Recht und Steuern

A 4a Nr. 128

§§ 767 Abs. 2, 1025 Abs. 4, 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO – Aufrechnung im Vollstreckbarerklärungsverfahren. Zuständigkeit des OLG für die Entscheidung.
1. Im Vollstreckbarerklärungsverfahren ist die Aufrechnung zulässig, wenn die Aufrechnungslage erst nach dem Schiedsverfahren entstanden ist oder wenn der Schuldner schon vor dem Schiedsgericht aufgerechnet oder den Aufrechnungseinwand erhoben hat, das Schiedsgericht aber darüber nicht entschieden hat.
2. Dies gilt auch nach dem Inkrafttreten des Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetzes.
3. Zuständig für die Entscheidung über materiellrechtliche Einwendungen wie die Aufrechnung ist das „Prozessgericht des ersten Rechtszuges“. d.h. das Gericht, in dessen Verfahren der Vollstreckungstitel geschaffen worden ist. Vollstreckungstitel im Falle der Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs ist die Entscheidung des OLG.
4. Beruft sich eine Partei vor dem staatlichen Gericht zu Recht darauf, dass die der Aufrechnung zugrunde liegende bestrittene Forderung ihrerseits einer Schiedsabrede unterliege, darf die Aufrechnung nicht berücksichtigt werden. Diese Einwendung muss das OLG in eigener Zuständigkeit prüfen.
BGH Beschl.v. 30.9.2010 – III ZB 57/10; MDR 2010, 1415 = WM 2010, 2236 = RKS A 4 a Nr. 128
Aus den Gründen:
1. Nach der st. Rspr. des BGH (Urt.v.12.7.1990 – III ZR 174/89 MDR 1991, 132 = NJW 1990, 3210 = RKS A 4 a Nr. 36; 3.7.1997 – III ZR 75/97 NJW-RR 1997,1289 = RKS A 4 a Nr. 40) sind im Vollstreckbarerklärungsverfahren – über die gesetzlichen Aufhebungsgründe hinaus – sachlich-rechtliche Einwendungen gegen den im Schiedsspruch festgestellten Anspruch zulässig. Allerdings müssen in entsprechender Anwendung des § 767 Abs. 2 ZPO die Gründe, auf denen die Einwendung beruht, grundsätzlich nach dem Schiedsverfahren entstanden sein, d.h. bei einer Aufrechnung darf die Aufrechnungslage nicht bereits während des Schiedsverfahrens bestanden haben. Letzteres gilt nach der Rechtsprechung des BGH allerdings nicht ausnahmslos. Vielmehr ist die Aufrechnung auch mit einer vor Abschluss des Schiedsverfahrens entstandenen Forderung möglich, wenn der Schuldner schon vor dem Schiedsgericht aufgerechnet bzw. den Aufrechnungseinwand erhoben hat, das Schiedsgericht aber über die zur Aufrechnung gestellte Forderung – z.B. mit der Begründung, es sei für diese nicht zuständig – nicht befunden hat. Wo ein Schiedsgericht sich der Entscheidung über die Aufrechnung enthält, steht nichts im Wege, den Aufrechnungseinwand vor dem ordentlichen Gericht zu wiederholen, gleichwohl ob das Schiedsgericht zu Recht oder zu Unrecht nicht auf die Aufrechnung eingegangen ist (BGH Urt.v. 22.11.1962 – VII ZR 55/61 BGHZ 38, 259 [264 ff.]). Gleiches gilt, wenn der Schuldner zwar vor dem Schiedsgericht nicht aufgerechnet hat, aber fest steht, dass das Schiedsgericht über die Gegenforderung bei erfolgter Aufrechnung nicht entschieden hätte (BGH Urt.v. 7.1.1965 – VII ZR 241/63 MDR 1965, 374 f. = NJW 1965, 1138 f. = HSG A 4 a Nr. 1).
2. Soweit nach dem Inkrafttreten des Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetzes vom 22.12.1997 (BGBl. I, 3224), durch das u.a. die Zuständigkeit für das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs erstinstanzlich bei den OLG angesiedelt worden ist, vereinzelt in der Rechtsprechung (BayObLG 12.4.2000 – 4 Z Sch 2/00 NJW-RR 2001, 1363 = RKS A 4 a Nr. 54; OLG Stuttgart 4.10.2000 – 1 Sch 13/99 MDR 2001, 595) die Auffassung vertreten wird, nunmehr seien bestrittene materiell-rechtliche Einwendungen wie die Aufrechnung im Vollstreckbarerklärungsverfahren grundsätzlich unbeachtlich und könnten nur zum Gegenstand einer eigenständigen Vollstreckungsabwehrklage gemacht werden, ist dem der Senat nicht gefolgt (BGH Beschl.v. 8.11.2007 – III ZB 95/06 SchiedsVZ 2008, 40 Rz. 31f. = RKS A 4 a Nr. 102; 29.7.2010 - III ZB 48/09 juris Rz3 = RKS A 4 a Nr. 124; s. auch BGH Beschl.v. 17.1.2008 - III ZB 11/07 MDR 2008, 468 = NJW-RR 2008, 558 Rz. 18 = RKS A 1 Nr. 157) zur Einrede der Insolvenzanfechtung im Vollstreckbarerklärungsverfahren).
3. Soweit das OLG für seine gegenteilige Auffassung maßgeblich darauf abgestellt hat, dass die OLG für die Geltendmachung materiell-rechtlicher Einwendungen im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 Abs. 1 ZPO) unzuständig wären, ist dies im Übrigen fehlerhaft. Zwar wird teilweise in der Rechtsprechung (BayObLG aaO. RKS A 4 a Nr. 54) und in der Literatur (Münch in MünchKomm/ZPO 3. Aufl. § 1060 Rd-Nr. 38, § 1062 Rd-Nr. 9; Musielak/Voit ZPO 7.Aufl. § 1060 Rd-Nr. 13) die Meinung vertreten, dass ungeachtet der durch das Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz begründeten erstinstanzlichen Zuständigkeit der OLG für die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs zur Entscheidung der Verfahren nach § 767 Abs. 1 ZPO weiterhin – je nach Streitwert – die Amts- oder LG berufen seien. Zuständig ist jedoch das „Prozessgericht des ersten Rechtszuges“, d.h. das Gericht des Vorprozesses erster Instanz, in dem der Vollstreckungstitel geschaffen worden ist (vgl. nur BGH Beschl.v. 17.10.1979 – IV ARZ 42, MDR 1980, 215 = NJW 1980, 188f.). Vollstreckungstitel ist bei der Vollstreckung eines Schiedsspruchs aber die Entscheidung des OLG (vgl. nur BGH Beschl.v. 28.10.1999 –III ZB 43/99 BGHR ZPO § 1064 Abs. 2, 3 - Vollstreckbarerklärung 1). Dementsprechend ist das OLG das zuständige Gericht i.S.d. § 767 Abs. 1 ZPO (in diesem Sinne auch OLG Stuttgart aaO. S 52; Zöller/Herget aaO. § 767 Rd-Nr. 10). Etwas anderes gilt selbstverständlich, wenn der geltend gemachte Einwand seinerseits einer Schiedsabrede unterliegt; dann ist das Schiedsgericht und nicht das OLG zur Entscheidung berufen (BGH Urt.v. 3.12.1986 – IVb ZR 80/85 BGHZ 99, 143, [146ff.] = MDR 1987, 302; Beschl.v. 19.12.1995 – III ZR 194/96 NJW-RR 1996, 508; v. 8.11.2007 aaO. Rd-Nr. 19 = RKS A 4 a Nr. 102).
4. Ausgehend davon, dass das Schiedsgericht sich einer Entscheidung über die Schadensersatzforderungen der Antragsgegnerin mit der Begründung enthalten hat, die Schiedsvereinbarung im Vertrag vom 20.6.2005 erfasse nicht diese Ansprüche, konnte die Antragsgegnerin deshalb die Aufrechnung im Verfahren der Vollstreckbarerklärung grundsätzlich erneut geltend machen. Allerdings hat die Antragstellerin insoweit die Einrede des Schiedsvertrags erhoben. Beruft sich eine Partei vor dem staatlichen Gericht zu Recht darauf, dass die einer Aufrechnung zugrunde liegende bestrittene Forderung ihrerseits einer Schiedsabrede unterliege, darf die Aufrechnung nicht berücksichtigt werden (vgl. Senat, Beschl.v. 17.1.2008 – III ZR 320/06 MDR 2008, 460 = NJW-RR 2008, 556 Rd-Nr. 10 = RKS A 1 Nr. 156; v. 29.7.2010 aaO. = RKS A 4 a Nr. 124). Rechtsfehlerhaft ist das KG insoweit jedoch davon ausgegangen, die streitigen Gegenforderungen seien bereits deshalb als schiedsbefangen zu behandeln, weil das Schiedsgericht die Schiedsbefangenheit in seiner Entscheidung angesprochen habe und dies Bindungswirkung für das anschließende Verfahren vor dem staatlichen Gericht entfalte. Erhebt ein Schuldner im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung den Einwand der Aufrechnung, muss das OLG diese Einwendung in eigener Zuständigkeit prüfen. Die Frage, ob das Schiedsgericht seinerseits im Schiedsverfahren die Aufrechnung zu Recht oder zu Unrecht nicht berücksichtigt hat, ist grundsätzlich unerheblich (BGH 22.11.1962 aaO.; vom 7.1.1965 aaO. = HSG A 4 a Nr. 1; BGH v. 29.7.2010 aaO. Rd.-Nr. 3 = RKS A 4 a Nr. 124). Dementsprechend kann die Annahme des Schiedsgerichts, die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen unterlägen ihren eigenen gesonderten Schiedsvereinbarungen, das OLG nicht im späteren Verfahren auf Vollstreckbarerklärung bei der Prüfung der Zulässigkeit des vor ihm geltend gemachten Aufrechnungseinwands binden. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Das KG wird im weiteren Verfahren zu prüfen haben, ob die von der Antragstellerin erhobene Einrede der Schiedsvereinbarung begründet ist und – sofern dies nicht der Fall sein sollte – ob die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen bestehen.