Recht und Steuern

A 4a Nr. 127

Art. VII Abs. 1 UNÜ, §§ 1031, 1054 ZPO – Form der Schiedsvereinbarung und des Schiedsspruchs; Meistbegünstigungsgrundsatz
1. Nach Maßgabe des Meistbegünstigungsgrundsatzes in Art. VII Abs. 1 UNÜ über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche ist ein ausländischer Schiedsspruch schon dann für vollstreckbar zu erklären, wenn er zwar nicht durch eine schriftliche Schiedsvereinbarung im Sinne von Art. II Abs. 2 UNÜ legitimiert ist, die Vereinbarung aber den für innerstaatliche Schiedssprüche geltenden Formvorschriften des § 1031 Abs. 2 und 3 ZPO genügt und nach den Grundsätzen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens wirksam zustande gekommen ist.
2. § 1061 Abs. 1 ZPO verweist auf das UNÜ und damit nicht nur auf den Meistbegünstigungsgrundsatz in VII Abs. 1, sondern auch auf Art. II, der eine schriftliche Schiedsvereinbarung fordert. Demnach würden in Deutschland ausländische Schiedssprüche bezüglich ihrer Vollstreckbarkeit schlechter behandelt als inländische. Seinem Sinn und Zweck nach erlaubt der Meistbegünstigungsgrundsatz aber nur die Anwendung anerkennungsfreundlicherer Vorschriften des nationalen Rechts.
BGH Beschl.v.30.9.2010 – III ZB 69/09, Betriebs-Berater 2010, 2642 = WM 2010, 2234 = MDR 2010,1415 = ZIP 2010, 2468 = RKS A 4 a Nr. 127
Aus dem Sachverhalt:
Die Antragstellerin hat die Vollstreckbarerklärung eines (englischen) Schiedsspruchs der in L. ansässigen I.C.A. Ltd. begehrt, durch den die Antragsgegnerin zur Zahlung von Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Kaufvertrags verurteilt worden ist. Das OLG hat dem Antrag stattgegeben. Der Schiedsspruch sei zwar nicht schon durch eine schriftliche Parteivereinbarung i.S.v. Art. II Abs. 2 UNÜ legitimiert. Jedoch könne hier in Ansehung der Meistbegünstigungsklausel (Art. VII Abs. 1 UNÜ) auf das Erfordernis einer beiderseits unterzeichneten Schiedsabrede oder eines gegenseitigen Schriftwechsels verzichtet werden. Die ASt. könne sich nämlich auf die in §1031 Abs. 2 und 3 ZPO normierten Anforderungen an das Zustandekommen einer Schiedsvereinbarung berufen. Insoweit sei die streitgegenständliche Schiedsabrede nach den Grundsätzen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens wirksam zustande gekommen.
Aus den Gründen:
1. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das OLG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Meistbegünstigungsgrundsatz des Art. VII Abs. 1 UNÜ die Anwendung des im Verhältnis zu Art. II Abs. 2 UNÜ hinsichtlich der Formerfordernisse weniger strengen §1031Abs. 2, 3 erlaubt. Dem steht nicht entgegen, dass das nationale Recht hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche – abgesehen von vereinzelten eigenständigen Regelungen, wie etwa bezüglich der Vorlagepflicht in § 1064 Abs. 1, Abs. 3ZPO (vgl. hierzu auch Senat Beschl.v. 25.9.2003 – III ZB 68/02 NJW-RR 2004, 1504 = RKS A 4 a Nr.65) – in § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO pauschal auf das UNÜ verweist.
Nach § 1061 Abs. 1S. 1 ZPO richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche nach dem UNÜ. Dieses enthält in Art. VII Abs. 1 die Regelung, dass die Bestimmungen des Abkommens – und damit auch die Vorgaben über die Form einer Schiedsvereinbarung in Art. II – keiner beteiligten Partei das Recht nehmen, sich auf einen Schiedsspruch nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts oder der Verträge des Landes, in dem er geltend gemacht wird, zu berufen. Das UNÜ lässt mithin die Anwendung nationalen Rechts zu, soweit es für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche günstiger ist (sog. Meistbegünstigungsgrundsatz). Da § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO aber allein auf das UNÜ Bezug nimmt, stellt sich die Frage, ob der Verweis in Art. VII Abs. 1 UNÜ bezüglich des innerstaatlichen Rechts insoweit ins Leere geht (in diesem Sinne etwa Musielak/Voit ZPO 7. Aufl. § 1031 Rd-Nr. 18 und § 1061 Rd-Nr. 14; Zöller/Geimer ZPO 28. Aufl. § 1031 Rd-Nr. 25, nicht eindeutig aber § 1061 Rd-Nr. 22a; MünchKomm/Münch 3. Aufl § 1061 Rd-Nr. 19, unklar § 1031 Rd-Nr. 22f; Mallmann SchiedsVZ 2004, 152, 156; Moller NZG 1999, 143, 145) oder ob der Meistbegünstigungsgrundsatz dahin zu verstehen ist, dass er – unter Durchbrechung der Rückverweisung des nationalen Rechts auf das UNÜ – die Anwendung einer im Vergleich zu Art. II Abs. 2 UNÜ weniger formstrengen nationalen Vorschrift, wie der an sich nach § 1025 Abs. 1 für innerstaatliche Schiedssprüche geltenden Regelung in § 1031 ZPO, erlaubt (in diesem Sinn Prütting/Gehrlein/Raeschke-Kessler ZPO 2. Aufl. § 1061 Rd-Nr. 14f; MünchKomm ZPO/Adolphsen 3. Aufl. § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. II Rd-Nr. 18; Stein/Jonas/Schlosser ZPO 22. Aufl. Anh. § 1061 Rd-Nr. 50, 76; 159; Lachmann Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis 3. Aufl. Kap. 27 Rd-Nr. 2564; Kröll ZZP 2004, 453, 469ff., 477f). In der obergerichtlichen Rechtsprechung überwiegt letztere Auffassung (OLG Celle Beschl.v. 14.12.2006 – 8 Sch 14/05 S. 10f., nicht veröffentlicht; siehe auch – im jeweils konkreten Fall die Erfüllung der Formerfordernisse des § 1031 ZPO aber verneinend – OLG Rostock IPRax 2002, 401, 404 = RKS A 4 a Nr. 59; BayObLG NJW-RR 2003, 719, 720; OLG Oldenburg Beschl.v. 1.2.2005 – 9 Sch 3/04 S. 5, nicht veröffentlicht; offengelassen vom OLG Brandenburg IPRax 2003, 349, 351; zweifelnd OLG Frankfurt am Main IPRax 2008, 517, 518). Der Senat hat diese Streitfrage bisher nicht entschieden, allerdings in seinem Beschl.v. 21.9.2005 – III ZB 18/05 NJW 2005, 3499, 3500 = RKSA 4 a Nr. 78 bereits angemerkt, dass für ein solches anerkennungsfreundlicheres Verständnis des Meistbegünstigungsgrundsatzes viel spricht.
2. Die Annahme, dass das in Art. VII Abs. 1 UNÜ verankerte Meistbegünstigungsprinzip auf Grund der Verweisung in § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO auf das UNÜ bedeutungslos sei, würde dazu führen, dass in Deutschland ausländische Schiedssprüche bezüglich ihrer Vollstreckbarkeit schlechter behandelt würden als inländische. Die Anforderungen an die Form einer Schiedsvereinbarung würden dann davon abhängen, ob der Ort des Schiedsverfahrens, den im Rahmen des § 1043 Abs. 1 ZPO die Parteien, hilfsweise das Schiedsgericht festlegt, in Deutschland oder im Ausland liegt (§1025 Abs. 1 ZPO). Dies steht in Widerspruch zu Sinn und Zweck sowohl des Art. VII Abs. 1 UNÜ als auch des §1061 Abs. 1 ZPO.
Durch das UNÜ sollte die Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen international erleichtert werden. Bezweckt war dagegen nicht die Aufstellung strengerer Vorschriften als im nationalen Recht (vgl. nur MünchKommZPO/Adolphsen aaO., Mallmann aaO. S. 155). Art. II enthielt dabei Formerfordernisse, die zu dem damaligen Zeitpunkt (im Jahr 1958) vergleichsweise liberal waren und in ihrer Strenge deutlich hinter denen vieler nationaler Rechte zurückblieben (vgl. Kröll aaO. S. 475, derselbe in SchiedsVZ 2009, 40, 41, 45). Seither haben im Rahmen einer schiedsfreundlicheren Grundhaltung viele Rechtsordnungen ihre Formerfordernisse dahingehend gelockert, dass sie nun geringere Anforderungen stellen als Art. II UNÜ (vgl. Kröll jeweils aaO.). Dieser Historie widerspricht eine Auslegung, durch die Art. II UNÜ entgegen seiner ursprünglichen Intention zu einem Anerkennungshindernis wird.
Ergänzend ist insoweit auf die Auslegungsempfehlung der Kommission der Vereinten Nationen für Internationales Handelsrecht (UNCITRAL) für die nationalen Gerichte aus dem Jahr 2006 hinzuweisen, die auf den Zweck der Meistbegünstigungsregelung im Sinne einer möglichst weitgehenden Durchsetzung von ausländischen Schiedssprüchen hinweist, die zulässigen Formmöglichkeiten in Art. II Abs. 2 UNÜ als nicht abschließend beschreibt und empfiehlt, die Meistbegünstigungsregel über die Schiedssprüche hinaus auch auf die Schiedsvereinbarungen anzuwenden (General Assembly Resolution 61/33 vom 4.12.2006, Official Records, Sixty-first session, Supplement No. 17, A/61/17, Annex II; abzurufen über www.uncitral.org; vgl. auch Kröll SchiedsVZ 2009, 40, 46). Zugleich hat die UNCITRAL eine Änderung von Art. 7 des UNCITRAL-Modellgesetzes über die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (Official Records oft he General Assembly, Fortieth Session, Supplement No 17, A/40/17, Annex I) beschlossen, die zu einer Aufweichung der bisherigen Formerfordernisse in diesem von der Vollversammlung der Vereinten Nationen bereits 1985 den Mitgliedstaaten zur Annahme empfohlenen Mustergesetz für das Schiedsverfahrensrecht der Länder führt. Im Modellgesetz werden nunmehr zwei Alternativen vorgeschlagen, von denen eine auf jedes Schriftformerfordernis verzichtet, die andere Erleichterungen der Schriftform vorsieht (General Assembly Resolution 61/33 aaO. Annex I; vgl. auch Kröll aaO. mwN.).
Das internationale Recht legt deshalb eine weite Auslegung des Meistbegünstigungsgrundsatzes nahe und spricht dafür, anerkennungsfreundlichere nationale Regelungen für inländische Schiedssprüche auch auf ausländische Schiedssprüche anzuwenden.
Dass der deutsche Gesetzgeber durch das Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz vom 22.12.1997 (BGBl. I 1997 S. 3224) ausländische Schiedssprüche insoweit schlechter als inländische stellen und die nach altem Recht ungeachtet Art. II UNÜ zulässige Berufung auf innerstaatliche, weniger strenge Formvorschriften (vgl. Senat Urt.v. 3.12.1992 –III ZR 30/91 NJW 1993, 1798 zum formlos – kraft Handelsbrauch – abgeschlossenen Schiedsvertrag) abschaffen wollte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr diente – zur Schaffung eines zeitgemäßen und den internationalen Rahmenbedingungen angepassten Schiedsverfahrensrechts – das UNCITRAL-Modellgesetz als Vorbild für das neue deutsche Recht (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 13/5274 S. 1, 23ff.; Bericht des Rechtsausschusses vom 12.11.1997 BT-Drucks. 13/9124 S. 44f.) Das UNCITRAL-Modellgesetz enthält einen Gleichlauf der Formvorschriften (siehe auch Kröll ZZP 2004, 453, 476). Denn die nach Art. 1 Abs. 2 für inländische Schiedsverfahren geltende Bestimmung des Art. 7 über die Form einer Schiedsvereinbarung wird im Kapitel VIII über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen ausdrücklich in Bezug genommen (Art. 36 Abs. 1 a i). Art. 36 gilt aber nach Art. 1 Abs. 2, Art. 35 Abs. 1, Art. 36 Abs. 1 unabhängig davon, in welchem Land der Schiedsspruch erlassen wurde. Dass der deutsche Gesetzgeber dies durch die Bezugnahme in §1061 Abs. 1 S. 1 ZPO auf das UNÜ anders regeln wollte, ist nicht erkennbar.
Der Anerkennung des Schiedsspruchs steht auch nicht Art. V Abs. 1 a Fall 2 UNÜ entgegen. Danach darf die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs auf Antrag einer Partei, gegen die er geltend gemacht wird, nur versagt werden, wenn die von den Parteien gemäß Art. II UNÜ geschlossene Schiedsvereinbarung nach dem Recht, dem die Parteien sie unterstellt haben, oder, falls die Parteien hierüber nichts bestimmt haben, nach dem Recht des Landes, in dem der Schiedsspruch ergangen ist, ungültig ist. Insoweit kann dahinstehen, ob die Schiedsvereinbarung nicht den Formerfordernissen des englischen Rechts entspricht. Denn die Meistbegünstigungsklausel aus Art. VII Abs. 1 UNÜ wirkt sich auch im Anwendungs- und Prüfungsbereich des Art. V UNÜ aus (vgl. auch MünchKommZPO/Adolphsen aaO. § 1061 Anh. I UNÜ, Art. V Rd-Nr. 24). Art. VII Abs. 1 UNÜ sieht gerade vor, dass die Bestimmungen des Übereinkommens (und damit auch dessen Art. V) keiner Partei das Recht nehmen, sich (zugunsten der Wirksamkeit) auf einen Schiedsspruch nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts oder der Verträge des Landes, in dem er geltend gemacht wird, zu berufen. Ist danach aber die Schiedsvereinbarung nach Maßgabe des nationalen Prozessrechts des Exequaturstaats – hier §1031 ZPO – wirksam, bedarf es keiner Prüfung im Rahmen des Art. V Abs. 1a Fall 2 UNÜ mehr, ob dies ebenfalls der Rechtslage des Landes, in dem der Schiedsspruch ergangen ist, entspricht (siehe auch Senat, Beschl.v. 21.9.2005 aaO. S. 3500 = RKS A 4 a Nr. 78 zu der Frage, ob bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 1031 ZPO die Wirksamkeit allein nach dem Recht des Landes, in dem der Schiedsspruch ergangen ist, ausreicht).