Recht und Steuern

M7 Nr.2

M7 Nr.2
§§ 735,736 Abs. 1 HGB, Regel 36 der ”Internationalen Regeln von 1972 zur Verhütung vonZusammenstößen auf See” (Kollisionsverhütungsregeln KVR) Bewegung und Berührungvor Anker liegender Schiffe infolge Wind, Strom oder Tide (Schwojen).Beobachtungs- und Verhütungspflicht. Zeit- und Arbeitsaufwand für dieSchadensermittlung. Mitverschulden
Ein Zusammenstoß i.S.d. §§ 735, 736 HGB ist schon die Berührung zweierSchiffe, auch wenn beide Schiffe z.Zt. der Bewegung geankert haben;Voraussetzung ist nicht, dass mindestens eines der beteiligten Schiffe z.Zt.der Berührung in Fahrt ist.
Wenn sich ein vor Anker liegendes Schiff infolge Wind, Strom oder Tidenwechselbewegt, gebietet die seemännische Sorgfaltspflicht, die eigene Position und dieder benachbarten Ankerlieger laufend zu beobachten und erforderlichenfallsgeeignete Maßnahmen zu treffen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden.
Grundsätzlich ist der mit der Schadensermittlung und außergerichtlichenAbwicklung des Schadens­ersatz­anspruches verbundene Zeit- und Arbeitsaufwand,auch wenn hierfür besonderes Personal eingesetzt wird, vom Geschädigten zutragen.
Schiedsgerichtgemäß der Schiedsgerichtsordnung der German Maritime Arbitration Association
Schiedsspruchvom 26.5.1998, RKS M 7 Nr. 2 = Hamburger Seerechts-Report Juni 1998 S. 73
Aus demSachverhalt:
Gegenstand derEntscheidung ist eine Berührung zwischen MS A. und MS V. am Morgen des 23.7.auf der Reede von K./Indien. Beide Schiffe lagen dort zu Anker.
MS V. fuhr unter indischer Flagge, hatte eine Länge von 153,90 m und warmit 9.262,36 BRT vermessen. MS A. führte die Flagge Maltas, war 192 m lang undhatte eine Vermessung von 28.420 BRT. MS A. sollte in K. eine Partie Stahlrohrelöschen. MS V. hatte die im Hafen von K. begonnenen Löscharbeiten unterbrochenund befand sich seit 20.7. auf der Reede. Gegen 3 Uhr am Morgen des 23.7. gingMS A. in der Nähe der MS V. zu Anker. Der Abstand zwischen den beiden Schiffenbetrug zunächst nach Angaben des Reeders der MS V. 3,5 und nach Darstellung desReeders der MS A. 4,2 Kabellängen. Es herrschte mäßige Sicht und einsüdwestlicher Wind von 5 bis 6 Beaufort. Die Wellenhöhe betrug 1 bis 1,5 m.
Mit dem Wechsel der Tide schwojten beide Schiffe über Steuerbord. Gegen 5.15Uhr hatten sie ihre neue Lage eingenommen. Der Abstand zwischen ihnen betrugjetzt 2,7 Kabellängen. Dabei befand sich MS A. in Luv von MS V., an ihrerBackbordseite und vorlicher von ihr. Im weiteren Verlauf verringerte sich derAbstand zwischen den beiden Schiffen, was auf MS A. gegen 6.28 und auf MS Vgegen 6.35 Uhr bemerkt wurde. Kurz darauf begann man auf MS A., den Ankereinzuhieven. Zu dieser Zeit kam es auf dem Schiff zu einem Maschinenausfall,was dazu führte, dass MS A. das vorgesehene Verholmanöver nicht durchführenkonnte. Gegen 6.45 Uhr hatten die beiden Schiffe erstmals Kontakt. DieSteuerbordseite der MS A. berührte den Backbordbug der MS V. Die beiden Schiffelagen zeitweise Seite an Seite, wobei sie sich aneinander entlang bewegten. Um10.30 Uhr ging MS A. ankerauf und verholte gegen 10.45 weg von MS V.
Die Parteien vereinbarten, dass alle Streitigkeiten aus diesem Vorfall durchein Schiedsgericht entschieden werden und deutsches Recht zur Anwendung kommensoll.
Der Reeder der MS V. verlangte u.a. Ersatz des durch die Berührung entstandenenSchadens. Das Schiedsgericht sprach ihm die Ansprüche teilweise zu, rechneteihm aber ein mitwirkendes Verschulden in Höhe von 30 % an.
Aus denGründen:
Der Reeder derMS V. kann nach §§ 735, 736 Abs. 1 Satz 1 HGB Ersatz seines Schadens verlangen.MS V. und MS A. sind im Sinne dieser Vorschriften zusammengestoßen. Dafürgenügt eine bloße Berührung der beiden Schiffe. Ohne Bedeutung ist, dass beideSchiffe zur Zeit der Berührung geankert haben. Die Bestimmungen setzen nichtvoraus, dass mindestens eines der beteiligten Schiffe in Fahrt ist.
Das Schiedsgericht lässt offen, ob der von MS A. gewählte Ankerplatzmöglicherweise zu dicht an dem der MS V. lag. Vorzuwerfen ist der MS A. jedoch,dass in der Zeit nach dem Schwojen der beiden Schiffe versäumt wurde, den Ortder MS A. regelmäßig anhand von Peilungen zu überprüfen, um festzustellen, obder Anker noch hielt oder das Schiff vertrieb. Zu einer Berührung der beiden Schiffekam es, weil der Anker der MS A., nachdem beide Schiffe herum­geschwojt waren,nicht mehr hielt. Durch den Gezeitenstrom, möglicherweise auch durch den nichtunerheblichen Wind, ist MS A. allmählich auf MS V. zu vertrieben. Das Schwojenwar um 5.15 Uhr abgeschlossen. Zu dieser Zeit befanden sich die Schiffe inihrer neuen Lage mit einem Abstand von 2,7 Kabellängen, der sich bis zurBerührung um 6.45 Uhr allmählich reduzierte. Zwischen 5.15 und 6.45 ist MS A.daher mindestens um diese 2,7 Kabellängen vertrieben. Dass der Anker nicht mehrhielt, hätte die Schiffsleitung der MS A. bei Anwendung der objektiv gebotenenSorgfalt alsbald bemerken müssen. Etwa durch das Einstellen desEntfernungsringes im Radar auf ein geeignetes Objekt in Luv oder Lee kann jederzeitmit einem Blick überprüft werden, ob sich der Ort des Schiffes verändert. Dieswar insbesondere deswegen geboten, weil MS A. gerade geschwojt hatte, der Ankersich also neu ausgerichtet und dabei möglicherweise seinen Halt verloren hatte.Unter diesen Umständen war eine Überprüfung des Ortes spätestens alle 20Minuten erforderlich.
Hätte die Schiffsleitung der MS A. bemerkt, dass das Schiff vertrieben war,hätten auch entsprechend früher Maßnahmen eingeleitet werden können. Man hätteetwa den zweiten Anker verwenden, die Maschine langsam mitlaufen lassen oderdas Schiff verholen können. Auch wenn der Maschinenausfall in derselben Zeit zudem entsprechend früheren Zeitpunkt eingetreten wäre, hätte immer noch genügendZeit zur Verfügung gestanden, um MS V. auf die Annäherung aufmerksam zu machenund sie zu veranlassen, ihrerseits zu verholen.
Die Berührung der beiden Schiffe ist durch ein Verschulden der Schiffsleitungder MS V. mitverursacht worden. Denn auch für sie war erkennbar, dass sich derAbstand nach dem Schwojen von 2,7 Kabellängen zwischen 5.15 und 6.15 Uhrallmählich verringert hat. Es entspricht der seemännischen Sorgfaltspflichteines Anker­liegers, nicht nur seine eigene Position regelmäßig zu überprüfen,sondern auch den Abstand zu den umliegenden Ankerliegern zu kontrollieren. EineSchiffsleitung muss die Möglichkeit, dass nicht nur das eigene Schiff, sondernauch die umliegenden Schiffe vertreiben und das eigene Schiff gefährden können,in Betracht ziehen. Auch insoweit gilt, dass sich ändernde Abstände innerhalbkürzester Zeit mit Hilfe des Radars hätten festgestellt werden können. Wäredies auf MS V. geschehen, so wäre die allmähliche Annäherung der MS A.frühzeitig bemerkt worden. Es hätte Gelegenheit bestanden, die Schiffsleitungder MS A. auf die Situation aufmerksam zu machen, insbesondere über einenAnruf über UKW, durch Anblinken mit der Aldis­lampe oder durch einAufmerksamkeitssignal nach Regel 36 der „Internationalen Regeln von 1972 zurVerhütung von Zusammenstößen auf See” (Kollisionsverhütungsregeln - KVR). Wenndie Schiffsleitung der MV A. hierauf nicht reagiert hätte, hätte MS V.ihrerseits Gegen­maß­nahmen ergreifen müssen, um die drohende Berührung zuverhindern, insbesondere durch Verholen des Schiffes.
Auf die MS V.entfiel ein Mit­ver­schulden in Höhe von 30 %. Es war in erster Linie Sache derSchiffs­leitung des MS A., regelmäßig zu prüfen, ob der Anker hielt oder dasSchiff ins Treiben geraten war. Im Vergleich dazu wirkt das Verschulden derSchiffs­leitung der MS V., die Annäherung der MS A. nicht recht­zeitig bemerktzu haben, erheblich geringer.
Anhang:
Regel 36 KVR: Ist es erforderlich, die Aufmerk­samkeit eines anderen Fahrzeugszu erregen, so darf ein Fahrzeug Licht- oder Schallsignale geben, die nicht mitanderen Signalen nach diesen Regeln verwechselt werden können;...