Recht und Steuern

A 2 Nr. 60

§§ 1036 Abs. 2, § 1037 Abs. 2 S. 1 ZPO, § 173 VwGO – Schiedsrichterablehnung: Ausschlussfrist, Eindeutigkeit; Amtsermittlungsgrundsatz?
1. Für die Darlegung von Ablehnungsgründen gilt die Ausschlussfrist gem. § 1037 Abs. 2 S. 1 ZPO. Sie gilt, auch wenn die Parteien ausdrücklich in ihre Schiedsabrede § 173 VwGO einbezogen haben. Der im Verwaltungsgerichtsverfahren geltende Amtsermittlungsgrundsatz wirkt sich auf das Verfahren der Richterablehnung nicht aus. In beiden Verfahrensarten stellt die Ablehnung ein Recht der Parteien/Beteiligten dar, und beschränkt sich die gerichtliche Prüfung auf die von ihnen (fristgerecht) dargelegten Gründe. Auch im Verwaltungsstreitverfahren ermittelt das Gericht auf einen Ablehnungsantrag hin nicht, ob es unabhängig von den dargelegten Gründen Umstände gibt, die den Antrag tragen.
2. Es reicht nicht, dem Gericht Tatsachen mitzuteilen, die bei jemandem berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Schiedsrichters aufkommen lassen könnten. Die Erklärung der Schiedspartei ist auszulegen; dabei sind alle Umstände (z.B. Fachkompetenz der Verfasser, Bedeutung des Rechtsstreits, Höhe des Streitwerts, Reaktion auf Äußerungen des Schiedsgerichts) zu berücksichtigen. In ihrer Erklärung muss jedenfalls aber für das Schiedsgericht erkennbar zum Ausdruck kommen, dass die Schiedspartei den Schiedsrichter wegen der mitgeteilten Tatsachen ablehnt.
3. Maßgebend für berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Schiedsrichters ist die Sicht einer vernünftigen Schiedspartei. Diese weiß, dass es zunächst von der persönlichen Verfassung eines Menschen abhängt, ob er unabhängig oder unparteilich sein kann. Er weiß weiter, dass selbst solche Menschen unter bestimmten Umständen unter einen Druck geraten können, der es ihnen erschwert, an diesen Eigenschaften festzuhalten. Er weiß aber auch, dass zu solchen Umständen nicht jede Art von Berührung mit einer der Schiedsparteien gehört.
VG Berlin Beschl.v. 11.2.2010 – 4 K 403.09; SchiedsVZ 2010, 107 = RKS A 2 Nr. 60
Die Parteien hatten vereinbart, "dass alle aus oder in Zusammenhang mit dem vorliegenden Vertrag sich ergebenden Streitigkeiten von einem Schiedsgericht nach § 173 der Verwaltungsgerichtsordnung und dem Zehnten Buch der Zivilprozessordnung unter Ausschluss des Rechtsweges endgültig entschieden werden sollen".
Aus den Gründen:
Zu 1. Nach § 1036 Abs. 2 S. 1 ZPO kann ein Schiedsrichter nur abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen lassen. Die Prüfung der Ablehnung bezieht sich nur auf die von der ablehnenden Schiedspartei dargelegten Gründe. Die Darlegung unterliegt der Ausschlussfrist des § 1037 Abs. 2 S.1 ZPO. Diese abdingbare, von den Beteiligten aber nicht abbedungene, sondern mit dem Verweis auf das (gesamte) Zehnte Buch der Zivilprozessordnung ausdrücklich in die Schiedsabrede einbezogene Regelung bestimmt, dass eine Partei, die einen Schiedsrichter ablehnen will, innerhalb von zwei Wochen, nachdem ihr ein Umstand i.S.d. § 1036 Abs. 2 ZPO bekannt geworden ist, dem Schiedsgericht schriftlich die Ablehnungsgründe darzulegen hat. Der ebenfalls ausdrücklich in die Schiedsabrede einbezogene § 173 VwGO widerstreitet der Anwendbarkeit des § 1037 Abs. 2 ZPO nicht. Denn eine besondere Regelung zu Schiedsverfahren enthält die Verwaltungsgerichtsordnung nicht. Sie erkennt mit § 173 S. 2 VwGO durch die Bestimmung der zuständigen Gerichte lediglich an, dass es auch in ihrem Anwendungsbereich Schiedsverfahren geben kann. Zwar ist nach § 173 S. 1 VwGO die ZPO (nur) entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Doch bestehen in Bezug auf die Ausschließung von Gerichtspersonen auch der Schiedsgerichtsbarkeit zwischen den Verfahrensarten der Zivilprozessordnung und der Verwaltungsgerichtsordnung keine Unterschiede. Das Amtsermittlungsprinzip wirkt sich auf das Verfahren der Richterablehnung nicht aus. In beiden Verfahrensarten stellt die Ablehnung ein Recht der Parteien/Beteiligten dar und bezieht sich die gerichtliche Prüfung auf die von ihnen dargelegten Gründe. Auch im Verwaltungsstreitverfahren ermittelt das Gericht auf einen Ablehnungsantrag hin nicht, ob es unabhängig von den dargelegten Gründen Umstände gibt, die den Antrag tragen.
Durch § 1037 Abs. 2 S. 1 ZPO sind die ASt. mit ihrem Vorbringen in ihrem Schriftsatz vom 24.7.2009 ausgeschlossen, das auf die Verweisung auf einen taz-Artikel und die Beziehungen des abgelehnten Schiedsrichters A. zu einem Prof. Dr. M. gerichtet ist. In dem Schriftsatz erklärten sie gegenüber dem Schiedsgericht, ihnen seien „Umstände bekanntgeworden, die Anlass zu der Besorgnis gäben, dass A sein Schiedsrichteramt nicht mit der gebotenen Objektivität, Neutralität und Unparteilichkeit ausübt“ und führten u.a. den taz-Artikel an. Diese Umstände waren ihnen bereits am 24.7.2009 bekannt. Sie lehnten den Schiedsrichter aber erst mehr als zwei Wochen später, nämlich mit dem Schriftsatz vom 11.8.2009, ab.
Zu 2. Man mag auf Grund des Wortlauts der §§ 1036 f. ZPO und des Vergleichs mit den §§ 44 Abs. 1, 406 Abs. 2 S. 1 ZPO annehmen, dass es nicht der Verwendung der Wörter „Ablehnungsantrag“ oder „Ablehnungsgesuch“ bedarf, um einen Schiedsrichter abzulehnen (Münch in MünchKomm ZPO 2.Aufl. 2001, § 1037 Rd-Nr. 4). Indes kann man daraus, dass dem Schiedsgericht schriftlich die Ablehnungsgründe darzulegen sind, schließen, dass es nicht ausreicht, ihm Tatsachen mitzuteilen, die bei jemandem berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Schiedsrichters aufkommen lassen könnten. Vielmehr muss die Schiedspartei für das Schiedsgericht erkennbar zum Ausdruck bringen, dass sie den Schiedsrichter wegen dieser Tatsachen ablehnt. Erst diese Ablehnung lässt aus Gründen Ablehnungsgründe werden, deren Darlegung gegenüber dem Schiedsgericht das Gesetz verlangt.
Der Schriftsatz vom 24.7.2009 enthält keinen ausdrücklichen Ablehnungsantrag und nicht die ausdrückliche Erklärung der ASt., den Schiedsrichter wegen der aufgeführten Tatsachen abzulehnen. Durch seine sonstige Wortwahl ist er aber darauf zu prüfen, ob er nicht gleichwohl die nötige Misstrauenskundgebung gegen den Schiedsrichter enthält, er ist auszulegen. Dies führt aber nicht dazu, sinngemäß die Ablehnung mit der nötigen Eindeutigkeit erklärt zu sehen. Vielmehr erweckt der Schriftsatz den Eindruck bewusst herbeigeführter Zweideutigkeit. Die Eingangsworte greifen mit einer gewissen Zurückhaltung die Begriffe der Richterablehnung (§ 44 Abs. 4 ZPO) auf, nicht aber die der Schiedsrichterablehnung. Die Ausführungen zum taz-Artikel legen schon eine Ablehnung nahe, wenn dort von der „Suggerierung eines feststehenden Schadensersatzanspruchs“ und der „Stimmungsmache“ gegen die Schiedsbekl. die Rede ist. Die den Schriftsatz abschließende Forderung nach „Aufklärung“ liest sich aber wieder wie ein Abrücken von der zuvor angeklungenen Ablehnung. Denn auch wenn es in § 1037 ZPO nicht ausdrücklich geregelt ist, versteht es sich von selbst, dass im Ablehnungsfalle wie nach § 44 Abs. 3 ZPO zumindest eine Äußerung des Abgelehnten über den Ablehnungsgrund eingeholt wird. Wird aber nur Aufklärung gefordert, ohne dass auch die Ablehnung klar ausgedrückt wird, kann man meinen, dass es sich noch nicht um eine Ablehnung handeln soll. Unter Berücksichtigung der Verfasser des Schriftsatzes vom 24.7.2009 war er für das Schiedsgericht als Adressaten nicht als Ablehnung des Schiedsrichters zu verstehen. Gemeinhin besteht Zurückhaltung bei der Auslegung von prozessrechtlichen Erklärungen von Rechtsanwälten. Bei Fachleuten darf man annehmen, sie wollen, was sie sagen, und was sie nicht sagen, wollen sie nicht. Dieser Gedanke wird hier mehrfach gesteigert. Bei dem Schiedsverfahren handelt es sich nach dem Streitwert (lt. Einleitungsschriftsatz 4,5 Mrd. €) um ein ungewöhnliches, was annehmen lässt, dass sich die damit Betrauten ungewöhnlich damit beschäftigen. Zudem stammt der Schriftsatz vom 24.7.2009 nicht nur von einem Rechtsanwalt, sondern von sechs Rechtsanwälten. Es erscheint nahezu völlig ausgeschlossen, dass unter ihnen am 24.7.2009 keiner war, der eine allseits gewollte Ablehnung eines Schiedsrichters in dies klar ausdrückende Worte hätte fassen können, wenn dies gewollt gewesen wäre. Das drängt dazu, in dem Schriftsatz eben keine Ablehnung des Schiedsrichters zu sehen.
Von indizieller Bedeutung ist das spätere Verhalten der Antragstellerinnen. Es bestätigt das hier vertretene Verständnis des Schriftsatzes vom 24.7.2009.
Die Annahme, die ASt. hätten mit diesem Schriftsatz bereits den Schiedsrichter abgelehnt, verträgt sich nicht mit ihrem Schweigen auf die Mitteilung des Schiedsgerichts, darin keinen Ablehnungsantrag zu sehen. Mit einem einzigen Satz hätte dieses vermeintliche Missverständnis behoben werden können. Ein solcher Satz wäre von sechs Rechtsanwälten, die sich missverstanden sahen, und denen bewusst gewesen sein muss, dass § 1037 Abs. 2 S. 1 ZPO eine Ausschlussfrist bestimmt, umgehend und vorsorglich fristwahrend (vorbehaltlich ihrer Rechtsauffassung zur Anwendbarkeit dieser Regelung auf dieses Schiedsverfahren) zu erwarten gewesen. Eine derartige Klarstellung enthält auch der Schriftsatz vom 11.8.2009 nicht. Vielmehr verdeutlicht er mit seinen Eingangsworten, dass die ASt. den Schiedsrichter erst seit seiner Stellungnahme vom 28.7.2009 ablehnen. Erst durch diese Stellungnahme habe sich ihre Besorgnis so verdichtet, dass sie sich zur Ablehnung veranlasst sähen. Auch die Antragsbegründung bekräftigt, dass die ASt. zunächst keine Ablehnung aussprachen. Denn sie sprechen sich ein Ermessen zu, bei Kenntnis welcher Einzelumstände sie den Schritt der Schiedsrichterablehnung unternehmen wollten, womit sie erklären, warum sie (zunächst) nur Aufklärung verlangten. Erfolglos meinen die ASt., die Ausschlussfrist habe allenfalls zu laufen begonnen, nachdem sie von der Stellungnehme des Abgelehnten Kenntnis erlangten. Aus ihrer Sicht hatte sich der Abgelehnte den taz-Artikel durch das Einstellen auf seiner Internetseite zu eigen gemacht. Das konnte die Frage aufwerfen, ob ein Schiedsrichter, der sich einen solchen Artikel zu eigen macht, noch unparteilich ist. Daran änderte die Stellungnehme nichts. Nun mag der Akt, in dem die ASt. das Zu-eigen-Machen sehen, konkretisiert worden sein („selbst ausgewählt“). An ihrer Wertung, der Schiedsrichter habe sich den Artikel zu eigen gemacht, ändert das nichts; allenfalls bestärkt es sie in ihr. Im Ergebnis gilt das auch für die im Schriftsatz vom 24.7.2009 angesprochenen Beziehungen zu Prof. Dr. M. Denn der für ihre Wertung, der Abgelehnte unterhalte enge Beziehungen zu Verfahrensbevollmächtigten der AGg., erhebliche Tatsachenkern war den ASt. bekannt. So wurde ihre Darstellung, der Abgelehnte und Prof. Dr. M. hätten gemeinsam mehrere Publikationen verfasst, mit der Angabe des Abgelehnten, er habe drei Aufsätze verfasst, die 1993/1997/2001 in Büchern erschienen seien, die Prof. Dr. M. als Mitherausgeber mit Dritten ediert habe, allenfalls falsifiziert, nicht aber zu einem gewichtigeren Anzeichen für „enge Beziehungen zu Verfahrensbevollmächtigten der AGg“.
Zu 3. Im Übrigen scheitert der Antrag am Fehlen berechtigter Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Schiedsrichters. Maßgebend dafür ist die Sicht einer vernünftigen Schiedspartei. Diese weiß, dass es zunächst von der persönlichen Verfassung eines Menschen abhängt, ob er unabhängig oder unparteilich sein kann. Er weiß weiter, dass selbst solche Menschen unter bestimmten Umständen unter einen Druck geraten können, der es ihnen erschwert, an diesen Eigenschaften festzuhalten. Er weiß aber auch, dass zu solchen Umständen nicht jede Art von Berührung mit einer der Schiedsparteien gehört (vgl. § 3 DRiG). Mit diesem Verständnis tritt das Gericht den Wertungen im Beschluss des Schiedsgerichts vom 30.9.2009 bei („Die Präklusionsfrist war bei der Ablehnung für die vorgetragenen Ablehnungsgründe abgelaufen. Die Ablehnung eines Schiedsrichters ist eindeutig zu erklären und durch einen Antrag geltend zu machen. Dem genügt der Schriftsatz vom 24.7.2009 nicht; der vom 11.8.2009 ist verspätet, soweit er den taz-Artikel und die Beziehung zu Prof. Dr. M. betrifft. Ungeachtet dessen ist das Ablehnungsgesuch auch bei Berücksichtigung der präkludierten Umstände unbegründet.“).