglich bezogen auf ihre eigene Person, sondern bezogen auf die Schiedsbeklagten bzw. das Konsortium oder dessen Mitglieder insgesamt. Denn bei einer Verurteilung der Schiedsbeklagten ohne den Zusatz der gesamtschuldnerischen Verpflichtung schulden alle drei die Auskunfterteilung gesondert und nur in Bezug auf die eigene Person, und die Schiedsklägerin kann von jeder Schiedsbeklagten gesondert Auskunft fordern. Demgegenüber wäre sie bei gesamtschuldnerischer Verpflichtung gemäß § 421 BGB nur einmal zum Erhalt der gesamten Leistung berechtigt, bei Leistungserbringung einer der Schiedsbeklagten würden die beiden anderen ebenfalls frei.

Ein solcher Inhalt kann dem in Bezug genommenen Antrag aber im Ergebnis nicht entnommen werden. Die Formulierung legt ihrem Wortlaut nach im Gegenteil ein Verständnis dahingehend nahe, dass jede Schiedsbeklagte selbständig Auskunft nur über eigene Handlungen und eigene zugeflossene Erträge und nicht auch über die Handlungen und Erträge der anderen Schiedsbeklagten bzw. des Konsortiums erteilen soll. Dies folgt aus der Verwendung des Begriffs „als Konsortialpartner“, mit dem der Bezug zu der persönlichen Beteiligung der einzelnen Schiedsbeklagten an den Geschäften und zu den ihr zukommenden Erträgen hergestellt ist.

Für eine Auslegung des Antrags im vorgenannten Sinn spricht weiter der Ablauf des Schiedsverfahrens bzw. der dort erfolgte Antragstellung. So hat die Schiedsklägerin die Schiedsbeklagten unstreitig zunächst einzeln verklagt und drei selbständige Schiedsverfahren eingeleitet. Die Verfahren sind im weiteren Verlauf auf Antrag der Schiedsklägerin verbunden worden. Der in den jeweiligen Einzelverfahren angekündigte Klageantrag, der sich naturgemäß lediglich auf eine Auskunft der jeweils betroffenen Schiedsbeklagten richtete, ist nach Verfahrensverbindung inhaltlich identisch in den neuen Klagantrag eingeflossen und dabei lediglich vom Singular in den Plural gesetzt worden. Hieraus geht deutlich hevor, dass das Klageziel der Schiedsklägerin als solches durch die Verbindung der drei Verfahren nicht geändert und der Klageantrag nach Verbindung insbesondere nicht auf eine gesamtschuldnerische Haftung hin erweitert worden ist.

Es spricht auch nichts dafür, dass die Schiedsklägerin bei Antragstellung den Willen hatte, eine gesamtschuldnerische Verurteilung der Schiedsbeklagten zur Auskunfterteilung zu erreichen, und dies nur irrtümlich nicht ausdrücklich erklärt hat. Vor dem Landgericht Köln hatte die Schiedsklägerin die gesamtschuldnerische Verurteilung beantragt, in den drei Schiedsverfahren bzw. dem verbundenen Schiedsverfahren die Verurteilung als Gesamtschuldner aber nicht in den Antrag aufgenommen. Dies läßt darauf schließen, dass die Schiedsklägerin von der Beantragung einer gesamtschuldnerischen Verurteilung bewusst Abstand genommen hat.
 
Es sprechen weitere Indizien dafür, den Klagantrag bezogen ausschließlich auf eigene Handlungen und eigene zugeflossene Erträge der Schiedsbeklagten zu verstehen (wird ausgeführt).
Der Senat konnte das im Schiedsspruch liegende Auslegungsergebnis einer gesamtschuldnerischen oder lediglich individuellen Verpflichtung sachlich überprüfen. Dem staatlichen Gericht ist es zwar verwehrt, den Schiedsspruch auf seine sachliche (Un)-Richtigkeit hin zu prüfen; die fehlerhafte Rechtsanwendung bildet für sich genommen grundsätzlich keinen Aufhebungsgrund (BGHZ 151, 79 = RKS A 4 b Nr. 28); Geimer in Zöller § 1059 ZPO Rd-Nr. 74 m.w.N.). Ein Klageantrag ist grundsätzlich auch der Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB zugänglich und kann je nach dessen Sachinhalt eine gesamtschuldnerische Verurteilung auch ohne ausdrücklichen Antrag tragen. Vorliegend ist jedoch der Inhalt des Klageantrags wie dargelegt eindeutig und es bleibt daher von vornherein kein Raum für eine andere Auslegung, hinsichtlich derer eine Abwägung stattzufinden hätte. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob eine solche Abwägung wegen des Verbots der révision au fond unzulässig wäre, nicht.
3. In der Verurteilung der Schiedsbeklagten als Gesamtschuldner liegt zudem ein Verstoß gegen den gemäß § 1042 Abs. 1 S. 2 ZPO zu beachtenden Grundsatz rechtlichen Gehörs, weil das Schiedsgericht die Frage der gesamtschuldnerischen Verurteilung unstreitig nicht mit den Parteien erörtert hat und die Schiedsbeklagten entsprechend keine Möglichkeiten hatten, hierzu Stellung zu nehmen bzw. sich gegen eine diesbezügliche Verurteilung zur Wehr zu setzen (wird ausgeführt).
Die qualitative Überschreitung des Schiedsklageantrags durch den Tenor des Schiedsspruchs stellt des Weiteren einen Aufhebungsgrund i.S.d. § 1059 Abs. 2 Nr. 1b ZPO dar. Danach kommt die Aufhebung in Betracht, wenn der Antragsteller begründet geltend macht, dass er von der Bestellung eines Schiedsrichters oder vom schiedsrichterlichen Verfahren nicht gehörig in Kenntnis gesetzt worden ist oder dass er aus einem anderen Grund seine Verteidigungsmittel nicht hat geltend machen können (wird ausgeführt).
4. Das Schiedsverfahren ist nach Aufhebung des Schiedsspruchs an das bisherige Schiedsgericht zurückzuverweisen, damit die bisher gewonnenen Erkenntnisse verwertet werden können. Dies ist auch im Rahmen des Verfahrens auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs gem. § 1060 Abs. 1 ZPO möglich, wenn die Vollstreckbarerklärung abgelehnt und der Schiedsspruch aufgehoben wird (HansOLG Hamburg Beschl.v. 30.5.2008 – 11 Sch 9/07 RKS A 4 b Nr. 45 m.w.N.; OLG München Beschl.v. 29.1.2007 – 34 Sch 23/06 RKS A 4 a Nr. 94; Geimer in Zöller § 1060 ZPO Rd-Nr. 26; Voit in Musielak 8. Aufl. 2011 § 1060 ZPO Rd-Nr. 15 a.E.; Münch in MünchKomm ZPO 3. Aufl. 2008 § 1060 Rd-Nr. 27).
Die Schiedsklägerin hat im Schriftsatz  vom 4.3.2011 hilfsweise einen Antrag auf Zurückverweisung gestellt. Die Sache ist auch zur Zurückverweisung geeignet. In diesem Zusammenhang ist darauf abzustellen, ob der Streit durch die Fortsetzung des Verfahrens schneller oder effektiver erledigt werden kann (Voit in Musielak § 1059 ZPO Rd-Nr. 41). Schneller oder effektiver wird der Rechtsstreit immer dann erledigt, wenn es nicht zwingend erforderlich ist, das gesamte schiedsgerichtliche Verfahren erneut durchzuführen, weil der Fehler nur einen Teilaspekt des Verfahrens betrifft, wie z.B. einen reparablen Verfahrensverstoß, der ohne großen Aufwand behoben werden kann (HansOLG Hamburg Beschl.v. 30.5.2008 – 11 Sch 9/07 RKS A 4 b Nr. 45). Eine Sache ist zur Zurückverweisung nicht mehr geeignet, wenn das Schiedsgericht von Rechts wegen gar nicht oder nicht mehr zur Entscheidung berufen ist – wie z.B. bei Ungültigkeit der Schiedsvereinbarung oder der Überschreitung der Grenzen der Schiedsvereinbarung – oder wenn der Aufhebungsgrund das gesamte Verfahren betrifft und daher – wie z.B. bei der fehlerhaften Besetzung des Schiedsgerichts, der nicht ordnungsmäßigen Vertretung der Parteien – das Verfahren wieder von vorn beginnen müsste (HansOLG Hamburg Beschl.v. 30.5.2008 – 11 Sch 9/07 RKS A  4 b Nr. 45). Das ist vorliegend nicht der Fall.
Für eine Zurückverweisung spricht, dass es dem Schiedsgericht möglich ist, die vorliegend vorgebrachten Verfahrensfehler, die einer Vollstreckbarerklärung im Wege stehen bzw. stehen könnten, zu beheben, ohne das gesamte Verfahren zu wiederholen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf eine vom Schiedsgericht durchgeführte Beweisaufnahme und der Verwertung des erzielten Beweisergebnisses. Des Weiteren handelt es sich in der Sache um eine komplexe und inhaltlich schwierige Spezialmaterie, in welche sich die Mitglieder des Schiedsgerichts eingearbeitet haben und welche nach dem Vorbringen der Schiedsbeklagten zu 3 Anlass gab, den Parteien großzügige Fristen für schriftsätzliches Vorbringen zu gewähren. Dementsprechend ist es von großem Vorteil, dass das Schiedsgericht bei Fortsetzung des Verfahrens auf den erworbenen Kenntnisstand aufbauen kann. Schließlich spricht auch die Dauer des Schiedsverfahrens dafür, den vorstehenden Gründen aus prozessökonomischen Erwägungen besondere Bedeutung zukommen zu lassen.

Der von den Schiedsbeklagten erklärte Widerspruch gegen die Zurückverweisung rechtfertigt keine andere Entscheidung. § 1059 Abs. 4 ZPO verlangt keinen übereinstimmenden Antrag der Parteien. Die weiteren Gründe geben zu einer Änderung der im Hinweisbeschluss des Senats vom 21.4.2011 vertretenen Rechtsauffassung keinen Anlass (wird ausgeführt).