Recht und Steuern

A 2 Nr. 59

§§ 41, 42, 1036 Abs. 1 ZPO - Pflicht des Schiedsrichters zur Offenlegung von Zweifeln an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit
1. Gründe, die zur Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit berechtigen, rechtfertigen grundsätzlich auch Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit eines Schiedsrichters, wenn die Parteien weder das betreffende Näheverhältnis gekannt noch ausdrücklich etwas anderes vereinbart haben.
Solche Gründe sind nicht:
- eine Freundschaft oder sonstige nahe Beziehung zu einem Bevollmächtigten einer Partei
- gemeinsame Teilnahme mit dem Bevollmächtigten an einem berufsbezogenen Lehrgang und an mehrmals jährlichen „Medizinrechtsstammtischen“
- ein kollegiales Duzverhältnis zwischen allen Teilnehmern
- Beiträge des Schiedsrichters zu Diskussionen oder in Fachzeitschriften über fachspezifische Themen mit Berührungspunkten zum streitgegenständlichen Schiedsverfahren, wenn nicht besondere Umstände wie Sturheit und Unbelehrbarkeit hinzukommen
- kritische Fragen ausschließlich an die eine Partei, soweit sie durch die richterliche Aufklärungspflicht geboten sind
- die telefonische Mitteilung des Ergebnisses einer Beratung vor der abschließenden Festlegung des Schiedsspruchs durch alle Schiedsrichter.
Solche Gründe können sein:
- ein Mietverhältnis oder ein nicht nur oberflächliches persönliches Verhältnis
ein – wenn auch vergangenes Abhängigkeits-, Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis zu einer Partei oder ihrem Bevollmächtigten
2. Der Kreis der vom Schiedsrichter offenzulegenden „Umstände, die Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit wecken können“ (§ 1036 Abs. 1 ZPO), ist weiter als der der Ablehnungsgründe „wegen Besorgnis der Befangenheit“ (§ 42 Abs. 2 ZPO). Die Anforderungen sind geringer und können auch Umstände erfassen, die seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit in den Augen des später darüber befindenden Gerichts noch nicht rechtfertigen würden. Der Schiedsrichter muss aber deshalb nicht auf „alles Mögliche“, sondern nur auf Umstände hinweisen, von denen er annehmen muss, sie könnten bei vernünftiger Betrachtung solche Zweifel erwecken. Für eine solche Möglichkeit müssen ausreichende Anhaltspunkte vorliegen. Ein Umstand, der schon die Besorgnis der Befangenheit nicht begründet, darf nicht über den Umweg der unterlassenen Offenbarung doch noch zur Ablehnung führen.
KG Berlin Beschl.v. 7.7.2010 – 20 SchH 2/10; SchiedsVZ 2010, 225 = RKS A 2 Nr. 59
Aus den Gründen:
1. (Mangelnde Besorgnis der Befangenheit)
In den Vorschriften der ZPO über das schiedsrichterliche Verfahren sind zwar die Ablehnungsgründe eines Schiedsrichters nicht ausdrücklich geregelt; es ist aber anerkannt, dass ein Ablehnungsgrund i.S.d. §§ 41, 42 ZPO, der zur Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit berechtigt, auch Zweifel an der Unparteilichkeit des Schiedsrichters bietet, wenn die Parteien das betreffende Näheverhältnis nicht gekannt haben bzw. nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart haben (OLG Sachsen-Anhalt Beschl.v. 19.12.2001 SchiedsVZ 2003, 134 = RKS A 2 Nr. 25; OLG Frankfurt Beschl.v. 4.10.2007 SchiedsVZ 2008, 96 = RKS A 2 Nr. 48; Zöller/Geimer ZPO 28. Aufl. § 1036 Rd-Nr. 10).
Der Schiedsrichter ist dementsprechend verpflichtet, die für einen Richter geltenden Gebote, insbesondere der Neutralität, Objektivität und der Wahrung der Ausübung der Parteirechte zu beachten. Dabei rechtfertigen allerdings nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Schiedsrichter stehe dem Schiedsverfahren nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber, eine Ablehnung, wobei nicht erforderlich ist, dass der Schiedsrichter tatsächlich befangen ist. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden berechtigen hingegen nicht zur Ablehnung.
Unter Zugrundelegung der vorgenannten Kriterien hat der Antragsteller keine objektiven Gründe vorgetragen, die nach Meinung einer „ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Zöller/Vollkommer a.a.O. § 42 Rd-Nr. 9 m.w.N.).
Grundsätzlich ist maßgebend das Verhältnis zwischen Schiedsrichter und Partei. Eine Freundschaft oder eine sonstige nahe Beziehung zu einem Bevollmächtigten einer Partei ist kein Ablehnungsgrund (Zöller/Geimer aaO. § 1036 Rd-Nr. 11; OLG Frankfurt Beschl.v. 10.1.2008 NJW 2008,1325 = RKS A 2 Nr. 46; a.A. Lachmann Schiedsgerichtspraxis 3. Aufl. Kap. 11 Rd-Nr. 1003). Der ASt. hat hier schon nicht dargetan, dass zwischen dem Vorsitzenden des Schiedsgerichts und dem Bevollmächtigten des Schiedsbeklagten eine Freundschaft oder sonstige nahe Beziehung besteht. Eine solche ergibt sich nicht schon aus der gemeinsamen Teilnahme an dem berufsbezogenen Fachlehrgang und der vier- bis fünfmal jährlich stattfindenden gemeinsamen Teilnahme am „Medizinrechtsstammtisch“. Es ist zwangsläufig, dass Juristen, die sich auf Medizinrecht spezialisiert haben, sich kennen und gemeinsam in Fachgremien oder fachspezifischen Treffen auftreten (vgl. Zöller/Geimer aaO. § 1036 Rd-Nr. 11. Insbesondere kann der Umstand, dass sich der Schiedsrichter und der Bevollmächtigte des Schiedsbekl. außerhalb der Verhandlung duzen, nicht die Besorgnis rechtfertigen, zwischen den Beteiligten bestünde eine nahe persönliche Beziehung (BGH 21.12.2006 – IX ZB 60/06 NJW-RR 2007, 776). Es handelt sich nur um ein kollegiales Duzverhältnis zwischen allen Teilnehmern des „Medizinrechtsstammtisches“. Außerhalb der fachbezogenen Stammtischrunde finden auch keine privaten Treffen statt. Im Fall des OLG Frankfurt (10.1.2008 RKS A 2 Nr. 46) lag dagegen sowohl ein Miet- wie auch ein „nicht nur oberflächliches persönliches Verhältnis“ zwischen dem Schiedsrichter und dem Bevollmächtigten der Partei vor, im Fall Thür. OLG Beschl.v. 3.9.2006 – 4 W 373/09 ein – wenn auch vergangenes - Abhängigkeitsverhältnis i.S. einer Ausbildung und eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen einem Sachverständigen und einer Partei.
Auch die mögliche Diskussion zu fachspezifischen Themen im Rahmen des Medizinrechtsstammtisches, die Berührungspunkte zu dem streitgegenständlichen Schiedsverfahren haben, ist kein Umstand, der auf eine Voreingenommenheit des Richters schließen lässt. So ist ein Schiedsrichter, der sich schon zu einer im Schiedsgerichtsverfahren relevanten Rechtsfrage in einer Fachzeitschrift geäußert hat, bei Zugrundelegung der für Richter geltenden Maßstäbe nicht als befangen anzusehen, wenn nicht besondere Umstände, z.B. Sturheit oder Unbelehrbarkeit, hinzukommen (Lachmann aaO. Kap. 11 Rd-Nr. 1011 und Zöller/Vollkommer aaO. § 42 Rd-Nr. 33 mit Rechtsprechungshinweisen).
Das Vorbringen des ASt., der Vorsitzende des Schiedsgerichts habe „kritische Fragen“ nahezu ausschließlich an ihn gerichtet, begründet ebenfalls keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit. Ein im Rahmen der richterlichen Aufklärungspflicht gebotenes richterliches Verhalten begründet niemals einen Ablehnungsgrund. Dass die Fragen aus sachfremden Erwägungen erfolgten und nicht der gebotenen Substantiierung des Vortrags des Schiedsklägers dienten, ist nicht ersichtlich.
Ebenso wenig begründet ein die Entschließungsfreiheit nicht beeinträchtigender rechtlicher Hinweis an eine Partei die Ablehnung eines Schiedsrichters (wird ausgeführt).
Auch in der telefonischen Mitteilung des Beratungsergebnisses ist keine unzulässige Vorfestlegung des Vorsitzenden zu sehen. Das Schiedsgericht kam am 22.2.2010 nach dreistündiger Beratung zu einem Ergebnis, wobei der Tenor des Schiedsspruches noch nicht ausformuliert war. Die Mitteilung konnte keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Vorsetzenden wecken, weil allen Beteiligten bewusst war, dass es sich nur um ein Beratungsergebnis handelte, das von jedem Schiedsrichter noch in Frage gestellt werden konnte, und auch nicht die Besorgnis bestand, der Vorsitzende werde noch möglichen Vortrag des ASt. unberücksichtigt lassen (wird ausgeführt).
2. Mangelnde Offenlegung
Auch in der mangelnden Offenbarung der – gemeinsam mit dem Bevollmächtigten des Schiedsbekl. erfolgten - Teilnahme an dem Medizinrechtsstammtisch und des „Duz-Verhältnisses“ liegt kein Grund für Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden.
Zwar zeigt schon die Formulierung des § 1036 Abs. 1 S. 1 ZPO, wonach alle Umstände offen zu legen sind, die Zweifel an der Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit des Schiedsrichters wecken können, dass der Kreis der offenbarungspflichtigen Tatsachen sehr weit, weiter als der der Ablehnungsgründe gezogen ist. Diese Rechtslage führt aber nicht dazu, dass der Schiedsrichter auf „alles Mögliche“, sondern nur auf Umstände hinzuweisen hat, von denen er annehmen muss, sie könnten bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an seiner Unbefangenheit und Unparteilichkeit erwecken (OLG Naumburg Beschl.v. 19.12.2001 – 10 SchH 3/01 SchiedsVZ 2003, 134 = RKS A 2 Nr. 25; Lachmann aaO. Kap. 11 Rd-Nr. 1038). Unterlässt der Schiedsrichter wie hier den Hinweis auf Umstände, die eindeutig und klar ungeeignet waren, die Besorgnis seiner Befangenheit zu begründen (gemeinsame Teilnahme an einem Fachanwaltslehrgang, allein berufsbezogenes Treffen mit dem Bevollmächtigten des Schiedsbekl. im Rahmen des Medizinrechtsstammtisches und darauf bezogenes kollegiales Duz-Verhältnis) und die damit bei einer Partei bei vernünftige Betrachtung auch keine Zweifel an seiner Unbefangenheit und Unparteilichkeit wecken konnten, so liegt darin weder ein Pflichtverstoß noch ein gesonderter Ablehnungsgrund. Zwar sind die Anforderungen an die vom Schiedsrichter zu offenbarenden Umstände nicht mit denen gleichzusetzen, die bei der Prüfung der Besorgnis der Befangenheit wegen dieser Umstände gelten. Sie sind geringer und können auch Umstände erfassen, die die Ablehnung des Schiedsrichters wegen Befangenheit in den Augen des später darüber befindenden Gerichts an sich noch nicht rechtfertigen. Solche Umstände können nämlich trotzdem Zweifel an der Unparteilichkeit und Unbefangenheit des Schiedsrichters wecken. Hierfür müssen jedoch ausreichende Anhaltspunkte vorliegen, die solche Möglichkeiten nahelegen. Auch die – nicht auf hinreichende Anhaltspunkte gestützte – Behauptung einer Partei, bei ihr hätten die verschwiegenen Umstände Zweifel an der Unbefangenheit und Unparteilichkeit geweckt oder wecken können, würde die Aushöhlung der Anforderungen an die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit bewirken. Denn ein Umstand, der schon an sich die Ablehnung des Schiedsrichters wegen Befangenheit eindeutig nicht begründet, darf nicht auf dem Umweg über die Ablehnung wegen unterlassener Offenbarung dieses Umstandes doch noch zur Ablehnung des Schiedsrichters führen (OLG Naumburg RKS A 2 Nr. 25).